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können im Intereffe der bedürftigen Kranken, um diesen keinen Platz zu nehmen. Solche Kranke werden von Seiten der Ver­waltung der öffentlichen Wohlthätigkeit besser zu Hause verpflegt; dieselbe schickt ihnen Aerzte und Medikamente in ihre Wohnungen. Der Kranke, der in ein Krankenhaus aufgenommen ist, wird in einen Krankensaal geführt, von dem Wärter entkleidet und in ein gutes Bett gelegt, welches, rings von weißen Vorhängen um geben, aus einem eisernen Gestell mit elastischer Matratze, Kopf­fissen, Decken und allem Zubehör besteht. Von der Decke hängt eine starke Schnur herab, um dem Kranken, falls er sich auf­richten will, als Unterstützungsmittel zu dienen; neben dem Kopf­fiffen des Bettes steht ein Nachttisch für die Medikamente und für allerlei Utensilien, die der Kranke braucht. An einem der Bettpfosten befindet sich eine Tafel, auf der Name, Stand, Krank­heit, Tag des Eintritts in das Haus und Weiteres bemerkt ist. Die Kleider, Wäsche, Schuhe und Mütze liefert dem Kranken während seines Aufenthalts im Hause die Verwaltung; Alles, was er zu seinem Lebensunterhalt und zu seiner Heilung braucht, erhält er umsonst; der Arzt besucht ihn täglich einmal, zweimal und auch mehrere Male, je nachdem es seine Krankheit erfordert. Braucht der Kranke eine besondere Nahrung, so wird sie ihm vom Arzt verordnet. Der Arzt ist überall bei seiner Ernährung und Behandlung das einzig maßgebende Element; die Verwal­tung hat nur das zu thun und anzuordnen, was der Arzt be­fiehlt.

In allen Pariser   Krankenhäusern sind die Säle der Männer von den Sälen der Frauen ganz getrennt. Sämmtliche Häuser sind im Besitz von Dampfmaschinen, welche die Luft in den Sälen reguliren; früher begnügte man sich, die Fenster und die Thüren zu öffnen, um den Luftwechsel hervorzubringen. Der Krankendienst wird, mit Ausnahme von drei Krankenhäusern- der Klinik, der Maternité und Midi, von Barmherzigen Schwestern versehen. Täglich finden in allen Häusern zwei Kon­sultationen statt, zu denen der Zutritt Jedermann freisteht; eine für chirurgische Fälle, die andere für innere Krankheiten aller Art. Im Jahre 1869 haben in den Bariser Krankenhäusern nicht weniger als 363,000 solcher Konsultationsstunden stattgefunden. Zwei Tage sind als Besuchstage für Verwandte, Freunde und Bekannte festgesetzt der Donnerstag und der Sonntag. An diesen Tagen wird es in den Krankenhäusern, wo es sonst sehr ruhig und still hergeht, oft sehr lebendig. Es sind Sonntage im Winter, wo die Kranken im Hotel Dieu mehr als 5000 Besuche empfangen.

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Die Nahrung ist überall sehr gesund und auch reichlich: Fleisch, frische Fische, Gemüse aller Art und Bouillon; der den Kranken verabreichte Wein ist von sehr guter Qualität und wird in reichlichem Maße gegeben. Jedes Haus hat eine Kantine, wo nach einem Tarif Tabak, allerlei Gegenstände, Schreibmaterial, Nadeln und Zwirn verkauft wird. Der Concierge ist zugleich der Inhaber der Kantine. Außer in den Stunden, wo der ärzt­liche Umgang stattfindet, steht es jedem Kranken frei, zu thun und zu lassen, was er will. Gärten und mit Rasen bedeckte und mit Bäumen bepflanzte Höfe behufs der Bewegung im Freien haben alle Pariser   Krankenhäuser, einige allerdings mit sehr beschränkten Räumlichkeiten, wie beispielsweise das Hotel Dieu  . Die räumlichsten Gärten haben die Krankenhäuser des heiligen Antonius, des heiligen Ludwig und das Hospital Necker, welches auch einen kleinen Park besitzt.

Machen wir nach diesen allgemeinen Mittheilungen über die Krankenpflege in den Pariser   Hospitälern nun einen Besuch im Hotel Dieu!

Von den Einzelheiten meiner Schilderung, wie es im Hotel Dieu vor hundert Jahren aussah, finden wir dort nichts mehr, obschon manche Theile des Gebäudes, besonders die Räumlich­feiten unter der Erde, noch dieselben sind wie damals. Das alte Hotel Dien wird nun aber in spätestens zwei Jahren ganz von der Erde verschwinden, sobald das neue Hotel Dieu ausgebaut sein wird. Dieses erhebt sich dem alten Hotel Dieu gegenüber und besteht aus einer Reihe von dreistöckigen Gebäuden, welche durch Höfe von einander getrennt sind und einen Bodenraum von

21,000 Meter bedecken. Bis jetzt hat der Aufbau dieser Ge­bäude schon 80 Millionen Francs verschlungen. In der innern Einrichtung ist das System der Isolirung soviel wie möglich durchgeführt. Die weitesten und größten Säle enthalten nur sechsundzwanzig Betten; sehr viele Zimmer und Räume sind vorhanden, welche nur zwei und vier Betten enthalten. Der Platz ist insofern schlecht gewählt, als er sich ebenfalls wieder mitten in der Stadt befindet.

