Die reue Welt

Nr. 23

( Fortsetzung.)

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Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

anz anders hatte sie sich das Leben an seiner Seite gedacht in der Ehe. Denn wenn sie auch vorher einander nicht fremd gewesen waren, so legte Pauline, als echtes Landkind am Althergebrachten, Frommen und Ehrwürdigen fest­haltend, der kirchlichen Trauung doch noch ganz be­sondere Wirkungen bei. Das Ehegelübde vor dem Altare, meinte sie, mache den begangenen Fehltritt gut, beglaubige ihren Bund, trage die Gewähr eines ganz besonderen Segens in sich. Nun durften sie sich mit gutem Gewissen lieb haben; während der Genuß bisher, so süß er auch gewesen, doch immer den Nachgeschmack eines Vorwurfs gehabt hatte.

In diesen Erwartungen schien sich die gute Seele getäuscht zu haben. Gustav war ihr fremder ge­worden, als er ihr zuvor gewesen. Wann wäre es friher jemals vorgekommen, daß er für ihre liebe­volle Annäherung nur eine furze unfreundliche Ab­fertigung gehabt hätte!

Sie weinte oft heimlich. Auch zur Nachtzeit, wenn er mit einer, selbst noch im Schlafe düster verdrossenen Miene in seinem Bette lag. Zu wecken wagte sie ihn nicht. Durch ihren Summer wäre sie ihm nur lästig gefallen. Er war ja selbst nicht glücklich. Daß er so häßlich gegen sie war, kam nur davon her, daß er so viel Sorgen hatte. Ihm zu Liebe wollte sie Alles ertragen, selbst die Ent­fremdung von ihm.

Pauline verschloß ihren Kummer ganz in sich, versteckte ihre Thränen vor ihm und war darauf bedacht, ihm nur ein lächelndes Angesicht zu zeigen. Aber er, in jenem Egoismus, den die Vielgeschäftig keit und Arbeitsüberbürdung groß zieht, sah weder ihr Lächeln noch die Thränen, die darunter ver­borgen waren.

Sie sorgte dafür, daß er Alles so gut finden möchte, wie sie es herzurichten im Stande war: das Bett, die Kleider, das Essen. All' ihre große zurück­gewiesene Frauenliebe wandte sie, in Ermangelung eines Besseren, den Dingen zu, die ihn umgaben.

So vergingen die ersten Wochen in der Fremde. Eines Tages gab es eine unangenehme Ueber­raschung für den Aufseher: Nogalla, der Pole, war verschwunden. Seinen Arbeitsgenossen fehlten ver­schiedene Kleidungsstücke, und Häschke machte die Ent­deckung, daß seine Vorrathskammer um eine Wurst und zwei Speckseiten ärmer war.

Wo mochte der Vogel hin sein? Das Gerücht behauptete, er habe auf einem anderen Riibengute, wo nur polnische Arbeiter in Sold waren, Arbeit genommen. Man stellte keine Nachforschungen nach ihm an, denn er war ein liederlicher, lästiger und fauler Bursche gewesen. Mochte er bei Seines­gleichen bleiben!

Der Büttnerbauer.

Roman von Wilhelm von Polenz  .

XXII.

Zwei Monate waren vergangen, seit das Bütt­ner'sche Gut unter den Hammer gekommen war. Samuel Harrassowitz schaltete und waltete jezt hier als unumschränkter Herr und Gebieter. Er hatte den alten Bauern vorläufig auf seinem ehemaligen Hofe gelassen. Er nahm auch keine Miethe von den Leuten, aus dem einfachen Grunde, weil sie nichts mehr hatten, wovon sie ihm hätten Quartier­geld zahlen können. Außerdem waren die Büttners, wie er selbst zugab, alte, brave Leute," denen er das Almosen gern gönnte."-Er ließ die Felder von dem alten Manne bestellen; auf diese Weise konnte der etwas von dem Gelde, was er noch auf Wechsel schuldete, abarbeiten.

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Mancherlei Veränderungen nahm der Händler in der Wirthschaft vor. Zunächst führte er die Ochsen weg; die fonnte er gerade an einer anderen Stelle gut gebrauchen. Sie kommen schließlich auch mit Kiihen aus; was, mein guter Büttner?" sagte er in seiner biedermännisch aufgeknöpften Weise zu dem Alten.

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Der Büttnerbauer erwiderte nichts hierauf. Er nahm überhaupt jeden Befehl des neuen Herrn schweigend und mit undurchdringlicher Miene hin.

