Unsere Graphen".

,, Menschenskinder, mit eenmal hatten wir fünf Graphen in der Gruppe. Ja, ja, Graphen mit ph. Natürlich Photographen, Ama­teure." Photographieren ist ja nun mal große Mode, und was Mode ist, wird eben mitgemacht.

So ist es auch in unserer Gruppe. Damals, als einige an­fingen mit dem Fahrrad rumzujoffeln", hatte bald die halbe Gruppe Fahrräder. Lindcar felbstverständlich, Wochenrate 3 Mart. Nur ich machte diesen Sport nicht mit. Und zwar deshalb, weil es mir beim Radfahrenlernen ähnlich erging, wie bei Wilhelm Busch  dem Better beim Eselsritt. Als ich nämlich auf dem schwarzen" Weg im Volkspart, mühsam Gleichgewicht haltend, auf dem Rade faß und träftig in die Bedale trat, fuhr ich, trotzdem die Lenkstange von meinen Händen trampfhaft umflammert wurde, in die den Weg begrenzende Dornenhede hinein. Und da ich nun mal gegen jeden lebensgefährlichen Sport bin, habe ich niemals mehr einen Drahtesel bestiegen.

Auch die Mode des Photographierens machte ich nicht mit.( Im Vertrauen gesagt, fehlte mir das nötige ,, Kleingeld" zur Anschaffung eines solchen Geräts.) Als verhinderter Photograph nehme ich mir nun einfach das Recht aller Berhinderten und ,, medere" am meisten über diese Seuche, die sich da in der Gruppe breitmacht, denn schließlich bin ich doch vollkommen unbefangen.

Na, die erste Zeit war es auch wirklich schlimm mit unseren ,, Graphen". Bei jeder glinstigen und ungünstigen Gelegenheit saßen sie zusammen und fachfimpelten" über die Vor- und Nachteile ihrer Apparate, Entwicklungsverfahren, Belichtungszeiten, Gelbfilter, Positive und Negative, und weiß der Teufel was dabei alles für Fremdwörter gebraucht wurden. Im Fragetasten befanden sich denn auch die ganze Zelt über fast nur Fragen, die solche Fremdwörter erklärt haben wollten.

Der fleine Krause fam fogar immer gleich zu mir. Einmal wollte er wissen, was eigentlich negativ auf Deutsch   heißt. Das foftete mir nun einigen Gehirnschweiß", bis ich ihm erklärte, daß negativ, trotzdem auf der Blatte jeder Weißer als Neger, und jeder Neger als Weißer erscheint, nicht von dem Wort Neger herkommt. Ganz zufrieden war er scheinbar nicht mit meiner Antwort, und so war es ein Glück, daß unser Borsigender den Vortragsabend er­öffnete und dem Referenten das Wort erteilte.

Etwas besser zog ich mich aus der Affäre, als er wissen wollte. was man unter positiv verstehe. Ich antwortete ihm ganz einfach, daß unsere Graphen bei ihren Unterhaltungen über ihre Positive die positive Arbelt in der Gruppe vergessen. Da mußte er mir nun allerdings, trohdem er die eigentliche Worterflärung nicht erhalten

hatte, recht geben.

Da die Photographlererei immer schlimmer wurde, stellte ich auf einer Mitgliederversammlung den Antraq, daß nur immer die Hälfte unferer Amateure ihre Apparate mit auf Fahrt nehmen dürften, und begründete das mit der Tatsache, daß nicht nur auf den Heimabenden die ,, Knipserei" die größte Rolle spiele, sondern auch alle Bande­rungen in eine einzige Motiofucherei" ausarteten. Leider wurde diefer Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Den Grund der Ablehnung sehe ich heute noch in einer allgemeinen Sorruption", denn damals, als über den Antrag entschieden wurde, stand gerade der internationale Jugendtag bevor, und da man, um ins Ausland zu fommen, einen Reisepaß brauchte, waren unsere Photographen dabei, für viele die Basbilder herzustellen. Nur gut, daß nachher an den Grenzen teine Baßfontrolle stattfand, denn die meisten Bilder waren so schön, daß die Paßkontrolle ihre Inhaber kaum wiedererkannt hätte.

