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der nicht mehr Wachen und. uoch nicht Schlafen ist, als ihn ein Mann, der ihm entgegenkam, durch seinen lebhaften Anruf jäh aus seinem Vorsichhindämmern aufschreckte.
rezitirte er ganze Monologe aus der„ Jungfrau von Orleans"| mit halbgeschlossenen Augen in jenen Zwischenzustand versunken, und„ Tell", und als er nach einer Stunde mit einem mächtigen Rosenstrauß heimwanderte, war jede Spur von Bitterkeit und Verdruß aus seiner Seele ausgetilgt, und als er zu Hause die Rosen in ein Wasserglas steckte, sagte er halblaut vor sich hin: „ Der Teufel soll ihm gram sein er ist und bleibt doch ein liebenswürdiger, gemüthlicher Herr, und diese unbezahlbare, erquickende Stille in seinem Garten! Wir bleiben gute Freunde, Herr Hammer! Abgemacht- punktum!"
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Wolfgang entwickelte in den beiden Wochen, die dem verhängnißvollen Geburtstag folgten, eine fast nervöse Thätigkeit für den Bildungsverein, der sich in der That von fast allen bisherigen Lehrkräften verlassen sah; der lange Alfred löste zum Glück sein Wort ein und stand Wolfgang treulich bei, ja, er schien sogar einen Begriff von Pünktlichkeit zu bekommen, und wenn er an den Abenden, an denen er einen Vortrag zu halten hatte, sich verspätete, so betrug die Verzögerung im höchsten Falle fünf Minuten; er war thatsächlich zerknirscht, als es ihm doch einmal passirte, zehn Minuten zu spät einzutreffen. Dem Eifer und der Tapferkeit der beiden jungen Männer gelang es, den wankenden Verein zu stüßen, ihm über die Krisis wegzuhelfen und ihn in neue Bahnen zu lenken, und Wolfgang sah mit herzlicher Befriedigung, daß auch die anfänglich Zaudernden und Unschlüssigen sich ihnen innerlich anschlossen und ihnen vertrauensvoll und dankbar folgten. Doch alle mit dieser neuen Thätigkeit verbundenen und für sein sensitives Wesen doppelt empfindlichen Sorgen, und alle Freude über das Gelingen seines Unternehmens vermochten nicht, ihn von dem bittersüßen Gedanken an Martha und von dem Zwiespalt in seiner Seele, den er so unerträglich fand, zu erlösen. Er konnte weder zur Verurtheilung noch zur Freisprechung gelangen, und während er die Säße der Anklage formulirte, empfand er ein fast schmerzliches Verlangen, sich zum Vertheidiger aufwerfen. Sein sonst so gleichmäßiges und in sich gefestetes Wesen ward beinahe rastlos und unstät, und er hätte viel darum gegeben, diesen Theil seiner Erlebnisse in M. aus seiner Erinnerung wegtilgen zu können, wie man mit dem feuchten Schwamm ungeduldig über die Tafel wegfährt, wenn die Rechnung, die man auf derselben anstellt, nicht stimmen will und man sich rettungslos verwirrt und verwickelt hat. Das Resultat dieser inneren Kämpfe war zuweilen eine tiefe Traurigkeit und Müdigkeit, und wenn diese Stimmung ihn beschlich, griff er krampfhaft nach dem Zunächstliegenden, das ihn vor dem Versinken in diese Weichheit behüten konnte. Jeder kleine Vorfall, der ihn dienstlich in Anspruch nahm, war ihm willkommen wie nie, und als etwa vierzehn Tage nach den Geburtstag Fräulein Emmy's in vorgerückter Abendstunde eine mächtige Feuerstatt am dunklen Himmel erschien und reitende Boten aus einem eine starke Meile entfernten Dorfe dringend um Hülfe baten, die bei der isolirten Lage des Dorfes nur von M. aus kommen konnte, ließ er Allarm blasen und jagte mit den ersten Mannschaften, die er hatte zusammenraffen können, auf der Landsprize davon. Der Brand hatte bereits eine Anzahl Gehöfte ergriffen und drohte bei der herrschenden Windströmung dem ganzen Dorfe den Untergang, jedoch gelang es den nach und nach auf Leiterwagen eintreffenden Mannschaften, die Wolfgangs Beispiel, sein ermunternder Zuruf und sein beißender Spott für jedes Symptom von Unentschlossenheit oder Zaghaftigfeit zu übermenschlichen Anstrengungen anspornten, die Feuersbrunst auf ihren Herd zu beschränken, und als der Morgen kam, zeigte sich, daß kein Grund zu weiteren Besorgnissen sei, wenn es auch wünschenswerth erschien, daß die gesammte Mannschaft noch in Thätigkeit blieb, bis die von Wolfgang gleich bei seiner Ankunft aufgegebenen Gebäude abgelöscht oder vollends niedergebrannt waren. Darüber konnte leicht der Mittag herankommen, und da Wolfgangs Anwesenheit im Comptoir nöthig war( er erwartete eine wichtige englische Post, die er selber erledigen mußte), so war ihm das freundliche Anerbieten eines Bauers, anzuspannen und ihn nach der Stadt zu fahren, sehr willkommen. Nachdem er das Kommando dem ältesten Sprißenmeister übertragen und demselben seine letzten Anordnungen ertheilt hatte, bestieg er das leichte Wägelchen, das bald rasselnd auf der Chaussée dahinrollte; die beiden jungen, feurigen Pferde griffen fast übermüthig aus, und es war nicht eben leicht, während dieser polternden Fahrt, bei der es ohne kleine Stöße und ein gelegentliches Hin und Herwanten nicht abging, zu schlummern. Dennoch war Wolfgang
" Herr Hammer, machen Sie, daß Sie in die Stadt kommen, in Ihrer Fabrik ist der Teufel los, wenn die Pollaken sie nicht bereits erstürmt und demolirt haben."