Nun war es also so weit gekommen, daß er mit Kühen auf's Feld fahren mußte, wie die Klein­gärtner und Stellenbesizer. Als Knecht eines Fremden bestellte er jetzt den Acker, der einstmals sein ge= wesen. Wenn man Grimm und höllische Schmerzen aussäen könnte, was wäre da für eine Saat auf­gegangen auf diesen Fluren!

Im Obstgarten, der das Haus umgab, ließ Sam tüchtig aufräumen. Die alten Krippel von Apfel­Die alten Krüppel von Apfel­bäumen machten zu viel Schatten und trügen ja doch nur saures Zeug, das man nicht los würde, hieß es. Die Bäume hatte der Großvater zu An­fang des Jahrhunderts gepflanzt, er war Obstheger gewesen, und die späteren Generationen hatten den Segen seiner Fürsorge geerntet. Jahr ein, Jahr aus pflegten die alten Strippel" zu tragen, ihre harten, kernigen Sorten, wie sie dem Klima an­gepaßt waren. Die Bäuerin hatte davon abzubacken gepflegt; Weihnachtsäpfel hatte man gehabt, und mancher späte Apfel hielt sich bis tief in's Früh jahr hinein, als angenehme Beigabe zur Alltagskost.

Nun sollten die alten, treuen Stämme dran glauben. Der Bauer und Karl mußten selbst Hand anlegen, die Bäume umzusägen und die Stöcke zu roden. Der Büttnerbauer verrichtete auch dieses Werk schweigend, aber in seiner Hand die Säge schien zu knirschen, als sie sich in das spröde Holz einfraß.

Toni hatte inzwischen das väterliche Haus ver­

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1898

lassen müssen, denn Sam erklärte: so viele Mäuler dürften auf seine Kosten nicht gefüttert werden. Zudem paßte es jetzt mit der Ammenstelle. Frau Achenheim  , seine Tochter in Berlin  , hatte Sam zum Großvater gemacht. Toni sollte den Sprößling ernähren und wurde zu diesem Behufe eines Tages nach Berlin   befördert. Und diesmal war kein Gustav zur Stelle, die Schwester zu schüßen. Toni's eigenes Kind wurde Theresen übergeben, welche diesen Fa­milienzuwachs mit geringer Freude begrüßte.

Man mußte es Sam lassen, es hatte Alles Art, was er unternahm. Er verstand es, im großen Stile zu verfügen. Das Kleinste, was er anordnete, schien von langer Hand vorbereitet und ordnete sich vor­trefflich in das Gefüge seiner Operationen ein.

Auch mit Karl Büttner hatte er seine besonderen Absichten. Zulegt ließ er es zu, daß der junge kräftige Mann dem Vater bei der Frühjahrsbestel­lung half. Sobald diese besorgt war, erklärte der Händler dem Bauernsohne, daß er seine Dienste nunmehr entbehren könne und daß er mitsammt seiner Familie auszuziehen habe.

Karl war also vom väterlichen Hause und Hofe vertrieben! Was nun beginnen? Karl Büttner stand der Zukunft rathlos gegenüber. Er hatte nichts gelernt; nur in der Soldatenzeit war er von der Heimath weggekommen. Einen anderen Beruf als den bäuerlichen zu betreiben, daran hatte er, als des Büttnerbauern Aeltester, nie gedacht.

Der Aermste hatte es schwer. Er war um das väterliche Erbe gekommen, er wußte nicht wie! Seine Frau machte ihm das Leben auch nicht leichter, seit er ein Bettler geworden war. Täglich bekam er jetzt von ihr zu hören, daß sie betrogen sei mit ihm. Daß er ein" dummer Karle" sei, das habe sie frei­lich immer gewußt, aber sie habe doch wenigstens geglaubt, einmal Bäuerin zu werden durch ihn. Nun mußte der Unglückliche ihr für diese Enttäu­schung herhalten.

Karl suchte eine Zeitlang nach einer Thätigkeit. Sein Suchen bestand darin, daß er rathlos umher­lief und sich als Kutscher anbot. Aber man stieß sich meist an seiner starken Familie, und sein unge= schicktes Auftreten hatte auch wenig Bestechendes. Bald gab er das jedoch auf und saß nur noch, unter dem Vorgeben, in den Blättern zu suchen, in den Schänken umher. Therese, die ihm bald anmerkte, daß er Bier und Schnaps genieße, wurde durch diese Entdeckung auch nicht freundlicher gestimmt.

In dieser Noth trat wiederum Sam als Helfer auf. Er wolle ihm eine von seinen Wirthschaften in Wörmsbach verpachten, sagte er zu Karl.

Karl Büttner ging nach Wörmsbach, um sich die Stelle anzusehen. Es war ein kleines Anwesen,