scheidet er sich außer durch die Versform( Omar bediente sich in der Regel des vierzeiligen sogen. Nubay) auch noch dadurch, daß seine Leier nebenbei auch von ernsten, tiefsinnigen, ja selbst tragischen Akkorden ertönt. So viel steht fest, sagt Bodenstedt, daß viele der Verse des Omar Chajjami, welche nicht in lokalen Beziehungen wurzeln, ebenbürtig verdeutscht und unbefangenen Hörern ohne Nennung des Dichters vorge tragen, eher würden für neuentdeckte Goethe'sche Verse ge­nommen werden, als für diejenigen eines alten Persers, der achthundert Jahre vor uns lebte und doch schon damals auf einer Höhe der Weltanschauung stand und so tiefe Blicke in die Natur tat, als ob er alle Resultate und Hypotesen unserer philosophischen Spekulation und modernen Naturwissenschaft mit prophetischem Geiste vorausgekannt hätte.

Wir geben zunächst einige Proben der merkwürdigen Dich­tungen. Die Vergeltungslehre des Islam führt der Dichter in seiner Weise ad absurdum, indem er darauf hinweist, daß der Mensch nicht anders sein und handeln kann, als ihn Gott geschaffen; sündigt er, so hat Gott   selbst den Trieb zur Sünde ihm ins Herz gesenkt, wie mag er ihn dafür strafen wollen?

Als mich Gott gefnetet aus Ton, auf Erden zu wandeln, Kannt' er genau vorher mein Streben und Handeln. Da ich so sündhaft nur, wie Gott   es wollte, geraten, Warum am jüngsten Tag noch in der Hölle mich braten!

In einer andern Wendung drückt denselben Gedanken ein anderer Vers aus:

Du, Herr, bist Lenker von Leben und Tod,

Es freist Himmel und Erde nach deinem Gebot.

Wenn ich schlecht als dein Sklav   bin, was kann ich dazu?

Der Schöpfer und Lenker von allem bist du.

Zu einer direkten Kritik Gottes über den Widerspruch der menschlichen Natur mit den religiösen Geboten versteigt sich der Dichter in folgenden Verse:

Du gabst uns Triebe, die uns gewaltsam treiben, Und befiehlst uns, wir sollen enthaltsam bleiben.

Durch diesen zwiespältigen Zustand

Kommen wir Armen zu feinem Ruhstand.

Es ist uns in unserer Not,

Als heischte dein Gebot,

Einen vollen Weinkrug umzukehren

Und doch ihm auszufließen zu wehren.

und in einem andern:

Von allen Seiten hast du uns mit Schlingen bedroht

Und sprichst: wer hineinfällt, den trifft der Tod.

Du suchst selbst uns verlockende Fallen zu stellen Und strafst dann, wen sie verlodt, als Rebellen.

Eine beißende Kritik des von den Gläubigen ob seiner uner­gründlichen Weisheit maßlos bewunderten Allah   enthält auch der Vers:

Der die Veste der Erde gegründet

Und das Licht der Sterne angezündet,

Wie viel Schmerzen, Wunden und Plagen

Gab er den Herzen der Menschen zu tragen.

Wie viel süße Rubinenmunde

Begrub er im schmuzigen Erdenschunde, Wie viele Locken voll holder Düfte Wurden durch ihn ein Raub der Grüfte.

Als Nichtgläubiger erweist sich Omar Chajjam   inbezug auf das Jenseits mit seinen verheißenen Freuden und angedrohten

Leiden.

Um Höllenfurcht und Himmelshoffnung drehn Sich Kirchen, Synagogen und Moscheen; Doch wer gedrungen bis zum Quell des Lichts. Macht sich aus Himmel und aus Hölle nichts.

Ein anderer Vers lautet:

Man sagt, es gibt ein Paradies, wo Huris uns umschlingen, Wo klarer Wein und Honig fließt und Lebensquellen springen. Bring Wein! Mir scheint um fernes Glück zu dürsten nicht vernünftig Ein Tag der Freude ist mir jezt mehr wert als tausend künftig.

