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haben, für welchen ich von Gott   erleuchtet worden zu sein glaube." Als die Idee zu seiner That in ihm entsteht, wendet er sich um Rath an Gott  ; so lange er für die Ausführung seines Plans handelt, fleht er zu Gott, daß er seinen Vorsatz gelingen lassen litöge. Nun der Plan mißglückt ist und seine Gedanken sich folgerichtig den intellektuellen Ursachen seines Unternehmens zu­wenden, ist es für die ihres Gleichgewichts verlustigen Seelen­kräfte des Frommen, der ja stets den Ausgangspunkt alles Ge­sd ehenen in Gott seßt, nur ein Schritt bis zur Annahme, daß der Plan selbst eine Emanation seines Schöpfers sei. In dieser Annahme bestärken ihn nicht nur jene Prophezeiungen u. s. w., sondern diese selbst erscheinen ihm nun als Winke und Mah­nungen, durch die Gott ihn allmählich auf seinen letzten Zweck hinweist und vorbereitet. Sie beweisen ihm, daß er von jeher ein auserlesenes Werkzeug Gottes war. Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind!" Seine Auslassungen vom Montag sollen eben diese Ueberzeugung ausdrücken, für die er eine weitere Bestätigung jetzt selbst in den Fehlern seines Plans findet. Wenn er aus sich selbst gehandelt, meint er, so hätte er solche Miß­griffe nimmer gethan, und deshalb ruft er noch an demselben Tage Denen, die an seiner Mission zweifeln, zu: Ja, meine Herren, um Sie zu überzeugen, nehme ich nur den Plan selbst, den ich befolgt habe. Er ist gegen alle Regeln der Kriegskunst. Ich habe durchaus keine große Zahl von Soldaten gesucht; ich habe im Gegentheil mehrere verabschiedet. Ich habe meinen Leuten verboten, irgendwelche Munition mit sich zu führen. Ich habe den Herren von Lausanne   erklärt, daß kein Tropfen Blut vergossen, kein Schuß gethan werden sollte. Ich habe mich ihnen gänzlich anvertraut und ihnen die Sorge, meine Truppen einzu­quartieren, überlassen. Statt dessen würde ich mich, wenn es mein Plan gewesen wäre, anders benommen haben. Ich würde so viel Leute, als ich nur hätte bekommen können, mit mir ge­bracht haben. Ich würde ihnen Munition zu nehmen befohlen haben. Ich würde mich des Schlosses bemächtigt haben, wo ich Geld gefunden haben würde, nebst anderen Dingen, um meine Soldaten zu ermuthigen. Ich würde an verschiedenen Orten der Stadt, nachdem ich mich der Thore bemächtigt hätte, Posten auf­gestellt und das Gros meiner Truppen an einem Orte zusammen gehalten haben. Mit Einem Worte, ich würde die Regeln der Kriegskunst befolgt haben. Aber an einem Plane, den Gott selbst mir eingegeben hatte, wagte ich nichts zu ändern. Seine Vorsicht, die Finsterniß in Licht zu verwandeln vermag, wird auch diesen Plan zum vorbestimmten Ende führen. Ich habe in dem Unternehmen nur große Vortheile und eine herrliche Frucht ge­sehen, die daraus sowohl für ihre Excellenzen als ihre Unter­thanen erwachsen muß."

Fortan bildete seine Berufung einen Hauptgegenstand seiner Unterhaltungen mit den Geistlichen von Bionnens und Bergier*), während er mit anderen Personen, denen man den Besuch im Kerker gestattet hatte, ruhigere, selbst heitere Gespräche führte. E: war unerschöpflich, neue Beweise für seine Behauptung zu finden und die Einwendungen seiner Freunde zu widerlegen. Selbst in der Abnahme seiner Ketten und der bessern Behand­lung, die mit dem Schlusse seines Prozesses erfolgte, sah er eine neue Bestätigung seiner Mission. Seht," rief er, mit welcher Rücksicht man mich behandelt, obgleich ich ein Staatsverbrecher bin. Man macht zu viel Umstände mit mir und verwendet zu viel Aufmerksamkeit und Sorgfalt auf Alles, was ich wünsche. Seht meine Hände, sie tragen keine Kennzeichen mehr von den Eisen, die sie gedrückt haben. Seht meine Glieder, ich bin im vollkommenen Besitz ihres Gebrauches, obgleich sie, wie ihr wißt, manche Folterqualen ausgestanden haben."

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*) Herr von Bionnens war ein noch junger pietistischer Geistlicher, der sich zur selben Zeit mit der Erklärung der Apokalypse und des Pro­pheten Daniel beschäftigte, worüber er später ein Aufsehen erregendes Werk veröffentlichte. Bergier war bei Davel's Regiment in Holland Feldprediger gewesen. Die Einwendungen, welche diese beiden Geist­lichen gelegentlich gegen Davel's Behauptungen und Visionen erhoben, hatten rur den Zweck, Davel   seinen Mystizismus gewissermaßen in ein System zusammenfassen zu lassen.

