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nisse der modernen Naturforschung gar nichts Positives aufzu- weisen hätten, wäre ihr Verdienst immerhin groß genug; denn gegen die Thatsache, daß sie die biblische Schöpfungstheorie, so- wohl im Allgemeinen, wie in Bezug auf den Menschen im Be- sonderen, kritisch vernichtete, ist nie und nimmermehr aufzukommen. Und das ist die Hauptsache. Erst muß man alten Schutt fort- räumen, dann wird der Grund zum neuen Gebäude gelegt! Aber wir sind nicht nur bei der schärfsten Negation der Lehmkloß-Sage angelangt, nein, unsere Wissenschaft hat bereits ein weites Ge- biet blosgelegt, welches uns viele Dinge zeigt, wie sie in Wirk- lichkeit sind oder waren, und welches eine unendliche Perspektive aufweist und jeden Wissensdurstigen zu immer weiterem Vor- dringen herausfordert. Leider sind die wunderbaren, entzückenden Wahrheiten, die schönen Siegestrophäen, welche die Wissenschaft von ihren Feld- zllgen gegen den Aberglauben heimbrachte, den Massen des Volkes noch nicht in dem Grade vor Augen geführt worden, wie es ge- wünscht werden muß. Mögen es mir die Herren Gelehrten nicht verübeln, wenn ich ihnen sage, daß ihr vornehmes Wesen nicht allein eine Sünde gegen das Volk, sondern auch ein schweres Vergehen gegen die Wissenschaft selbst ist, indem selbige durch solche Vornehmthuerei verhindert wird, in den weitesten Kreisen sich Geltung zu verschaffen. Ich will nicht hoffen, daß die An- ficht Treitschke's, die dahin geht, daß man dem„niederen" Volke den„Glauben" lassen müsse, weil es dann zufriedener sei, die allgemeine Ansicht der Professoren ist, sonst würde ich ihnen sagen, daß sie recht traurigen Prinzipien huldigen; was mir aber leider Thatsache zu sein scheint, ist daö Vorhandensein eines ge- wissen Gelehrten-Stolzcs, der im Umsehen sich in einen gehörigen Zopf verwandeln kann. Mit dem Bücherschreiben allein ist noch nicht genug �gethan, zumal die betreffenden Werke unter dem
! Fluche des Doktrinarismus leiden und deshalb für den schlichten Mann unverdaulich sind, ganz abgesehen von ihrer Kostspieligkeit, welche es dem Armen nicht erlaubt, sie anzuschaffen. Sollen die Naturwissenschaften den Bann der Unwissenheit, in welchem der größte Theil der Menschheit immer noch festgeschmievet ist, gründ- lich brechen, dann müssen sie sozusagen auf allen Straßen ge- predigt werden. So lange dies nicht geschieht, möge man aber im Gelehrten-Olymp nicht die Nasen rümpfen und sich in spötti- schen Redensarten ergehen, wenn sich schlichte Arbeiter selbst daran macheu, das Wesentlichste und Wissenswertheste aus den Werken der Naturforscher ins Populäre zu übertragen und so den unbegrenzten Wissensdurst ihrer Genossen einigermaßen zu stillen. Und nun noch ein Wort an Diejenigen, welche glauben, es sei nicht gut, dem Menschen seine thierische Herkunft auseinander zu setzen, weil er sonst verleitet werden könnte, sich selbst zu mißachten. Diese Ansicht ist total falsch. Gerade, wenn wir begreifen, daß wir uns von Stufe zu Stufe, von der rohesten Wildheit bis zum sternemessenden Intelligenz-Wesen emporgear- beitet haben, müssen wir sozusagen vor uns selbst Respekt be- kommen, während uns gleichzeitig die bisher gemachten gewaltigen Fortschritte zu der Hoffnung berechtigen, daß noch ungemein viele, nach aufwärts führende Staffeln erklommen werden. Denn kann das wilde Thier zur Kultur gelangen, so muß für den Kultur- | menschen der Vcrvollkommnungsprozeß geradezu ein schrankenloser sein. Sieht man aber, daß die ganze Natur die Tendenz hat, sich stetig in der Richtung der Vollkommenheit zu entwickeln, und begreift man gleichzeitig, daß der Mensch so gut mit dem Natur- � ganzen aufs engste verknüpft ist, wie jede Pflanze und jeder Stein, dann gelangt man auch zur Ueberzeugung, daß die Menschheit nicht rückwärts schreiten oder stillstehen kann.
