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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

gang zur Burg schließende Brücke herabgelassen wurde durch einen Tritt. Er zieht den Mechanismus der Schlagbäume an Chausseehäusern und Ei enbahn­übergängen zur Erklärung heran; er faßt die Brücke als den einen langen Arm einer Waage, deren furzer anderer, mit schweren Lasten dem langen gleichwichtig gemacht, durch einen leichten Druck des Thor oder Brückenwärtels bewegt, den ersten Arm, d. i. die Brücke zum Niedergehen(!) nöthigt. Dazu ist aber sicher nöthig, daß der Tritt einen Hebel in Bewegung setzt, der den beschwerten kurzen Arm zum Hochgehen, den anderen langen, die Brücke, zum Niedergehen bringt. Möglich, daß solche Mechanismen bestanden haben. Mir scheint eine andere Erklärung näher zu liegen. Jemandem die Brücke, sei es eine Waagbrücke oder, was wohl die häufiger vorkommende Form gewesen ist, eine Zug­brücke, gangbar machen kann man auch, indem man auf die Brücke selbst tritt und sie mit den Gewichte des eigenen Körpers in fester, gangbarer Lage hält. Nehmen wir an, ein Feind will in die Burg ein­reiten; da sucht sofort der Thorwart die Brücke aufzuziehen. Die Knappen und Fußkämpfer des Reiters aber erpassen den rechten Augenblick und treten auf die Brücke an dem nach außen liegenden Ende derselben, so verhindern sie das Aufziehen und der Reiter erreicht durch ihre Hülfe seinen Zweck, die übrigen stürzen im Sturme nach und ihr Gesammtgewicht macht es dem Thorwart erſt recht unmöglich, Brücke und Thor unpassirbar zu machen. Der oder Die, welche die Brücke treten, helfen Dem, für den sie sie treten, gegen eine andere Macht, gegen die Belagerten oder ihren Brücken­

wart. Dieses Moment der Hülfe gegen eine andere Kraft fehlt fast ganz bei der Eildebrandschen Auf­fassung, es sei denn, man nähme an, in der be­lagerten Burg sei ein Verräther, der dem Feind die Brücke tritt, d. h. gang ar macht und ihn ein­läßt wider den Willen des Playhalters.

Viele Redensarten lassen recht wohl eine mehr fache Ursprungserklärung zu. Eine der Art ist die: Sich um des Kaisers Bart streiten. Hegel in seinem Buche: Wie der Deutsche spricht, erklärt sie: streiten um unnüße, geringfügige, nicht zu entschei­dende, auch wohl garnicht vorhandene Angelegen heiten". Zur Entstehungsgeschichte führt er zwei Möglichkeiten an. Der Kaiser, um dessen Bart es sich handelt, sei nach der ersteren Karl der Große  . Man habe sich nämlich um Echtheit von Urkunden gestritten, je nachdem das Bild des Kaisers auf dem Siegel desselben einen Bart gehabt habe oder nicht. In der That aber sind Bildnisse Karls mit und solche ohne Bart vorhanden; um die Echtheitsfrage also zu beantworten, müßte noch festgestellt werden, zu welcher Zeit die bärtigen und die unbärtigen Siegelbilder rechtliche Geltung hatten. Das aber wäre an sich unter Umständen je nach dem Belang der Streitfrage eben keine unerhebliche Kleinigkeit. Die andere Lesart über die geschichtliche Begründung der Redensart geht dahin, daß es sich bei ihr um die Frage gehandelt habe, ob die römischen Kaiser einen Bart getragen hätten oder nicht. Auch hier be­weisen Büsten und Münzen altrömischer Kaiser, daß die einen der Bartmode, die anderen der Nasirmode, ja einzelne in verschiedenen Perioden ihres Lebens bald der einen, bald der anderen huldigten.

Woher Geibel den Gedanken hat, in einem seiner Gedichte drei lustige Gesellen um die Farbe des faiserlichen Bartes streiten zu lassen, ist mir unbekannt.

Wustmann zieht in seiner Bearbeitung und Erwei­terung des Borchardtschen Buches:" Deutsche Redens­arten" solche Wendungen aus fremden Sprachen heran, welche dasselbe besagen wie die deutsche von müssigent, nuglosem Streit um des Kaisers Bart. So das Streiten um den Schatten des Esels bei Griechen und Römern, das seinen Ursprung hat in einem alten Schwanf. Ein athenischer Jüngling hatte sich, wie die Anekdote meldet, zu einer Neise nach Megara einen Esel gemtethet und ging nun mit dem Thier und seinem Besizer seines Weges fürbaß. Als die Sonne sehr heiß zu scheinen begann, wurde der Esel an einen Baum gebunden, und nun stritten sich Ve­sizer und Miether des Esels um den Genuß des Schattens, den der angebundene Esel warf. Der Besizer erklärte, nur den Esel, aber nicht seinen Schatten mitvermiethet zu haben, während der Mie­ther erklärte, für die Dauer des Miethsvertrages habe er den Esel sammt der Nußnießung, auch seines Schattens, erworben. Wieland   hat in den Abde­riten", einer Satire auf die deutsche Kleinstädterei und Philisterei, die Geschichte dieses Prozesses sehr ergößlich ausgesponnen.

