Ein Gedankenflug durch die Weltgeschichte.

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Buckle behauptet in seiner Geschichte der Eivilisation", daß die Menschen in Bezug auf ihre sittlichen Gefühle zu allen Zeiten gleich gewesen sind. Die Veränderungen, welche in der morali­schen Welt vor sich gehen, seien nur abhängig von der Verände­rung in der theoretischen Erkenntniß. Ohne den kommenden Geschlechtern nahe treten zu wollen, die, auf unseren Schultern stehend, viel weiter wie wir sehen werden, lenken wir unsere Blicke in die Vergangenheit, um die gedankenlose Phrase von der " guten, alten" Beit vom sozialdemokratischen Standpunkt zu be­leuchten. Bei der Menschheit der Urzeit, die zwar auch schon das oberste Glied der Wesenkette repräsentirte, aber wider deren Eri­stenz eine gewaltige leblose und belebte Natur feindlich anstürmte, können wir unmöglich das goldene Zeitalter vermuthen. Im günstigsten Falle erreichte ihr Intellekt das Niveau unserer hünen­haften Patagonier, deren ganze Lebensthätigkeit lediglich aus Er nährung und Fortpflanzung besteht. Es gibt zwar auch noch in der guten Gesellschaft von heute Patagonier, aber sie gehören doch zu den Ausnahmen.

Wie im Sonnenglanz zuerst die höchsten Gipfel erglühen, so erscheint auch das erste Morgengrauen der Intelligenz um die höchste Bodenanschwellung unseres Planeten, den Himalaya  . Dies­seits wie jenseits der granitnen Riesenwiege der menschlichen Kultur erzählen uns Mongolen und Arier ziemlich überein­stimmend die Schöpfungslegende, den Sündenfall und die Fluth. Selbst die entfernt wohnende Völkerfamilie der Semiten( Hebräer, Aegypter, Assyrer) hat aus den indischen Vedas, dem Urquell aller Tradition, geschöpft, denn die Bibelfiguren Adam, Eva, Abraham und der Messias haben eine unleugbare Aehnlichkeit mit den sanskritischen Adima, Heva, Adgigarta und dem von der Jungfrau Devanaki 3500 Jahre vor unserer Aera geborenen Krishna  . Die Mythen gleichen den Wolkengebilden, eine Gestalt geht in die andere über und bleibend ist nichts als die dichtende Volksphantasie und das wache Auge der Kritik. Was uns die Bibel, dieses internationale Mosaikepos, über die sozialen Ver­hältnisse berichtet, klingt nicht sehr erbaulich. Damals, wie heute, vergaßen diejenigen, die im Genusse der Früchte waren, die Hand, welche sie ihnen gebaut.

Die ägyptische und assyrische Volksbedrückung mit ihrer herrsch­süchtigen Hierarchie hat unseren Kulturstaaten" zum Modell ge­dient. England ist ein Bürstenabzug der gewissenlosen Krämer­politik von Tyrus   und Sidon  , die Türkei   eine Copie der despo­tischen Eunuchenwirthschaft von Xerres und Darius. Im günstig sten Falle sehen wir glänzende Spigen auf dunklem Untergrund von unglaublicher Roheit.

Gehen wir weiter nach der Brutstätte der Gedankenkeime der Zukunft, dem sonnigen Hellas und dem heiteren Jonien.

Plato's Musterstaat blieb auch hier, und glücklicherweise sagen wir, ein Utopien, denn Homers streitlustige Helden waren trotz ihrer olympischen Vormundschaft nichts weniger als nachahmungs­würdige Menschen. Hätte ihnen der blinde Dichter den Kranz der Unsterblichkeit nicht um die Schläfe gewunden ihre Thatenspur wäre längst vom Zeitenstrom verwischt.

Gleich wie die Blätter im Wald sind die Geschlechter der Menschen; Blätter verweht zur Erde der Wind, dann andere wieder Treibt der knospende Wald, wenn neu auslebet der Frühling. So der Menschen Geschlechter, dies wächst und jenes verschwindet. Die veredelten Nachkommen der ungeschlachten Trojastürmer, die Zeitgenossen des Perikles  , hätten beinahe das Recht, ihr Zeit alter das" goldene" zu nennen, wenn also wieder ein wenn". Es herrschte die befriedete Ruhe nach dem Streit, der gesicherte Bestand und die Zuversicht auf seine Dauer; auf allen Gebieten des menschlichen Wissens und Könnens entstanden unvergängliche, noch heute nicht erreichte Schöpfungen, und doch fällt in diese Glanzwelt des Hellenenthums mit ihrem Ideal des allsiegend Schönen" ein häßlicher Schatten von schwerbelasteten Karyatiden schultern, welche den herrlichen Bau trugen die Sklaverei. Der Schild des Gesetzes, der Trost der Künste, die Leuchte der Wissenschaft existirten nur für einen kleinen Bruchtheil des Volkes ganz wie bei uns!

Die an Zahl zehnfach überlegene Menschenheerde der kräftigen und gelehrigen Sklaven wurde prinzipiell und systematisch in Ün­wissenheit gehalten, denn sie waren schon im Mutterleib ihres Gebieters rechtloses Eigenthum.

