" Was ist das?" fragte Alma, nachdem Arthur das Atelier mit flüchtigem Gruß verlassen, indem sie eine Kreidestizze mit wildverworrenen Figuren in die Höhe hob.

,,, das ist ein Bild aus einem Cyklus von vier Bildern, die als Gegenstücke einander dienen. Sehen Sie, alle vier be handeln gewissermaßen denselben Gegenstand: Die Zukunft Deutschlands  '; Nummer eins: wenn die Feudalen siegen; Nummer zwei: wenn die Klerikalen siegen; Nummer drei: wenu die Liberalen siegen; Nummer vier: wenn die Sozialdemokratic obgesiegt hat."

Und das haben Sie alles ausgedacht?" ,, Ausgedacht und nach Wahrscheinlichkeit berechnet. Im ersten Bilde sehen Sie die große Menge als Sklaven und die Staats­beamten als Bediente, den Monarchen als einen Halbgott und den Soldaten als den Inhaber aller Ehren und Würden. Die ganze Bevölkerung ist in Selassen getheilt und jede Klasse hat ihre Uniform. Nur die große Masse trägt keine Uniform, die hat die Ehre, den Staat im Schweiße ihres Angesichts zu ernähren. Im zweiten Bilde ist nur der Unterschied von dem ersten zu be­merken, daß der Monarch als Oberpriester und die Klerisei, von den Bischöfen bis zu den Bettelmönchen, in langen Talaren und respektive Kutten gehen. Alle Aemter und Würden werden von Geistlichen versehen, und sie alle haben keine Söhne und Töchter, sondern nur Neffen und Nichten, und statt der Hausfrauen gibt es nur Haushälterinnen und Köchinnen. Die Laien aber bilden die Hefe des Volkes und sind auf das Gebot, Bet' und arbeit dressirt. Hier im dritten Bilde ist der liberale Kapitalstaat zu sehen, wo jeder auf der Stirne ein Band mit dem Werthzeichen, d. H. der Anmerkung seines Besigthums, trägt. Da sehen Sie den Mann, der hat drei Millionen aufgebunden, der kann das Gewicht natürlich nicht allein tragen und muß sich auf zwei Lohnsflaven stützen; der hat 3000 Acer   Landes, jener eine halbe Eisenbahn, dieser eine Viertel- Kohlenmine; wer aber garnichts aufgebunden hat, der zählt auch nicht. Dort ist der Eingang zum sozialen und politischen Leben, da wird jeder gewogen und bekommt seinen Stempel. Die Arbeiter aber schleichen neben der Wage vorbei und erhalten eine Null als Signatur. Und alles muß sich plagen, Männer, Weiber, Kinder, Greise, die Krüppel sogar. Und hier..."

,,, das lass ich mir gefallen, hier sehen die Menschen alle gleich aus, und nur die kräftigen Burschen und Männer arbeiten, denen scheint es aber auch eine Freude zu sein. Und die Kinder spielen und lernen, und die Frauen und Mädchen sitzen zusammen, nähen, stricken, waschen, spielen mit den Kindern im Haus und im Garten, und die alten Männer sind bei den Buben, Rath gebend und helfend. Das ist wie ein großes Familienbild."

"

Und könnten das die Menschen nicht darbieten?" meinte der Photograph, ernster, als es sonst seine Gewohnheit war. Die Erde ist groß und reich, die Natur schön, für alle ist die Möglich­feit eines glücklichen Daseins gegeben; wie lange soll sich die Menschheit durch eine kleine egoistische Minderheit abhalten lassen, auf Erden glücklich zu sein?"

" Das sind sehr hübsche Bilder, die Sie da gezeichnet haben," meinte Alma bewundernd.

Melanie aber, die inzwischen in Gedanken hingebrütet hatte, erhob jezt ihr Haupt und fragte:

" Sie hatten einen Rath für Arthur; sind Sie gewiß, daß er unsere Lage nicht verschlimmern wird?"

" Ihre Lage, werthes Fräulein, fann garnicht verschlimmert werden; Sie sind am denkbar schlimmsten Ende. Wenn Sie heute auseinandergehen, so hat Ihr Freund einen unbestimmbar weiten Weg vor sich, der nicht so leicht wieder an Ihrer Heimath vorüberführt. In solch' verzweifelter Lage muß etwas gethan, etwas gewagt werden, denn all' die tausend Möglichkeiten, welche der Wechsel der Verhältnisse, der Zustände, Meinungen und Launen mit sich bringt, bieten für den Abwesenden keine Chance."

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Aber was denken Sie zu thun, was für Hoffnungen haben Sie? Was soll werden? Sie entschuldigen mich, ich fühle eine unheimliche Angst in mir."

,, Gut, ich könnte Ihnen viel davon erzählen, und Sie würden es noch lange nicht begreifen. Darum entschuldigen Sie mich und hoffen Sie, daß ich voraussichtlich alles zum besten kehren

werde."

Sie kennen Arthur erst seit diesem Tag." " Das sagen Sie, aber ich kenne ihn seit seinem ersten " Ja? Wie?

Tag."

Auch das kann ich Ihnen so schnell nicht erklären.

