Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

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Die große Person mit dem breiten Bruſitaſten der Sinfluß des Menschen auf die Natur. Thiere, sondern er zähmte auch solche Wesen, die

und den ausladenden Hüften setzte sich stolz. Beim Lob des Professors verzog sie die Lippen zu ihrem stereotypen, ruhigen Lächeln wie der gute Mann sich anstrengte! Er war wirklich sehr nett zu ihr; kniff sie gern in die Backen und tätschelte ihr die Schulter, wenn sie allein waren. Fräulein Kroto­

schinska hatte nichts dagegen, er war ja ein alter Mann, wenigstens aus den Jahren, die bei ihr in Betracht kamen. Sie schloß die Augen halb und hörte nicht im entferntesten auf die Klänge des Klaviers und die ewigschönen Meisterweisen; in ihren Ohren war nichts wie Tanzgeklimper und Kleider­rauschen und Schlittenklingeln und Pfropfenknallen. Ja, solch ein Talent! Die Brillantboutons in ihren Ohren funkelten. Sie seien nicht echt, meinten die Neidischen; aber sie waren es. Fräulein Krotoschinska sagte nicht, von wem sie sie fürzlich bekommen hatte, selbst Lena Langen wußte nicht darum, und die war doch entschieden die Bevorzugte, die saß neben der Krotoschinska und bekam allerhand in die Ohren getuschelt. Sie that ja auch der schönen Astpreißin" in feiner Beziehung Eintrag.

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Die Stunde ging weiter. ,, Der Gerechte muß viel leiden," seufzte der berühmte Mann dem Be gleiter in's Ohr. Und dann laut:" Wir haben nun den Adler genug aufschwingen lassen"- er sah mit einem heimlichen Gähnen nach der Uhr, ah, ,, ah, erst dreiviertel Zwei!" Ein zweites intensiveres Gähnen. Schön, sehr schön, wir haben noch eine weitere Viertelstunde für unsere Kunst. Fräulein Fräulein Langen, säufeln Sie uns mal ein Schumann'sches Lied, das ist mehr Ihr Fall. Na, na, voran! Schnell, schnell, Zeit ist Geld!"

Widerwillig hatte sich Lena erhoben. Ihr war die Lust vergangen. Die fatalen Wize des Pro­fessors, der Gesang der Krotoschinska, ihr eigenes Singen efelten sie an. Eine tiefe Niedergeschlagen­heit war in ihrer Seele." Ihnen fehlen die Stimm­mittel"

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schwer, lastend waren diese Worte auf sie niedergefallen. O, wer Töne in der Stehle hätte, mächtig wie das Brausen der Orgel, voll und groß, wie Jene da im eleganten Kleid sie besaß. Fast wie Neid wollte es sie beschleichen die brauchte nur den Mund aufzumachen und den Ton hervor quellen zu lassen, der Professor war entzückt. Aber nein mit einem Ruck stand Lena kerzengerade- nicht wie die Krotoschinska! Es gab eine andere Musit, die gefühlt sein wollte bis in die Finger­spizen und bis in jede tiefste Faser des Innern.

Die Augen leuchteten dem Mädchen, frei stand sie da, fein Heft in den Händen; ihren Schumann fannte sie. Der Klavierspieler begann die weiche Begleitung, leise setzte sie ein. Ihre Stimme war leicht gedeckt, wie von einem Hauch, zu dieser Musik paßte sie aber. Verträumt, mit wehmüthiger Junig keit tamen ihr die Töne von den Lippen; mit einem entrückten Ausdruck in den Augen schien sie in eine Ferne zu blicken. Sie sah nicht die weißgestrichenen Wände des Musiksaals, nicht das breite Fenster, durch das jetzt ein Strahl bleicher Wintersonne auf ihre Stirn fiel. Die Hände lose ineinander gelegt, beränderte sie ihre Stellung nicht während des Ge­fangs, nur bei besonders tief empfundenen Stellen preßte sie die Finger fester ineinander und ein hohes Roth stieg ihr in die Wangen.

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" Gut, sehr gut!" Der Professor klappte leicht die Hände zusammen. Sie haben Ausdrucksvermögen, wie man zu sagen pflegt; Sie singen passionirt ja, ja, Schumann haben Sie weg! Ihr Herz und Ihre Stimme verstehen sich da sehr gut. Haha!" Haha!" Der berühmte Mann sammelte bewundernde Blicke ein für diese feine Bemerkung, dann klopfte er sich auf den Magen: Der da wird rebellisch. Ein gutes Mittagessen ist nicht zu verachten, auch ein Genuß, ebenso wie Beethoven's" Neunte" und Schumann's Dichterliebe". Schluß, meine Damen! Und Sie, Fräulein Krotoschinska, Vorsicht, Vorsicht! Denken Sie an Ihr fostbares Material!"

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Der Begleiter flappte den Fliigel zu und recte sich, er war ganz steif geworden von aller Kunst. Räuspern, Füßescharren, dann plötzlich, wie los­bechend, allgemeines Geschwat.

