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Die Mitternachtssonne von Aavasaksa in Finnland  .

Von Gartenbaudirektor Q. Hüffig.

Ein Reisebrief in" Göteborgs Handels- och Sjöfartstidning" unter gleicher Ueberschrift erinnerte mich vor einigen Jahren an eine Geschäftsreise, die ich einst in die nördlichste Provinz Schwedens   machte; ich ging von da nach Finnland  , um von dem oben genannten Berge Aavasaksa, wie viele Andere, die Mitter­nachtssonne" zu sehen, selbst auf die Gefahr hin, daß sie sich in jenen Tagen, wie so oft, in dunkles Gewölk hüllen werde.

Norrland, jene nördlichste Provinz Schwedens  , hat in ihrer Hauptstadt Luleå  ( unter 65° 30' n. Br.) einen Gartenbauverein, der sich die Aufgabe stellte, nicht allein für die Anlage und Verschönerung von Gärten auf großen und kleinen Besiztümern zu sorgen, sondern auch durch das Beispiel zu lehren, daß selbst in einem so ungünstigen Klima wie das im hohen Norden die Natur besiegt werden könne. Der Verein besizt auf seinem ungefähr zwei Hektar großen Versuchsfelde Gewächshäuser und Mistbeete, mit deren Hilfe er Gartenbau in großem Maßstabe betreibt, namentlich Samen von Kohl, Rüben, Erbsen 2c. zieht, die in berliner gärtnerischen Kreisen und bei deutschen   Land­wirten Beachtung und Verbreitung gefunden haben, weil sie Pflanzen liefern, die außerordentlich schnell zu vollkommener Entwicklung gelangen.

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Die Natur erwacht hier wohl sehr spät am 16. Juni stand das Termometer auf dem Gefrierpunkt; aber am 22. Juni fiel ein warmer Regen, die Pflanzen wurden plözlich grün, sie wuchsen mit erstaunlicher Geschwindigkeit und am Johannistage, am 24. Juni, hatte man 25° C. Wärme!

Noch vor diesem Tage führte mich mein Gastfreund in Luleå  durch die wunderniedliche Stadt Haparanda   hinüber nach Finn­ land  , zuerst in die Schwesterstadt Torneå  ( lies Torneo, Luleo, denn å o), die an der linken Seite des Flusses gleichen Namens oder eigentlich an dem Delta liegt, welches vor diesem Fluß aus einem beinahe vertrockneten Arme desselben gebildet wird. Dieser Arm ist die Grenze zwischen Schweden   und seinem mächtigen Nachbar im Osten. Allerdings geht eine Landstraße in einem großen Bogen von der einen Stadt zur andern, aber wir fanden den Umweg zu weit und benuzten deshalb eine äußerst sinnreich angelegte Brücke, um den Fluß­arm auf dem fürzesten Wege zu überschreiten: wir hüpften nämlich mit jugendlicher Gewandtheit von dem einen zum andern der Steine, die hier entweder von Menschenhand gelegt oder durch das fließende Wasser von Sand und Schlamm entblöst

worden waren.

Die ersten Schritte in Torneå   ließen uns sofort die Be­merkung machen, daß wir uns nicht mehr in Schweden   befan­den: die beiden freundlichen Städte Luleå   und Haparanda   jen­seits der Grenze mit ihrer Gartenkultur, mit ihren überall sichtbaren Zeichen von Wohlhabenheit und Ordnungssinn, hier die finnische Stadt mit ihren rotangestrichenen aber halb ver­fallenen Häusern- welcher Unterschied! Aber Torneå   hat den beinahe majestätischen Fluß, der mit seinem ruhigen, ich möchte sagen: ernsthaften Lauf auf den Fremden einen tiefen Eindruck macht und von dem aus wir, als wir ihn am nächsten Tage auf der hier eingerichteten Fähre überschritten, einen entzückenden Anblick der kupirten schwedischen Küste erhielten.

Zu Fuß gingen wir weiter und begegneten bald einer Ab­teilung der russischen Grenzbewachung, einer Patrouille von sechs Kojaken, die in ihren blauen Uniformen mit rotem Kragen, mit den roten Streifen an den Hosen, mit ihrem glänzend schwarzen Haar, kleinem Schnurrbart und lebhaften Augen einen ganz hübschen Eindruck machten; ihre Haltung auf dem Pferde war frei und sicher, beinahe imponirend wohl eine Folge davon, daß diese Söhne der Steppen am Don sich von ihrer frühesten Kindheit an gewöhnt haben, zu reiten, auch als sie die zahlreichen Herden ihrer Väter oder der reichen Bojaren hüten

mußten.

