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noch einer Eigenschaft des vielseitigen Poeten erwähnen, die er mit wenigen seiner Berufsgenossen theilte, die Fähigkeit ausdrucksvoller Vorlesung eigener und fremder Schöpfungen. Außer dem berühmten Schauspieler Dawison konnte niemand wie Holtei die Volksszenen in Goethe's ,, Egmont" nnd Shakespeare's Julius Cäsar " so mit verstellter Stimme, doch ohne Uebertreibung vorlesen, daß sich jede der darin vorkommenden zahlreichen Figuren vom Hintergrunde abhob, ohne aus dem Rahmen zu treten. Als Vorleser klassischer Trauer- und Lustspiele zog er eine zeitlang mit seiner zweiten Frau Julie, geborenen Holzbecher, in der Welt herum, doch immer literarisch thätig, und unterwegs entstanden denn auch ,, Das Trauerspiel in Berlin ", der Operntert ,, Adlers Horst", die Gelegenheitsstücke ,, Lorbeerbaum und Bettelstab", Shakespeare in der Heimath" und das Schauspiel ,, Der dumme Peter". 1837 war er Theaterdirektor in Riga und 1841 in Breslau . 1843 erschien seine Lebensbeschreibung unter dem Titel ,, Vierzig Jahre", ein Jahr später ein Band ,, Gedichte", und 1845 seine gesammelten Theaterstücke. Mit den ,, Stimmen des Waldes" betrat er das Gebiet der modernen Lyrik. In Graz, der Perle der grünen Steiermark, wollte er sich zur Ruhe setzen. Hier im Kreise der Familie seiner Tochter entpuppte sich der Dramatiker und Lyriker zum Epiker. Seine Romane ,, Die Vagabunden" ,,, Christian Lammfell"," Die Eselsfresser", Noblesse oblige",„ Ein Schneider", Ein Mord in Riga", Schwarzwaldau" ,,, Haus Treuſtein" ,,, Der leßte Komödiant" machten nach ihrem Erscheinen einen Triumphzug durch die deutsche Leserwelt; Holtei's Name war von neuem in aller Mund, der gealterte Mann trat noch einmal in die Fronte der zeitgenössischen Literatur, unter die Jüngeren, deren viele er mit der Jugendlichkeit und blühender Frische, die seine Werke athmeten, beschämen konnte. Doch auch er mußte, vom Naturgesez bezwungen, die absteigende Lebensbahn betreten. Das Alter entriß ihm die Feder, die er ein halbes Jahrhundert geführt hatte. Den Greis erfaßte das Heimweh nach seiner schlesischen Heimath. Er nahm Abschied von Graz, um nach Schlesien zu eilen, dessen Bevölkerung ihn mit Jubel empfing und auf seiner Reise von Ort zu Ort begleitete. Das war der Lohn, daß er dem herzigen Dialekt Schlesiens in der Poesie zum Bürgerrecht verhalf. In Breslau machte er Halt und trat als Pensionär ins Kloster der grauen Brüder ein, weil er hier die Stille und Pflege suchte, die sein hohes Alter bedurfte. Vor wenigen Jahren lief die Nachricht durch die Blätter, der schlesische Dichter sei total verarmt und habe sich ins Kloster geflüchtet, um dem Elend zu entgehen. Holtei selbst widerlegte diese Gerüchte. Bald darauf, am 24. Januar 1878, fand die achtzigste Geburtsfeier des Greises statt und dieser wurde derart mit Beweisen der Liebe und mit so reichen Geschenken aus allen Theilen Deutschlands bedacht, daß er den Grundstein zu jener Stiftung für Dichter zu legen vermochte, welche heute seinen Namen trägt Er war eben eine populäre Persönlichkeit, welcher das hohe Alter einen Spätsommer des Ruhmes verschaffte. Von diesem schönen Feste ab, das wie ein goldiger Erntetag in sein Leben fiel und reiche Früchte brachte, ging es mit der Lebensfreude rasch zu Ende. Das Lebensschiff des Dichters war allmählich leck geworden, bis es am 12. Februar 1880 im dunklen Strom des Todes versant.
Y.
