reden, von seinen Zöglingen zu scheiden und Hall als Hundetreiber der Expedition zu begleiten, nicht ohne aber Weib und Kinder sammt allen Geräthschaften eines grönländischen Haushaltes mitzubringen, die unvermeidliche steinerne Thranlampe, ein großes Zelt aus Seehundssell, Blechtöpfe, Schlitten, Lanzen, Harpunen, Fangleinen, Handwerkszeug und eine Meute junger Hunde.
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So umschloß die Polaris" zusammen nun dreiunddreißig Personen, darunter acht alte und junge Eskimo, als sie, von Jensen ge= lootst, am Nachmittag des 24. August von Tassuissak wieder in See stach, um sich nach den unbekannten Gebieten des Smith- Sundes zu wagen. Ohne vom Eise verhindert zu werden, durchschiffte man am nächsten Tage die von den Seefahrern so sehr gescheute Melville- Bay und doublirte dann Kap Dudley- Digges, wo ein sogenannter Stein mann erbaut und ein Bericht über den bisherigen Gang der Reise niedergelegt wurde. Noch immer sah man offenes Fahrwasser vor sich und eilte, dies benüßend, nordwärts weiter. Dort erblickte man in der Entfernung den prachtvollen Eisstrom des sogenannten Petowakgletschers, der sich bis zum Meere erstreckt und von vieleu treibenden Eisbergen wie von Trabanten umgeben war. Am 26. August gelangte man zum Eingange des Booth- Sundes, der in mannigfaltigen kleinen Fiords in die Küstenränder einschneidet, welche von dunklen, durch Gletschereinsattelungen verbundenen Bergen überragt werden. Wohl schwammen flache Eisschollen rechts und links vom Schiffe in nördlicher Strömung dahin, allein von einer ernsten Belästigung durch die Eismassen hatte man auch jetzt noch nicht zu leiden; ebensowenig, als man andern Mittags die Polhöhe auf 77° 51' feststellte und drei Stunden danach in jenen Smith- Sund einlief, der, schon so manchem Fahrzeuge gefährlich geworden, infolge dessen bei den Seeleuten im übelsten Rufe steht. Alles war deshalb in rosigster Laune und ergab sich den frohe sten Hoffnungen für das Gelingen der Expedition, die der Mannschaft bis dahin eine wahre Vergnügungsreise" deuchte. Wie bald sollie diese glückliche Stimmung in ihr entschiedenstes Gegentheil umschlagen! Nachdem man Port Foulfe, Hayes Winterhafen, hinter sich ge lassen, und bis Kap Inglefield die jetzt von Nordwest nach Nordost umspringende Richtung der grönländischen Küste eingeschlagen hatte, steuerte man hierauf direkt nördlich und hatte am späten Abende die größte Polhöhe überschritten, welche Kane 18 Jahre früher zu Schiffe zu gewinnen vermocht hatte. Auch bis dahin war der Lauf der Bolaris" ein durchaus glatter und ungestörter geblieben. Noch um Mitternacht aber begegnete man den ersten ausgebreiteten Eismassen, die sich von Ost nach West als ein kompakter Wall aus dem Sund emporthürmten und schon den Gedanken aufkommen ließen, ob man nicht hier, in einer kleinen Bucht unweit des Kaps Frazer, für alle Fälle Ankergrund suchen solle. Eine von Hall angestellte Rekognoszirungsbootfahrt traf indeß nur fahle Klippen an, und somit ward die Fahrt nordwärts fortgesetzt, leider längere Zeit hindurch in dichtem Nebel, der ein Erkennen der Küste unmöglich machte. Als sich nachher das Wetter in etwas aufhellte, so daß eine derartige Bestimmung vorgenommen werden konnte, ergab sich um Mittag den 28. August als Position des Schiffes 800 3' nördlicher Breite und 69° 28' westlicher Länge. Vierundzwanzig Stunden später, nachdem man mittlerweile an den als Drientirungspunkt dienenden Franklin- und Crozier- Eilanden vorübergekommen war und darauf eine andere kleine Insel in der Nähe der Küste von Grünnellland entdeckte, die dem gleichnamigen Eskimo zu Ehren Hansinsel" benannt wurde, glaubte man die gewonnene Polhöhe auf 810 20', die gleichzeitige westliche Länge aber auf 64° 34' annehmen zu dürfen soweit bei dem umnebelten Horizonte von einer genauen Messung die Rede sein konnte. Der Nebel hielt an, von Eisbergen war indeß seit Ueberschreitung des achtzigsten Breitengrades nur wenig mehr zu erblicken. Dagegen tamen drei bis vier Fuß sich über das Niveau des Wassers erhebende, mit grobkörnigem Firn überzogene massige Eisfelder immer häufiger zum Vorschein. Die ringsum herrschende Einsamkeit war von grausiger Majestat. Bis auf einige zwischen den Eisbrocken sich im Wasser tummelnde winzige Rippenquallen ließ sich keine Spur von organischem Leben mehr gewahren. Dazu schlugen sich Reif und Feuchtigkeit auf den Tauen und Eisentheilen des Schiffes nieder, alles mit einer Eisrinde bedeckend, während der fallende Schnee auf dem ruhigen Wasser sich gleich erstarrtem Fett zu unregelmäßigen Scheiben vereinigte. Jedenfalls waren dies Erscheinungen, welche die Behaglichkeit unserer Reisenden nicht sonderlich zu erhöhen vermochten, dafür fühlten sie sich jedoch von dem stolzen Be wußtsein gehoben, zur Rechten ein neues Land, das nachmals als Hall Land bezeichnet wurde, entdeckt zu haben, und ein Meer zu durchfahren, das vor ihnen noch von keines Schiffes Kiele gefurcht worden war.
