Unter der langen Reihe von römischen Kaisern, in dem Zeitraum von 31 v. Chr. bis 476 n. Chr., findet man die selt­samsten Erscheinungen, was sich zum guten Teil aus dem Vor­hergehenden erklärt. Bei einer solchen Bevölkerung mußte der Despotismus seine tollsten Sprünge machen, und er hat sie gemacht.

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Die Stadt Rom   mochte zu Augustus' Zeiten zwischen 1 und million Einwohner zählen; sie hatte 47 000 Häuser, 1790 Paläste und 423 Tempel; dazu kamen die großartigen öffentlichen Gebäude; der große Cirkus hatte Raum für 385 000 Menschen. Rom   war in der Tat das Herz der Welt"; die Reichtümer der drei damals bekannten Weltteile flossen hier zusammen.

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Das Reich selbst erstreckte sich zur Zeit seiner größten Aus­dehnung von der Westküste Spaniens   und der Nordwestküste Afrikas   bis nach Assyrien   und Babylonien   hinein; es umfaßte das ganze bekannte Territorium von Afrika  , Süd- und Mittel­ europa   und reichte weit nach Norden, bis nach Großbritannien  . Osteuropa   südlich der Donau  , Kleinasien  , Syrien   und die an­stoßenden Länder gehörten dazu. Die Nord- und Ostgrenze war begreiflichermaßen häufigen Veränderungen unterworfen. Es mußte in der Tat für einen Ehrgeizigen ein berauschender Gedanke sein, dieses mächtige Reich zu beherrschen, und man fann sich die Tollheiten einiger römischen Kaiser nur erklären, indem man annimmt, die Ueberfülle von Macht habe ihren Berstand dermaßen getrübt, daß sie sich für übernatürliche Wesen ansahen und, da man ihnen göttliche Ehren erwies, sich auch für Götter hielten.

Augustus selbst, der bis 14 n. Chr. regierte, eignete sich alle hohen Staatsämter an, ohne sich Diktator oder König zu nennen; er regierte verhältnismäßig mild, um seine früheren Härten vergessen zu machen. Gleich nach ihm aber kamen äußerst despotische Regierungen. Die Nachfolger des Augustus hatten keine Herrschaft mehr zu erkämpfen; sie standen eines Morgens als Herrn der Welt" auf. Sie waren, sagt Gre­gorobius, Dämonen oder Verrückte, denn Caligula   überbrückte im Wahnsinn das Meer, Claudius   ward ein Bücherwurm, Nero  steckte Rom   in Brand und spielte die Either dazu. Sie waren elend, weil sie nichts mehr zu erstreben hatten. Auf einmal in den Besiz eines schon längst eroberten Weltreichs gesezt, wußten sie nicht, womit sie ihre Tage hinbringen sollten, denn auch der Genuß wird unerträglich, wenn ihn nicht Mühe würzt und Entbehrung unterbricht."

Mit den Schäzen des Orients waren die Ueppigkeit und die Laſter des Drients in Rom   eingezogen. Wollust, Grau­

jamkeit, Schlemmerei

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diese drei Eigenschaften bilden die

Hauptumrisse des Karakterbildes der damaligen römischen Ge­

sellschaft.

Die Erzählungen der alten Geschichtsschreiber lassen uns in einen solchen Pfuhl von geschlechtlichen Lastern blicken, daß man sich erstaunt fragt, ob es denn Menschen oder Affen gewesen sind, mit denen man auf jenen Blättern zu tun hat. Die un natürlichen Lafter wurden mit einer Schamlosigkeit betrieben,

hatte sie aus germanischen Söldnern zusammengesezt, da man die verweichlichten Römer für nicht kräftig und zuverlässig genug hielt. Diese Prätorianer wurden bald die entscheidende Macht im Staate. Sie sezten nach Belieben Kaiser ab und ein, denn sie fühlten gar bald ihre Macht. Wenn sie von einem Kaiser nach ihrer Meinung nicht genügend bezahlt wurden, sezten sie ihn ab oder ermordeten ihn. Einmal versteigerten sie sogar den Kaisertron an den Meistbietenden, und ein reicher Römer, Didius Julianus  , kaufte ihn für eine ungeheure Summe, ward aber schon nach 66 Tagen ermordet. Ueberhaupt wurde die weitaus größte Anzahl der Kaiser ermordet. Nach Augustus schon wurden sieben Kaiser nacheinander ermordet oder brachten sich um, wenn man den Tiberius   dazu rechnet, der allem Anschein nach auch keines natürlichen Todes gestorben ist. Vom dritten Jahrhundert an war der natürliche Tod eines römischen Kaisers überhaupt eine Seltenheit.

