nichts, nichts!" Sein Zorn sant indes allmälich von der Höhe des Eifers, mit dem er sich demselben überlassen. Um so ruhiger er wurde, desto mehr schien er zu der Ueberzeugung zu kommen, daß die Ursache, die ihn in diese Aufregung versezt hatte, doch eine sehr geringfügige gewesen sei. Was war es weiter gewesen, als daß ihm kurze Zeit vorher, ehe er in sein Zimmer hinauf ging, die alte„ Henker Lille " seine ihm im Gedächtnis gebliebene sehr widerwärtige Bekannte vom Dreikönigstage her, mit anderen ihres Gleichen aus dem„ Verbrecher- Salon" fommend, begegnete, die hart an ihm vorüberstreifend, ihm lachend zuflüsterte:„' s
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fehlt einer! Vergeßt's nicht." Das hatte ihn schwer erregt, jedoch er war wieder ruhiger geworden und wechselte nun seine Oberkleidung, sich dann auf's Sopha streckend. Seine größten Feinde waren seine Gedanken. Wenn er allein war, sezten sie ihm furchtbar zu und gingen dann, wenn er sich abgemüht fühlte, sehr oft in seine Träume über, aus welchen er meist angstschwizend aufwachte und für die Nachtdauer es mit dem Wiedereinschlafen meist gänzlich vorüber war.
( Fortfczung folgt.)
Die Satire der Alten. Von Dr. Richard Ernst.
Nach Horaz haben die Satire gepflegt Persius, Juvenal und Petronius . Juvenal's Satiren sind wahrhaft furchtbare Schilderungen römischer Korruption und legen mit rücksichtslosem Zorn und erschreckender Wahrheit die Elendigkeit der Männer und die kolossale Schamlosigkeit der Weiber, die Habgier, Bestechlichkeit, Heuchelei, Niedertracht Geilheit und Frechheit, kurz den ganzen Gräuel moralischer Fäulnis blos, an welcher das kaiserliche Rom krankte. Juvenal , sagt Scherr, hat die Farben start aufgetragen; aber wenn man die übereinstimmenden Historifer als Zeugen abhört, wird man die Richtigkeit seiner Farbengebung anerkennen müssen. Für alle Zeiten steht er unbedingt als einer der größten Sittenmaler da und namentlich in seiner furchtbaren sechsten Satire ist etwas von dem Geiste, womit Dante sein Inferno dichtete, Machiavelli seine Prinzipe schrieb und Michel Angelo sein Weltgericht malte. Dagegen wälzt sich Dagegen wälzt sich Petronius , der am Hofe des Nero ein Amt bekleidet haben soll, mit Behagen im Schmuze der Sittenlosigkeit. Er schildert uns in seinem berüchtigten Satirikon" mit märchenhafter Unverschämtheit, aber auch zugleich mit stilistischer Meisterschaft die Zeiten des Tiberius, des Kaligula , des Klaudius und Nero , der Agrippinen und Messalinen, Zeiten, wo Lafter und Frevel sich zu wahrer Tollheit steigerten, Zeiten, in welchen die Spröß linge der edelsten Römergeschlechter sich von den erbärmlichsten Tyrannen feige hinwürgen ließen, nachdem sie vor den elendesten Günſtlingen im Staube gekrochen; Zeiten, wo ein Kaligula es wagen durfte, sich für den alleinigen Herrn des Vermögens aller Römer zu erklären, wo mit der sklavenhastesten Geduld und Unterwürfigleit der Männer die ekelhafteste Unzüchtigkeit der Weiber sich verband, wo es guter Ton war, sich öffentlich der naturwidrigsten Bestialität hinzugeben. Diese Zeiten, wo alle Altersstufen, Geschlechter und Klassen bei hellem Tage in vichischer Genußsucht wetteiferten, stellt Petronius uns vor Augen.
