Meeres. In den Rheinlanden war damals eine ungemein starke sozialistische Bewegung, die von Köln   aus geleitet wurde und zu der eine Menge bekannter und berühmter Namen zähl­ten; es ist interessant zu beobachten, wie die beiden Dichter Freiligrath   und Kinkel von dieser Bewegung erfaßt wurden. Kinkel trat an die Spize der Bewegung in Bonn  , woselbst er einen Arbeiterbildungsverein ins Leben rief. Die von ihm redigirte Neue Bonner Zeitung" bezeichnete sich offen als " Organ der sozialdemokratischen Partei", später gründete er auch ein Arbeiterblatt, das er nach dem römischen Gladiator und Revolutionär Spartakus   benannte. Die Reden Kinkels aus jener Zeit zeigen, daß er in die sozial- ökonomischen Fragen sich nicht sehr vertieft hatte; namentlich geht das aus seiner Schrift: Handwerk, rette dich!" hervor.

Die Revolution riß den feurigen und ungestümen Agitator in ihre wildesten Wirbel hinein.

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In die preußische Nationalversammlung wurde Kinkel nicht gewählt, wie dieser Tage häufig behauptet wurde, sondern die Stadt Bonn   wählte ihn erst in die zweite preußische Kammer, nachdem die berliner Nationalversammlung aufgelöst war. Die zweite Kammer tagte vom. 26 Februar bis 26. März 1849 und wurde aufgelöst, weil sie beschlossen hatte, daß der Be­lagerungszustand in Berlin   aufzuheben sei. Kinkel hatte als " roter Republikauer" so bezeichnete er sich selbst auf der äußersten Linken plaz genommen, wo damals auch Lothar Bucher   saß. In der Rede, welche der Minister Manteuffel für die Aufrechterhaltung des Belagerungszustandes in Berlin   hielt, wurden auch Aeußerungen Kinkels auf dem demokratischen Kon­greß in Berlin   angeführt, die seine damals sehr radikalen Ansichten betätigten. Die Beredsamkeit Kinkels machte viel Aufsehen in der Kammer; als historisch interessant ist zu erwähnen, daß damals Kinkel auch mit- Herrn von Bismarck   zusammengeriet. Der heutige Reichskanzler, damals mit Herrn von Kleist- Rezzow Führer der Konservativen in der preußischen Kammer, hatte der Demokratie in Aussicht gestellt, man werde sie mit Waffen­gewalt niederwerfen, worauf Kinkel mit dem Geist und dem Zorn des Volkes drohte.

Nach Auflösung der Kammer kehrte Kinkel nach Bonn   zurück und beteiligte sich an dem Zeughaussturm in Siegburg  , und dann, nachdem seines Bleibens in Bonn   nicht länger war, er­schien er in der Pfalz  , wo damals der Aufstand gleichzeitig mit dem badischen ausgebrochen war. Man sagt, seine Frau habe es freudig begrüßt, daß er sich entschloß, an dem Kampfe teilzunehmen. Kinkel trat als Gemeiner in die pfälzische In­surrektionsarmee ein. Der aus dem wiener Oktoberaufstand bekannte Fenner von Fenneberg, der auch in der Pfalz   kom­mandirte, beschäftigte Kinkel mit Bureauarbeiten. Kinkel trat mit der pfälzischen Armee nach Baden über und fiel in einem Gefechte vor Rastatt  , bei dem Dorfe Winkel, durch einen Streif schuß am Kopfe verwundet, in die Hände der Preußen.

Der damalige Major von Roon, später preußischer Kriegs­minister, der den badischen Feldzug im Generalstabe mitmachte, schrieb damals nach Berlin  : Kinkel ist verwundet in unsere Hände gefallen und leider nicht sogleich erschossen worden." Auch in der Kreuzzeitung  " wurde angefragt, ob Kinkel denn noch nicht erschossen sei.

Die Todesurteile waren zu jener Zeit bei den preußischen Kriegsgerichten nicht selten; indessen hatte Kinkel bei dem Auf stande selbst keine hervorragende Rolle gespielt. Das Kriegs­gericht verurteilte ihn zu lebenswieriger Festungshaft. In seiner Verteidigungsrede war es Kinkel gelungen, die Richter etwas milder zu stimmen; er sprach eben um sein Leben und ent­faltete alle Kunst seiner Beredsamkeit. Am Schlusse seiner Rede famen die Worte, die so vielfach zitirt worden sind:

Wenn die Krone Preußens jezt endlich eine kühne und starke Politik verfolgt, wenn es der königlichen Hoheit unseres Tronfolgers, des Prinzen von Preußen, gelingt, mit dem Schwerte   denn anders wirds nicht- Deutschland   in eins zu schmieden und groß und geachtet bei unsern Nachbarn hin­zustellen, uns der innern Freiheit wirklich und dauernd zu ver

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sichern, Handel und Wandel wieder zu heben, die Militärlast, die jezt zu schwer auf Preußen drückt, gleichmäßiger auf das ganze Deutschland   zu verteilen und vor allem den Armen in meinem Volke, als deren Vertreter ich mich fühle, Brod zu schaffen: gelingt das Ihrer Partei, nun, bei meinem Eide! die Ehre und die Größe meines Vaterlandes sind mir teurer, als meine Staatsideale: ich würde einer der ersten sein, die mit frohem Herzen riefen: Es lebe das deutsche Kaisertum, es lebe das Kaisertum Hohenzollern  !""

