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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

Die Sitte des Hauses war, daß Herr Jessen daheim bei seiner Mutter; wenn er zurückkam, Fräulein Thorsen mit Frau Knudsen, und dann sollte schließlich Törres sein Essen auf der Küchen­bant bekommen.

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Törres, welcher jede Pause zum Lernen benutzte, fragte, während Herr Jessen   fort war, Fräulein Thorsen nach einer Menge von Dingen aus, und fie nahm sich freundlich seiner an. Wand. h. fie und Herr Jessen   war nämlich bald darüber einig geworden, daß der neue Bauernbursche nicht zu dem obersten Fenster zwischen die Spigen und feinen Damenartikel hinein paßte. Er taugte gerade dazu, Kaffee und Zucker an dem unteren Ende des Ladens abzuwägen, wo es halbdunkel und ärmlich war. Darum wies sie ihn auch mit Vorliebe hier unten zurecht.

Törres machte keine Einivendungen; er war zu benommen und zu fröhlich. Und wenn auch seine Art, sich liebenswürdig zu machen, einer feinen Städterin gegenüber, allzu grob war, so hatte er doch von Hause aus so guten Schick mit den Weibern  , daß Fräulein Thorsen etwas Pifantes in seiner Nähe fühlte, während sie ihn in den Fächern und Schub­laden zurechtwies, ihm die Preise erklärte und ihn messen und wägen lehrte.

Das Verhältniß zwischen ihr und Herrn Jessen  war so, daß sie ihn im Stillen anbetete, während er sie seinerseits mit der äußersten Ueberlegenheit behandelte. Sie sah ja sehr wohl, wovon auch die ganze Stadt sprach, wie leicht es kommen könnte, daß der junge Herr Jessen als Geschäftsführer sich mit der Wittwe verheirathete, und sie litt im Stillen, hoffte aber beständig. Ein Lächeln, ein kleines Liebeszeichen im Vorbeigehen oder auch nur ein Blick belebten ihre Hoffnungen für lange Zeit, und sie schnürte sich und putte ihre niedliche Person nach seinem Geschmacke, so weit sie ihm nur auf die Spur fonimen fonnte.

Steine Dame in der Stadt hatte eine Taille wie sie, daiber waren alle ihre Freundinnen einig. Wenn auch flein an Figur und Gliedmaßen, hatte sie doch Brust und Schultern schön gerundet und dazu einen schlanken und jugendlichen Rücken, daß Törres so­fort glaubte, das müßte die Dame gewesen sein, welche er am Bahnhofe getroffen. Fräulein Thorsen's Gesicht hatte die blasse Ladenfarbe, war aber regel­mäßig schön mit kleingelocktem hellem Stirnhaar und weichen, schwärmerischen Augen wie ein Deldruckbild.

Törres war noch nicht viele Stunden mit ihr zusammen gewesen, als er eine große Lust empfand, nach diesem feinen, zerbrechlichen Spielzeug zu greifen.

A

( Fortsetzung folgt.)

Vor fünfzig Jahren!

Von Wilhelm Liebknecht  .

I.

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Is wir voriges Jahr schrieben: Vor fünfzig Jahren", da schrieben wir die Geschichte der des schönen, nur ach Märzrevolution so gar furzen Völkerfrühlings" im tollen Jahr". Wenn wir heute schreiben:" Vor fünfzig Jahren", so schreiben wir die Geschichte der Reaktion, welche der Märzrevolution" folgte und dem Völkerfrühling" nach kurzem Rausch der poli­tischen Lenzeslust ein grausames Ende bereitete und weit, weit länger gedauert hat als der Völkerfrühling.

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Man hat das Jahr 1848 das Jahr der Revo­lution genannt, und das Jahr 1849 das Jahr der Reaktion. Das entspricht nicht den That fachen und ist eine unverdiente Schmeichelei für das Jahr 1848 und eine ebenso unverdiente Verleumdung des Jahres 1849. Revolution und Reaktion lassen fich zeitlich nicht scharf voneinander trennen, wie benn auch überhaupt in der Reaktion Revolution ſteckt und in der Revolution Reaktion. Die Reaktion hat schon mitten im Jahr der Revolution" be­gonnen und die fräftigste Straftentfaltung der Revo­lution war mitten im Jahre der Reaktion.