Tiberius   saß lange Jahre auf der Insel Capri   und ließ seinen Günstling Sejan   regieren, der wie ein Feind im Lande Hauste. Unter Tiberius   wurde das Denunziantentum organisirt und die Anklage der Majestätsbeleidigung auf alle mißliebigen Personen erstreckt. Tacitus   hat die Schreckensherrschaft jener Beit ergreifend geschildert, und Camille Desmoulins   hat diese Schilderung im Jahre 1794 auf die Schreckensherrschaft No­bespierres angewendet, eine Kühnheit, die dem 33jährigen Revolutionär den Kopf kostete." Damals", schrieb Camille Desmoulins  , wurden Aeußerungen zu Staatsverbrechen, es bedurfte nur noch eines Schrittes, um einen bloßen Blick, die Traurigkeit, das Mitleid, einen Seufzer, ja das Stillschweigen selbst zu Verbrechen zu machen... Unter Nero   brachten mehrere, deren Verwandte er hatte hinrichten lassen, den Göttern ihren Dank dafür dar. Alles erregte den Argwohn des Tyrannen. War ein Bürger beim Volfe beliebt- er war ein Neben­buhler des Fürsten   und konnte einen Bürgerkrieg erregen. Ver­dächtig!- Floh er dagegen die Volksgunst, so hatte sein ein­gezogenes Leben ihn bemerklich gemacht. Verdächtig!- War einer reich? Es war dringende Gefahr vorhanden, das Volk könne durch seine Freigebigkeit verführt werden. Verdächtig!- War einer arm? Man mußte ihn unter Aufsicht stellen, denn

niemand ist so unternehmend als der, welcher nichts hat.- War einer von düsterem melancholischen Karakter und vernachlässigte sein Aeußeres? Er war darüber betrübt, daß die öffentlichen An­gelegenheiten so schlecht standen! Verdächtig!- Ließ sich's

ein Bürger wohl sein und war er unmäßig im Essen und Trinken? Er tat es nur, weil es dem Fürsten   nicht gut ging. Verdächtig! War er streng tugendhaft in seinen Sitten? Sein Betragen war ein Tadel des Hofes. Verdächtig!

Verdächtig!

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Der

natürliche Tod eines berühmten Mannes, oder nur eines, der ein

öffentliches Amt bekleidete, war eine solche Seltenheit, daß ihn die Geschichtsschreiber als ein merkwürdiges Ereignis für die späteren Jahrhunderte aufzeichneten."

Diese furchtbare Parallele zwischen der altrömischen und der neuen Schreckensherrschaft in Frankreich   versezte Robespierre  in Wut, und er meinte, Camille habe den Tacitus   nicht ver­

die uns fabelhaft erscheinen könnte, wenn sie eben das Schlimmste standen". Aber wenn auch das Haupt Camilles fiel- diese 1 jener Geſellſchaft wäre. Denn das Schlimmste, was der seine Zeilen sind eben so unsterblich geworden, als die des römische Cäsarismus hervorbrachte, war die völlige Austilgung Tacitus.

bon Mut, Manneswürde, Selbständigkeitsgefühl und Freiheits­

liebe in allen Klassen der Gesellschaft. Es gab keine Männer

Tiberius   zitirte oft den berühmten Spruch: Oderint dum metuant"," sie mögen mich hassen, wenn sie mich nur fürchten!"

mehr, nur feige Despoten und noch feigere Knechte. Ein roher Als sich einmal ein Angeklagter selbst den Tod gab, meinte sten Gegensaz zum alten Römertum fast ganz zum Gesindel Materialismus durchdrang diese Gesellschaft, die im vollständig- Tiberius  : Er ist mir entschlüpft!" und als ihn ein anderer geworden war, das für Brot und Spiele" keine Erniedrigung habe mich noch nicht wieder mit dir ausgeföhnt!" Seine Un­

mehr scheute.

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um Beschleunigung der Hinrichtung bat, sagte der Tyrann: Ich

"

Sittlichkeiten sind nicht zu beschreiben. Ihm folgte Cajus Cäsar,

verschiedenartigster Gestalt, die sich mit einer Leibwache, die heit wahnsinnig wurde. Er verheiratete sich mit seinen Schwestern Auf der Höhe dieser Gesellschaft tronten die Despoten in genannt Caligula  ( Soldatenstiefelchen), der infolge einer Krauf­Brätorianer genannt, umgaben. Während einerseits schamlose und trieb die Ausschweisungen so weit, als ein Wahnsinniger Weiber und aus dem Schlamme emporgekrochene Günstlinge am Hofe herrschten, regierten andererseits die bewaffneten Banden der Prätorianer die römische Welt. Sie hatten ein befestigtes Lager bei Rom  , dessen Umrisse heute noch sichtbar sind. Man

eben konnte. Viele Männer achtbaren Standes*) ließ er brandmarken und verurteilte sie in die Bergwerke oder zum

*) Nach Sueton  .