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Bevor wir vor der Kirche von Notre Dame   die Treppen­stufen hinaufsteigen, welche in das mit mehreren Statuen geschmückte Vorhaus des ältesten Pariser   Krankenhauses hinaufführen, noch einige statistische Notizen über die Bevölkerung der Pariser   Hospi­täler, welche mir aus dem Jahre 1869 vorliegen. In diesem Jahre fanden in sämmtlichen Pariser   Krankenhäusern 93,335 Kranke Aufnahme, während 82,282 geheilt entlassen wurden und 10,429 starben. Die Verpflegungs- und Heilungskosten für die Kranken beliefen sich in diesem Jahre auf 6,710,018 Francs. Denselben wurden 322,391 Bäder verabreicht.

Die Hauptfronte des Hotel Dieu erhebt sich auf dem Platze vor Notre Dame  . Die unregelmäßigen und in verschiedenen Zeiten auf diesem Platze aufgeführten Gebäudemassen sind durch eine bedeckte Brücke mit den Gebäuden auf der andern Seite der Seine in Verbindung gebracht. Es ist die Brücke des heiligen Karl, von der schon bei Schilderung des Krankenhauses vor hundert Jahren die Rede war. Als ich über die Brücke ging, wehte dort ein solcher Zugwind, daß ich schmerzlich der armen Kranken gedachte, welche ,, mit nackten Beinen" in dem vergangenen Jahrhunderte auf dieser hölzernen Brücke umherstehen mußten, um frische Luft zu schöpfen, wenn sie es in der Stickluft der übervölkerten Säle, wo ein halbes Dutzend Kranke in jedem Bette lagen, nicht mehr aushalten konnten. Heute sind diese Säle natürlich in einem ganz anderen Zustande, obschon sie meistens räumlich zu groß sind, so daß oft über hundert Betten in einem Saale aufgestellt sind. Luft und Licht haben sie freilich genug; für gute Luft und gute Ventilation sorgt die Dampfmaschine des Hauses; ich habe in keinem einzigen Saale auch nur ein Atom von Geruch gespürt. Alle Säle sind mit bewundernswerther Reinlichkeit gehalten; die Fußboden parkettirt und gewichst; die Gardinen vor den Fenstern und um die Betten sind von blendender Weiße; die großen Fensterscheiben glänzend; das Holzwerk an den Wänden im saubersten Zustande. Im Hintergrunde der Säle, welche ihre Namen nach Heiligen führen und von bedeutender Höhe sind, erhebt sich gewöhnlich eine Art von Altar mit der Statue der heiligen Jungfrau, der von den Barmherzigen Schwestern täglich mit frischen Blumen geschmückt wird. Die Frauenfäle und die Männerfäle sind selbstverständlich von einander getrennt, ebenso wie die nur Verwundeten und die Kranken, welche nach den verschiedenen Krankheitsformen in ver­schiedenen Sälen untergebracht sind. Wer heute diese luftigen und reinlichen Krankensäle durchwandert, wo die weißgekleideten Schwestern des heiligen Augustin kaum hörbar vorübergleiten, um die Bedürfnisse der Kranken zu besorgen, wer diese frische und reine Luft einathmet, umgeben von tiefer, wohlthuender Stille, der kann sich die schreckliche Vergangenheit gar nicht denken, welche vor noch nicht hundert Jahren nach den Berichten der drei Akademiemitglieder, die auf Befehl König Ludwig's des Sechzehnten das Hotel Dieu untersuchten, nach Cuvier's   Meinung hier ,, alle Schrecken der Hölle übertroffen haben".

Das interessanteste Gebäude im heutigen Hotel Dieu   ist die alte Kapelle des Hauses. Sie bildet das älteste Denkmal monu­mentaler Baukunft in dem heutigen Paris  , ist älter als die Con­ciergerie und älter als der ehemalige Palast der Merovinger­das sogenannte Hotel Cluny. Die Zeit der Erbauung dieser uralten Kapelle kann wohl mit Bestimmtheit gar nicht angegeben werden. Hier empfing man die Pilger und die fremden Reisenden. Gregor von Tours   wohnte in dieser Kapelle, wenn er nach Paris  kam. Welche bescheidenen Ansprüche doch die Menschen der da­maligen Zeit machten!

Als ich die Krankensäle besichtigt hatte, ließ ich mich in diese uralte Kapelle führen. Ich hatte, um dorthin zu gelangen,