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vom Buche abgezogen hat. Aber das Motiv der Madonnen mit dem Buche gab Raffael auf, um das still innige Zusammenleben von Mutter und Kind zu schildern, welche, unbekümmert um die übrige Welt, vollkommen sich selbst genügen und die Seligkeit der ungetrübten Hingabe aneinander genießen. So in der Granduca, so auch in der„ Madonna Tempi" in der Pinafotek zu München . Wenn in jener uoch ein Rest feierlicher Stimmung nachflingt, so ist hier die rein menschliche Empfindung völlig zur Herrschaft gelangt und spricht sich mit bezaubernder Junigkeit aus. Wie in aufwallender Mutterzärtlichkeit drückt sie mit den beiden Händen das Kind an sich, so daß das Köpfchen desselben wie zum Kuß an ihr Gesicht gepreßt ist. Das goldige Kolorit mit seinen weichen zarten Tönen entspricht der Feinheit der Formen, von der nur vielleicht die etwas breite, rechte Hand, welche den Rücken des Kindes umfaßt, eine Ausnahme macht. Das Kind gehört zu den holdseligsten Inspirationen Raffaels.
Um dieselbe Zeit behandelte Raffael nun auch mehrmals jenes erweiterte Madonnentema, welches den kleinen Johannes als Gespielen des Christkindes mit in die Komposition hineinzieht. Florentiner Bildhauer haben zuerst dieser Auffassung Ausdruck gegeben, florentiner Maler sie eifrig ergriffen, Raffael war bestrebt, dieses künstlerische Problem in möglichster Vollkommenheit zu lösen. Das früheste dieser Bilder ist wohl die ,, Madonna im Grünen" im Belvedere zu Wien . Die Madonna, in lieblicher Landschaft sizend, beugt sich zu dem vor ihr stehenden Christkind nieder, das sie mit beiden Händen hält. Der Kleine wendet sich seinem Spielgenossen zu, der vor ihm niedergekniet ist und ihm das Kreuz überreicht. Die Gruppe ist noch etwas schwerfällig im Aufbau. Auch der wohl gegen 1505 entstandenen„ Madonna des Herzogs von Terranuova", ehemals in Neapel , jezt im Museum zu Berlin , ist noch eine weitere Figur beigefügt. In einer reizenden Landschaft mit waldigen Felsgründen, an deren Abhängen links eine Stadt mit Mauern und Kirchen sich gebettet hat, sieht man die Jungfrau ſizen, liebevoll auf das Kind niederblickend, das sie auf dem Schoße hält. Der Kleine liegt behaglich ausgestreckt und richtet sich halb auf, um ein Spruchband mit dem ,, ecce agnus dei " ( siehe da das Lamm Gottes !) in Empfang zu nehmen, welches der Johannesknabe ihm in inniger Verehrung dargereicht hat. Die Linke streckt die Madonna wie sanft abwehrend gegen einen dritten Kleinen aus, der an ihr linkes Kniee sich schmiegt und die Gruppe mit ernster Aufmerksamkeit betrachtet. Diese rätselhafte Figur, in der man den jugendlichen Evangelist Johannes vermutet und die dem pyramidalen Aufbau der Gruppe etwas locker angefügt ist, macht den Eindruck eines nachträg lichen Zusazes, der zu Gunsten einer besseren Ausfüllung des Raumes vorgenommen wurde. Das schöne Werk erhält durch die meisterlich ausgebildete Landschaft den Zauber idyllischen Friedens.
Wohl 1506 entstand jene umfangreiche Darstellung der heiligen Familie, die man in der Pinakotek zu München sieht und als„ Madonna Canigiani" bezeichnet. Das schöne Bild sucht den pyramidalen Aufbau dadurch zu vollenden, daß die Madonna und die Elisabet mit den beiden Kindern einander gegenübersizen und Joseph auf seinen Stab gestüzt die Spize der Gruppe bildet. Das Bild, welches durch Verpuzen gelitten hat, ist immer noch durch die goldklare Färbung und die feine Harmonie der Töne von hohem Reiz. Der blaue Mantel und das rote Kleid der Madonna, das stahlgrane Gewand der Elisabet, der grüne Rock und gelbe Mantel Josephs sind durch zarte Abtönung föstlich zusammengestimmt. Am Ausgang dieser Epoche steht die„ Madonna del Baldacchino" in der Gallerie Pitti zu Florenz , womit sich der Künstler auch im feierlich aufgebauten Alltarbild erprobte. Die Madonna fizt auf einem Trone, von dessen rundem Baldachin zwei schwebende Engel in
Seiten des Trones stehen links Petrus und der h. Bernhard, rechts Augustinus und Jakobus. Ganz köstlich sind die beiden nackten Engelknaben neben dem Fuße des Trones, welcher in
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kindlichem Eifer, indem der jüngere den älteren umarmt und sich an dessen Schulter lehnt, die Noten auf einem Spruchband studirt. Wie das Christuskind mit der einen Hand instinktiv die Brust der Mutter sucht, während die andere mit den Zehen des Füßchens spielt, das gehört zu den anmutigsten, echt Raffaelschen Motiven.