Die erhöhte Stadteisenbahn von New- York. ( Bild S. 281). Welch' großen Umschwung in allen gesellschaftlichen Verhältnissen die Eisenbahnen herbeigeführt haben, ist allgemein bekannt. Städte und Länder werden durch die Verkehrserleichterung einander näher gerückt, Städte von riesigem Umfange entstehen da, wo das Dampfroß die industriellen Erzeugnisse aller Welttheile hinträgt. Aber je mehr sich große Menschenmassen an den einzelnen Verkehrs- und Industriezentren ansammeln, umsomehr fängt man auch an, sich dieses modernen Vertehrsmittels zu bedienen, um namentlich den Personenverkehr innerhalb der Hauptstädte zu erleichtern. Wir erinnern hier nur an London , welches bereits seit langer Zeit seine unterirdische Eisenbahn hat. Wie in vielen andern, so hat aber auch in dieser Beziehung der Spekulationsgeist der Amerikaner binnen kurzer Zeit das Großartigste geleistet. Im Jahre 1868 wurde mit dem Bau der erhöhten newyorker Stadteisenbahn unter ganz bescheidenen Verhältnissen begonnen und heute sind eine ganze Reihe von Linien nach den verschiedensten Richtungen hin im Betrieb. Sie repräsentiren eine Kapitalanlage von mehr als 50 Millionen Dollar. Ein schlagendes Beispiel für die riesige Frequenz ist, daß eine der Gesellschaften, welche den Bau unternommen, allein binnen 6 Monaten 14 Millionen Passagiere beförderte. Jede vier bis sechs Minuten geht ein Zug; das Fahrgeld beträgt 10 Cents außer zwei Stunden früh und zwei Stunden abends, während welcher Zeit dasselbe im Interesse der nach ihren Etablissements fahrenden Arbeiter auf die Hälfte herabgesetzt ist. Von welch' toloffalen Dimensionen dieser großartige Bau ist, veranschaulicht deutlich unsere Illustration, die
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einen der höchsten Punkte darstellt; die Pfeiler erreichen hier die Höhe von 57 Fuß. Der eiserne Sockel derselben ruht auf einem aus Backsteinen und Cement bestehenden Mauerwerk, welches sich ungefähr 20 Fuß über das ursprüngliche Niveau der Straße erhebt, die nahezu bis zu dieser Höhe aufgefüllt ist. Das Fundament hinwiederum ruht auf hier in einer Tiefe von 40 Fuß eingetriebenen Pfählen. Zieht man außerdem in Betracht, daß man in einer Länge von vier Meilen auf ein Nez von Abzugs-, Gas- und Wasserleitungsröhren traf, welche nicht beseitigt werden konnten, so hat man auch einen Begriff von den Schwierigkeiten, die zu überwinden waren, bevor dieses wichtige Transportmittel bis zu seiner jezigen Vollendung fertig gestellt werden konnte.
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nrt.
Die Türkenglocke. Wenn des Mittags die Kirchthurmglocken läuten, glauben die Landleute, daß es geschehe, um den im Felde Arbeitenden zu sagen, daß sie das Mittagessen zu sich nehmen und sich erholen möchten. Möglich, daß der Gebrauch in der That deswegen seinen Fortgang hat das Mittagsglöckchen tönt auch von manchem Ritter- oder Bauergutsthürmchen- allein dieses Läuten hat einen anderen Ursprung. Als 1456 ein großer Heereszug gegen die Türken stattfand, verordnete Papst Calixtus II. , daß man durch die Glocken allenthalben mittags das Beichen gebe, wie ein jeder den Sieg für die christlichen Waffen erflehen sollte". Diese Verordnung wurde später durch landesherrlichen Befehl von neuem eingeschärft. So verordnete Herzog Georg unterm 13. Juli 1532: ,, Das auch alle tag zu Mittagzeit in jeder Stat, Flecken und Dorffe durch eine sondere glock geleuten, wodurch das gemeyne Volgt zu vorbitt kegen Gott ermanet und erinnert werde, seinen gefaßten Zorn fallen zu lassen und den Christgleubigem menschen tegen dem Türken Glück, Sieg vnd Vberwündung geschieht in dem allen vnsere genüßliche Meinung. Geben zu Dreßden Vor den Türken hatte man früher überDienstags nach Kilian 2c." haupt unbändige Furcht. So enthielt die Leipziger Zeitung" am 1. Januar 1660 folgenden Stoßseufzer: ,, Laß Gott die Deinen siegen! Und die Türken unterliegen! Gieb der theuren Christenheit, Freude, Fried und Einigkeit."
