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Die Neue Welt. Illustricte Unterhaltungsbeilage.
Ja, der Sturmwind hatte auch ihn erfaßt und fortgetragen! 3war nicht von Vater und Mutter, nicht von der eigenen Hütte, aber vom heimathlichen Felde, ihn, den Verwaisten!
Er verstand, daß etwas Schlimmes mit ihm vorgehe, aber was war zu thun? Es war schlimm, konnte noch schlimmer werden, aber da es von jeher schlimm, schlimmer, am schlimmsten gewesen war, so öffnete er schließlich die Augen und überließ sich seinem Schicksal.
Die Lokomotive ließ einen schrillen Pfiff ertönen. Hans sah hinaus und erblickte einen Wald von Häusern, in eine Rauchwolfe eingehüllt.
,, Brennt's irgendwo?" fragte er den Maschinisten. " Das ist Warschau !" antwortete dieser. Dem Bauer schnürte sich das Herz zusammen. Wird er sich in diesen Rauch hineinwagen?
Der Zug hielt und Hans sprang herab. Er füßte dem Maschinisten die Hand, und nachdem er sich umgesehen, ging er langsam auf einen Laden zu, auf dessen Schild Krüge mit rothem Bier und Flaschen mit grinem Schnaps aufgemalt waren. Nicht die Trinklust zog ihn hin, sondern etwas Anderes.
Hinter der Schänke war ein Baugerist zu sehen und vor dem Laden standen die Maurer. Er er innerte sich an den Nath des Ingenieurs und fragte nach Arbeit.
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immer mit Anwendung des Ihr", aber da sie stets , Du" entgegnete, so sagte er schließlich auch„ Du". " Plage Dich nicht," sagte er ihr, ich werde schon für Dich und für mich arbeiten."
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Und er arbeitete rechtschaffen, daß ihm der Schweiß nur so von der Stirne rann, während das Mädchen blos die Schaufel handhabte.
Von dieser Zeit an gingen sie stets zu zweien. Zuweilen schloß sich ihnen ein Geselle an, der mit dem Mädchen Händel suchte und Hans höhnte, das war aber auch Alles. Jeden Abend pflegte Hans im Bau zu übernachten, weil er kein sonstiges Obdach hatte, seine Kameradin aber ging mit den Anderen und mit jenem Gesellen der immer was an ihr zu tadeln fand, ihr auch öfters Eins versegte nach der Stadt.
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Der mag die Dirne nicht," sagte sich Hans, ,, aber was ist zu thun? Dazu ist er ja Geselle, um uns manchmal puffen zu fönnen."
Dafür suchte er sie auf Schritt und Tritt zu entschädigen, arbeitete für Zwei, theilte sein Frühstücksbrot mit ihr, und kaufte ihr, die nie Geld bei sich hatte, für fünf Groschen Barschtsch" zum Mittagsmahl.
Als man sie zum Ziegeltragen nach oben schickte, konnte der Bauer das Mädchen, das jetzt unter die Meister kam, nicht mehr vertreten. Doch ging er ihr Schritt für Schritt nach und sorgte ängstlich,
Die Maurer, tüchtige Kerle, ganz mit Kalk daß sie nicht falle, und kein Ziegel auf sie herabbespritzt, bandelten von selbst mit ihm an.
Was bist Du fiir Giner?... Woher kommst Du?... Wie ist Deiner Mutter Name?... Wer hat Dir solch eine Müze genäht?..."
Der Eine zupfte ihn am Aermel, der Andere zog ihm die Müße über die Nase, Andere drehten ihn mehrmals im Kreise herum, so daß er nicht wußte, wo ihm der Kopf stand.
Woher kommst Du, Bursche?"
Aus Wiltscholitof, Herr!" entgegnete Hans. Sein Singsang und seine verlegene Miene er= regten das schallende Gelächter der Umstehenden.
Er stand zwischen ihnen und lachte mit, so sehr sie ihn auch neckten.
,, Ei, ei, das ist ein lustiges Volk!" dachte er. Sein Lachen und sein ehrliches Gesicht machten ihn rasch beliebt. Man beruhigte sich und begann ihn auszufragen. Und als er erzählte, daß er Arbeit suche, forderten sie ihn auf, ihnen zu folgen.
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Dumm, aber gutmüthig," sagte einer der Meister.
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Man muß ihn nehmen," bemerkte der Zweite.
Wirst Du Dich einkaufen?" fragte ein Geselle. " Wie das?" fragte Hans.
