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Die Hoftitel der Professoren.

Von Sigmund Münz.

( Aus der ,, Gegenwart  ".)

Vor einiger Zeit fam aus Baiern   eine Kunde, die nicht verfehlen wird, jeden ernsten Menschen angenehm zu berühren. An den Universitäten Baierns soll sich unter den Professoren das Streben geltend gemacht haben, gegen Hoftitel und sogn. Standeserhöhungen anzufämpfen; die Lehrer der dortigen Hoch­schulen fangen es an zu empfinden, daß die Wissenschaft zu er­haben ist, um eitlen Gözen nachzujagen und daß es die Ehre derjenigen, die sie wahr und würdig vertreten, erheischt, sich von fleinlicher Versuchung ferne zu halten. Man begreift es endlich, daß derjenige kein echter Priester des Wissens ist, der nicht durch Tiefe des Denkens und Mühe der Arbeit sich soweit ge­fördert hat, um abseits von der gewöhnlichen Heerstraße des Lebens zu stehen und im männlichen Stolze äußeren nichts­sagenden Tand von sich zu weisen.

Es gibt traurige Einrichtungen, an deren Rechte niemand zufolge des Alters ihrer Tradition gezweifelt hat; sie bestehen Jahrhunderte und erhalten sich durch die Trägheit menschlichen Denkens. Die moralische Konstitution ganzer Zeiten und ganzer Gesellschaften ist oft so bestellt, daß Gewohnheiten, die vor dem Forum der objektiven Wahrheit als Fehler oder als Laster sogar gerichtet sind, durch das stille Uebereinkommen unverlezt be stehen; dann dämmert es in dem Geiste Weniger, und die Kritik wagt sich leise hervor. Es vergeht einige Zeit, und gebrochen hat die Gesellschaft mit Institutionen, die hinfällig in sich selber waren, die nicht erst eines Entdeckers bedurft hätten, um ge­brandmarkt zu sein kaum begreifen es die Epigonen, daß ein verhängnisvoller Bann so lange ungebrochen blieb. Das wird das Schicksal der vielen leeren Titel sein, und was heute noch unter den Menschen der Gesellschaft, der besten Gesellschaft, fonventioneller Brauch ist, wird in wenigen Jahren das Sonder vorrecht einiger Käuze sein.

Wir leben in einer Zeit, in welcher die Vertretenen so weit vorgerückt sind, um das Gebahren der Vertreter zu kriti­siren und die Wählenden sich zuweilen fragen, ob die Gewählten auch die Berufenen seien. Der Schüler der Hochschule tritt seinem Lehrer wie einem von der göttlichen Staatsordnung be stellten Organe gegenüber, er hat ihn sich nicht selber gewählt. Allein das Recht kann ihm nicht genommen sein, zu untersuchen, ob unter den Faktoren des Lehrkörpers sich nicht auch Faktoten befinden, unter den Subjekten Objekte, unter den Männern Schranzen. Und reichlich finden wir sie heute unter den Ver­tretern der Wissenschaft; unter ihnen blüht der Byzantinismus, und gar selten findet sich die schöne Paarung der intellektuellen und etischen Potenz in den wissenschaftlichen Kreisen. Immer seltener wird das freie wissenschaftliche und schriftstellerische Schaffen, daß der reinen Freude am Studium, an der Arbeit, dem Streben nach in sich vollendeter harmonischer Bildung zum Denker- und Menschenideale entspringt; die Wissenschaft selber wird zum Amte, und nicht selten zum Handwerke, zur Melkkuh. Alles konzentrirt sich im Kateder, und neben einem ausgezeich neten Lehrertum findet sich ein wissenschaftliches Bureaukraten tum. Herr Karl Hillebrand   hat jüngst in diesen Blättern die Anmaßung einiger Katederphilosophen gegeißelt, die in ihrer einseitigen Betrachtung diejenigen zu den Toten zählen, von deren Fette sie leben; sowie ungefähr Herr Dühring wiederum beschränkt genug in seiner Geschichte der Philosophie es den Philosophen zum Laster anrechnet, wenn sie auf Katedern lehren. In der Tat hat sich mit der Identifikation der Wissenschaft und des von der jeweiligen Regierung einigermaßen abhängigen Kateders nicht nur ein militärischer, sondern sogar ein höfisch oberflächlicher Geist derart unter den Männern der Wissenschaft ausgebildet, daß sich immer mehr die Grenzlinien verlöschen, die den durch einen hohen Wirkungskreis ausgezeichneten Men schen und welcher Beruf vermöchte es, mit dem wissenschaft­