Bei den Römern wird solch müssiger Streit um Unerhebliches, ein Streit de lana capri, b. i. um die Haare des Ziegenbocks, genannt; genau ebenso sagen die Italiener: dispentare dèlla lana caprina, die Engländer: to content about a goats wool. ( Schluß folgt.)

Aus dem Papierkorb der Zeit.

Pfingstmorgen.( Zu unserem Bilde.) Fern dem Geräusch der Menschenwelt, breitet sich der einsame Weiher in behaglicher Ruhe vor unseren Blicken aus. Inmitten ausgedehnter, frühlingsgrüner Wiesen, von breiten, schat­tigen Laubbäumen eingefaßt, harrt er der Sonne, die in Kurzem die zarten Nebel ganz vom jungfräulichen An­gesicht des jungen Morgens weggezogen haben wird, um dem vieltausendfältigen Leben, das in der Tiefe und auf der glatten Fläche webt, neues Licht zu spenden.

Behaglich plätschern schon die Enten im kühlen Wasser, das breite, grüne Binsenflächen wie kunstvolle Teppiche bekleiden. Heute fühlen sie sich sicher, die bunten, schnat­ternden Sumpfbewohner, denn auch der Waidmann  , der sonst vielleicht hier reiche Beute macht, läßt seine Büchse ruhig in der Ecke lehnen. Es ist ja Pfingsten heute, Pfingstmorgen! Da strömt Alles, was Beine hat, Groß und Klein ins Freie hinaus, um sich in der frischen, fühlen Morgenluft Herz und Geist gesund zu baden, des stillen Friedens sich zu freuen, der über der frühlings­grünen, sonnigen Erde ausgebreitet liegt. Ob der Eine oder Andere auf seinem Spaziergang auch dem einsamen Weiher einen kurzen Besuch abstatten wird? Ich weiß es nicht. Aber nichts lohnt sich mehr, als die Natur gerade in ihren intimsten, stillsten Winkeln zu belauschen.

Cäsarenwahnsinn. Jeder der verrufenen Despoten ( auf dem Kaiserthrone Alt- Roms) war einer eigenthüm­lichen Thorheit oder einem für ihn charakteristischen Laster ergeben. Caligula   hielt sich für eine Gottheit, Nero   glaubte ein Sänger von unvergleichlicher Begabung zu sein, Vitel­ lius   war ein ungemein leistungsfähiger Eßkünstler, Commodus  , der Gladiator( Miethsschaufechter). Er ist 735 mal als Kunstfechter aufgetreten; diese Vorstellungen richteten den Staatsschap zu Grunde, denn er ließ sich für jedes Auftreten aus den für die öffentlichen Spiele aus­geworfenen Mitteln je 250000 Denare(= 207500 Mark) bezahlen, und da diese Kasse dadurch schnell erschöpft wurde, mußte man zu den Geldern des öffentlichen Schapes greifen. Diese Kämpfe waren für Commodus  natürlich durchaus gefahrlos, denn sie wurden so einge­richtet, daß der kaiserliche Fechter von den Waffen seiner unglücklichen Gegner und Schlachtopfer nichts zu fürchten hatte. Ebenso konnte er unbedenklich mit den wilden Thieren kämpfen, die ihm oft nur in ihren Käfigen gegen­über gestellt wurden.

Am liebsten spielte er den Gott Herkules, der für ihn allerdings nur die Gottheit der rohen Kraft bedeutete Er ließ die Kennzeichen dieses Gottes, Keule und Löwen­haut, vor sich her durch die Straßen tragen; im Theater stellte man diese Dinge auf eine vergoldete Stufe, so daß er sich ihrer zuweilen bedienen konnte. Zuweilen wurde er wahrhaft furchtbar: so ließ er einmal in Rom   eine

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Menge Leute, die durch Krankheit oder auf andere Weise des Gebrauchs ihrer Füße beraubt waren, zusammen­bringen, ihnen allerhand Schlangengestalten um die Füße winden, und gab ihnen dann Schwämme statt der Steine zum Werfen, damit sie sich wehren sollten, wenn er auf sie, als wären sie Giganten( schlangenbeinige Riesen, mit denen, nach der alten Götterlehre, Zeus   zu kämpfen hatte), mit seiner Keule eindringen würde.

Verse und Aussprüche von Giordano Bruno  .

