455

erbaut und besteht aus einem runden mit Säulengängen und Gallerien eingefaßten Mittelbau, den eine gewaltige Kuppel mit der Riesenstatue: ,, La Renommé" überdacht, und zwei langen hufeisenförmig abschweifenden Flügeln, die nach der Seite der Ausstellung hin offene Säulengänge, nach der Seite des Trocaderoplates schmale Säle enthalten, in welchen Produkte der Landwirthschaft ausgestellt sind. Das ganze Gebäude ist aus jenem wunderbar schönen weißen Kalkstein erbaut, der unter Paris  , in den Katakomben, und in nächster Umgebung der Stadt gehauen wird. Die Baukosten dieses Gebäudes betragen sechs Milliouen Francs, von denen die Stadt Paris   drei bezahlt und dafür das Recht erworben hat, den Palast, welcher nach der Ausstellung stehen bleiben wird, zu ihren Zwecken zu benußen. Der Anblick, den der Trocaderopalaſt ge­währt, ist ein sehr majestätischer und doch auch wieder zierlicher. Leicht und elegant erheben sich zwei hohe Thürme zu beiden Seiten der großen Kuppel in die Luft. Sie ähneln in der Form und der Orna­mentik denjenigen, welche die Araber zur Zeit ihrer Weltherrschaft in Asien  , Afrika   und Syrien   errichtet haben. In den Säulengängen sind unzählige, circa 2 bis 3 Meter hohe Statuen aus Bronze aufgestellt, welche symbolisch die an der Ausstellung sich betheiligenden Völker schaften und die Künste, Wissenschaften und Handwerke darstellen. Von der kreisrunden Terrasse des Mittelbaues strömt eine mächtige Kaskade herab, welche ihre Flüthen über breite Treppen in ein rundes Bassin, welches in der Mitte des von der Jenabrücke an sanft ansteigenden Gartens liegt, ergießt. Tagesüber im glitzernden Sonnenschein, wenn tausende von bunten Fahnen und Teppichen von allen Spizen und Vorbauten des Palastes und der übrigen kleinen Gebäude, die im Trocaderogarten ihren Platz gefunden haben, herabwehen und eine bunte Menge Besucher durch die verschlungenen Wege zwischen frühlings­grünen Gebüschen und Rasen dahinwandelt, glaubt man sich in einen Zaubergarten der Feenkönigin Abunda versezt, in deren einsam ge­legenen Inselreich, der Sache nach, stets Freude, Glück, Wohlsein und Sonnenschein herrschen. Ja, es ist schön hier auf dem Trocadero, und wie gern wollten wir glauben, alle diese Herrlichkeiten seien geschaffen zur Ehre des Menschengeschlechts, welches endlich, nach sechsjahrtausend­langen Kämpfen einen ewigen Frieden gefunden hat. Aber jene Sol­daten, die dort am Palais Wache stehen, jene traurigen Bettlergestalten, die wir jenseits der Umfriedung die Vorübergehenden ansprechen sehen, erinnern sie uns nicht immer wieder an die blutigen Kriege, welche noch heute millionen junger Menschen in's frühe Grab bringen, und an das Elend, die Sorge, die Noth der ärmeren Klassen? Wahrlich, die Zeit des großen internationalen Friedensfestes ist noch nicht ge­tommen, solange Kanonen brüllen und hunderte von armen Menschen täglich Hungers sterben.