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lichen zu wetteifern?- von der schalen Alltäglichkeit sondern. Wenn derjenige, dem sein Beruf, sein Streben an sich Lohn genug sein und der nur darin einen Erfolg sehen sollte, wenn er einen engeren oder weiteren Kreis von Menschen befreit, nach denselben Auszeichnungen jagt, wie der Mensch, dessen Leben in niedriger Beschäftigung oder in Sport hingeht: steigt er dann nicht von dem hohen Piedestal herab, auf das er durch seine Tätigkeit gestellt ist? Wahrlich, das ist keine Schmach, wenn, was in wissenschaftlichen Kreisen so verrufen ist, der Gelehrte seinem Worte oder seiner Feder die Richtung gibt, daß ihn Tausende verstehen, daß sich Tausende an seinem Funde, an seinen Endeckungen, an seiner Gedankenfreude laben; das aber ist eine traurige Schwäche, wenn er einen gleichen Maß­stab für den Lohn seines Wirkens hat wie der Pöbel.

Wer je der Stimme des unverderbten jugendlichen Instinktes gelauscht hat, konnte es hören, wie ihm greisenhafte Schwäche, der Mangel einer ungebeugten Männlichkeit gleich einem Ver­gehen verdammenswert erschien. Sagen wir es doch offen und unumwunden: die Studenten, wenigstens die kritischeren Geister unter ihnen, finden, wie sich Schreiber dieser Zeilen oft genug zu überzeugen Gelegenheit hatte, eine bedauernswerte Schwäche in der Gewohnheit ihrer Lehrer, nach Titeln, wie den eines Regierungsrates, eines Hofrates, eines geheimen Hofrates oder eines geheimen Regierungsrates, und nach schalen Orden zu jagen. Gewesene Jünglinge unter den Herren Hofräten erinnern sich vielleicht noch jener frischen unverderbten Phase ihrer Ueber­zeugungen, in wecher sie, getragen und gehoben von dem Ernste ihrer Studien, zu hoch standen, um nicht für titelstolze Hof­räte ein mitleidiges Empfinden in sich zu hegen. Solche merk­würdige Metamorphose von der jugendlichen Reinheit zur greisen­haften Verschwommenheit, zur selbstvergessenen Schwäche des Wesens ist so häufig, daß nach diesem Geseze der Wandlung der Arten der Schreiber dieser Zeilen fast fürchten müßte, er selbst könne noch als Hofrat  " enden.

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Welcher Jüngling hat nicht wie ein heiliges Ideal in sich den Gedanken der höchsten politischen, sozialen und religiösen Freiheit getragen, und wie wenige bewahren sich diese sich selber zukommende Treue im Leben. Als ob es das öffentliche Amt mit sich brächte, daß man sich selber aufgebe, sich ent­manne und des höchsten Gutes des freien Gedankens entäußere. Wenn wir doch aufhörten, in unserem Urteile so milde Nach­sicht zu üben, um in einigen Barthaaren das Kriterium der Männlichkeit, in einigem angelernten Wissen die Wissenschaft zu sehen. Dem bessern Menschen darf und wird nie die Wissen­schaft in einiger angehäuften Gelehrsamkeit bestehen erst der durchdringende Geist der Philosophie, die tiefgeschöpfte Kraft der Ueberzeugung, der belebende Hauch der Freiheit schafft die wahre Wissenschaft. In diesem Sinne allerdings wird sie dem Menschen zur Richtung des Lebens, zur innersten Liebe; und die so begreifen, können nicht anders, als mit gerechtem Selbst­bewußtsein, mit hohem Stolze erfüllt sein, den kein Hof, feine Macht auszuzeichnen vermag. So verbindet sich mit einer allmächtigen Liebe zur Wissenschaft, mit einem steten Nachdenken über die eigenen Pflichten und die Pflichten der Gesellschaft gegenüber, mit einer eifersüchtigen Wachsamkeit über die dem Volke vermöge der in ihm lebenden Kraft zukommenden Rechte und Freiheiten, so daß sie nicht verlezt werden, eine männliche Zurückhaltung gegenüber den vermeintlichen Mächten und ver meintlichen Richtern der Verdienste. Solche Männer stehen so entfernt von der Gewöhnlichkeit, daß sich kein Titel an sie heran­wagt, ohne die Entrüstung ihres Stolzes gegenüber einer so findischen Zumutung hervorzurufen, daß an solcher wohlgepan­zerten Mannesbrust jedes Ordenssternchen in seine nichtigen Atome zerschellt.