Wolfgang schüttelte ungläubig den Kopf. Woher sollte dieser Arbeiterbevölkerung, die er immer zu unterwürfig gefunden und der er schon oft ein steiferes Rückgrat und einen starreren Nacken gewünscht hatte, die Geneigtheit zu gewaltsamen Ausschreitungen fommen?
" Haben Sie das alles mit eigenen Augen gesehen oder hat man Ihnen einen Bären aufgebunden? Und ist ja etwas vorgekommen, so macht man wohl aus der Maus einen Elephanten."
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" Ich komme direkt vou der Fabrik und habe mich fortgemacht, weil die Geschichte anfing, mir unheimlich zu werden. Ich sage Ihnen, Herr Hammer, ich möchte nicht in der Haut des Herrn Kommerzienraths stecken, und wenn sie ihm heute den rothen Hahn nicht auf's Dach sehen, so hat er von Glück zu sagen. Sie kennen die Polen nicht das ist schlechtes, heimtückisches Volk, und wenn sie gezecht haben, sind sie zu allem fähig." „ Nun,
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,, Nun, wir werden ja sehen, schön Dank, trotz der Hiobspost. Und wenn Sie aufgeschnitten haben, mache ich Sie in ganz M. schlecht und schreibe mit Kreide an Ihre Hausthür: Windbeutel."
Der Mann schüttelte betheuernd den Kopf, und Wolfgang, dem plötzlich die neue Fabrikordnung einfiel, welche der alte Weinlich ausgearbeitet hatte und die ein Zuchthausregiment in der Fabrik einzuführen strebte, und der nun selber unsicher wurde, bat den Bauer, ihn nicht erst nach seiner Wohnung, sondern gradenwegs nach der Fabrik zu fahren. Man hatte dieselbe noch lange nicht erreicht, als Wolfgang bereits allerlei Anzeichen dafür erhielt, daß der vorsichtige Spießbürger nicht übertrieben hatte. Kein Mensch war auf den Straßen, durch die sie dahinrasselten, nur ab und zu fuhr ein neugieriger Frauenkopf an's Fenster, um rasch wieder zu verschwinden; und aus der Ferne kam, wenn auch gedämpft, ein verworrener Lärm, wie von vielen zornig erhobenen und einander bekämpfenden Stimmen. Als das leichte Gefährt auf den freien Platz einbog, auf dem die Weberei und das Wohnhaus des Kommerzienrath einander gegenüberlagen, bot sich Wolfgang ein überraschendes Schauspiel, und ein minder Beherzter wäre vielleicht unschlüssig geworden. Die Fabrik war auf allen Seiten von aufgeregten Arbeitern umzingelt, aus deren Mitte ab und zu ein Stein gegen die Fenster flog, und wenn wieder eine Scheibe flirrend zersplitterte, belohnte ein wüstes Hurrah den geschickten Wurf. Im Erdgeschoß und im ersten Stockwerk war faum noch eine Scheibe zu zertrümmern und auch die Laternen waren dem knabenhaften Unfug zum Opfer gefallen. Die Arbeiter selbst schienen in zwei nicht ganz einige Heerlager zerspalten; die Polen , bei denen die Flasche unablässig kreiste und in deren Mitte ab und zu eine von den eintönig- schwermüthigen slavischen Weisen angestimmt wurde, die man so schwer vergißt, wenn man sie nur einmal gehört hat, schienen zu rücksichtslosem Vorgehen geneigt, und die hizigsten und heftigsten von ihnen, die immer wieder nach dem Comptoir zu drängten, wurden mit Mühe von einer Anzahl deutscher Kameraden zurückgehalten, während zugleich zwischen einem kleinen Trupp, anscheinend ihren Wortführern, und zwischen mehreren älteren und ruhigeren Polen lebhaft, ja leidenschaftlich verhandelt wurde. War nur dieser Zwiespalt bisher die Rettung der Fabrik vor dem Schicksal der Demolirung gewesen? Fast schien es so.
Wolfgang sprang vom Wagen, reichte dem Bauer, der das befremdende Schauspiel verblüfft anstarrte, die Hand auf den Bock und drückte die seine mit einem freundlichen Wort des Dankes. Dann wendete er sich und ging ruhig, mit raschem, festem Schritt auf die Fabrik zu.
Machte man der durchnäßten, schmuzbesprizten und rauchgeschwärzten Uniform Play, ohne sich eigentlich über die Regung unwillkürlichen Respekts Rechenschaft abzulegen, der man dabei gehorsamte? Hatte Wolfgang sich schon so lebhafte Sympathien erworben, daß man es nicht über sich gewann, ihm in den Weg zu treten? Er hatte bereits, ohne anscheinend um die bedroh lichen Zusammenrottungen sich zu kümmern, den weiten Platz zur Hälfte durchkreuzt, und die einzelnen Gruppen hatten ihn vorübergelassen. Da traten ihm plötzlich zwei junge polnische Arbeiter in den Weg und herrschten ihm auf polnisch zu, umzukehren;