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In den Gedichten des Martial, der arm und unbekannt aus dem spanischen Bilbilis nach Rom gezogen war, um sich unter Domitian im Glanze des Hofes zu sonnen, aber nach langen Tagen der Not und Entbehrung enttäuscht und arm wieder in die Heimat zurückkehrte, hat sich das schwere, doppelschneidige Schwert der Satire, wie es Juvenal gehandhabt, zum leichten aber giftigen epigrammatischen Bolzen verwandelt. Er hat 14 Bücher Epigramme hinterlassen, welche das von dem jüngeren Plinius über ihn gefällte Urteil bestätigte, daß er nämlich geistreich, wizig und beißend sei und Salz und Galle in seinen Schriften bis zum Ueberfluß sich finden. Plinius hätte hinzufügen können: auch eine gehörige Anzahl von Zoten.- In den zahlreichen satirischen Schriften des Lucian ( 130-200 n. Ch. aus Samosate in Syrien ), des wizreichsten Schriftstellers unter den Alten, verspottet der Autor mit unerschöpflicher Laune und treffendem Wiz die Gebrechen und Verkehrtheiten der Zeit, vor allem die Gleisnerei, den Mystizismus und den religiösen Aberglauben, sowohl in dem absterbenden Heidentum mit seiner
( Schluß.)
Myten- und Fabelwelt, seinen Opferfesten, Symbolen und Ceremonien, als auch in dem durch Märtyrer- und Heiligenwesen, durch Wunderglauben und Schwärmerei bereits entstellten Christentum. Auf gleiche Weise ergießt er die Lauge seines Spotts über die sittliche Versunkenheit und das leere, eitle Treiben großer Städte, über das Jagen und Haschen nach Ehren und Genüssen, über die Unverschämtheit, Hoffart und Eitelkeit der Gelehrten und Philosophen, welche die abgedroschenen Grundsäze und Aussprüche ihrer Lehrmeister im Munde führen und mehr Gewicht auf die äußere Erscheinung, auf Bart und Philosophenmantel legen, als auf praktische Grundsäze für das Leben, über die geistlose und schwülstige Art der Geschichtsschreibung; auch die verkehrte Erziehung zieht er in den Bereich seiner wizigen Ausfälle, immer in der Absicht, neben einer heiteren, geistreichen Unterhaltung auch Besserung zu wirken, lachend die Wahrheit zu sagen( ridendo dicere verum) wie Horaz sich ausdrückt*).
Wenden wir uns wieder von der Satire im Sinne jener speziellen von den Römern kultivirten literarischen Gattung zum allgemeinen Begriff der Satire als Verhöhnung von Torheiten und Fehlern, so müssen wir auf das Volk zurückgreifen, das, wie auf sämmtlichen Kulturgebieten überhaupt, so besonders auf dem Gebiet der Poesie und Literatur bahnbrechend war, das alle Völker des Altertums an Bildung übertroffen hat und daher alle Zeiten mit seinem Lichte bestrahlt, auf das Land der Freiheit, der Schönheit, der Humanität, auf Griechenland .
,, Seinen Jambus erfand des Archilochos Grimm sich zur Waffe" sagt Horaz in seinem Briefe an die Brüder Piso über die Dichtfunst. Der Jambus( von dem gr. iambizein spotten, lästern, fluchen, oder von iáptein werfen, schleudern**) war eine beißende Darstellung gewisser lächerlicher Torheiten, Schändlichkeiten und Laster einzelner oder mehrerer Personen in Versen, deren Füße je aus einer kurzen und einer langen Silbe- bestehen. Als dessen Erfinder bezw. Hauptrepräsentant gilt Archilochos aus der Kykladeninsel Paros , der genialste aller älteren hellenischen Dichter, Zeitgenosse entweder des Romulus oder des Tullus Hostilius . Nach dem literarischen Mytus hatte ihm ein gewisser Lykambes die Hand seiner Tochter Neobule, die er ihm früher zugesagt hatte, verweigert. Dafür wurde er von Archilochos mit einem Spottgedicht angegriffen, das so schneidig und treffend gewesen sein soll, daß Lykambes sammt seinen Töchtern aus Scham und Verzweiflung sich erhängt haben. Neben Archilochos, welcher von den Alten an Genie und Popularität dem
*) Es gibt kaum einen Klassischen Schriftsteller, sagt Letteris in seinem hebräisch geschriebenen Werk Hazephirah, der auf das moderne Leben so anwendbar wäre wie Lucian . Man nehme irgend eine seiner Schriften und vertausche die Namen darin mit Persönlichkeiten der Gegenwart und man wird staunen und glauben, die Schrift sei erst gestern verfaßt worden.
Jambe, welche den Kummer der Göttin über ihre geraubte Tochter **) Nach einer Sage hieß eine Zofe der Göttin Demeter( Ceres) Bersephone( Proserpina ) durch allerlei Scherz zu zerstreuen suchte.