ihn geistig, und die Schönheit des neuen Vaterlandes wirkte wohlthätig auf sein ganzes Wesen. Von Venedig   ging er nach Rom  , darauf nach Neapel   und von dort wiederum nach Rom  .

Damals entstanden seine beiden Dramen: Der entfesselte Prometheus" und" Die Cenci  ". Das erstere klingt in dem alten Grundton seines Wesens; es feiert den Befreiungskampf der Menschheit. Zu den Cenci" hatte er den hochtragischen Stoff in Rom   gefunden, woselbst jene unselige Familie ihr schreckliches Dasein geführt hatte. Byron   hat das Stück mit Recht das be­deutendste Drama der englischen Literatur seit Shakespeare   ge­nannt. Es ist in der Objektivität ächter Dramatik gehalten, und man darf glauben, daß zu der in ihm ausgeübten plastischen Gestaltenbildung das Anschauen der Antike in Italien   auf den Dichter gewirkt, wie einst auch auf Goethe. Zudem ist es nicht ein Bücherdrama, wie der Prometheus", sondern für die Bühne geschrieben. Doch wurde Shelley's Hoffnung, daß es im londoner Koventgarden- Theater, mit der gefeierten Tragödin Miß O'Neill in der Hauptrolle( Beatrice), zur Aufführung gelangen werde, nicht erfüllt; der Stoff war für Englands Prüderie nicht geeignet. Shelley   gibt in der Vorrede die Tendenz an, welche ihn in dem Drama geleitet, d. h. er hat die richtige Auffassung, die auch das Stück kennzeichnet, daß die Charaktere in ihrer Wahrheit dargestellt werden müssen, wenn sie den Menschen ein Spiegel zur Selbsterkenntniß sein sollen. So treten denn die Handelnden auch als Katholisch Gläubige auf. Doch spricht der Dichter über diese Gläubigkeit, die das gröbste Laster beschützt, im Vor­wort ein herbes Urtheil aus.

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An politischen Ereignissen nahm er fort und fort den leb­haftesten Antheil. Er betrauerte fein gequältes Vaterland, wie das oben erwähnte Gedicht An Englands Männer" beweist, und sah mit Begeisterung die italienischen   Revolutionen und den Be­freiungskampf Griechenlands  . Diesen besang er in dem lyrischen Drama Hellas", von dessen Schlußchor Strodtmann sagt, er gehöre zu den erhabensten Weissagungen der Poesie.

Aber er mußte in dieser Zeit auch viel Schmerzliches erfahren. In den beiden ersten Jahren seines Aufenthalts in Italien   starben ihm die beiden Kinder, welche Mary Godwin   ihm geboren hatte; und er selbst litt fortgesetzt durch seine körperliche Krankheit. Tief schmerzlich wirkten auch auf ihn die brutalen Mißhandlungen die ihm von seinen Italien   bereisenden Landsleuten widerfuhren, und einen schreienden Gegensatz zu seinem liebevollen Gemüthe bildeten. Auf einer so tiefen Stufe geistiger Entwicklung standen diese bigotten Gesellen, daß ihnen der philosophische Atheist nur als ein des Hohnes würdiger Fasler oder gar als ein Uebel thäter erschien.

Den Aufenthalt in Rom   hatte Shelley   bald mit dem an der Seeküste vertauscht. Er lebte abwechselnd in Pisa  , nahe der Mündung des Arno, und in den Bädern von San Giuliano  . Im Frühling 1822 zog er nach dem Dorfe San Arenzo bei Lerici, an dem zum Meerbusen Genua   gehörigen Golfe von Spezia. Er hatte schon in Pisa   den Arno   oftmals befahren, und mehr noch lockte ihn jetzt die offene See. Kapitän Roberts hatte ihm, nach seinem langgehegten Lieblingswunsche, in Genua  ein eigenes Boot gebaut. In diesem kreuzte er von nun an oftmals tagelang mit seinem intimen Freunde, dem Kapitän Ellerken Williams, an der Küste, und am ersten Juli segelten beide, nur von einem Schiffsjungen begleitet, nach Livorno   ab. Shelley   brachte dort einige Tage bei dem ihm befreundeten Dichter Leigh Hunt   zu, dessen Aeußerung über ihn wir bereits oben erwähnt haben. Die Rückfahrt traten sie am 8. Juli an. Aber als sie die Höhe von Via Reggio   erreicht hatten, brach ein Gewittersturm aus, welchem das Boot nicht standzuhalten ver­mochte. Es schlug um, und die Gefährten fanden ihren Tod in der Fluth. So endete Shelley  , und Herwegh   sagt davon:

,, Zulegt ein Stern, im wilden Meer versunken." Erst nach vierzehn Tagen trieb des Dichters Leiche an den Strand, aber in einem Zustande, der ihre Wegführung nach den Quarantainegesezen nicht gestattete. So wurde es nöthig, dieselbe zu verbrennen, damit sie nach Shelley's Willen in Rom   bestattet werden konnte, an einem Orte, so schön, daß er einen fast mit Liebe für den Tod erfüllen könnte", wie er einst gesagt. Byron  , der in den letzten acht Monaten täglich mit Shelley   verkehrt und sich ihm überaus theuer gemacht hatte, that an dem Todten die legten Liebesdienste. Er war ein ebenso großer Freund des Wassers, wie Shelley  , und hat sich selbst einmal ein Amphibium genannt. Man weiß ja, daß er nach dem Vorgange Leanders, der unseren Lesern aus einem Schiller  'schen Gedicht bekannt sein

