-
-3
Einsamkeit, ein Umstand, der die kleine Elvira freilich nicht verhindert hatte, vor ihrem dreizehnten Jahre schon vier Liebschaften anzuknüpfen und wieder zu lösen, rasch drei Unglückliche zu machen, indeß ein vierter er war der Sohn des Großknechts und derzeit fürstlicher Kuhtreiber, ein Beweis, daß Elvira nichts auf Standesunterschiede hielt sich eines dauernderen Interesses zu erfreuen hatte. Sie war in jener Zeit seiner höchsten Gunst ihm nach seinen entfernten Weidepläßen nachgelaufen, um dort, an seiner Seite sihend, mit ihm zu jodeln und zu singen, und als sie damals von einem Besuch in der Residenz zurückgekehrt war, bei welcher Gelegenheit Luise sie wiederholt in die Oper geführt hatte, versuchte sie sogleich, in diese neue Kunst auch ihren alten Freund einzuweihen und ihm das Theaterspielen zu lehren.
Die zwei Dilettanten der Kuhweide sangen die zärtlichsten Duette, auf einem Felsen stehend, der ihre Bühne vorstellte, und endeten ihr selbstkomponirtes Musikdrama höchst dramatisch durch einen Sprung ins Meer, das ihnen durch das hohe, dichte Gras versinnlicht ward, welches ein leiser Wind wellenartig bewegte, und in welches sie sich beide in wilder Todesverachtung stürzten. Die Lunge und der Kehlkopf des Mädchens bildeten sich bei diesen Uebungen, in der frischen Luft der Berge, ganz merkwürdig aus. Die Begabung, der künstlerische Trieb war schon viel früher dagewesen und suchte und ergriff jeden Anlaß, sich zu bethätigen. Elvira war ein winziges Kindchen, als sie ihr Kinderstühlchen vor den Spiegel rückte und mit dem neugierigsten Interesse die Kleine Kameradin betrachtete, die ihr daraus entgegenlächelte. Bald wurde sie vertrauter mit der kleinen Spiegeldame, und sie kam zu ihr auf Besuch und erzählte ihr lange, lange Geschichten, oder sang ihr ein Liedchen vor und die dadrin, die wurde niemals müde, ihr zuzuhören. Wenn sie dann von ihr Abschied nahm, konnte sie sich an den graziösen Verbeugungen, die ihr vis- à- vis ihr zurückgab, kaum satt sehen. Jedes Stückchen Putz, jede Blume, jeden Flitter brachte sie vor den Spiegel, um die dadrin schön zu machen, und es war eine Wonne, sie dann zu betrachten. Aber dann wollte sie sie auch einmal traurig oder gar häßlich sehen; sie hängte allerlei dunkles Zeug um sich und das Gesichtchen im Spiegel mußte finster blicken oder zornig, und die Stirne in Falten ziehen oder die knirschenden Zähne weisen. So entdeckte sie täglich neue Arten des Ausdrucks, und der Verkehr mit dieser fleinen Person im Spiegel, die jung und alt, schön und häßlich sein konnte und alle Gemüthsbewegungen so getreu darzustellen vermochte, schien ihr der unterhaltendste Zeitvertreib.
Ihr Vater, der sie einmal dabei überraschte, verbot ihr mit Strenge ein so eitles, albernes Gebahren; als er sein ungehor= sames Töchterchen ein zweitesmal darüber ertappte, ließ er sich sogar zu einer Züchtigung hinreißen. Leider wurde dadurch einzig
und allein bewirkt, daß Elvira ihre mimischen und stimmbildenden Studien insgeheim nur noch eifriger fortsette. Hunderte von selbsterfundenen Soloszenen, halb gesanglich, halb deklamatorisch, hatte sie ihrem Spiegel vorgespielt und wie oft, durch den Ausdruck ihrer Leidenschaften hingerissen, sich selbst bis zu Thränen gerührt. Als Luise nach dem Gute gekommen war, horchte sie begierig auf jedes Wort, das diese über Kunst und Künstler sprach, und sie gestand Luisen endlich, daß sie wohl große Luſt hätte, auch einmal eine Künstlerin zu werden, und die Tante möge ihr nur rathen, wie sie dies anzufangen hätte.
Luise lachte darüber, als ihr aber Elvira hierauf ganze Szenen aus dem Stegreif vorsang und vorspielte, erkannte sie sogleich, welch' bedeutendes, schauspielerisches und musikalisches Talent in ihrer kleinen Nichte stecke, und in ihrer Ueberraschung und in ihrem Freimuth sprach sie sich bei Tische, im Beisein der ganzen Familie, über dieses neuentdeckte Talent aus und hielt mit ihrem Lob und ihrer Anerkennung nicht zurück.