Seien

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Sie nur jetzt so gefällig, hier herauf zu kommen, damit ich Ihre Photographie aufnehmen kann."

Das Mädchen folgte seufzend und langsam. Sie ließ sich den Kopf in der Armstuhlschraube zurechtsetzen und lächelte über den Photographen, der da wünschte, er könnte jedem den Kopf so zurechtsetzen. Und glücklich war er auch grade mit der Auf­' nahme zu Ende, als mit einemmale Alma mit einem Gypskopfe in der Hand in das Zimmer stolperte und auch glücklich bei diesem Stolpern das Tischchen mit der Camera obscura umwarf. War das ein Gepolter und ein Gläserklirren! Melanie erhob sich erschreckt und schalt die Schwester. Der Photograph aber lachte und meinte:

Es gibt kein Unglück, das nicht noch größer sein könnte. Jezt habe ich wenigstens Ihr Bild, wäre sie ein wenig früher hereingestolpert, hätten wir gar keins gehabt."

,, Kostet das viel, was ich zerbrochen habe?" fragte Alma kleinlaut.

" D, mit fünfundzwanzig Thalern ist alles gut gemacht." " Sprechen Sie nicht zu Papa davon, ich werde mit Mama

reden.

,, Gut, gut; aber was haben Sie denn hier?"

" Ja, ich wollte Sie fragen, wer der häßliche Mensch ist mit dem Lorbeerkranz um die Stirn. Wir thun die Lorbeerblätter zewöhnlich um die Schweinsköpfe."

Und mehr hat auch der nicht verdient, der hier die Lorbeer­blätter um seinen Gypsschädel trägt. Das ist Julius Cäsar  , ein Mann, der als freier römischer Bürger geboren ward, sich zum Feldherrn emporschwang und als solcher ein freies Volk, das Volk der Gallier, unterjochte, indem er ein Drittheil todtschlug, ein Drittheil als Sklaven davonführte und den Rest als Leib­eigene im Vaterlande zurückließ. Nach solchen Heldenthaten fühlte er sich berechtigt, die freien Bürger seines eigenen Volkes zu Unterthanen zu machen, und dafür schlug ihn zwar ein Rest von Republikanern todt, wie einen tollen Hund, aber nichtsdestoweniger, oder eben deswegen, hat ihn die Sippe der späteren Volksschinder in Marmor und Erz ausgehauen, wohl viele tausend mal."

" Hat er das gethan, und ist das sein Rus? Nun, dann soll er auch in den Kehrricht kommen!" rief Alma entrüstet und warf den Kopf mit solcher Gewalt gegen die Wand, daß er in tausend Stücke zersprang.

"

"

So sollte es allen Tyrannen bei Lebzeiten ergehen," erklärte der Photograph. Die Gypsbüste war mir aber nichtsdestoweniger zwanzig Thaler werth," setzte er nach einigem Besinnen hinzu. ,, Nun siehst du, was du für Unheil stiftest, du übermüthiges Kind," schalt Melanie.

" Gut, ich kann nicht helfen," erklärte Alma trozig; der Cäsar hat's verdient. Und ich werde alles bezahlen," fuhr sie zuver­sichtlich fort. Ich habe eine schöne Decke gehäkelt, wozu mir die Mama die Wolle geschenkt hat. Die verloofe ich dann, das Loos einen Thaler, und die Loose, die ich übrig behalte, muß mir der Vater abnehmen."

Die Anlage zum Spekuliren haben Sie geerbt, nun gewöhnen Sie sich noch das Herz ab, dann ist der spekulative Muster­mensch fertig. Wollen Sie denn nun auch vor meinem Gudfasten Blayz nehmen, damit ich Ihr niedliches Gesicht vervielfältigen kann," fragte der Photograph, in stiller Bewunderung das reizende Kind betrachtend.

" Ich? Nein, ich bin nun heute schon nicht mehr aufgelegt; ich komme lieber recht bald wieder zu Ihnen, denn in so einen Atelier ist's amüsant. Und sehen Sie, da kommt Papa den Weg herauf, wir haben grade noch Zeit, fortzuschlüpfen. Adieu, adieu! Machen Sie Ihre Sache gut!" rief das Kind, schüttelte dem Maler kräftig die Hand und eilte, Hut und Shawl ergreifend, davon.

"

Bedenken Sie, daß das Lebensglück zweier Menschen von Ihrer Diskretion abhängt," meinte Melanie, dem Künstler gleich­falls die Hand zum Abschied reichend.

Nur ohne Sorge, ich werde meine Sache schon machen," ant­wortete dieser, indem er die Thür hinter der Davoneilenden schloß.

Mit einem Blick, der einem Feldherrn Ehre gemacht haben würde, überflog er das ganze Terrain und erspähte alsbald das von Alma in der Eile vergessene Packetchen. Das muß vorläufig verschwinden," meinte er, indem er es hinter der Büste der Diana verbarg. Und nun das Album, die Huldinnen und Grazien aus dem Harem des Vizekönigs von Aegypten  . Es sind zwar nur die Kellnerinnen aus dem türkischen Zelte der pariser Weltaus­stellung und rein abendländisches Gewächs, aber sie thun's auch. So, jetzt komm', wann du willst."