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Literarische Umschau.
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Jahrbuch der Schule Gabelsberger's auf das Jahr 1880, herausgegeben vom tgl. stenograph. Institut zu Dresden . Dasselbe gibt über die Bedeutung und Entwicklung der Stenographie interessanten Aufschluß. Es zählt die Gabelsbergersche Schule Vereine 334 gegen 270 im Vorjahre. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder ist von 7134 auf 8380 gestiegen. Die größte Steigerung zeigt sich in Sachsen , wo sie ca. 25% beträgt, nämlich von 1343 auf 1726, also um 383. Die Zahl der Unterrichteten ist von 20 433 auf 21 697, also um 1264 gestiegen, von welchen 267 auf an Lehranstalten 997 auf die sonst Unterrichteten fallen. Die Gesammtsumme der Unterrichtsanstalten, an welchen Stenographie offiziell gelehrt worden ist, beträgt 365 gegen 363 im vorhergehenden Jahre. Das geringe Mehr dieser Ziffer erklärt die Redaktion damit, daß ,, von einer außerordentlich großen Zahl von Lehranstalten, welche im letzten Jahrbuch genannt sind, Nachrichten diesmal nicht eingegangen sind." Wir fügen dem hinzu, daß die statistischen Nachrichten überhaupt auf Vollständigkeit nur insofern Anspruch machen fönnen, als der Redaktion des Taschenbuchs" direkte Mittheilungen geworden sind. In Uebertragungen auf fremde Sprachen wurden unterrichtet 4610 Personen, 532 mehr als im Vorjahre und zwar 1473 ungarisch, 1242 italienisch, 994 böhmisch, 568 polnisch, 133 schwedisch, 93 dänisch, 65 froatisch, 16 lateinisch, 10 finnisch, 10 slovenisch, 4 französisch, 1 eng lisch , 1 spanisch. Damen wurden 855 herangebildet( 850 im Vorjahre), davon 425 an Lehranstalten, 430 sonst. Die Zahl der an militärischen Lehranstalten Ausgebildeten beträgt 662, wovon 344 auf das deutsche Reich und 318 auf Desterreich- Ungarn kommen. Der Uebersicht der seit Oktober 1878 bis Ende November 1879 erschienenen stenographischen Schriften( von Prof. Dr. J. W. Zeibig) entnehmen wir, daß neu erschienen sind 6 geschichtliche Werke, 32 Lehrmittel, 22 Dentschriften und Abhandlungen Zeitschriften zählt die Gabelbergersche Schule 41. In alt- und neustolzischer Stenographie( das System Stolze ist seit einigen Jahren durch den Sohn des Erfinders in zwei Lager getrennt) erschienen dagegen 17 Zeitschriften; in Arends'scher Stenographie werden 2 Blätter herausgegeben die ,, Neue freie Stenographenzeitung" erscheint in Arends'scher, Stolzescher und Gabelsbergerscher Stenographie. Alles in allem dürfte aus Vorstehendem zur Genüge hervorgehen, daß die schöne Kunst der Kurzschrift immer mehr Anhänger gewinnt und daß in nicht allzuferner Zeit der Wunsch Gabelsbergers: Die Stenographie möge Gemeingut aller Gebildeten werden" zur Wahrheit werden dürfte.
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Inhalt. Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph von B......( Fortsetzung). Betrachtungen über die Gesundheitspflege des Volkes, von Dr. Eduard Reich( III. Diät, Schluß). Ueber die Geseze, denen der Fortschritt der Civilisation unterworfen ist. Irr fahrten, von L. Rosenberg( Fortsetzung). Forschungsfahrten im nördlichen Polargebiet. Geschichtliche Zusammenstellung von Dr. M. Trausil ( Fortsetzung). Karl von Holtei ( mit Porträt). Die erhöhte Stadteisenbahn von New- York ( mit Illustration). Die Türkenglocke. Literarische Umschau.
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