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flößte ihm aber Entsezen vor sich selbst ein; sein von Pocken­gruben zerrissenes Gesicht hätte abscheulich ausgesehen, bemerkte er mit unterstrichenen Worten. Seine jungen Freunde, die früher so fröhlich zu ihm gehalten, wären ihm aus dem Wege gegangen und fern geblieben, obwohl sie gewußt, auf welche Weise er zu dem Unglück gekommen sei. Diese Bemerkung habe ihn tief traurig gemacht und er hätte zu sterben gewünscht; Doktor Wolfgang aber wäre in diesem großen Kummer ein Beistand ohnegleichen für ihn gewesen. Wenn auch die Spur der Verwüstung, welche die schreckliche Krankheit bei ihm hinter­laffen habe, nicht verschwunden sei, so träte sie jezt doch immer mehr und mehr zurück; die lebhafte Gesundheitsröte, deren er sich jezt erfreue, ließe sie weniger auffallen.

Und du wirst gewiß lachen, du kleiner, herziger Hausengel, daß ich dir die wichtige Mitteilung mache, wie wunderbar schön ich zu werden die Ehre habe... ich bekomme einen Bart und zwar einen von allerschönster Couleur... rot, fuchsfeuerrot. Für jezt sieht er zwar noch sehr semmelfarben aus, aber Doktor Wolfgang versichert mir, ich könnte bald stolz auf diesen mir von der gütigen Mutter Natur zugewendeten Goldschnitt wer­den. Ich habe in meinem ganzen Leben... und jezt gehe ich ins einundzwanzigste Jahr, bedenke das wohl und habe zugleich ungeheuren Respekt vor mir, denn ich bin nicht mehr Lehrling, sondern zum Provisor befördert worden, und das will was sagen... nie so oft in den Spiegel gesehen, als jezt an einem einzigen Tage meiner... knospenden Schönheit willen. Freue dich mit mir!"

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In des jungen Mädchens Herz und Gemüt war die Fröh­lichkeit so stark vertreten, daß es nie eine Gelegenheit ungenüzt vorübergehen ließ, wo es herzlich lachen konnte, und deshalb gab sie sich diesem Vergnügen jezt auch ganz ausschließlich hin zu Ehren des guten Jungen, dessen heitere Mitteilung über sein Bartglück ihr so wohl gefiel, daß es die Schatten des Kummers für eine Weile in den Hintergrund drängte. Wenn nur die Amme etwas weniger hölzern gewesen wäre! Aber das war sie leider nicht, sie hatte von Phantasie keinen An­hauch. Rot... fuchsfeuerrot... da wird er erschrecklich dumm aussehen," lachte sie plump. Gretchen fühlte sich tief verlezt, sie war so heiter über diesen natürlichen Schmuck, zu dem Eugen die beste Aussicht hatte, und nun erlaubte sich die Amme eine solche alberne Bemerkung! Indes ging das ohne weiteren Aerger für heute Abend vorüber, man hatte für den kommenden Morgen, wo der Abschied stattfinden sollte, gar zu viel zu denken. Und am Morgen, als der Ueber- Meier die grauen Sennerpferde hatte einspannen lassen, ging das Abschiednehmen rasch vor sich. Gretchen wurde wie vom Winde fortgeweht, von hinnen geführt. Als sie die von Tränen nassen Augen nach ihren guten Freundinnen zurück richtete, sah sie diese wohl noch an der großen Haustüre stehen und ihr nachschauen, aber es kam ihr nicht anders vor, als verschwänden sie vor ihren Augen in der Ferne, und so war es auch, nur mit dem Un­terschiede, daß des Ueber- Meiers fräftige Graue wie von Fu­rien getrieben die gute Straße entlang brausten und das große Gehöft immer mehr und mehr aus der Seheweite entschwand. Nach drei Stunden hatten sie das Wirtshaus an der Straße erreicht, wo Doktor Wolfgang ein Gespann und Geschirre aus Hildesheim   gestern Nachmittag eingestellt hatte. Schnell wurde das ausgeruhte Gespann vorgelegt und nach herzlichem Abschiede ging die Fahrt nach Celle  , während der Ueber- Meier nach seinem heimischen Gehöft zurückfuhr.

Endlich am Spätnachmittage erreichte Doktor Wolfgang mit Gretchen die freundlich gebaute Stadt Celle  . Er gewahrte wohl, wie in dem Gesichte des jungen Mädchens der Ausdruck von Angst sich martirte und es sich dicht an die Amme drängte, als bedürfe sie deren Schuz, da diese ihren herumglozenden Augen freie Bahn ließ und sich alles gründlich ansah, was sich beim Durchfahren der sauber. gehaltenen Gassen ihr zeigte.

" Dort... das große Gebäude mit dem viereckigen Turme ist wohl das... Zuchthaus?" fragte Gretchen halblaut. Weiß nicht...' s kann aber möglich sein," lautete die Antwort.