Für Deutschland   waren im Jahre 1848, als bie Pariser Februar- Revolution den Anstoß gab

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zu einer allgemeinen Erhebung des Volkes, die Ele­mente einer wirklichen Revolution nicht vorhanden. Das deutsche   Bürgerthum, das infolge unserer durch die Entdeckung von Amerika   und die Refor­mationsfriege verkrippelten wirthschaftlichen und politischen Entwickelung in der Zeit, wo bürgerliche politischen Entwickelung in der Zeit, wo bürgerliche Revolutionen möglich waren, nicht zu einer Revolution Revolutionen möglich waren, nicht zu einer Revolution fähig gewesen war, hatte auch 1848 nicht die nöthige fähig gewesen war, hatte auch 1848 nicht die nöthige Kraft. Noch nicht und nicht mehr. Das ist das Tragische in der Geschichte Deutschlands  . Wäh­rend andere Kulturvölker, voran die Engländer und Franzosen  , den mittelalterlichen Plunder mit eisernem Besen wegfegten und eine Gasse" für die neue wirthschaftliche und politische Entwickelung schufen, war das arme Deutschland   in dem alten Plunder, Moder und Schmuz stecken geblieben und alles Volksleben und alle Freiheit verloren gegangen, so daß, als sich endlich die Gelegenheit bot, das Joch einer schmachvollen Vergangenheit abzuschütteln, das deutsche   Volk nicht das Zeug hatte, die Gelegenheit auszunuzen.

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Heute zwar lügen die Herren Reaktionäre die Nachfolger und Stammes wie Geistesverwandten sich der Standrechtler von 1848 und 1849 selber und uns vor, im März 1848 habe das Volk garnichts gethan, und alle sogenannten Märzerrungen schaften" seien freiwillige und gnädige Geschenke der Fürsten   und Regierungen allein ein Blick auf die Thatsachen genügt, die Bodenlosigkeit dieser Lüge dem schlichtesten Verstand klar zu machen.

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Kurz vor der Februar- Revolution, als die Schweiz  sich den von Louis Philipp, Metternich und dem preußischen Hofe unterstützten Sonderbund vom Hals geschafft, waren die preußische, österreichische Hals geschafft, waren die preußische, österreichische und französische   Regierung entschlossen, die Eid­genossenschaft an diesem ersprießlichen und noth­wendigen Werk mit Waffengewalt zu hindern. Nur der nachdrucksvolle Einspruch Englands, das zu Anfang der zwanziger Jahre schon die heilige Allianz  ( die damals gerade wie jetzt mit der Ver­fündigung des, ewigen Friedens" zu födern suchte), gesprengt und vernichtet hatte, verhinderte im Jahre 1847 eine Intervention der drei Mächte im Jahre 1847 eine Intervention der drei Mächte im Stil der Beruhigungsfeldziige gegen die spanischen  und italienischen Volkserhebungen. Die Karlsbader und italienischen Voltserhebungen. Die Karlsbader Beschlüsse   waren noch in Kraft beim Ausbruch der Februar- Revolution, und sie waren noch in der Februar- Revolution, und sie waren noch in Kraft bei dem Ausbruch der Märzrevolution. Der Bundestag war noch die einzige Vertretung dessen, Bundestag war noch die einzige Vertretung dessen, was Deutscher Bund   hieß die Polizei war all­mächtig, das deutsche   Volk zählte nicht; es hatte feinen eigenen Willen, war dem Willen der hohen Obrigkeit" unterthan" und wurde gezüchtigt, wenn es nicht blind gehorchte. Das war das väterliche Regiment", welches das Volk als ein unmündiges Kind betrachtete, das ohne die väterliche Regierung der Fürsten   und ihrer Minister verloren war. Und die Stiiße und zugleich die ausübende Macht der Regierung war die Polizei.

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Mit Ausnahme einiger der kleineren Bundes­staaten gab es in Deutschland   keine Volksvertretung. Sie war zwar im Jahre 1815 allen Bundesstaaten versprochen worden, allein die meisten der deutschen  Fürsten  , voran die von Preußen und Desterreich, hatten nicht versprochen, ihr Versprechen zu halten, und so war das Versprechen nicht gehalten worden. Der König von Preußen, Friedrich Wilhelm   der Vierte, hatte den vereinigten Landtag" in die Welt gesetzt, hatte den vereinigten Landtag" in die Welt gesezt, der einer Volksvertretung ungefähr so ähnlich war, wie preußischer Junkerfusel perlendem Rheinwein, wie preußischer Junkerfusel perlendem Rheinwein, und das denkwürdige Wort war damals gefallen: Ich will nicht, daß ein Blatt Papier   zwischen mir und meinem Volke stehe." Das Blatt Papier" war eine Verfassung. Und der gottbegnadete" nur Gott  . König war Niemandem verantwortlich

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Da kam die Februar- Revolution und die März revolution. Die Metternich'sche Herrlichkeit brach zusammen. In Berlin   glaubte die Reaktion, auf das Heer bauend, der Volksbewegung, die wie ein Sturm über das Land brauste, Halt gebieten zu fönnen. Die Reaktion"- richtiger: einige Männer der Reaktion, wenige, denn die Masse hatte den Stopf vollständig verloren und die Mehrzahl ergab sich stumpf, gebeugten Hauptes dem Unvermeidlichen.