Und was da alles so zusammengefnipft wird. Der Martin zun Beispiel hat auf großer Fahrt fast immer seine drei Filmpacks mit, und die andern haben, wenn es ihr Geldbeutel erlaubt, sicher kaum weniger. Ne richtige Landplage find unsere Amateure für uns. Sind wir unterwegs mal ein bißchen scharf zugeschritten, heißt es mit einem Mal, Halt", unsere Graphen" fehlen. Halten wir dann Ausschau, sehen wir, wie sie in weiter, weiter Ferne in aller Seelen­ruhe ihre Apparate aufgebaut haben, mit Belichtungsmessern oder -tabellen herumbantieren und zwischendurch aufeinander einreden. Mit großem, Hallo" werben sie dann von den Wartenden empfangen und müssen sich manche Boshaftigkeit gefallen lassen.

Staum haben wir dann einen Lagerplak gefunden, werfen sie ihre Rucksäcke ab und gehen auf die Jagd". Alles, was da irgendwie aufnahmefähig ist, wird mit der Kamera eingefangen. Ist die Gegend aber jo öde, bak man trok eifrigen Suchens tein vernünftiges Motiv findet, dann stellt sich einfach einer an einen Baum oder seht sich auf' nen Kilometerstein und schon hat man ein fnipsfähiges Motiv. Unsern Fribe, der selbst gar nicht photographiert, aber aus diesem Grunde immer mit unfern Graphen" fosgeht, nennen wir deshalb immer ,, Das Motiv".

Kommen fie dann mit mehr oder weniger Erfolg zurüd und sehen, daß die Lagernden ihre Futteraae" zubereiten, benken sie nicht etwa, wie jeder gewöhnliche Sterbliche, auch ans Essen, nein, jetzt fanoen sie erst an, die Essenden zu photographieren. Na, die laffen sich das ganz gern gefallen, nur wollen fie nachher immer ein Bild davon haben. Das ist unsern Graphen" mun allerdings nicht so angenehm, denn dabei fällt es immer so auf. wenn das Bild nichts geworden ist und, wie immer, fommt dann zum Schaden der Spott.

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Bon Gruppenaufnahmen aber wollen fie alle nichts milfen, und es foftet immer erst ein Stück Ueberredungskunst, bis sie dafür eine Platte opfern llebernachten wir jedoch in einem fleinen, alten

Städtchen, dann stehen sie statt, wie gewöhnlich um 6 Uhr, schon um 4 Uhr auf und wandern mit ihren Agfas", Voigtländer   und Ifons" durch die stillen, leeren Straßen und knipsen alte Häuser, Kirchen, Rathäuser, Stadtmauern und Tore. Wenn wir andern dann abmarschbereit sind, müssen wir erst unsere., Graphen" in der ganzen Stadt zusammentrommeln und marschieren ihretwegen min­destens eine Stunde später ab. Dafür haben sie dann, besonders wenn die Sonne schon strahlend heiß auf uns niederbrennt, vielerlei Kojenamen einzustecken.

Wenn wir dann wieder daheim sind, wollen wir trotz alledem Bilder von der Fahrt von ihnen haben. Sie halten uns unsere Freundlichkeiten von der Fahrt vor, aber sie bringen doch einige Bilder angeschleppt. Sie sind dann auch danach. Das Reh, bas uns da über den Weg lief und von Emil blitzschnell auf die Platte gebannt wurde, ist auf dem fertigen Bild nur als weißer Punkt au erfennen. Von den Enten, die auf dem See herumschwammen, ist auf dem Bild weiter nichts zu sehen als Wasser und ein Enten schwanz, und von Murket", den man im Gras liegend aufnahm, ist weiter nichts zu sehen, als ein paar mächtig große Beine und eine winzige Nasenspitze dazwischen. Das Rathaus in der fleinen Am schönsten aber ist die Gruppenaufnahme. Abgesehen von den Stadt haben sie alle, bis auf einen, nur halb auf ihrer Aufnahme. Gesichtern, die wir machten, die immer von neuem Lachstürme her vorrufen, ist ausgerechnet der Kleinste in der Gruppe, der links an der Seite stand, auf dem Bilde am größten, denn der Photo- ,, Graph" batte den Apparat schief aufgestellt.

schließlich fühlen sie sich dann beleidigt und ich habe Hordenteile zu Doch num will ich nichts weiter von unsern ,, Graphen" erzählen, einem Apparat kommen sollte, vorbauen, sonst nimmt nachher das erwarten. Und dann muß ich, für den Fall, daß ich auch mal zu ,, Beräppeln" über meine Aufnahmen fein Ende.