Mit dem Vordringen der Polaris" begann es aber nachgerade mißlich zu werden; mit steigender Geschwindigkeit drängte sich das an Massenhaftigkeit unaufhörlich wachsende Eis, Schollen, Felder und Hummocks, gen Süden, und Hall spähte nach einem Zufluchtsort aus, wo das Schiff vor Anker geborgen werden könne. Mühevoll kämpfte er mit sechs seiner Leute in einem Boote gegen die Wucht des Stromes, tam jedoch bald zurück, da die in Augenschein genommene Küste jeder Landung wehrte, weshalb er ihr den Namen ,, Repulse Harbour" beilegte. Wiederum wurde denn weiter gedampft; freilich geboten die Nebel der Fahrt einen raschen Halt, die erst in der Frühe des 31. August von neuem versucht werden konnte. Auch diesmal, aber nur auf kurze Zeit näherte man sich der Grenze, welche zu überschreiten der Polaris" nicht gestattet sein sollte.( Fortseßung folgt.)
Karl von Holtei. ( Porträt Seite 280.) Am 12. Februar 1880 beschloß im Kloster oer Barmherzigen Brüder zu Breslau ein müder Greis mit 82 Jahren sein vielbewegtes Leben. Da schon seit Jahren Karl von Holtei's Liederborn versiegt war, waren auch schon bei Lebzeiten die Akten über ihn geschlossen. Die Anerkennung, die er zur Feier seines 80. Geburtstages im reichen Maße gefunden, hat gewiß nicht wenig zur Verklärung seines Lebensabends beigetragen. Die Nachwelt wird ihm einen ehrenvollen Platz in der deutschen Literaturgeschichte und vor allem unter seinen dichterischen Landsleuten einräumen. Er war zwar nicht der elegante Erzähler, wie sein noch lebender Landsmann Gustav Freytag , dafür aber der Schöpfer unnachahmlicher Volkstypen von unverwüstlicher Gemüthlichkeit. Wer solche populäre, dem Lieder- und Bilderschatz der Nation unveräußerlich angehörige Gesänge und Figuren geschaffen, wie sie in seinen Stücken ,, Berliner in Wien ", Wiener in Berlin ", 33 Minuten in Grüneberg" und Lenore" vorkommen, der ist wohl ein wirklicher und wahrhafter Volksdichter zu nennen. Daß unter seinen Bühnenwerken auch einige sich finden, die einem schlechten Geschmack, einer nicht zu billigenden Tendenz huldigten, wie z. B. die krassen Dramen Lorbeerbaum und Bettelstab", Hans Jürge“ und„ Das Trauerspiel in Berlin", wollen wir in Anbetracht der Lebensstellung Holtei's , der nicht nur Dichter, sondern auch Theaterdirektor war und als lepterer nicht nur dem guten Geschmack, sondern auch der Kasse Rechnung tragen mußte, milde beurtheilen. Aber wenn wir nun auch den Dramatiker beiseite lassen, so fordert unsere ganze Liebe und Schätzung nicht minder der Lyriker, und zwar dieser in doppelter Gestalt, als inniger, gemüthreicher, selbst des Schwungs nicht entbehrender hochdeutscher Lyriker und als der schlesische Dialektdichter von meisterlicher Beherrschung der sprachlichen Eigenthümlichkeiten und von so treuem das Leben zurückspiegelndem Gepräge in Charakter, Art und Sinn, daß Holtei mit oben ansteht unter den Poeten, welche als die spezifischen Sänger und Schilderer bestimmter deutscher Landschaften, Stämme und Mundarten neben ihrer dichterischen auch eine fulturgeschichtliche, ethnographische Bedeutung haben und eine dem gemäße Mission erfüllten. Es ist kein Wunder, daß Holtei's ,, Schlefische Gedichte" in einer beträchtlichen Anzahl Auflagen dem Volke vorliegen. Sie müssen als eine der schönsten Gaben der Holtei 'schen Muse betrachtet werden. Mit ihnen ist von Holtei der deutschen Literatur ein