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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.
strom, durch zahlreiche Zuflüsse von beiden Seiten des Thales vergrößert, in elementarer Kraft hervor und hier hat er sich bisweilen ein mächtiges Thor mit Hunderte von Metern hohen steilen Gesteinswänden gegraben. In einem solchen Felsenthor. tritt z. B. die Bode aus dem Harz heraus. Der Fluß hat mit seinen schäumenden Wassermassen sich in langen Jahrtausenden die Thalöffnung ausgebohrt. Wir sehen ihn noch heute bei der Arbeit. Ungezählte Felsblöcke und Steine, an denen das Wasser sich bricht und an denen es in schäumender Wuth seine Zerstörungsarbeit verrichtet, bezeichnen seinen Lauf. Die hohen Fels vände zu beiden Seiten ragen so steil aus dem Wasser hervor, daß nur mit großer Schwierigkeit ein Weg in das Gestein gehauen werden könnte. Solch ein Engpaß aber am Fluß und unter Felswänden hin ist eine landschaftlich äußerst anziehende Szenerie. Er führt uns aber zugleich die Hauptkräfte vor, die in dem ganzen Gebirge wirksam sind. Hier in den steilen Wänden, die nur ganz spärlich von Pflanzenwuchs verhüllt sind, tritt das Gesteinsmaterial zu Tage, aus dem das Gebirge aufgebaut ist. Und in dem Wasser des Flusses ist die andere Kraft enthalten, die zerstörende, die tiefe Rinnen, Thäler und Schluchten in das urspringlich wenig gegliederte Gebirge hineinreißt, die die Berge abschleift und die geraubten Erdmassen hinabfiihrt in die Ebene.
Wir wandern den Fluß aufwärts. Wir schreiten an dem tosenden, Schaum werfenden Wasser dahin, das über die mit grünem Moos überzogenen Felsblöcke springt. Am Ufer wuchert die Bestwurz mit ihren großen, breiten Blättern. Sie bildet einen rechten Gegensatz zu den dürren Pflänzchen, die zur anderen Seite des Weges an dem Gestein hängen. Der Felsen ist ein harter schlimmer Boden für die Gewächse. Und nur einige vermochten sich ihm anzupassen. Die Sonne brennt fürchterlich heiß auf das nackte Gestein und die sich bildende Verwitterungserde fällt, vom ersten Regen hinweggewaschen, hinab in die Tiefe, in den Fluß, der sie weiter trägt. Es sind dickblättrige, niedere graue Sedum- und Sarifraga- Arten, die in den winzigen Spalten des Felsens einen Standort fanden, auch schöne Nelfen mit schmalen Blättern, vor allem aber dürre unscheinbare, kaum sichtbare Flechten haften sich an das Gestein.
Das Flußthal erweitert sich allmälig. Wir treten in einen breiten Thalkessel ein, der von bewaldeten Höhen umschlossen wird. Denn nun hier im eigent lichen Gebirge ist der Wald durchaus vorherrschend. Zwar die Flußthäler bilden auch hier Wiesen, aber der Ackerbau tritt ganz zurück. Allerdings gedeihen hier in der Laubwaldzone des Gebirges noch Roggen, Hafer und Kartoffeln, aber ihr Anbau ist schwierig und in keinem Falle sehr lohnend. Nur in einzelnen heißen Alpenthälern wird edles Obst und Wein mit großen Erfolg gebaut, vor Allem in der Gegend von Meran . In unseren deutschen Gebirgen ist da gegen die unterste Zone die Region der Laubbäume. Majestätische Eichen und Buchen bilden hier den Laubwald, zu ihnen gesellen sich vereinzelt Linden, Bergahorn und Birken. Ein dichtes Rand- und Untergebisch von mannigfaltigen Sträuchern findet hier ein günstiges, von Menschenhand wenig ge störtes Gedeihen. Hier ist das schwarze Geisblatt heimisch, das die Ebene meidet, hier ist die Tollkirsche häufig und die hohen, schmalen Stauden des rothen Fingerhuts zieren im Sommer den lichten Hoch wald. Die Wiesen sind hier viel saftiger, sauberer, dunkler und sie nehmen an Frische und Schönheit zu, je höher wir steigen. Bereits treffen wir richtige Bergblumen hier an, aber noch mischen sie sich mit den Wesenpflanzen der Ebene. Erst auf der nächsten Höhenstufe wird die Vegetation wirklich fremdartig.