Das klingt ungefähr wie das Wort Faust's:

Aus dieser Erde quillen meine Freuden, Und diese Sonne scheinet meinen Leiden; Kann ich mich erst von ihnen scheiden,

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Dann mag, was will und kann, geschehn. Davon will ich nichts weiter hören,

Ob man auch fünftig haßt und liebt Und ob es auch in jenen Sphären Ein Oben oder Unten gibt.

Und wenn Heine singt: Den Himmel überlassen wir den Englein und den Spazen", so singt Omar:

Wir haben alles dahingegeben,

Was die Gläubigen als ihr Höchstes erstreben; Wir verzichten im flugen Genuß der Zeit Auf Lohn und Strafen der Ewigkeit.

Wie Omar über das Gebet denkt, erfahren wir aus fol­gendem Vers:

Wir denken wieder an unsere Weingeräte

Und lassen den andern ihre fünf Tagesgebete. Wo wir Flaschen mit langen Hälsen entdecken, Wollen wir, lang wie sie, unsere Hälse streden. Der Mensch hat überhaupt vom Himmel eher Schlimmes als Gutes zu erwarten:

Dieser hochragende Himmelskreis,

Der nur zu plagen und zu placken weiß,

Ist noch nie einem menschlichen Wesen Ein Schwierigkeitserlöser gewesen,

Hat fein Unglück verhindert,

Keine Leiden gemindert,

Doch wo er blutende Herzen gefunden,

Ihnen geschlagen noch neue Wunden.

Daß er, wenn er je einmal die Moschee betritt, nicht Betens halber hineingeht, läßt sich denken:

Obgleich ich die Moschee voll Andacht betreten, Bin ich doch nicht gekommen darin zu beten. Ich wollte nur selber sehen und hören,

Wie die frömmelnden Heuchler das Volk betören.

Was er von den Priestern des Islam hält, sagt er uns im nachstehenden Ghasel:

Die den Teppich zum Gebete mit devotem Bücken tragen, Sind wie Esel, die des Heuchelns Werkzeug auf dem Rücken tragen. Schlimmer als die Heiden glauben diese Islamheuchler selbst nicht An das Wort, das sie zum Volt in heiligem Berzücken tragen.

Köstlich ist der satirische Pfeil auf die Dummheit im allgemeinen:

Am Himmel ist ein Sternbild der Stier genannt, Ein anderer Stier ist unter der Erde bekannt*);

Du öffne die Augen, um flar zu sehen,

Wie viel Esel zwischen diesen beiden Ochsen stehn.

Des Dichters Religion ist die Liebe, welche über alle Be­kenntnisse hoch erhaben ist:

Ein jegliches Herz, das die Liebe verklärt, Gleichviel welcher Glaube die Andacht nährt,

Hat die Leuchte zum Ziel alles Höchsten gefunden, Hat Himmel und Hölle in sich überwunden.

Es ist derselbe herrliche Gedanke, den Lessing im Testament Johannis entwickelt.

Des Menschen Bestimmung ist neben der Liebe der heitere Lebensgenuß:

Man soll ins Herz nicht die Saat der Traurigkeit senken, Vielmehr den Blick auf die Freuden des Lebens lenken,

Wein trinken, der Neigung des Herzens leben;

Nur kurze Frist ist allem, was atmet, gegeben.

Dieses Recht der Weltfreude läßt sich der Dichter von Gott  selbst nicht verkümmern:

Möge mir immer ein voller Becher zur Hand sein! Immer mein Herz von schönen Augen in Brand sein! Sagt man: Gott fordert Entsagung so sag ich: das kann er, Aber ich kann sie nicht üben, ich müßte sonst ohne Verstand sein.

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Wein, Weib, Gesang und Naturschönheit sind des Dichters Wonne, sie sind ihm ein Born unerschöpflichen Entzückens und sie begeistern ihn zu schwungvollen, bald feierlichen, bald über­mütigen Rytmen.

*) Nach der altpersischen Sage ruht die Erde auf dem Horn eines gewaltigen Stieres. Zuweilen wirst der Stier zur Abwechslung die Erde von einem Horn auf das andere, woher die Erdbeben und der­gleichen entstehen.( Bodenstedt.)