563

Eine schreiende ungerechtigkeit. Einer der ungerechtesten Pro­zesse, welcher jemals von der Habgier in Szene gesetzt worden, ist der, welcher zu Anfang des 14. Jahrhunderts gegen den Orden der Tempel herren stattgefunden. Damit Philipp der Schöne von Frankreich   und Papst Klemens V.   den reichen Orden vernichten und sich dessen aus­gedehnte Besigthümer anmaßen konnten, mußte der Vorwurf der Zauberei die Beschuldigung der Keßerei motiviren. Schon seit langer Zeit war es Philipp ein Dorn im Auge gewesen, daß die Templer  , auf ihre Privilegien gestüßt, sich seiner königlichen Gewalt nicht zu unterwerfen brauchten. Im Bunde mit dem Papst berief er im Jahre 1306 den Großmeister Jakob von Molay von Cypern nach Frankreich  , damit er sich mit dem König über einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen be­rathe. Molay, auf seinen großen Anhang in Frankreich   pochend, ging in die Falle. Im Gefolge von 60 Tempelherren   kam er nach Paris  , aber noch in derselben Nacht ließ der König laut eines längst vor bereiteten Verhaftsbefehls sämmtliche in seinen Staaten sich aushaltende Ordensmitglieder in den Kerker werfen, auf die Ordensgüter Beschlag legen und die Angelegenheit dem kirchlichen Urtheilsspruch über weisen. Torquemadas gefürchtete Jünger, die Dominikaner  , welche die Tempelherren   wegen ihres mannhaften Auftretens gegen jede Ünbill haßten, fungirten als Inquisitoren, und somit war das Loos der schwertumgürteten Mönche besiegelt. Der absonderlichsten Vergehen wurden die Hüter des heiligen Grabes beschuldigt. Unter anderm wurde ihnen nachgesagt, daß sie ein Gößenbild, Baffomet geheißen, anbeten, Christum   abschwören und an das Kreuz speien, unnatürlichen Lastern fröhnen, Kinder opfern und dem Großmeister die geheimen Theile des Körpers küssen. Da Folter und Hunger die Beschuldigten nicht zu einem Geständnisse zu bewegen vermochten und die Unter­suchung durch ihre Standhaftigkeit eine für die Tempelherren   günstige Wendung zu nehmen drohte, nahm Philipp seine Zuflucht zu einem zweiten schimpflichen Gewaltakte. Ein Konzil ward berufen und durch dasselbe 54 Tempelritter als Kezer zum Tode verurtheilt und im Jahre 1310 vor den Mauern von Paris   verbrannt. Der Orden wurde im Jahre 1312 vom Papst Klemens aufgehoben, und Molay, nachdem er gegen das Urtheil, welches auf lebenslängliches Gefängniß lautete, Pro­test eingelegt hatte, zum Scheiterhaufen verdammt. Philipp hatte sein Ziel erreicht; die Widersacher seiner Autokratie ist er losgeworden und hat sie noch obendrein beerbt. Ihre Güter verkaufte er mit großem Profit an die Johanniter. Nach 400 Jahren belehnte der National­ konvent   den abgefeimten Halunken Philipp Egalité damit. Als der Sturm der Revolution seinen Epigonen Louis Philipp über den Kanal nach England wehte, konnte er natürlich die Güter der Templer   nicht mit hinübernehmen, und so hat sich der Glücksritter Louis Napoleon  deren Revenuen angeeignet. Nach der Vertreibung der Napoleoniden fielen sie wieder an die Orleaniden zurück. Ihr gegenwärtiger Besißer ist der Herzog von Aumale, der schon lange auf den Präsidentenstuhl der französischen   Republik   spekulirt. Möge er noch lange darauf spekuliren.

Dr. M. T.