Werfen wir noch schnell einen flüchtigen Blick auf die zahlreichen kleinen Gebäude, die in den Gebieten des Trocadero und des Mars­feldes zerstreut liegen. Ihre Zahl beträgt sechzig. Sie dienen zum Theil zu Spezialausstellungen größerer Aktiengesellschaften und Privat­geschäfte, zum Theil enthalten sie Stationen der Feuerwehr, des ärzt lichen Beistandes ze. Viele von ihnen sind auch nur Luxusbauten ver­schiedener Völker, die uns die eigenthümliche Art des Bauens und des Wohnens derselben veranschaulichen. Unter ihnen zeichnet sich besonders der im maurischen Stil gehaltene algierische Pavillon aus. Die Pavillons von Japan  , Persien  , Tunis  , Marocco  , China  , Norwegen   und Schweden  , sowie der schwedische Kirchthum aus Holz, sind ebenfalls höchst originell, verlangen aber eine eingehendere Betrachtung, die wir auf unserer Wanderung durch die Ausstellung in einem der späteren Briefe anstellen werden. Natürlich finden sich im Ausstellungspark auch Restaurationen, Wein- und Bierhäuser, welche lockend genug die von vielen Anstaunen müden Besucher zur Erquickung einladen. Aber hüten wir uns! Es sind sammt und sonders ,, Mausefallen", in denen ein kleines Stück Speck hängt, welches, wenn einmal übergeschluckt, uns den ganzen Inhalt unserer Börse kosten kann. Wir thun weit besser darán, ehe wir die Reise nach dem Marsfelde antreten, auch für Proviant zu sorgen, um denselben bei gelegener Zeit auf den vielen Bänken behaglich zu verzehren! Aber nur auf die Bänke dürfen wir uns seßen, nicht auf einen der vielen Stühle, welche, einmal von den hinteren Schenkel­flächen berührt, sofort mit einem Franken per Stück bezahlt werden müssen. Auch für Unterhaltungsmusik ist gesorgt! Französische   Kapellen spielen in einzelnen Restaurationen und im Pavillon von Tunis   sogar eine tunesische Kapelle.

In dem großen, hohen, halbrunden Festsaal des Trocaderopalástes, welcher über 5000 Menschen faßt, werden während der Weltausstellung zahlreiche Konzerte, Vorlesungen und Sigungen von internationalen Kongressen und Vereinen stattfinden. Die projektirten pomphaften Ball­feste sollen in diesem Saale abgehalten werden.

Um diese allgemeine Uebersicht zu vervollständigen, sei noch der sogenannten ,, Arbeiterausstellung"( Exposition ouvrière) gedacht. In dieser werden die Fabrikate einzelner Fabrikanten und Arbeiter, welche nicht das Geld haben, die Unkosten in der allgemeinen Ausstellung zu bestreiten, zur Ausstellung gelangen. Die Zahl derjenigen, welche sich an ihr betheiligen, ist nicht groß, da meistens nur pariser Arbeiter in der Lage sind, ihre Fabrikate herschaffen zu können. Auf die Bedeu­tung dieser Ausstellung werde ich später zurückkommen, sobald sie er­öffnet ist, was erst Anfang Juni stattfinden wird. Verläufig sei be­merkt, daß die Stadt Paris   sämmtliche Kosten übernommen hat in der Höhe von 62,000 Francs, eine anscheinend kleine Summe im Vergleich

mit den 44 millionen, welche die allgemeine Ausstellung kostet. Es ist ein geringer, äußerst geringer Tribut, welchen man dem selbständig arbeitenden armen Fabrikanten zollt. Das Gebäude, welches drei große Säle enthält, und der Garten bedecken zusammen eine Grundfläche von 3000 Quadratmetern, die dem Marsfelde unmittelbar benachbart ist. Kade.

-

"

