eh ti

No 45. Jahrg.III

1878.

In Heften à 30 Pfennig.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk. Erscheint wöchentlich.- Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

-

Eine Seereise und eine Auswanderung.

II.

Von Dr. Adolf Douai.

Wer da von den vielen Schiffsmannschaften gelesen hatte, welche in diesem Gürtel der Windstillen elend verdurstet, oder zugleich verhungert und verdurstet waren, dem konnte es bei Siejem langen, regungslosen Stillliegen des Schiffes, diesem leb­losen Zustande der umgebenden Natur, diesem Verschwundensein aller lebenden Wesen, außer uns selbst, dieser Sonnengluth, diesem Lichtmeere, diesem Durste, dieser Aussichtslosigkeit angst und bange werden. Ich wußte davon, schwieg aber darüber, um nicht zu entmuthigen. Ich wußte auch, daß an keiner Stelle des Meeres der Boden so mit Menschenleichen gepflastert ist, wie gerade dort; denn wir waren ja hier auf der großen Heerstraße des Neger­sklavenhandels. Binnen den drei Jahrhunderten, in denen er geblüht hat, sind hier nach mäßiger Berechnung hundert millionen gewaltsam aus Afrika   entführter Neger der Sklaverei in Amerika  entgegengeführt worden, zu vielen Hunderten im engen Schiffs raume verschlossen, ja gefesselt, elend genährt, schlecht getränkt, aus Mangel frischer Luft verschmachtend, täglich mißhandelt, oft, wenn sie in ihrer Verzweiflung aufrührerisch wurden, aus Kanonen mit gehacktem Blei beschossen, selten unter zwei Monaten unter wegs, oft ein halbes Jahr infolge der Windstillen, welche dicht ani Aequator vorherrschen, so daß durchschnittlich kein ganzes Drittel aus diesen Qualen ihr Leben rettete. Davon mußte man vor unsern Auswanderern natürlich ganz schweigen.

am

Obwohl diese nämlich weit besser daran waren, nicht nur als jene armen Neger, ja selbst als die Insassen der allermeisten Auswandererschiffe, halfen alle unsere Erheiterungsmittel und Hoffnungsreden bald nicht mehr genug, um die düstere Stimmung der Leute zu beschwören. Hatten sie darum das noch immer wohnliche Vaterland, die trauten, gewohnten Verhältnisse, die Bier- und Wasserquelle verlassen, damit sie hier verschmachten und in's Meer versenkt werden sollten, wo niemand ihre Grab stätte besuchen konnte? Und wer sonst als ich war schuld daran? Dieser letztere Gedanke hätte vielleicht nicht gezündet, aber wir hatten in Bremen   eingewilligt, etwa zwanzig Pfälzer und Nassauer an Bord zu nehmen, da wir reichlich Platz hatten, und dadurch unsere eignen Ueberfahrtskosten zu vermindern. Diese, durch keine Rücksichten an mich gefesselt, stifteten Unzufriedenheit in meiner engeren Landsmannschaft. Zunächst klagten sie den Kapitän, der zu einem Drittel Schiffseigenthümer war, und die Rheder der gewissenlosen und mangelhaften Ausrüstung des Schiffes aus Gewinnsucht an. Ich suchte sie zu überzeugen, daß unsere

niedrigen Fahrpreise, ein Fünftel niedriger als die damaligen Fahrpreise für die halb so lange Reise nach Penyork, gar feinen Gewinn lassen, und daß die Fahrt für die Eigner mit Verlust verbunden sein würde, falls sie in Texas   keine lohnende Nück­frachi fänden- was jeder sich selbst nachrechnen konnte; daß wir eine so billige und bisher prächtige Ueberfahrt blos erlangt hätten, weil die Rheder ihr neues Geschäft durch meine Empfeh­lung emporbringen wollten. Ich fragte sie, welchen Grund zur Klage außer dem Wassermangel sie bisher gehabt hätten und sie verstummten, um mich nachher der Verschwörung mit dem Kapitän anzuklagen. Meine Landsleute vertheidigten mich da­gegen, aber wer weiß, ob sie es noch lange gethan hätten, wenn nicht nach fünf Wochen Windstille ein willkommenes Gewitter unsere Segel geschwellt und uns gerade soweit nordwärts ge­fördert hätte, daß wir wieder in den Strich des Passatwindes tamen. Sofort bewährte sich unser Fahrzeug wieder als ein vor­trefflicher Segler, und sofort ließ der Kapitän wieder das Wasser reichlich austheilen, dessen Fäulniß gleichzeitig zu Ende ging. Jetzt hatte Noth und Klage ein Ende, und man bedauerte offen­bar unter den Auswanderern das vorherige Benehmen. Wie wenig sie wirklichen Grund zur Klage gehabt hatten, geht aus der einfachen Thatsache hervor, daß aus der ganzen Zahl von 151 blos ein Säugling auf der Reise gestorben ist. Die armen Säuglinge können nur höchst ausnahmsweise eine Seereise über­leben; die gänzlich veränderte Lebensweise der Mütter ist Gift für sie. Wären unsere Auswanderer nicht ganz vorzüglich genährt und guten Muthes erhalten worden, so hätten die lange Wind­stille und das faulige Wasser viele Opfer hinraffen müssen.

Wir waren kaum dieser Gefahr entronnen, als wir in eine neue hineinrannten. Und hieran trug ebenfalls der Mangel, den unser guter Kapitän an wissenschaftlichen seemännischen Kennt­nissen litt, allein die Schuld. Es mag jezt besser geworden sein aber damals schickten Bremen   und Hamburg   Kapitäne auf gefahrvolle und verantwortliche Seereisen aus, welche wissen­schaftlich höchst dürftig befähigt waren. Unser Lamke war ein vor­trefflicher, praktischer Schiffsbauverständiger, Schiffsbefehlshaber und Unternehmer. Mit Stolz sprach er davon, daß er den Bau seines Hohenstaufen" bis in die geringste Kleinigkeit geleitet und jedes Stück Holz und Metall, jede Seilerwaare 2c. besonders für ihren Zweck ausgesucht habe, und konnte, da ich alles genau zu wissen verlangte, über diese Zwecke befriedigende Auskunft geben. Mit einem Berufsstolze, den ich an jedem Menschen schäße, war

III. 10. Auguft 1878.