Wie an Dunkelheit gewöhnte Verbrecher, welche, aus finsterem Burgverließ befreit, an das Licht heraustreten, so werden viele Anhänger der landläufigen Philosophie und manche Andere sich vor Dir scheuen, stugen, und aus Unfähigkeit, die neue Sonne Deiner hellen Gedanken zu ertragen, gegen Dich aufgebracht werden.

Die Schuld liegt nicht am Licht, sondern an ihren Augen. Je schöner und herrlicher die Sonne an sich selber ist, um so verhaßter und widerwärtiger wird sie den Augen der Nachteulen.

Es ist das Zeichen eines unsauberen Charakters, mit der Mehrzahl zu denken, blos weil es die Mehr­zahl ist; die Wahrheit wird durch die Meinungen der Menge und die Behauptung Vieler doch nicht geändert, und Niemand sollte sich selbst deshalb für flug halten, weil er von Anderen dafür angesehen wird.... Wo es sich freilich nicht um Wahrheiten handelt, sondern um gesetzliche Institutionen, um Aeußerlichkeiten der Religions­fulte und um alles, was sich auf das Zusammenleben der Völker bezieht, da mag man immerhin soweit Gott  selbst( für G. Bruno der Begriff für die höchste Einheit", das einzig Seiende", nämlich die Wahrheit) es uns erlaubt des Volkes Stimme für Gottes Stimme( also der Wahrheit Stimme) halten.

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Schon Mancher, dem gestern noch drohte der Henker, Ward am folgenden Morgen des Staates Lenker.

Der Geistespöbel. Fürwahr, Du bist sehr reich, denn Du empfindest Die Armuth Deines Geistes nicht; auch dies Will ich Dir zugestehn, Du bist gesund, Sofern Du selber keine Krankheit spürst.

Der Reichthum.

O Göttin des Reichthums, du bist es, um derent­willen das Urtheil hinkt, das Gesetz schweigt, die Weisheit verachtet, die Klugheit unterdrückt und die Wahrheit ge­fnechtet wird, indem du dich selbst zur Gesellin von Schuften und Nichtswissern machst, indem du alle Thor­

heit begünstigst, indem du die Seele in Lüsten entzündest und verdirbst, indem du der Gewaltsamkeit die Schleppe nachträgst und der Gerechtigkeit auf den Fuß trittst, und sodann schaffst du auch selbst dem, der dich besitzt, nicht weniger Sorgen als Aunehmlichkeiten, nicht weniger Häß­lichkeit als Schönheit, nicht weniger Rohheit als Zierde, und nicht du bist es, die den Sorgen und dem Elend ein Ende macht, sondern du veränderst und verwandelst sie nur in andere Formen! Gut bist du nur in der Meinung Anderer, in Wahrheit aber niederträchtig und schlecht, von Ansehen bist du lieb, in Wirklichkeit aber falsch, in der Einbildung bist du nüßlich, aber in Wahr­heit voll von schädlichen Folgen! Bist du es doch, die, wenn du dich dem Schlechten zugesellst und für ge­wöhnlich treffe ich dich nur in den Häusern der Schurken, sehr selten einmal in der Nachbar­schaft ehrenwerther und guter Menschen- die Wahrheit aus den Städten in die Wüste verbannt, die der Klugheit die Beine gebrochen, der Weisheit die Scham­röthe der Entrüstung ins Gesicht gejagt, dem Geseze den Mund verschlossen, dem Urtheil allen Muth genommen und sie allesammt zu Feiglingen gemacht hat.

Geiz, Habsucht, Knickerthum.

Der Geiz spricht: Besser reich sein, denn für liberal und dankbar gelten." Die Habsucht: Schaffts mir nicht Ehre, so schaffts doch Profit." Das Knickerthum:" Willst du Hungers sterben, um ein Gentleman zu sein?"

Es giebt keinen Sklaven, der nicht von ehemaligen Hörigen, feinen König, der nicht von ehemaligen Sklaven abstammte, da ja der Zeitlauf und das Schicksal alle menschlichen Verhältnisse durcheinander schüttelt und rüttelt.

Brunos legtes Wort an die Richter der Inquisition Yautete: Mit größerer Furcht vielleicht verkündet ihr dies Urtheil, als ich es empfange."

Auflösung der Kombinations- Aufgabe in Mr. 22: Salpeter Rosmarin

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Uhlenhorst

Marathon

Dragoner Eßlingen Aschbecher- Niederwald

Nehemir.

Sudermann.

Nachdruck des Inhalts verboten!

Alle für die Redaktion bestimmten Sendungen wolle man an Herrn G. Macasy, Leipzig  , Oststraße 14, richten.

Berantwortlicher Redakteur: Gustav Macasy in Leipzig.  - Verlag: Hamburger Buchdruckerei und Berlagsanstalt Auer& Co. in Hamburg  .

Druck: Mar Bading in Berlin  .