Betrachten wir einmal die Lage der Dinge in Rom  .

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Wie in unseren Tagen Californien, das Eldorado aller Galgenvögel, hat sich Rom   aus einem Buschklepperschlupfwinkel zu einem Ackerbaustaat mit streng moralischen Institutionen aus­gestaltet. Die Entehrung der Lufretia wühlte einen Sturm der Entrüstung auf, der das Königthum aus dem Lande fegte. Mit dem Jahre 269 vor Christo( vollständige Niederwerfung Italiens  und Einführung des Silbergeldes) begann der Hochmuth und die Habgier die Grundvesten Roms zu erschüttern. Der Knecht, der bisher mit seinem Herrn aus einer Schüssel gegessen, wurde nach und nach zum Sklaven erniedrigt, und als sich der Herr nach den punischen Kriegen durch Belehnung mit dem ager publicus zum Großgrundbesizer" emporschwang, ließ er den Sklaven, der sich auf seine Menschenrechte berief, halbtodtgepeitscht an's Kreuz nageln. Die von importirten Sklaven bewirthschafteten Latifundien der Patrizier ruinirten den Plebejer, den kleinen Grundbesizer, und zwangen ihn nach Rom   zu ziehen, wo er, das Proletariat vermehrend, vom Verkauf seiner Wahlstimme lebte. Die Schwind­sucht der Republik   begann. Die dadurch herbeigeführte Corruption der Comitien( höchste Instanz der Volksversammlung), wo nicht der Einzelne der Partei, sondern die Partei dem Einzelnen diente, veranlaßte die Reihe furchtbarer Revolutionen, welche mit der Vernichtung der Freiheit abschloß. Nur das Genie eines Julius Caesar   konnte das Riesenreich, das sich über drei Welt­theile erstreckte, in der alten engen Form der römischen Republik zusammenhalten. Sein glücklicher Neffe Augustus   hat die absolute Monarchie vorbereitet und dessen Erbe Tiberius fie   eingeführt, aber jedes Volk hat diejenige Regierungsform, die es verdient, denn wo es keine Sklaven gibt, gibt es auch keine Tyrannen. Die Laster und Verbrechen der wahnwißigen Gott- Thiere, der Peſt­beulen des kranken Weltreiches, die der Fluch der Menschheit Caligula   und Nero   nennt, wurzeln in der fast göttergleichen Ge­walt, die ihnen das verkommene römische Volk zugestanden hatte. Als die freche Buhlerin am Tiber   dem Wahnsinn auf dem Jm­peratorenthrone am hellsten zujubelte, traten zwei Prätendenten auf, welche die Lotterwirthschaft noch bei Lebzeiten des Besizers erben wollten, das Christenthum mit der ewigen Wahrheit der sittlichen Idee und das Germanenthum mit der sich stets ver­jüngenden Kraft seiner Waldvölker. Beide Faktoren, mit denen die Welt noch heute rechnen muß, waren vom Schicksal auser­sehen, der geknebelten Menschheit Luft zu machen. Das Urchristen­thum, auf Gütergemeinschaft basirt, ist die Quintessenz der Nächsten­liebe, aber mit dem Eindringen des hierarchischen Elementes, das mit seinem Wesen weder identisch noch verträglich ist, verfehlte es seine Mission. Alles muß wechseln und muß einst enden, Das Große erhebt sich und erliegt,

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Selbst ein Glaube muß so sich wenden, Er duldet, verfolgt und unterliegt!

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Und die Germanen?- Vom Kaukasus zum atlantischen Meer wälzte sich ein allgemeines Getümmel siegender und fliehender Geschlechter, Reiche erstanden und verfielen wieder, halbnackte Wilde, Alarich   mit den blonden Gothen, Attila   mit den schwarzen Hunnen, lüstern nach Romas Gold und Schwelgereien Mönche mit dem Kreuz in der Wildniß, die letzten Veteranen der römi­schen Legionen, eintägige Kaiser zwischen Weibern und Verschnit tenen vor der rohen Größe barbarischer Helden zitternd! Um's Leben bettelnd ging Rom  , zerrüttet von seinen Verbrechen, im Gedränge einer empörten Welt unter. Der stürzende Riesenbaum erschlug die germanische Freiheit, denn die Sieger, die in ihren Wäldern keinen Rangunterschied kannten, wußten nichts Eiligeres zu thun, als den römischen Weltkaisergedanken zum Unheil der deutschen   Entwicklung aufzugreifen.

Die Spätfrucht der griechisch- römischen Kultur, die über­raschend schnell an den Ufern des Rheins und der Donau   gedieh, hat die Fluth der Völkerwanderung derart überschwemmt, daß wir vom sechsten bis zum zehnten Jahrhundert neben Ulfila  , dem gothischen Bibelübersetzer, kaum drei Männer kennen, die selbst­ständig zu denken wußten. Die Einwohnerzahl Roms sank von 3 Millionen weltgebietender Bürger auf 15,000 Hirten und Strolche.

Aus dem furchtsamen Küchlein Christus pauper, dem Bischof von Rom, wurde in aller Stille ein streitbarer Hahn, dessen Führerrolle im vierten Jahrhundert so einträglich geworden war, daß 160 Menschen bei der Papstwahl zwischen Ursinus und