( Fortsetzung solgt.)

Von Curt Grottewitz  .

s hat ziemlich lange gedauert, ehe der Mensch zu der Einsicht kam, daß er nicht das Zen­trum der Welt sei. Das geistige Streben seit dem Mittelalter besteht zum guten Theil darin, diese Einsicht zu gewinnen. Als Copernifus die Ent­deckung machte, daß die Erde nicht der Mittelpunkt des Bestehenden, sondern ein Stern neben anderen sei, ein Planet, der sich um die Sonne bewege, da war der erste Anfang geschehen, dem Menschen seinen Standpunkt" flar zu machen. Aber nur allmälig vermochte die Wissenschaft die Stellung des Menschen in der Natur ohne Voreingenommenheit, ohne Ueber hebung zu ergründen, und erst Darwin's Lehre be­seitigte ein für allemal jegliche Sonderrechte, die der Mensch der Natur gegenüber beanspruchte. Der Der Mensch hat dieselben Beziehungen zur Erde wie alle anderen Lebewesen, seine Entstehung, seine Abstam­mung ist die der Thiere. Die darwinistische Lehre hat auf einmal volles Licht geworfen auf die winzige Bedeutung des Menschen im Weltall  .

Und doch! die thatsächliche Gewalt, die der Mensch auf der Erde ausübt, ist durch jene Lehren nicht kleiner geworden. Mögen wir thierischer Natur sein und von Thieren abstammen, unsere Ueberlegen­heit über jedes andere Lebewesen ist eine so ungeheure, ja, unser Einfluß auf die gesammte Natur ein so unermeßlicher, daß der Mensch als ein ganz gewich­unermeßlicher, daß der Mensch als ein ganz gewich tiger Faktor in der Entwickelung der Thierwelt, der Pflanzenwelt, ja der Bodengestaltung und verschie­dener erdphysikalischer Verhältnisse betrachtet werden muß.

Man denke sich einmal in jene Zeit zurück, wo der Mensch noch selbst ein Thier war, ein affen­artiges Wesen, das auf Bäumen lebte und sich von Früchten nährte. Damals hatte er keinen anderen Einfluß auf seine Umgebung wie jedes andere Säuge­thier. Er griff keineswegs nennenswerth verändernd in die Natur ein. Er nahm die Nahrung, die ihm zuwuchs, und bequemte sich im Uebrigen den Ver­hältnissen an, wie er sie vorfand. Möglich, daß er sich schon damals gegen die Mehrzahl seiner Feinde mit gutem Erfolge zu vertheidigen wußte, aber es ist fraglich, ob er sich an irgend ein Thier aggressiv heranwagte und so auf die Verbreitung oder Eristenz desselben einen merklichen Einfluß ausübte. Eine Stufe höher stieg die Macht des Menschen, als er, vielleicht infolge seiner Körperschwere und der Kürze vielleicht infolge seiner Körperschwere und der Kürze seiner Vordergliedmaßen das Baumleben aufgab und auf den Füßen zu laufen begann. Nun konnten sich seine Hände, von der groben Arbeit des Gehens befreit, ausbilden, und mit dieser Ausbildung hielt wahrscheinlich die Entwickelung des Gehirns gleichen Schritt. Was das Gehirn ersann, das brachte die Schritt. Was das Gehirn ersann, das brachte die immer geschickter werdende Hand zur Ausführung. Vor Allem lernte der Mensch Waffen gebrauchen. Vor Allem lernte der Mensch Waffen gebrauchen. Der Anfang zu dieser Fähigkeit ist zwar auch bei Affen vorhanden, aber der Mensch brachte es dahin, dieselben mit besonderer Kunstfertigkeit herzustellen und systematisch gegen die Thiere anzuwenden. Er wurde Jäger. Wirkte er infolgedessen bedeutend mehr als früher auf den Bestand mancher Thiere ein, so ist es doch fraglich, ob sein Einfluß ein größerer gewesen ist, als etwa der des Löwen  , Tigers oder Lämmergeiers. Als Jäger treffen wir den Menschen noch in der älteren Steinzeit. Aus Funden aus jener Zeit wissen wir, daß er sich an ziemlich große Thiere wagte, an das wollhaarige Nashorn, das Mammuth, den Bären, daß er aber außerdem eine ganze Menge anderer damals lebender und auch solcher Thiere erbeutete, solcher Thiere erbeutete, die noch jetzt eristiren. Allein es giebt, wie bereits erwähnt, auch jezt noch Thiere, deren Jagdbeute ebenso mannigfaltig ist. Und dann hat der damalige Mensch wohl keins der von ihm verfolgten Thiere ausgerottet. Dazu waren seine Waffen zu schlecht, seine Verbreitung zu gering.