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wird, einst den Hellespont   zwischen Sestos   und Abydos   durch­schwamm. Bootsfahrten hatte Shelley   mit ihm schon auf dem Genfersee   gemacht, und bereits damals war er bei Meillerie durch einen Sturm in Lebensgefahr gekommen. Außer Lord Byron  waren bei der Verbrennung, die auf einem Scheiterhaufen am Ufer des Meeres geschah, noch Trelawery und Leigh Hunt   zu­gegen. Der letztere aber, von seinen Gefühlen übermannt, ver­barg sein Antlitz im Wagen, während die beiden anderen mit einigen wachthabenden Soldaten die Flammen umstanden. Weithin herrschte tiefe Stille, nur durch das gellende Kreischen eines ein­ſamen Raubvogels unterbrochen, der den Scheiterhaufen in engen Kreisen umflog und, wiewohl man ihn fast mit den Händen er­greifen konnte, sich nicht vertreiben ließ. Die Asche wurde dann in Rom   neben Shelley's   Freunde Keats   auf dem altberühmten Ruhe­plaz der Protestanten, neben der Pyramide des Eestius, beigesetzt. " Shelley   ging", wie Scherr von ihm sagt, an der Gemein­heit der Welt zugrunde, durch die er wie ein himmlischer Fremd­ling hinwandelte. Niemals hat ein Menschenherz größeren Ab­scheu vor allem Niedrigen und Schlechten mit einer glühenderen Begeisterung für das Edle und Hohe vereinigt, als das Herz dieses gotttrunkenen Pantheisten. Und ihn, der alle Wesen vom Wurm an bis zum Menschen mit innigster Liebe umfaßte, der in der Werkstatt des Gedankens unablässig für das Heil der Gesellschaft thätig und dabei im Leben so bescheiden, aufopfernd, sanft, hülfreich und standhaft duldend war, daß ein Italiener, welcher ihn lange zu beobachten Gelegenheit gehabt, von ihm sagte, er sei, wahrhaftig ein Engel', ihn schmähte, haßte, verfolgte, ver­stieß sein Vaterland und beschimpfte ihn sogar noch im Grabe.".

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Aber wir sind es unseren Lesern schuldig, sie den ganzen Mann kennen zu lehren; und der zeigt sich nur in seiner eigenen Gedankenwelt. In diese wollen wir uns also jetzt versenken, um ihn ganz zu verstehen und damit ganz zu lieben, ihn, von dem Strodtmann schreibt, daß ein reinerer und eblerer Vertreter der humanistischen Weltanschauung schwerlich jemals gelebt hat, und daß er, der verschrieene Atheist, als ein Hoherpriester der auf­opferndsten Menschenliebe und des seligsten Friedens durch die Welt wandelte, ein Märtyrer seiner Ueberzeugung, der auch in den trübsten Tagen niemals den Glauben an die ursprüngliche Güte der Menschennatur und den endlichen Sieg des Guten und Schönen verlor." Natürlich vermögen wir nur eins seiner Werke einer ausführlichen Besprechung zu unterziehen; aber die Königin Mab", die wir hierzu wählen, zeigt ihn uns in seinem ganzen Wesen, und die hinzugefügten Anmerkungen begründen sein Ge­dankensystem mit der Wissenschaftlichkeit streng prüfender Forschung. Zugleich zeigt es die wunderbare Schönheit seiner Poesie und den Adel seiner Sprache.

Neun Gesänge find es, der erhabenste poetische Ausdruck einer großartigen Naturphilosophie. Mab, die Königin der Feen, er­scheint einer Jungfrau im Traume, ihr die Räthsel der Welt zu offenbaren. Auf einem Fluge durch das All stimmt sie ihren Geist durch den überwältigenden Eindruck der Unermeßlichkeit zu heiligster Andacht. Sie spricht zu ihr:

,, Vergangenheit

Soll aufersteh'n vor dir; die Gegenwart Sollst du erschau'n, und lüften will ich dir Der Zukunft dunklen Schleier."

Und nun liegt die Geschichte der Völker vor ihnen ausgebreitet. Aber sie liegt da in ihrer nackten Nichtigkeit; denn sie gehört der kämpfenden Fluth der Zeiten", und

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,, Die wandellose Harmonie Der ewigen Natur,"

die darüber schwebt, verdunkelt dem Auge des Dichters nicht die Schrecken des Daseins. Denn das ist das Charakteristische an Shelley  , daß ere ,, Das hohe Ziel, Zu welchem ohne Rast Die Zeit jedweden führt," trotz der Wolfen, die es verhüllen, klar erkennt, und daß das Elend ihm grade der Weg zum Siege ist:

,, Daß Heil aus Irrthum blüh', Gewinn aus Thorheit Dem sterblichen Geschlecht".

Daher auch Dühring von Shelley   sagt, er habe in seinen Dich­tungen den universellen Optimismus mit der entschiedensten Ver­achtung der religiösen und sozialen Ueberlieferungen der gesammten Geschichte vereinigt. Die Menschenwelt in ihrer thatsächlichen Ver­fassung ist ihm nichts weniger als gut, und dennoch wird sein Glaube an die Vervollkommnung und an den universell guten Typus des Systems der Dinge nicht beeinträchtigt."( Schluß folgt.)