Eine furchtbare Szene folgte. Ihr Bruder gerieth außer sich und beschuldigte sie gradehin der Verführung seiner Tochter zu dem gefährlichen, ihm verhaßten Komödiantenthum. Luise ant wortete mit ruhiger Würde, sie suchte ihn zu besänftigen; er aber, dadurch noch mehr gereizt, häufte Vorwurf auf Vorwurf, Beschuldigung auf Beschuldigung. Luise entfernte sich tief verletzt, ja empört; am nächsten Morgen hatte sie das Haus ihres Bruders verlassen. Sie begab sich nach Italien . Sie hatte diese Reise längst beabsichtigt, jetzt wollte sie in dem Lande der Kunst sich von dem Verdrusse erholen, den sie der Kunst wegen erlitten. Einige Monate hatte sie hier zugebracht, und sie rüstete soeben zur Heimreise, als sie die sie tief erregende und erschreckende Nachricht von der ernstlichen Erkrankung ihres Bruders erhielt und zugleich die Bitte, doch schnellstens nach dem Gute zu kommen. Sie fuhr Tag und Nacht; als sie das Haus ihres Bruders wieder betrat, war er todt. Ein Schlaganfall hatte ihn im kräftigsten Mannesalter dahingerafft.
Jetzt war alles anders. Die alte Jungfer wurde die Trösterin, die in That und Wort bereite Helferin der Familie, die Stütze der rathlosen Wittwe, der weinenden Kinder. Sie ordnete alles. Ihr Bruder, der sich in letzter Zeit in verfehlte Spekulationen eingelassen, hatte so gut wie tein Vermögen hinterlassen; aber sie erwirkte mindestens, daß die der Wittive ausgesezte geringe Pension um einiges erhöht wurde. Sie war es auch, die ihrer Schwägerin anrieth, Waidingen, dies in anmuthiger, gesunder Lage befindliche Städtchen, welches den Ruf größter Billigkeit genoß, zu ihrem bleibenden Aufenthalt zu wählen. Sie wollte ebenfalls dahin ziehen, um den Ihrigen, so durfte sie sie jetzt nennen, treu zur Seite zu bleiben. ( Fortsetzung folgt.)
Albert Lorking.
Eine Künstlerbiographie von Theodor Drobisch.
Motto: Jm Sarg erst strecken sich die Menschen, Im Sarg erst wird der Künstler groß.
In der Autographensammlung eines Kunstmäcens zu Wien fand ich einen Brief von Mozart aus dem Jahre 1786, der an den Baron van Swieten gerichtet war. Der Inhalt dieses Briefes erstreckte sich, in augenblicklich höchster Bedrängniß" auf die Bitte um Darleihung von zehn Gulden und endigte mit den Worten: Gott weiß, wie ich mich schinden und placken muß, um das bischen elend erbärmliche Leben zu gewinnen, und Stanzel*) will doch auch was haben."
Diese Worte, geschrieben von Mozart , erinnern mich heute doppelt an Albert Lorging, an jenen begabten und unermüdlichen Künstler, der am 23. Oktober 1803 zu Berlin geboren wurde, und den die Erde daselbst nach seinem am 21. Januar 1851 erfolgten Tode auch wieder aufnahm.
Lorging ist einer von den Musensöhnen, die nicht im Lehnsessel groß geworden sind, aber der Tod streckt die Menschen, und mancher, der im Leben eng und gedrückt einherging, braucht einen großen Sarg. An sein schweres Leben fügte das Schicksal ein leichtes Ende, er starb an einem Schlagfluß; seine Familie fand ihn eines Morgens unerwartet toot im Bette.
*) Konstanze, seine Frau.
Sein Hingang nach den Gefilden einer schöneren Natur hatte etwas Rührendes. Noch zwei Tage zuvor stand sein jüngstes Töchterchen am Fenster der bescheidenen Wohnung, schaute nach dem Himmel, und als da die eilenden Wolken vorüberzogen, sagte es:„ Sieh', Vater, das ist dem lieben Gott seine Eisenbahn, da werden wir einmal mitfahren!" Der treuliebende Vater sah empor und sprach: Ja, da werden wir mitfahren!" Er blickte bei diesen Worten auf seine Gattin, welche sechs unmündige Kinder umgaben, und schloß mit den Worten:„ Wenn ich todt sein werde, kann es euch noch einmal besser gehen!"
So war er von geheimen Ahnungen durchdrungen, deren schwarze Erfüllung ihm bereits zu Häupten stand. Mir, als einem seiner ehemaligen Freunde, ist nach Wunsch der Redaktion dieser Blätter die Aufgabe zugefallen, eine biographische Skizze des Mannes zu geben, der so recht an deutschen Zuständen verkommen und verloren gegangen.
Wenn ich, verehrter Leser, hier dein Cicerone sein darf, so folge mir; ich kenne Weg und Stege und kann dir alles zeigen.
Es war am 23. Oftober 1803. Ein trüber Tag, ebenso trüb wie damals der politische Himmel Deutschlands , denn kurz vorher hatten die Franzosen Hannover besetzt und England die Elbe, sowie die Wesermündung blokirt. In einem einstöckigen Hause der Niederwallstraße zu Berlin waren die Fenstervorhänge