Die Gruben- Explosion zu St. Etienne.  ( Siehe die Bilder auf Seite 556 und 557.) Die menschliche Gesellschaft gleicht einem Organismus; wenn einige Glieder desselben erkranken und ihren Dienst versagen, dann ist auch das Ganze in seinem Bestande bedroht und tritt uns das entgegen, was man die soziale Frage nennt. Das hat zwar im Jahre 1878 Johannes Huber gesagt, aber mit andern Worten haben denselben Gedanken schon vor Jahrtausenden Hippodamos aus Milet  , Phaleas von Chalcedon  , sowie Plato   und Aristoteles   ausgedrückt. Alterthum und Mittelalter haben ebensogut, wie die Zopf- und neue Zeit ihre sozialen Beklemmungen gehabt. Monarchien und Republiken haben sich an dieser harten Nuß die Zähne ausgebrochen, weil sie die berechtigten Wünsche des Volkes in eine Zwangsjacke steckten und so die Wahrheit auf dem Prokrustesbette verrenkten und verstümmelten. Die Worte, welche der Geschichtsschreiber Plutarch   dem römischen Volks­tribun Tiberius Gracchus   in den Mund legt, passen heute so genau auf unsere proletarischen ,, Vaterlandsvertheidiger", wie sie auf Roms Plebejer paßten, die ihre Haut für die Patrizier zu Markte trugen. Sie lauteten folgendermaßen: ,, Die wilden Thiere haben ihre Höhlen, jedes von ihnen weiß sein Lager, aber die Männer, welche für Italiens  Unabhängigkeit kämpfen und sterben, haben nichts als Luft und Licht. Es ist ein Hohn, wenn die Feldherren auf den Schlachtfeldern sie auf fordern, ihre Grabmäler und Heiligthümer gegen die Feinde zu ver­theidigen; denn unter so vielen hat taum einer einen vaterländischen Herd oder Grabhügel seiner Vorfahren aufzuweisen. Nur für die Ueppigkeit und den Reichthum anderer müssen sie ihr Blut vergießen und sterben." Daß der Senat und die Optimaten durch die Ermor dung des Volksfreundes Tiberius Gracchus   seine Bestrebungen illusorisch machten, wird wohl den Leser nicht überraschen. 71 Jahre v. Chr. G. sammelte der Gladiator  ( Fechter) Spartakus   100,000 hungernde Sklaven und bedrohte Rom   mit Vernichtung. Der Konsul Marcus Crassus   über­wältigte ihn auf der Straße zwischen Capua   und Rom   und ließ 6000 Ge­fangene ans Kreuz schlagen. Ob den Ueberlebenden durch dieses sum­marische Verfahren die sozialistischen   Gefüste vergangen sind, berichten uns nicht die Chronisten. Der schlaue Julius Cäsar   versuchte die so­ziale Frage zu seinen Gunsten auf administrativem Wege zu lösen, indem er 20,000 Familien Rom   zu verlassen und sich dem Landbau zu widmen zwang. Mit 80,000 andern Mißvergnügten besiedelte er

-

vor

die verödete. Nordküste Afrikas  . Das unter seinem Neffen und Nach­folger Augustus   aufgetauchte Christenthum schien mit dem sozialen Elend gründlich aufräumen zu wollen, aber dem am Jordan ausgebrüteten Taubenei entkroch ein Drache, der sich nur dann für die Armen inter­essirte, wenn sie seinen unersättlichen Magen füllten. Die Völker­wanderung, welche die alte Buhlerin Roma in ihrem eigenen Blute erstickte, war auch nur eine Magenfrage, ebenso wie die Bauern- und Wiedertäuferkriege im Mittelalter und die französische   Revolution am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Im 19. Jahrhundert haben sich um das Krankenbett der sozialen Frage soviel Quacksalber versammelt, daß uns um ihr Leben bange würde, wenn sie trotz des akuten Pauperismus nicht eine so zäh ausdauernde Leibesbeschaffenheit besäße. Das neueste Rezept, von dem der Liberalismus, dieser Polyp der neuesten Aera, der mit seinen Fangarmen alles Lebendige in sich schlingt, nichts wissen will, lautet nach Schäffle also: Ersetzung des Privatkapitals durch das Kollektivkapital, d. h. durch eine Produktionsweise, welche auf Grund kollektiven Eigenthums der Gesammtheit aller Produzenten an aller Produktionsmitteln eine einheitliche Organisation der Nationalarbeit durchführen würde. Diese, kollektivische Produktionsweise würde die Konkurrenz beseitigen, indem sie die kollektiv durchführbaren Theile der Güterhervorbringung unter gemeinschaftliche Leitung stellen und unter derselben Leitung auch die Vertheilung des gemeinsamen Produkts nach dem Maße der produktiven Arbeitsleistung eines jeden nehmen würde." Das ist die theoretische Quintessenz des Sozialismus, aber die grausame Praxis des Lebens hetzt die Menschen mit folgenden Worten Darwins in den Kampf um's Dasein: Jedes geschaffene Wesen strebt nach seinem Platz unter der Sonne; aber an dem Gastmahl des Lebens ist nicht für alle Tischgenossen Platz, nicht einem jeden ist sein Couvert gelegt. Man muß also kämpfen, um sich Plazz zu machen, und der Stärkere hat den natürlichen Drang, den Schwächeren zu unter­drücken." Unsere beiden Bilder führen uns eine grauenvolle Episode aus dem Kampf um's Daseins vor, die furchtbare Majestät der ver­nichtenden Naturkräfte ,,, schlagende Wetter" genannt. Jede Gewerbe­krankheit verzehrt ihren Mann, aber die Nacht des Bergwerks ,, tief unter dem Rasen" fordert jährlich Hekatomben Menschenopfer." Die Kohlengruben von Saint- Etienne   in Frankreich   streichen bis unter die Stadt gleichen Namens, sodaß der Förderschacht Puit Jabin knapp vor dem Bahnhofe zutage tritt. Am 4. Februar 1876 hörte man um 3 Uhr nachmittags einen dumpfen Knall und die Häuser der Stadt wurden wie von einem vulkanischen Erdstoß erschüttert. Alles eilte nach dem Förderschacht. Dort vernahm man die Schreckenskunde, daß das Leben von 216 Arbeitern von den ,, schlagenden Wettern" bedroht sei. Viele bange Stunden vergingen, bevor an der Mündung des theilweise verschütteten Stollens der erste Kübel mit den entstellten Leichen und den mühsam athmenden Verunglückten zum Vorschein kam. Die wenigen noch Lebenden wurden in das Hospital geschafft und die Todten in Partien zu je fünfzig unter allgemeiner Theilnahme begraben. Troßz der Ausstellung in der Leichenkammer konnten die halbverkohlten Leich­name von ihren Angehörigen nicht agnoszirt werden. Der Jammer der Wittwen und Waisen spottet jeder Beschreibung. Dr. M. T.