Du spendirst einen Eimer Branntwein." Oder Du bekommst Prügel!" bemerkte ein Dritter lachend.
Nach einiger Ueberlegung bemerkte der Bauer: Lieber bekommen als geben!"
Auch dies gefiel den Maurern. Zwar hinderte sie das nicht, ihm noch mehrmals die Müge einzudrücken, doch erinnerten sie ihn weder an den Schnaps, noch gaben sie ihm Priigel.
In solcher Unterhaltung famen sie zum Bau und begannen die Arbeit. Die Meister kletterten auf die hohen Gerüste, während Mädchen und Kinder Ziegel trugen. Hans, als Neuling, bekam Kalt mit Sand zu mischen. Und so wurde er Maurer.
Am nächsten Tage gab man ihm eine Gehülfin, ein Mädchen, das so arm war wie er. Ihr ganzer Anzug bestand aus einem alten Tuch, einem durchlöcherten Unterrod und einem alten Hemde. Sie war nichts weniger als schön, hatte ein fahles, eingefallenes Gesicht, eine aufgeworfene Stumpfnase und eine niedrige Stirn. Aber Hans war nicht an= spruchsvoll. Kaum hatte sie sich mit der Schaufel neben ihn gestellt, als sie schon sein Interesse erregte, jenes Interesse, das der Anblick eines Mädchens in jedem Burschen wachruft. Und als sie unter dem verblichenen Kopftuch zu ihm heraufsah, da fühlte er, wie's ihm plötzlich warm um's Herz ward. Ja, er wagte es sogar, sie anzusprechen:„ Woher seid Ihr? Weit weg von Warschau ? Ist es schon lange her, daß Ihr mit den Maurern arbeitet?"
stürze. Des Burschen rührende Sorgfalt erregte den Hohn jenes boshaften Gesellen, der auch die Anderen auf Hansens Benehmen aufmerksam machte. Sie lachten nicht wenig und riefen von oben herab: " Nimm sie, dummer Hans, nimm sie!"
Einmal um die Mittagsstunde rief der Gefelle das Mädchen bei Seite. Er schien etwas von ihr haben zu wollen und belästigte sie mehr denn je. Nach dieser Unterredung kam sie ganz verweint zu Hans und fragte ihn, ob er ihr nicht zwanzig Groschen leihen könne.
Was hätte er nicht für sie hergegeben! Nasch löste er den Knoten seines Taschentuches, in dem das mitgebrachte Geld eingebunden war, und gab ihr die verlangte Summe. Das Mädchen trug die zwanzig Groschen dem Gesellen hin, und von da ab gab es kaum einen Tag, wo ihr nicht der Bauer auf Nimmerwiedersehen Geld geliehen hätte. Und als er einmal schüchtern fragte:" Wozu giebst Du diesem Teufel das Geld?" entgegnete fie:" Weil's einmal sein muß.
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Eines Tages gerieth der Geselle mit dem Schreiber in Streit und fündigte den Dienst. Nicht genug an dem, befahl er auch dem Mädchen, ein Gleiches zu thun und ihm zu folgen.
Das Mädchen zögerte, als aber der Schreiber drohte, falls sie nicht bis zum Abend bleibe, ihr den ganzen Wochenlohn einzubehalten, ging fie wieder an ihre Arbeit.
Dem Bauer war es, als hätte ihn Jemand mit einem Messer mitten durch's Herz gestoßen. Nicht umsonst also hatten die Leute ihn ausgelacht.
Hans näherte sich dem Mädchen.„ Jezt aber wirst Du ihn nicht mehr lieben?" fragte er.
Nein!" entgegnete sie und fing bitterlich an zu weinen.
,, Du wirst nur mich allein lieben?" „ Ja wohl."
„ Ich werde Dich nicht schlagen, noch Dir Dein Geld fortnehmen.
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Das ist wahr."
Bei mir sollst Du es besser haben."
Das Mädchen gab keine Antwort, sondern weinte noch heftiger und bebte am ganzen Körper.
Die Nacht war fühl und feucht.„ Friert Dich?" fragte der Bauer.
Er setzte die Schluchzende auf einen Ziegelhaufen, zog seinen Kittel aus und hüllte das Mädchen ein, während er selbst im bloßen Hemde dastand.
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Weine nicht. Weine nicht!" sagte er.„ Nur diese Nacht noch wirst Du so durchbringen müssen. Hast Du doch einen Rubel, morgen wollen wir dafür eine Wohnung aufnehmen, einen Rock aber kaufe ich Nur weine Dir schon für mein eigenes Geld. nicht!".