Wir folgen dem Fluß, an dessen Ufer sich Erlen und Weiden angesiedelt haben, weiter aufwärts. Wir machen die Windungen mit, die sein Lauf beschreibt, gehen aus einem Thalfessel in den anderen, um immer von Neuem ein schönes Bergpanorama zu bewundern. Doch schließlich sind wir in eine Zone gelangt, wo der Laubwald aufhört und das ernste Neich der Nadelbäume, der Fichte und Tanne beginnt. Wie im Norden auf das Gebiet der blattwechselnden Bäume eine Region der Nadel
hölzer folgt, so auch hier. Wir befinden uns dem nach jezt in einer Höhenlage, die der subarktischen Zone entspricht. Der Nadelwaldgürtel beginnt in den Alpen erst in einer Höhe von über 1300 Metern, in dem nördlichsten deutschen Mittelgebirge , dem Harz, sind schon bei 600 Meter Höhe kaum noch Laubbäume anzutreffen. Die Luft ist hier bedeutend frischer, die Feuchtigkeit noch stärker als in der Laubwaldzone. Auch im heißen Sommer herrscht hier angenehme Kühle. Der dunkle Fichtenwald ist wenig reich an Blumen und Kräutern. Nur wenn er sehr alt und infolgedessen lichter ist, bedecken der schattenliebende Sauerklee, die dunkeln saftigen Blätter der Hasenwurz, hier und da auch schöne Farnkräuter und Heidel- und Preißelbeergesträuch den Boden. Der junge Fichtenwald ist durchaus pflanzenleer, Bäumchen drängt sich an Bäumchen, und so eng stehen sie aneinander, so dicht zusammengedrängt ist ihr Geäst, daß selbst ihre unteren Zweige verdorren, ihr Geäst, daß selbst ihre unteren Zweige verdorren, sich mit silbernen Flechten überziehen und schließlich auf den ganz und gar mit braunen Nadeln bedeckten Boden fallen. Dadurch entsteht ein Dickicht, das völlig undurchdringlich ist und dem Wild guten Unterschlupf gewährt. Aber auch da, wo die Bäume beschlupf gewährt. Aber auch da, wo die Bäume bereits ziemlich hoch sind, ist der Boden ein glatter, brauner Nadelteppich, dem höchstens niederes Moos sparsam eingewoben ist. Nur die Wege, die durch den Fichtenwald führen, geben ihm Gelegenheit, die Ränder mit einer abwechslungsreicheren Vegetation zu schmücken. Himbeergesträuch, vereinzelte kleine Ebereschen und ein dichter Rasen von Gras, Weidenröschen, Glockenblumen, Habichtskraut, Wegerich, Erdbeeren, Kreuzkraut, zum Theil in charakteristischen Arten bewohnen den Waldrand und die Böschungen des Weges, soweit dieser nicht in das Gestein ein geschnitten ist. Hier in der Fichtenzone liegen jene Bergdörfer, die mit den sauber gestrichenen Holzwänden und den Schindeldächern ihrer Häuser, mit dem Glockengeläute ihrer stattlichen Kühe, mit der malerischen Tracht ihrer Bewohner inlöslich mit dem Gebirge verbunden sind. Noch treffen wir hier im Dorfe oder in seiner Nähe ein vereinzeltes Haferfeld, einige Kartoffeläcker und ein paar wie zum Schmuck angepflanzte Laubbäume, den Bergahorn, die Esche, die Eberesche. Einen größeren Naum nehmen dagegen in der Nähe der Dörfer die Wiesen ein, wunderbar saftige dunkelgrüne Wiesen mit kurzem Gras und den leuchtenden Gebirgsblumen, Enzian, Schlangenwurz, Eisenhut und vielen Anderen.
Der Fluß, an dessen Seite wir in die Höhe gewandert sind, ist immer fleiner geworden, aber er hat an Wildheit zugenommen. Von den Berg lehnen fließen ihm zu beiden Seiten muntere Bäche, zuweilen auch nur im Moose sickernde Wasserrinnen zu. Wir sind nun so hoch bereits gestiegen, daß wir einen großen Theil des Thales, das wir durchwir einen großen Theil des Thales, das wir durch wandert, weite Szenerien der Vorberge und der Ebene überblicken können. Ebene überblicken können. Wir sehen hinweg über dunkle, grüne Waldungen, über blaue Hügel und hinab in das Tiefland, über dem eine heiße flimmernde Luft liegt und das sich in der Ferne in ungewisses Dämmern verliert.
Im Höhersteigen sehen wir eine seltsame Veränderung mit dem Nadelwalde vorgehen. Die Fichten werden niedriger, stämmiger, sie fangen an, am Flechtenbehang zu leiden, und ihre Reihen sind nicht mehr so dicht. Die Heidel- und PreißelbeerDie Heidel- und Preißelbeer sträucher wuchern üppig in dem lichten, niederen Walde. An erponirten Stellen umfangen uns zähe, fühle Windstöße, und wir sehen, wie diese die Bäume zausen und riitteln, als wollten sie sie zu Boden werfen. Und nun gewahren wir eine neue Veränderung an den Fichten. Da stehen sie nun, wie nach einer heißen Schlacht, ihre Spizen sind geknickt, so daß sie genöthigt waren, mehrere Hochtriebe zu machen und strauchig zu wachsen. Ihr Stamm ist unverhältnißmäßig dick bei dieser niederen Höhe. Und wie sieht dieser Stamm aus! Er hat ganz iene stolze, pyramidenförmige Regelmäßigkeit verloren, die den Wuchs dieses schönen Baumes auszeichnet. Die Aeste sind zerzaust, gebogen, an der Windseite sind sie wie wegrafirt. Und je höher wir steigen, um so gräßlicher sind die Verunstaltungen. Da steht ein Baum, am Fuße so dick wie ein alter
Pflaumenbaum und doch kaum zwei Meter hoch, er hat nur zwei Aeste nach der dem Winde entgegengesetzten Seite, und diese Aeste haben kaum Zweige, sie sind mit Flechten dicht überwuchert und einige Schritte von ihm stehen andere Bäume ebenso traurig, ebenso elend wie ihr Kamerad. Nirgends tritt der Kampf der Pflanzen mit einem widrigen Klima so ausdrucksvoll, ja so ergreifend hervor, wie in diesem Ningen der Fichten an der Baumgrenze. Man sieht es an diesen jammervollen Baumgestalten so handgreiflich vor sich, welchen Todeskampf sie mit dem mörderischen Winde in dem rauhen, nassen Klima, das die schmarozenden Flechten begünstigt, zu bes stehen haben.