NinaldoVsky.
Eine moderne Räubergeschichte von A. Otto- Walster.
III.
„Theuerste Jessy," spricht unterdessen der junge Offizier, in- dem er das leicht aus seinen Arm sich stützende Mädchen mög- lichst entfernt von lauschenden Neugierigen die Seitenhalle hinunter- führt, da die Mutter in der Person eines russischen Legationsrathes einen angenehmen und außerordentlich dienstfertigen Begleiter ge- funden,„wie viel Gedanken habe ich mir schon wegen Ihres langen Ausbleibens gemacht."— „Ich habe noch spät zu Ihnen geschickt, um Sie wissen zu lassen, daß wir wegen eines unerwarteten Besuches zur be- stimmten Zeit nicht kommen würden, aber mein Bote hat Sie nicht mehr angetroffen." „Wie liebenswürdig von Ihnen; als wenn Sie gewußt hätten, welche Anstrengungen es mich gekostet, Zutritt zu dieser Soiree zu erlangen." „Ick) glaube eS wohl. Um so mehr freuen wir uns, daß es gelungen." „Und ist es noch immer Ihre Ansicht, daß ich es morgen wagen darf?" „Ich bin der Ansicht, daß Sie es thun müssen. Wenn ich Papa's gelegentliche Bemerkungen richtig verstanden, erwartet er es sogar." „Und die Frau Mutter?" „Ist Ihnen allerdings weit weniger geneigt, seit sie erfahren, daß Sie nicht von adeliger Geburt sind." „Ich hatte dies auch nie vorgegeben." „Nein, aber sie hatte sich sagen lassen, die deutschen Ossiziere seien alle von Adel, und ihr unglücklicher Ehrgeiz suchte seine Befriedigung in der Aussicht, mit der Aristokratie des Landes verwandt zu werden. Deshalb betrieb sie niit allem Eifer unsere Badereise, zumal als sie unter der Hand Erkundigungen ein- gezogen und erfahre» hatte, daß Sie ohne Vermögen und sogar
mit Schulden belastet seien. Im Lause der vier Monate, die wir im Bade zubringen wollten, hoffte sie, würden Sie-durch Ihre Verhältnisse genöthigt werden, den Dienst zu quittiren, und dann außer Stande sein, sich weiter um mich zu bewerben." „So weit sind die Nachforschungen über meine Person ge- gangen, und Ihr Herr Vater hat mich trotzdem nicht ver- worfen?" „Mein Vater hat in solchen Fällen, wie Viele bei uns zu Lande, seine besonderen Anschauungen. Er denkt, der Mann, der sich in solchen Verhältnissen selbst zu helfen weiß, der ist auch anderen Verhältnissen gewachsen, der verdient Vertrauen, und in solchen Anschauungen macht ihn Niemand, macht ihn auch meine Mutter nicht irre. Da ist viel Vorurtheilslosigkeit darin, nicht wahr, wenn man die Menschen so ansieht?" „Ja gewiß; mehr Vorurtheilslosigkeit, als ich hoffen konnte; aber wer in aller Welt mochte, da ich doch im Verhältniß zu manchen anderen meiner Kameraden sehr wenig Schulden habe, mich als einen so überschuldeten Menschen ausgeben?" „Ich habe nicht viel mehr als eine Ahnnng darüber. Die Sorge um Sie hielt mich manchmal wach, wenn meine Eltern, die mich eingeschlafen glaubten, im Nebenzimmer über Sie und uns sprachen, und da hörte ich einen Namen, der fast wie der Name eines berühmten italienischen Räubers lautete." „Rinaldowsky!" rief der junge Offizier und erbleichte. „Sie werden blaß, mein Freund", rief das Mädchen erregt, und ihre Stimme ging fast in ein Weinen über. In diesem Augenblicke verneigte sich aber schon ein junger Elegant in tadelloser Toilette tief vor dem Fräulein und erklärte: „Mijsis Burney, mit welcher ich so eben die Ehre hatte zu sprechen, hat in mir'die Hoffnung erweckt, daß mir Miß Burney die Ehre und das Glück eines Tanzes nicht versagen würde."