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Je höher wir am Fluß weiter stiegen, desto dichter wurden die reißenden Wasserfälle mit zahlreichen bloßgelegten Felsblöcken und auf diesen fand sich Lachsbrut in unglaublicher Menge. Nebenbei gesagt verkauft man hier diesen delikaten Fisch zu dem fabelhaft billigen Preis von 8-10 finnischen 6-7,5 deut schen Mark für das Lispund d. h. 10 Kilogramm. In den Bauerhöfen an der Landstraße erhielten wir sehr billige Eß­waaren, Brot und Butter, gebratenes Fleisch, eingesalzenen Lachsfisch und saure Milch, alles von delikatem Geschmack. Das Wetter war prachtvoll und der Duft vom Kiefernwalde, durch den wir zogen, fast berauschend. Ueber und zwischen den Wurzeln der mächtigen Kiefernstämme schlängelte sich die allen Schweden   so lieb gewordene Linnaea, jene nach unserem be­rühmten Landsmann*) Linné benannte immergrüne Liane mit roten wohlriechenden Blüten, aus der Ferne hörte man des Kukuts Ruf in einem Birkenhain und dicht neben uns das Brausen und Rauschen der Wasserfälle. Unsere Stimmung wurde aber beinahe elegisch, als wir sahen, wie ganz in der Nähe ein Boot vom Strande abgestoßen wurde, besezt mit einigen hübschen Mädchen, die ihr Mühen, das jenseitige Ufer zu erreichen, mit ihrem melancholisch klagenden Nationalgesang ( Ah! voi kuinka kauheasti 2c.) begleiteten, der uns vielleicht in eine recht düstre Stimmung versezt hätte, wenn nicht durch Lapplands   schlimmste Plage, Milliarden von Mücken, unsere Gedanken und Hände fortwährend beschäftigt gewesen wären.

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Im Vorbeigehen versäumten wir nicht, den freundlichen Wohltäter aller Aavasaksa- Besucher, den Pastor Robert Castrén im Pastorat von Karungi, zu begrüßen, wo wir gastfrei auf­genommen und in liebenswürdigster Weise verpflegt wurden; um so weniger aber durften wir uns hier lange aufhalten; auch mußten wir noch vor Abend den ersehnten Berg erreichen, den wir auch bald genug erblickten, jenen bis zum Gipfel mit Wald bewachsenen erloschenen Vulkan bewachsenen erloschenen Vulkan das schien er uns zu sein- mit steilen Wänden, die beim Ersteigen das Anspannen aller unserer Kräfte forderten. Vorher ruhten wir noch einmal in dem am Fuße des Berges belegenen Kirchdorf Ober- Torneå, wo uns auch erzählt wurde, daß bereits ungefähr 50 Touristen auf dem Berge seien, darunter auch ein Engländer, der sich im vorigen Jahre gelobt hatte, die Gegend nicht eher zu verlassen, als bis er die Mitternachtssonne gesehen. Im vorigen Jahre war die Sonne nämlich während mehrerer Wochen, von Mitte Juni bis Ende Juli, von dichten Wolken verhüllt gewesen- und der Engländer war noch hier! Aber seine Ausdauer sollte belohnt werden!

Das Besteigen des Berges war, wie gesagt, mühsam und wurde noch besonders erschwert durch die zahlreichen losen Steine, die nur leicht von dünnem Moos bedeckt waren und die uns oft in Gefahr brachten, auszugleiten und zu stürzen.­Gegen sieben Uhr Abends endlich erreichten wir den baumfreien Gipfel des Berges, von dem aus man die Wanderung der Sonne um den nördlichen Horizont sehen kann. Bald sammelten sich Einheimische und Neisende, Alte und Junge, um den Tee, Toddy( warmes Wasser mit Zucker und Kognak nach Belieben, das beliebteste Getränk der Herren- Gesellschaft auch in Schweden  ) und Butterbrot, ein gemütlicher Imbis, zu dem einige in der Nähe ansässige Standespersonen die Materialien herbeigeschafft und uns alle eingeladen hatten.

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Der Himmel war durchaus klar, nicht die Spur einer Wolfe war sichtbar. Ueberall, wohin das Auge sah, erblickte man Freudenfeuer, auf Finnisch Katto" genannt; der Fluß Torneå  floß gleichsam zwischen diesen Feuern hindurch und erschien in der im Abendgrau dunkelgrünen Erdoberfläche wie ein hellblaues, filberglänzendes Seidenband; die kleinen Wasserfälle mit ihrem

*) Ich war damals eingewanderter und nationalisirter Schwede.