Die Fichten werden immer zwergiger, und sie stehen immer vereinzelter. stehen immer vereinzelter. Wir treten in die Zone der Alpensträucher ein. Etwa bei 1000 Meter Meereshöhe liegt die Baumgrenze im Harz , im Riesengebirge bei 1400 Metern.
An der Baum
grenze befinden wir uns in einem Klima, das etwa dem des 70. Breitengrades entspricht. Es ist das Klima Lapplands und der sibirischen Tundren, ein Gebiet, in dem die warme Jahreszeit nur wenige Monate, ja nur wenige Wochen währt. Aber auch am heißesten Tage ist es in dieser Höhe kaum so warm, daß der Wanderer lange Zeit ruhig stehen oder fizzen könnte, ohne zu frieren. Fast immer geht hier oben ein sehr heftiger, scharfer Wind. Und vor ihm giebt es keinen Schuß, denn die Landschaft ist ganz fahl geworden. Sie hat ihr Ausfehen total verändert. Anstatt des dunkeln, stolzen Waldes umgiebt uns jetzt eine verdrossen grüne, niedere, herbstlich anmuthende Steppen- oder Moors vegetation. Der Fluß, an dessen Ufern wir empor geschritten waren, und der schließlich in der Nähe seiner Quelle zu einem ganz kleinen Bach geworden war, hat sich an der Baumgrenze ganz verloren. Denn hier in der Region der Alpensträucher befinden sich häufig ausgedehnte Moore, die das Sammelbecken der ganzen in den oberen Bergregionen so reichen Feuchtigkeit darstellen. Hier gedeihen die Pflanzen, die auch in den Hochmooren der norddeutschen Ebene vorkommen, die Torfmoose, die Rauschbeere mit bläulichen Blättern, die Torfbeere neben eigenthümlichen Wollbinsen und Seggen, die für das Gebirge charakteristisch sind. Doch außer den Moorgebieten treffen wir hier auch Strauch partieen an. Vor Allem ist es die Zwergkiefer, das sogenannte Knieholz oder die Bergföhre, die hier oft große Bestände bildet. Mit seinen sehr geschmeidigen Aesten kriecht dieser Baum am Boden hin und bildet im Verein mit seinen Nachbarn ein zwar faum manns hohes oder auch ganz niederes, jedenfalls aber sehr dichtes Gestriipp, das außerordentlich schwer zu durchdringen ist. Auch strauchartige Weiden, Birken und Erlen bewohnen diese subalpine" Region, und ihnen gesellt sich manch anmuthige Blume zu, eigenartige Anemonen, Primeln, Gentianen, sehr wollige Habichtsfränter und andere mehr. Während so die Pflanzenwelt immerhin in noch ziemlich zahlreichen Arten vertreten ist, hat die Thierwelt hier oben nur sehr wenige Vertreter. Man kann auf dem Kamm des Niesengebirges tagelang wandern, ohne einem Schmetterling zu begegnen oder den Laut eines Vogels zu hören. Allerdings giebt es einige wenige Thiere hier oben, so die Wasserspitzlerche, den Alpenflurvogel, die Alpenspizmaus, aber sie sind doch selten anzu treffen und bilden darum in dem Landschaftsbilde der oberen Bergregion fein wesentliches Element.
Je mehr das rauhe Klima die Entfaltung des pflanzlichen und thierischen Lebens in Schrauten hält, um so großartiger wird der Ueberblick, den wir von unserem Berge aus genießen. Denn mun hindern keine hohen Bäume mehr die Aussicht. Nun sehen wir erst deutlich den Umriß des Berges, auf den wir gest egen sind, und nun können wir auch von unserem Standpunkt aus in die weite Bergwelt blicken, die sich uns erst jetzt erschlossen hat. Die deutschen Gebirge( mit Ausnahme der Alpen ) ragen ja nicht höher als in diese Zone der Alpensträucher hinein. Viele erreichen sie nicht einmal. Der Harz über schreitet nur im Brockengebiete die Baumgrenze, auch Schwarzwald und bayrischer Wald haben ihre subalpinen Höhen, aber nur das Niesengebirge besitzt
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