ge=

Kunstbutter und verfälschte Naturbutler. Es ist unter heutigen Verhältnissen nur zu sehr gerechtfertigt, daß sich jedermann gegen alle Nahrungs- und Genußmittel im höchsten Grade mißtrauisch verhält, von denen er weiß oder vermuthet, daß die ,, Kurst" bei ihrer Her­stellung mitgewirkt hat. Die am meisten geschätzte Kunst, auf Unkosten und zum Schaden anderer Profit zu machen, hat ja leider die Beihülfe der Chemie und Technik in ausgedehntem Maße in ihren Sold nommen; und grade das leidige Kapitel der Nahrungsmittelfälschungen zeigt uns recht schlagend, daß ein wahrer Nußen dieser Hülfsmittel erst dann eintreten wird, wenn eine bessere soziale Ordnung dem Hunger nach Gold eine Befriedigung unmöglich gemacht haben wird. Daß aber ein künstliches, d. h. durch Beihülfe von Chemie und Technik hergestelltes Nahrungsmittel nicht nothwendigerweise ein nichtsnußiges zu sein braucht, zeigt die Bereitung einer fünstlichen Butter, die in Amerika   bereits in ausgedehntem Maße fabrizirt wird und daselbst eine beliebte Markt­waare geworden ist. Chemische Untersuchungen haben ergeben, daß alle animalischen Fette im wesentlichen aus denselben Einzelbestand­theilen zusammengesetzt sind, nämlich aus Glycerin, verbunden mit Olein, Margarin- und Stearinsäure; sie sind um so härter und fester, je mehr sie der Reihe nach von den letzteren Fettsäuren enthalten. Da nun Butter vorwiegend Oleo- Margarin, Rindsfett mehr Stearin ent­hält, welches lettere nicht mehr, wie das erstere, in der Wärme des Mundes schmilzt, so lag der Gedanke nahe, durch Entfernung des Stea­rins aus Rindsfett Butter herzustellen. Das in der Praxis dabei an­gewandte Verfahren ist folgendes. Ganz frisches Rindsfett wird durch maschinelle Vorrichtungen so fein zerhackt oder zwischen mit fonischen Zähnen versehenen Cylindern zerrissen, daß die das Fett einschließenden Bellen und zähen Fasern geöffnet und zertrennt sind. Hierauf wird es mit Wasser und etwa 1/10 Prozent Soda gemischt, durch Wasser dämpfe unter Umrühren erwärmt. Wenn alles geschmolzen ist, seßen sich die Fasern am Boden des Gefäßes ab; das oben schwimmende Fett wird abgezogen, nochmals abseßen gelassen und dann mit warmem reinem Wasser wiederholt und tüchtig ausgewaschen. Nach langsamem Abkühlen zeigt es dann eine halbfeste Konsistenz, gelbe Farbe und riecht schon