-

Voltaire   und die Genfer. Es ist bekannt, daß Voltaire von Ferney aus, wo er seinen Lebensabend zubrachte, den ihm verhaßten steifkragigen genfer Calvinisten einen Schabernack um den andern spielte. Das Konsistorium wollte kein Theater in der Stadt dulden, weil dadurch die alten Sitten verderbt würden, und Voltaire baute dicht vor den Mauern eine Bühne, auf welcher die ersten pariser Künstler auftraten. Als man Anstalten traf, den anrüchigen Lesestoff zu kon­fisziren, den er unter seinen Anhängern verbreitete, wußte der alte Teufel so nannten ihn stets die genfer Pfaffen abermals Rath. Er ließ eine Menge Broschüren mit sehr frommen Titeln drucken( ,, Ernste Gedanken über Gott," Rathschläge für Familienväter," 2c. 2c.); die ersten Seiten waren sehr erbaulichen und dezenten Inhalts, aber dann schlug der Ton urplötzlich in ein höchst unheitiges Grunzen um. Diese Waare ließ er durch verschmigte Gesellen in die Magazine und Ateliers einschmuggeln, an die Klingelzüge der Häuser binden, durch die Thür­spalten schieben, auf die Bänke der öffentlichen Promenaden hinlegen. Ja, selbst in den Sälen, wo die Jugend Religionsunterricht empfing, fanden sich nicht selten solche Broschüren eingeschwärzt, nach Format und Einband dem genfer Katechismus täuschend ähnlich nachgeahmt. Es half nichts, daß die heiligen Männer Broschüre über Broschüre zur Abwehr ausfliegen ließen, dem alten Teufel waren sie nicht gewachsen. Am lautesten heulten sie auf, als d'Alembert  , natürlich durch Voltaire veranlaßt, in einem Artikel über die kirchlichen Verhältnisse Genfs schrieb, daß die meisten Diener der dortigen Kirche nicht an die Göttlichkeit Christi glauben und nur dasjenige in der Bibel als wahr anerkennen, was im Einklang mit der Vernunft stehe. Sie erließen ein Manifest, worin sie ihren vollen Glauben auch an das Unvernünftigste der Offenbarung nachdrücklichst betheuerten. Immerhin bestanden zwischen Voltaire und einer Reihe von hervorragendern Genfern recht freund­liche Beziehungen. So war z. B. der Maler Jean Huber   ein häufiger Gast in Ferney  . Er benußte den genaueren Umgang mit Voltaire dazu, um verschiedene Szenen aus dessen häuslichem Leben darzustellen, ja sogar in freiester Weise zu karrikiren. Eine solche pikante Samm­,, Voltaire  ", sagt lung sandte er an die russische Kaiserin Katharina. Rigaud- Saladin in seiner Abhandlung über die schönen Künste in Genf  , ,, erschien dort unter allen Formen des häuslichen Lebens und wohl auch in Stellungen, welche manchmal seine üble Laune über die etwas taustische Originalität dieser Art von Apotheose erregten. Einige solche Zeichnungen sind gravirt und hatten ihrerzeit einen ungeheuren Erfolg. Ein radirtes Blatt stellt 35 Köpfe Voltaire's dar, alle von verschie denem Aussehen und doch von vollkommenſter Aehnlichkeit. Die Dar­stellung der Züge Voltaire's war Huber so geläufig, daß er deſſen Profil ausschnitt, indem er die Hände auf den Rücken hielt, ja dasselbe aus einer Karte herauszureißen wußte. Ein gewöhnlicher Spaß von ihm, der darin bestand, seinen Hund aus einer hingehaltenen Brotkruſte das Profil Voltaire's herausbeißen zu lassen, trug Huber keine geringe Berühmtheit ein. Daß man hierüber in Genf   sich höher freute als in Ferney  , liegt auf der Hand.

r.

Ein mittelalterlicher Hochzeitszug.( Bild Seite 449.) Wie stattlich fiel solch ein Zug nach der Kirche aus, wenn es die Ver­mählung eines Paares aus den reichen bürgerlichen Häusern des deutschen   Mittelalters galt. Zwei kleine Mädchen ans dem Verwandten­kreise der Brautleute gehen voran, gemeinschaftlich den Blumenkorb tragend, mit dessen duftigem, farbensprühenden Inhalt sie den Weg bis zur Kirche bestreuen sollen; ihnen folgt ein Knabe, in der Rolle des den Sonnenaufgang ankündigenden Morgensterns, der die erste Fackelferze trägt. Hinter ihm schreiten vier, gleichfalls kerzentragende Jünglinge, welche die erste Abtheilung, gewissermaßen den Vortrab des Hochzeitszuges, schließen. Darauf wieder ein kleines Mädchen, als Abbild der Liebesgottheit das Brautpaar führend, hinter diesem kommen als Fackelträgerinnen vier der Braut befreundete Jungfrauen, dann allerlei junges Volk, Mädchen und Knaben, welche den Brauteltern als Hinter diesen dann der Zug der übrigen Vortrab voranschreiten. Hochzeitsgäste. Alles erscheint würdig und feierlich, und doch liegt über dem Ganzen eine lebensfrohe Heiterkeit, die man oft dem deutschen  Mittelalter garnicht zutrauen will. Aber in den Patrizierhäusern unserer großen Städte hatte die düstre Weltentsagung des Christen­thums glücklicherweise niemals so recht Eingang gefunden.

Ueber den hundertjährigen Kalender. Auch in diesem Jahre haben die meisten Kalender- Redaktionen sich der Sünde wider den heiligen Geist der Vernunft schuldig gemacht und dem Kalendarium die Witterungsangaben nach dem hundertjährigen Kalender zugefügt. Im Volke ist man häufig noch fest davon überzeugt, daß diese Vorher­verkündigungen des Wetters zutreffen, obwohl die Erfahrung schon hundertmal das Gegentheil bewiesen. Aber selbst in den sogenannten gebildeten" Kreisen trifft man noch vielfach auf Personen, die eine Reise 2c. zu einer bestimmten Zeit nicht antreten, weil der Kalender