neues Gebiet erschlossen worden. Viele junge Poeten haben die von ihm betretenen Wege weiter verfolgt. Holtei's Gedichte werden im Munde der Schlesier weiterleben, so lange es eine schlesische Mundart gibt. Die besten Erzeugnisse des unermüdlich Schaffenden waren die zum Volksbuch" gewordenen Erzählungen ,, Die Vagabunden", Christian Lammfell" und Ein Schneider". Sie geben sich kunstlos und einfach, natürlich und bescheiden und sind doch ein wahrer Brunnen sprudelnden Lebens, unversieglicher Laune und jenes aus dem Herzen kommenden, unter Thränen lächelnden Humors, welcher immer als der einzig ächte, volksthümliche Humor zu gelten haben wird. Um den Bildungsgang eines Menschen zu begreifen, muß man seinen Lebensweg verfolgen. Ueber den letzteren hat uns Holtei selbst genau unterrichtet durch die Autobiographie, welche die erste Hälfte seines Lebens schildert. Er war am 24. Januar 1798 in Breslau geboren. Seine Jugend fällt in die Zeit der napoleonischen Herrschaft. Er hat als Kind nicht die Wohlthat des Familienlebens kennen gelernt, denn seine Mutter war früh gestorben und sein Vater, ein Husarenoffizier, fümmerte sich nicht um ihn. Er wurde bei Verwandten erzogen, machte in der Schule geringe Fortschritte, dagegen bildete sich früh bei ihm die Leidenschaft für's Theater aus. Holtei sah als junger Bursche in Breslau die berühmtesten Mimen seiner Zeit, wie den großen Devrient, Seidelmann und Iffland, und die Kunstleistungen derselben entflammten seine Begeisterung für die Kunst. Als in Schlesien die Erhebung gegen die französische Herrschaft stattfand, trat auch der junge Holtei in die Reihen der Freiwilligen, bekam aber keinen Franzosen zu sehen, denn sein Regiment blieb in der Reserve. Nach beendigtem Kriege fehlte es ihm an Geduld und Neigung zur Wiederaufnahme seiner Studien und so wurde er im Jahre 1819 Schauspieler, aber er wurde niemals ein guter Schauspieler. 1823 verfaßte er die mit großem Beifall aufgenommenen Liederspiele„ Die Wiener in Berlin "," Die Berliner in Wien ". Dadurch erwarb er das unbestreitbare Verdienst, das Vaude ville in Form des deutschen gemüthlichen Liederspiels in Deutschland eingebürgert zu haben. Die Werke seiner eifrigen Nachahmer Angely und Louis Schneider haben sich bis heute auf dem Repertoire erhalten. Für die Königsstädter Bühne in Berlin schrieb er die mit großem Beifall aufgenommenen Stücke ,, Der alte Feldherr" und ,, Lenore". Das Jahr 1830 ist der Höhepunkt seines Wirkens, die Herausgabe seiner Schlesischen Gedichte", welche bis zum Jahre 1875 vierzehn Auflagen erlebten. Hier entwickelte er die köstliche Gabe, das Kleinleben zu schildern. Die alltäglichen, meist an sich unscheinbaren Verhältnisse der mittleren und niederen Schichten der menschlichen Gesellschaft, und auch in der leblosen Natur nicht eben das Großartige, sondern das Einfache, Schlichte, einem jedem Zugängliche, das ist der Kreis, in dem er sich durchweg bewegt. Und daß er nun eben dieses Kleine zu vertiefen und poetisch zu verklären wußte, das gibt ihm einen Reiz, von dem halbwegs poetisch gestimmte Gemüther aus den mittleren Lebenskreisen hohen Genuß haben und woraus sie die rechte Einsicht in das Wesen ächter Poesie gewinnen können. Dadurch ist Karl Holtei gleich dem alemannischen Dichter Johann Peter Hebel und dem plattdeutschen Erzähler Frizz Reuter ein Lehrer des Volkes geworden. Wir müssen