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Den Richtern war indessen mit Davel's visionären Erklärungen wenig gedient. Der Versuch einer Staatsumwälzung ohne alle Mitschuldige war ihnen, zumal bei der allgemeinen Mißstimmung der Schweiz   wie Frankreichs   und Desterreichs gegen Bern  , un­denkbar. Von Watteville befahl daher, Davel noch an demselben Nachmittage der peinlichen Frage zu unterwerfen; doch hatte weder er noch der Vogt Willading das Herz, dem Vollzuge dieses Be­fehls beizuwohnen.

Die Finger Davel's   wurden zwischen zwei Metallplatten ge­legt und so stark gepreßt, daß die Nägel absprangen. Dennoch entfuhr dem Gefangenen kein Laut des Schmerzes. Leiden Sie?" fragte ihn einer der Untersuchungsrichter. Ja, und zwar sehr." Aber seine geistige Besonnenheit ward dadurch nicht erschüttert. Mit der größten Kaltblütigkeit beantwortete er alle an ihn ge­richteten Fragen, bei seiner Behauptung verharrend, daß er keine Mitschuldigen habe. Von Mitleid bewegt, befahlen endlich die Richter, mit der Tortur nicht weiter fortzufahren.

Die Versuche während der folgenden Tage, Davel durch geist­lichen Zuspruch zur Neue und zu einem umfassenden Geständnisse zu bringen, hatten keinen bessern Erfolg. Ebenso wirkungslos blieben Watteville's Versprechungen einer milden Strafe im Falle eines offenen Geständnisses, wie seine Drohungen einer zweitägigen Folter andererseits. Am Freitag, den 9. April, schritt man denn auf Befehl ihrer Excellenzen von Bern   zur Erfüllung dieser Drohung. Man befestigte an den beiden Handgelenken des Ge­fangenen ein Seil und zog ihn an demselben in die Höhe, bis seine Füße etwa zwei Fuß über dem Boden sich befanden. In dieser Schwebe forderte man ihn abermals auf, seine Mitschul­digen zu nennen. Er wiederholte seine früheren Aussagen und reinigte zugleich seine beiden Hauptleute, den Major Tacheron, wie zwei andere Angeklagte*), von dem Verdacht der Mit­wissenschaft.

Dieser gewöhnlichen Frage", wie man den ersten Grad dieser Folter nannte, folgte am Tage darauf die außergewöhnliche". Sie bestand darin, daß man an die Füße des in die Höhe Ge­zogenen ein Gewicht von 25 Pfund hing. Aber auch in dieser schmerzlichen Lage, in die man Davel   zweimal versetzte, blieben seine Antworten dieselben. Ich bestätige alle meine Aussagen," rief er, ich habe keine Mitschuldigen. Ich schätze mich glücklich, Gott   zu preisen, indem ich die Wahrheit sage." Einem der Richter, der ihn fragte, ob er leide, antwortete er: Gewiß ist das schmerzhaft; aber ich bin überzeugt, daß Sie ebenso viel wie, ich leiden!" Als man nach der Beendigung der Tortur Davel einige Erfrischungen bot, schlug er sie aus. Statt den Leiden zu erliegen, sog der Märtyrer nur neue Begeisterung aus ihnen. So rief er auch jetzt: Glücklicher, herrlicher Tag; ich bin auf Alles bereitet. Zur Ehre Gottes, zum Wohle meines Vaterlandes bin ich in Banden!" Die Frage, ob die Tortur noch weiter gegen Davel angewendet werden solle, ward von den Zweihundert Berns mit überwiegender Stimmenmehrheit verneint. Somit war der Prozeß beendet. Ein Kompetenzstreit über die Zuständigkeit der Gerichtsbarkeit zwischen Bern   und Lausanne   ward zu Gunsten letzterer Stadt entschieden und deren Edle und die Bürger der Rue de Bourg, denen allein ein Privilegium die Ausübung der Kriminaljustiz erlaubte, auf Sonnabend, den 17. April 1723, zum Urtheilsspruche zusammengerufen. Die Anklage lautete auf Majestätsverbrechen  , Empörung und Anreizung zum Aufruhr.

Das Verbrechen lag klar zutage; aber seltsam! Das Berner  Gesetzbuch kannte weder ein solches Verbrechen, noch bestimmte es irgendeine Strafe für dasselbe. Dieser Umstand beschwerte in­dessen keinen Augenblick das juridische Gewissen des Anklägers oder der Nichter. Davel hatte seine Absicht eingestanden ,,, die sanfteste Herrschaft von der Welt", wie sich die Anklage aus­

*) Der Oberlieutenant   Gerbex und der Burgvogt Bourgeois von Ollon, einem reichen Dorfe im Bezirke Aigle. Letterer sollte auf einer Geschäftsreise, die er von Bern   nach seiner Heimat zurückgelegt hatte, in Cully   bei einem Notar Davel eingekehrt sein und dort mit diesem und dem Major Davel bei verschlossenen Thüren gegessen, getrunken und komplottirt haben. Der Major erklärte, einen solchen Schloßvogt nicht einmal dem Namen nach zu kennen.