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So war in den ersten Märztagen des tollen Jahres" tollste Anarchie in den Regierungsfreisen- kläg­liches Hin und Herschwanken bald feiges Nach geben bald doppelzüngiges Verweigern kein Plan, fein Muth der Ueberzeugung. Da haben die Royalisten in England und Frankreich   sich ganz anders gezeigt. Für das reaktionäre Preußen war die März revolution auch in diesem Sinne ein zweites Jena  . Das höhere Ehrgefühl" hat sich hier wie dort glänzend bewährt. Es muß dies scharf betont werden, weil die Geschichtsfälschung, die in feinem anderen Lande so unverschämt und so methodisch geübt wird wie in Deutschland  , das Märchen erfunden hat, die preußischen Junker hätten sich 1848 wie die Helden benommen: sie seien nur durch die Unentschlossenheit des Königs am Handeln gehindert worden, und am 18. März sei nicht das Heer, sondern das Volk thatsächlich besiegt worden.

Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß der 18. März eigentlich ein falsches Datum ist. Der Kampf begann wohl gegen 5 Uhr desselbigen Tages; er dauerte jedoch bis zu dem anderen Morgen, und wenn wir 12 Uhr Nachts als Tages­grenze annehmen was ja sein soll, so fällt ungefähr ebenso viel des Kampfes und des Blut­vergießens auf den 19. März, wie auf den 18. Und jedenfalls war es der 19. März, der die Ent­scheidung und den Sieg brachte. Den Sieg des Volfes, einen so vollständigen Sieg, als nur je einer erfochten worden ist, was immer die geschlagenen Junker hintennach auch zusammenschwindeln. Den Sieg des Volkes und die Nache des Volkes, in der einzigen Todtenparade, die Freiligrath zu seinem herrlichen Gedicht: Die Todten an die Lebenden" begeistert hat.

Nie hat ein Volt vollständiger gesiegt. Nie hat ein Volk den Sieg so vollständig unbenußt gelassen. Es ließ den Feind in allen seinen Stellungen. Es dachte nicht daran, ihm seine Macht zu zerstören. Es dachte nicht daran, die eigene Macht zu orga= nisiren und zu festigen. Es genügte dem Volt, daß der Feind in sein Lager, in seine Festung Ver­trauensmänner" des Volkes hineinnahm, die soge­nannten Märzminister, die allesammt das Vertrauen des Volkes täuschten und fast ohne Ausnahme mit der Zeit selber zu Führern des Feindes gegen das Volt wurden, dem sie den Feind hatten zuführen sollen.

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Es war eine wunderbare und wunderliche Zeit. Die Zeit der Hoffnungen, des Wahnes und des Vertrauens der Vertrauensduselei.

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feine

Es ist ein altes Sprüchlein: Mißtrauen ist eine demokratische Tugend. Ich will nicht sagen, daß der Saz in dieser Form ganz wahr ist. Es giebt auch ein Mißtrauen, das ein demokratisches Laster ist. Aber das steht fest, ohne Mißtrauen in der Form scharfer Kritik ist keine Demokratie möglich revolutionäre Bewegung. Ein Volt, das all' seine Hoffnungen auf einzelne Personen setzt, diesen, unter Verzicht auf eigenes Denken und Handeln, seine Ge­schicke in die Hand giebt, ist sicher verloren. Und das geschah 1848. Es fehlte an selbstständigent Denken und Handeln. Und wie, wo, wann hätte das deutsche   Volk die Selbstständigkeit des Dentens und Handelns sich auch erwerben sollen? Ich habe es einmal mit Kaspar Hauser   verglichen, der, in zartester Jugend geraubt und in engem Raum ein­geferfert, nach vielen Jahren, an der Schwelle des Mannesalters, plößlich in die Welt hinausgestoßen ward ohne Menschenkenntniß, ohne die Fähigkeit, seine Glieder frei zu gebrauchen kaum des Gehens fundig. Ungefähr so erging es dem deutschen   Volk. Es war Jahrhunderte im Kerker gehalten und am Gebrauch seiner Glieder verhindert worden. Natürlich fonnte es nicht gehen, als die Februar- Revolution ihm die Thore des Kerkers öffnete. Der arme Kaspar Hauser   wurde nach wenigen Jahren, als das Geheimniß seiner Geburt sich zu lichten begann, ermordet. Der deutsche   Michel fonnte zum Glück nicht ermordet werden Völker haben ein zähes Leben allein sehr bald begannen die Versuche, ihn wieder in seinen Kerfer zurückzuführen.

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Ich sagte zu Anfang: im Jahre 1848 hatte das deutsche   Volt nicht mehr und noch nicht die Straft zu einer siegreichen Revolution. Nicht mehr