Wandern und Schauen.

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k. b.

Das Wandern ist eine Kunst, das Schauen noch viel mehr. Es gibt viele, auch unter uns, die da fleißig wandern und doch, wenn man fie fragt, was sie dabei schauten, recht wenig berichten können. Dit wird das Schauen zugunsten der Gesellschaft bei Wande rungen in zu großen Gruppen- vernachlässigt. Was ist zum Schauen, zum rechten Naturgenuß notwendig? Nur ein sinniges Auge und dann Wald, Wiese, Feld, ja, auch eine Landstraße. Was gibt es da ein Stüd Natur, gleich, ob alles zu sehen, und das an Orten, die nicht einmal im zuständigen Wanderführer zu finden find!

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Und dann: Wer das rechte Schauen erlernt hat, für den ist auch immer Wanderwetter. Gerade wenn Nebel steigen und fallen, wenn Regen- und Schneestürme übers Land gehen, hat der Naturbeobachter reiche Gelegenheit, die Landschaft unter dem Ein­druck der Wettervariation zu bewundern.

Wie lernt man schauen? Wohl denen, die unter Führung guter Naturfenner und Naturbeobachter wandern können. Für die anderen bleibt immer wieder das Bemühen, selbst das Auge zu schulen und den Sinn zu stärken, der uns all die Wunder sichtbar macht, an denen wir bisher achtlos vorübergingen.

Und schließlich noch ein Buch, ein vortreffliches Buch, das das Schauen in der Natur wie fein zweites lehrt, besser: erleben läßt. es ist schon lange erschienen, aber immer noch recht selten auf dem Bücherbord der wandernden Genossen zu finden. Dabei hält der Diez- Berlag diesen Juwel unter der Arbeiter- Wanderliteratur zu städters in der Natur" ist der Titel des Buches, und Curt ganz billigem Preis zur Verfügung. Sonntage eines Groß Grottewig, ein leider viel zu früh verstorbener Berliner   Schrift fteller schrieb es. Naturwissenschaftliche Bücher sind in der Mehr­zahl für uns Arbeiter schwer verständlich geschrieben. Grottewiß wußte von dem tiefen Naturbrang des Großstadtproletariers und er verstand es mit besonderem Geschick, in volkstümlicher Weise zu Schreiben und so den Arbeiterleser an die Quellen der Natur heran­zuführen. In sozialdemokratischen Zeitungen erschienen darum seine Stizzen und eine Reihe davon find, in den oben empfohlenen Buche vereinigt, zu unserer Freude erhalten.

eine tnappe Beschreibung des Lebens von Curt Grottewig. Dann Rein geringerer als Wilhelm Bölsche   schrieb das Vorwort unb beginnen zwölf Schilderungen von Spaziergängen, für jeden Monat eine, die der Verfasser unternahm. Aber was für Schilderungen! Welche Menge von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen vermitteln sie! Und vor allem: Sie lehren das Schauen auch in der Scheinbar ödesten Gegenb! Soziale und philosophische Betrachtungen, mit Humor gewürzt, wechseln mit wie spielerisch nebenber gegebenen Beschreibungen der Natur, je nach der Jahreszeit ab. Und wenn man an einem trüben Herbst oder Wintersonntag zu Hause bleiben möchte und lieft ba früh die Schilderung, die Grottewig von seiner Wanderung im Oktober eder im Dezember gegeben hat, nein, ba froh gestärkt zurück und in Dankbarkeit zu jenem Mann, der dem muß man hinaus, da treibts einen fort und am Abend fehrt man Großstadtmenschen bas rechte Wandern lehrte.

Doch: Schafft euch das Büchlein an, test es und erbaut euch an feinem köstlichen Inhalt. Ihr werdet es nimmer missen wollen! G. N.