Das Urteil des Kriegsgerichts wurde von Friedrich Wil­ helm IV.   dahin abgeändert, daß Kinkel seine Strafe in einer Zivilanstalt verbüßen solle. Deshalb wurde seine Abführung nach dem Zuchthause zu Naugard   in Pommern   angeordnet. Von da mußte er nach Köln   gebracht werden, um sich vor den Geschworenen wegen seiner Teilnahme am Siegburger   Zeug­haussturm zu verantworten. Infolge einer glänzenden Ver­teidigungsrede ward er freigesprochen, was ihn allerdings wenig rühren konnte. Bei dieser Gelegenheit sah ihn seine Frau wieder, und es kam zu jener bekannten Szene, bei der die Gensdarmen die sich umschlungen haltenden Ehegatten auseinander trieben.

Diesen Schicksalen des Dichters war man begreiflicherweise in ganz Deutschland   mit mehr oder weniger Interesse gefolgt. Das Aufsehen aber war ein großes, als am 12. Oftober 1849 die Nationalzeitung" die Notiz brachte:" Professor Kinkel trägt in Naugard   die graue Züchtlingsjacke und muß spulen!"

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Allerdings ist das schon mehr politischen Gefangenen passirt; wenn aber bei Kinkel das Aufsehen ein so großes war, so kam es daher, daß sein Name von tausenden, die seine Dichtungen kannten, verehrt wurde. Zum andern war es gewiß ein furcht­bares Zeichen der Zeit, einen so begabten Dichter wegen seiner politischen Tätigkeit auf lebenszeit zum Spulen verurteilt zu sehen.

Indessen war das ganze damals ein Irrtum und Adolf Strodtmann   hat sein flammendes Lied vom Spulen" zur unrechten Zeit gedichtet. In Naugard   hat Kinkel nicht gespult. Er wurde vielmehr dort von dem Anstaltsdirektor humaner be­handelt als die Gefängnisordnung erlaubte; man ließ ihn Schrei­bereien besorgen, aber spulen mußte er nicht. Und das war der Grund, weshalb man ihn nach Spandau   versezte und nicht ein mißglückter Fluchtversuch, denn dort traute man dem Direktor die nötige Härte zu. Im Zuchthaus zu Spandau   hat Kinkel in der Tat spulen müssen. Ein Bild, das ihn bei dieser Arbeit darstellte, wurde in vielen tausenden von Exemplaren im Volke verbreitet.

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In dieser traurigen Zeit hatte Kinkel außerhalb des Ge­fängnisses einen Freund, der tausend andere aufwog seine Johanna. Diese Frau, mit ihrer männlich starken Seele, brachte ihre Zeit nicht mit Tränen und Klagen zu, sondern vom ersten Moment des Urteils an war ihr Sinnen und Trachten nur auf den einen Punkt gerichtet, den so heiß geliebten Gatten, den Vater ihrer Kinder, zu befreien. Was manchem Manne unmög­lich schien, gelang dieser Frau. Sie fand Mittel, mit ihrem Manne zu forrespondiren, und vor allem war es die tatkräftige Beihülfe von Karl Schurz  , dem jezigen nordamerikanischen Staatsmanne, die zum Gelingen des Unternehmens führte. Schurz, selbst wegen Teilnahme an der badischen Revolution zum Tode verurteilt, mußte sich verborgen in Berlin   aufhalten. Eine russische Baronin Brüning gab 2000 Taler zu der Sache her, ein Gefangenwärter wurde bestochen, und in der Nacht des 6. November entfloh Kinkel. Er kam glücklich nach Rostock  , wo der Rheder Brockelmann ein eigenes Schiff für ihn hatte ausrüsten lassen, und war am 1. Dezember in England.

Manche Umstände dieser Flucht sind noch unaufgeklärt. Die russische Baronin mußte flüchten. Den Gefängnisinspektor, der in jener Nacht die Beamten hatte Kneipen lassen, traf eine harte Gefängnißstrafe. Er ist vor mehreren Jahren gestorben und soll eine Rente bezogen haben. Von wem wissen wir nicht; im übrigen scheinen uns die verschiedenen unbestimmten Gerüchte, die über einzelne Umstände der Kinkelschen Flucht in Umlauf waren und sind, nicht zur Erwähnung an diesem Plaze geeignet.