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Es ist das Rathaus, Kind," berichtete der vor ihr ſizende Doktor Wolfgang, der Frage und Antwort gehört hatte: Das Zuchthaus befindet sich außerhalb der Stadt."

Ein hörbar tiefer Atemzug des jungen Mädchens deutete an, daß es sich ein wenig erleichtert fühlte.

Wir werden bald an Ort und Stelle sein," sezte der vorige hinzu.

Ueber den Markt hinweg eine lang sich dehnende aber sehr freundlich sich präsentirende Gasse rollte der Wagen vor ein zweistöckiges Haus, aus dessen einem geöffneten Fenster des ersten Stockwerks zwei Damen, eine ältere und eine junge, ihnen Willkommen" zuriefen.

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Madame Burleigh und ihre Tochter," flüsterte, Doktor Wolfgang Gretchen zu. Du wirst sie beide sehr liebenswürdig finden."

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Ehe Gretchen   noch, von Wolfgang unterstüzt, den Wagen verlassen konnte, stand Sally   schon, die Arme nach ihr aus­breitend neben demselben und rief dem jungen Arzte zu: Mein Herr Aesculap, ich habe die Vorhand, verstanden? Kommen Sie getrost in meine Arme, Fräulein, ich schüze Sie mit Blut und Leben." Und Gretchen leistete dieser Aufforderung sofort Folge. " Ich werde mich rächen, Miß Sally  , fürchterlich rächen," lachte Doktor Wolfgang ihnen nach, als sie mit einander die Treppe zur Wohnung hinaufliefen. Die Sachen waren bald vom Wagen abgepackt und als der Doktor endlich auch hinauf fam, begleitet von der Amme, die ein ganzes Sammelsurium fleiner Bäckerei hinter ihm drein schleppte, fand er Gretchen zwischen Madame Burleigh und deren Tochter sizen. Doktor, Sie haben uns da ein wahrhaft liebenswürdiges Kind gebracht, sagte die ältliche Dame. Es wird mit uns bald ein Herz und eine Seele werden, denke ich."

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Ich bezweifle das nicht im geringsten, Madame, denn ich gehe ja nur mit liebenswürdigen Personen um und daher ist es sehr natürlich, wenn Sie meine Empfehlungen als ausgezeichnet finden."

Da der Abend allmählich im Vorrücken war, so wurde das Auspacken auf morgen früh verschoben und man nahm in einen großen Zimmer der von einem sehr umfangreichen Obst- und Blumengarten begrenzten Rückseite des Hauses den Thee ein. Freilich war es hier etwas anderes als beim Ueber- Meier, wo jeder frei von der Leber herunter sprach, in dieser Damen­gesellschaft herrschte eine andere Unterhaltungsweise, obwohl sie eine lebhafte, heitere war. Gretchen hatte nur eine Befürch tung, nämlich die Rede, die so mancherlei Gegenstände berührte, fönne auch auf ihres Vaters unglückliches Schicksal kommen; aber diese Furcht war vergeblich gewesen, auch nicht mit einer Silbe geschah eine Erwähnung dieser traurigen Tatsache. Gretchen konnte aus der Unterhaltung doch über die Verhältnisse der Madame Burleigh hin und wieder etwas erfahren. Diese Dame und der Zuchthausdirektor waren Geschwister, ihre Eltern Hannoveraner. Er hatte den Militärstand gewählt und als tapferer Offizier unter Wellington   die Charge eines Majors erworben, aber diese Laufbahn machte ihn durch verschiedene schwere Verwundungen frühzeitig zum Invaliden, dem man zur Belohnung für seine guten Kriegsdienste das Direktorat des Celler Zuchthauses überwies. Diese Stellung war keine be sonders angenehme für den damit Belohnten, da sie mit vielen ärgerlichen Vorkommnissen verbunden war, indes der neue Dis rektor gehörte zu den harten, militärischen Karakteren, die, was nicht in Güte sich fügt, mit Gewalt durchführen. Seitdem Major von Grote an der Spize dieser Staatsanstalt stand, ging daselbst alles in geregeltem Geleise, er wußte die Beamten in Respekt zu halten. Im Verlaufe der Zeit, als seine Gattin gestorben und ihm drei Kinder zur Erziehung geblieben waren, empfand er es schwer genug, wie sein Leben verödet und welche bedeutende Aufgabe ihm hinsichtlich der Kinder oblag. Der Mann war ein süßer Kern in rauher Schale, seine Kinder lagen ihm mehr als alles am Herzen, sie galten ihm als hei liges Vermächtnis der ihm vom Tode entrissenen unvergeßlichen Gattin. Der Versuch, eine Gouvernante für seine beiden Mädchen anzunehmen... der Sohn hatte in einem Institute in Han

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