War der Einfluß des Menschen auf die Natur zur älteren Steinzeit also nicht größer als der mancher Thiere, so wuchs er in der jüngeren Steinzeit ganz bedeutend. Der Mensch wurde jetzt Thierziichter und Ackerbauer. Jetzt verfolgte er nicht mehr allein wilde

ihm irgend welchen Vortheil gewährten. Das heißt aber naturwissenschaftlich, er trug ganz bedeutend zur Verbreitung, Vermehrung und zur Veränderung ver­schiedener Thiere bei. Wie und in welcher Reihen­folge sich der Mensch die Hausthiere erwarb, ist jetzt nicht mehr sicher festzustellen. Jedenfalls besaß er schon damals die wichtigsten von ihnen: das Rind, das Pferd, den Hund, das Schwein, das Schaf. Mehrere kommen aber erst in historischer Zeit hinzu, so wurde die Kaze, die freilich schon von den alten Egyptern als heilig verehrt wurde, erst während der Kreuzziige in Europa   eingeführt, und damit erst wurde ihre Verbreitung eine allgemeine. Denn von hier führten sie dann die Spanier auch in Amerika  ein, und später wurde sie auch nach Australien   ge­bracht. Aber auch in diesem Jahrhundert sind bisher wildlebende Thiere vom Menschen in Zucht und Pflege genommen worden. Die Strauße in Süd­ afrika   werden erst seit Anfang unseres Jahrhunderts dort gezüchtet, und noch später nahmen sich auch die Amerikaner in Kalifornien   des großen, kostbare Federn liefernden Vogels an. Obwohl nun die Straußen­zucht nur eine lokale Bedeutung hat, so trägt sie doch gerade ungeheuer dazu bei, den ansehnlichsten und merkwürdigsten aller Vögel, der sicher in Kürze dem Aussterben verfallen würde, zu erhalten, ja ihn zu verbreiten und in Tausenden von Exemplaren zu vermehren. Es giebt natürlich außerdem noch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Hausthieren, die nur lokal gehalten werden, oder die nur bei uns selten find, wie z. B. der Esel. Aber unzweifelhaft ist die Verbreitung des Esels eine riesige; in allen etwas wärmeren Ländern hält, d. h. mißhandelt man dieses ungemein nüßliche, ganz mit Unrecht als dumm ver­schrieene Hausthier. Ziemlich verbreitet ist auch das Renuthier, mit dessen Hülfe der Mensch auch in hochnordische Länder vorzudringen vermag. Aber selbst bei diesem Thiere ist die Grenze der Ver­breitung noch keineswegs erreicht. Vor einiger Zeit wurde der Versuch gemacht, das Rennthier in Alaska  einzubürgern, nachdem dessen ursprüngliche Bevölke rung durch die fast vollständige Ausrottung des Wal­fisches, des Walrosses und anderer Seethiere in große Noth gerathen war. Die Noth war allerdings zum Theil auch dadurch entstanden, daß man gegen das in Alaska   einheimische wilde Rennthier, das man freilich nicht zu zähmen verstand, einen schonungs­losen Vernichtungskampf geführt hatte. Nun wurden aus Sibirien   fultivirte Rennthiere in Begleitung ihrer lappländischen Pfleger nach Alaska   gebracht. Sie haben sich hier gut vermehrt, aber nach einer Schäßung dürfte das Land neun Millionen Rennthiere ernähren fönnen. Wenn diese Zahl nun auch in absehbarer Zeit wohl nicht erreicht werden wird, so sieht man doch gerade an diesem Beispiele, welche Macht der Mensch auf die Verbreitung von Thieren eventuell haben kann. Als lokal verbreitete Hausthiere seien hier nur noch das Lama in Südamerika   erwähnt, und der Agami, ein Vogel, welcher von den In­dianern im Flußgebiete des Amazonenstromes ge= halten wird und ihnen als Wächter und Aufseher, ähnlich wie der Hund, dient.

Gegenüber dem ungeheueren Reichthum der Natur an verschiedenen Thierarten sind allerdings die Haus­thiere in verhältnißmäßig nur wenigen Spezies ver­treten. Aber darin zeigt sich ja gerade der ungeheuere Einfluß des Menschen, daß er diese wenigen Arten über alle anderen Thiere emporhebt, sie der Natur gewissermaßen aufdrängt, feine Miihe scheut, sie in ungezählten Millionen zu hegen und zu verbreiten. Und in manchen Distriften und nicht nur in den Großstädten könnte man fast zu der Meinung kommen, daß es wilde Thiere garnicht mehr giebt, daß alle nur von der Gnade und im Dienste des Menschen leben.

Wenn der Mensch eine beeinträchtigende Wirkung auf die Mannigfaltigkeit der Natur ausübt, so liegt doch dafür eine gewisse Entschädigung darin, daß er von jeder Art eine Menge von Sorten, Rassen und Varietäten gezüchtet hat. Was sonst nur die Natur besorgte, die Körperfonstitution eines Wesens z11 ver­ändern, das hat mm in vielen Fällen der Mensch übernommen. Er ist damit Schöpfer neuer Thier­