Außer einer großen Anzahl Madonnen, von denen wir nur einen Teil anführten, und zwar besonders diejenigen, welche für die Entwicklungsgeschichte des Künstlers von Belang sind, und anderen religiösen Bildern, hat Raffael in dieser Periode auch die durch die Photographie vielfach reproduzirten drei Grazien gemalt( im Besize des Lord Ward in London ) und damit erſtmals dem antiken Formenideale eine bewußte Huldigung dargebracht.
Bewegte sich aber Raffaels Tätigkeit bis dahin fast ausschließlich im Lyrisch- Idyllischen, so sollte der Abschluß seiner florentinischen Zeit ihn nun auch auf dramatischem Gebiet erproben. Dies geschah mit dem berühmten Gemälde„ die Grablegung", das, für die Kirche St. Franzesko in Perugia gemalt, an diesem seinem ursprünglichen Ort als allverehrtes Kunstwerk blieb, bis es 1608, troz des Protestes der Behörden von Perugia , durch die Mönche des Klosters an den Kardinal Borghese verschenkt wurde, so daß es jezt zu den größten Schäzen des Palazzo Borghese in Rom gehört. Mit diesem Bild hat der kaum 24jährige Künstler eine Schöpfung hervor gebracht, die ihn ebenbürtig zu den ersten Meistern der Zeit geſellte und für die fernere Zukunft auf dem Gebiete dramatischhistorischer Darstellung das Höchste erwarten ließ.
Aus den Raffaelschen Porträts der Florentiner Periode sei blos das Selbstporträt der Gallerie der Uffizien zu Florenz angeführt, das am meisten vervielfältigt wurde und allgemein bekannt ist. Es gibt uns eine lebendige Vorstellung von dem seelenvollen Zauber, der diesen anmutigen Jünglingskopf verklärt.
Der Aufenthalt in Florenz bedeutet für Raffael eine ernste Schulzeit. Wie schr seine technischen Mittel, sein Formensinn, sein psychologischer Blick, seine Beobachtung des Lebens an Umfang und Tiefe gewonnen haben, hat die Uebersicht seiner Tätigkeit gezeigt. Als Künstler ersten Ranges konnte er seine dritte Periode beginnen, die um die Mitte des Jahres 1508 anhebt, wo er einen Ruf in die Kapitale, an den Hof Julius II. in Rom erhielt.
II.
Gleich nach dem Antritt seiner Regierung traf Julius II . Anstalten im großen Stil, um Rom zum Mittelpunkt des geistigen Lebens zu machen. Für seine großen Baupläne hatte er Bramante herbeigezogen, als Bildhauer war Michel Angelo berufen worden, nun folgte, durch Bramante empfohlen, für die Malerei der größte Meister dieser Kunst, Raffael . Günstigeres und Entscheidenderes für seine Entwicklung war nicht zu denken. Im Wetteifer mit Michel Angolo, in der unmittelbaren Berührung mit den antiken Denkmälern, erlangte er jene große Anschauung, jenen mächtigen Idealstil, den nur eine Weltbühne wie Rom zu entwickeln vermochte. Die erste sichere Spur von Raffaels Auftreten in Rom besizen wir in einem Briefe vom 5. September 1508, aus dem hervorgeht, daß der Künstler damals schon mit voller Anspannung seiner Kräfte, und mit Unterstützung von Gehülfen, für den Pabst arbeitete. Die großen Aufträge, die ihm zuteil geworden waren, knüpfen äußerlich an das, was andere Künstler schon vor ihm im Vatikan ausgeführt hatten. Es galt, die päbstlichen Gemächer mit Fresken zu schmücken. Aber eine ganz neue Gedanken- und Formenwelt sollte durch Raffael hier zum Ausdruck kommen, der gegenüber man begreift, daß Julius II. furzweg herabschlagen und zerstören ließ, was von älteren Arbeiten dem neuen Unternehmen im Wege stand.
Nächst der sixtinischen Kapelle bilden die Stanzen im Vatikan das Hauptziel aller Rompilger, welche sich zum Kultus der Kunst bekennen. Im zweiten Stockwerk des älteren von Nikolaus V. erbauten Teils des vatikanischen Palastes befinden