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Aber das Mädchen achtete nicht auf seine Worte. Den Kopf emporgerichtet, schien sie auf etwas zu horchen. Von der Straße her schallte der Widerhall bekannter Schritte an ihr Ohr. Immer näher famen sie, und gleichzeitig begann Jemand zu pfeifen und zu rufen:" Komm nach Hause!... Du!... Wo bist Du denn?..."
" Hier bin ich!" rief das Mädchen aufspringend und auf die Straße hinaus eilend, wo der Geselle stand.
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Hier bin ich!" wiederholte sie.
Und hast Du Geld?" fragte er. Da
" Ja wohl.... Hier!... Dà hast Du es!" sagte sie, ihm den Rubel hinreichend. Der Geselle schob den Rubel in die Tasche, dann aber faßte er das Mädchen an den Haaren und schlug auf sie los.
,, Daß Du mir ein zweites Mal gehorchst, sonst lasse ich Dich nicht mehr über die Schwelle! Mit diesem Rubel wirst Du Dich nicht loskaufen! Gehorchen sollst Du!... Gehorchen!!.. wiederholte er, sie mit den Fäusten bearbeitend. Gott !" stöhnte das Mädchen.
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Gehorchen sollst Du!... Gehorchen!... Was ich Dir auch befehle!"
Plöglich ließ er das Mädchen los; eine wuchtige Hand hatte ihn am Nacken gepackt. Mit Mühe wandte er den Kopf und sah in Hansens funkelnde Augen.
Der Geselle, ein kräftiger Bursche, holte aus und traf Hans mit der Faust an den Kopf, daß es ihm nur so vor den Augen flimmerte. Trotzdem ließ Hans ihn nicht los, sondern schnürte ihm den
Der Geselle ward withend.„ Kommst Du, Hals noch fester zusammen. Kanaille," schrie er, oder nicht?!"
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Wie kann ich gehen, wenn mir nicht gezahlt werden soll. Wäre es doch gut, mir für diesen Rubel wenigstens einen Rock zu kaufen!"
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" Nun gut," tobte der Geselle, so packe Dich mir aus den Augen. Komme nicht über meine Schwelle, sonst tödte ich Dich!!...
Und er ging, nach der Stadt zu.
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Des Abends entfernten sich, wie gewöhnlich, die Maurer nach allen Richtungen. Im Neubau blieb Hans über Nacht zurück, und heute auch das Mädchen.
,, Du gehst nicht fort?" fragte er sie verwundert. Wohin denn? Hat er doch gesagt, er wolle mich fortjagen."
Jezt erst ging dem Bauer ein Licht auf.
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Erwürge mich nur!.. Du Diebsferl! Du sollst schon sehen!..." stöhnte der Geselle mit heiserer Stimme.
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So schlage sie nicht!" sagte der Bauer.
Nie mehr!..." frächzte Jener mit lang vorgestreckter Zunge.
Hans ließ den Gesellen los, wobei dieser beinahe gefallen wäre. Nachdem er mehrmals nach Luft geschnappt, sagte er:„ Wenn sie nicht will, daß ich sie schlage, laß sie mir nicht nachgehen. Hat sie mich lieb, meinetwegen, aber ich schlage, weil ich es so gewohnt bin. Was liegt mir an dem Mädchen, wenn ich es nicht durchbläuen kann?... Scheere sie sich zum Teufel!..."
,, Sie wird auch gehen!... Große Sache!..."
Du hast also mit ihm gelebt?" fragte er mit entgegnete der Bauer. schmerzlichem Tone.
„ Ja wohl!" flüsterte sie beschämt.
,, Und ihm hast Du Deinen ganzen Verdienst
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abgegeben, trotzdem er Dich geschlagen?"
So ist es."
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Warum hast Du so abscheulich gehandelt?"
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Weil ich ihn lieb hatte," entgegnete leise das
Mädchen, während es sich zwischen den Pfeilern des
Um solche und ähnliche Dinge fragte er fie, Gerüftes zu verbergen suchte.
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Aber das Mädchen hatte ihn an der Hand gefaßt. Gieb Ruhe," sagte sie, bleich und zitternd. Menge Dich nicht in unsere Angelegenheiten!.. Hans verstummte.
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, Und Du, komm nach Hause!" sagte sie zum
Gesellen, ihn unter dem Arm fassend. Warum sollst Du Dich vom ersten Besten auf der Straße herumstoßen lassen?"
Der Geselle riß sich los und sagte lachend: