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Die Neue Welt. Illustrirte Unterhaltungsbeilage.

gleichen werden wir den Unterschied der Gesichter und sonstigen Formen gewahr. Zahlreiche Reisende berichten die nämliche Erfahrung, daß die Verschie­denheiten der Individuen bei fremden Völkern außer ordentlich mannigfaltig sind und doch erst allmälig dem europäischen   Beschauer zum Bewußtsein kommen, weil anfangs das Allen Gemeinschaftliche, sie von den Europäern Unterscheidende nachhaltig und haupt­sächlich wirkt und die Verschiedenheiten der Einzelnen in den Hintergrund drängt.

In das Gebiet des Fabelhaften steigt allerdings der Viehzüchterscharfsinn, den Hejdrik im schwedischen Räthsellied an den Tag legt. Ihn fragt Gester: Ihn fragt Gester: Wie war das Wunder: Ich draußen gewahrte, Mit zehn der Zungen,

Mit zwanzig Augen, Mit vierzig Füßen, Schritt langsam einher.

Hejdrit: Wenn du bist Gester, Wie ich vermuthet,

So bist du weiser noch

Als ich dich glaubte.

Und eine Saut ist's,

Von der du redest;

Du sahst sie draußen, Im Hofe dort.

Und die Sache stimmt! Hejdrik läßt sofort das Schwein schlachten, das mit neun Ferfeln trächtig ging; das hatte also richtig 20 Augen und 40 Füße und schritt langsam einher.

Frage und Antwort nach Facheinzelheiten, nach üblichen Bräuchen, Kunstausdrücken usw. des Hand­werks, bestimmte Griffe und Hantirungen dienen in den Handwerksgrüßen und Handwerksbräuchen als Erkennungszeichen, als Ausweis, daß Einer zur Zunft. gehört", von der Kunst, vom Bau" ist. Diese Dinge, welche heutzutage als abgethan und überlebt betrachtet werden, hatten einst ihren hohen Werth, ihren guten von allen ,, Kunden" wohlgekannten und gewürdigten Sinn, genau wie die umständlichen Zeremonien der altdeutschen Volksrechte, die man auch von wissenschaftlich erhabenem römischrechtlichen Standpunkte einfach für Narrentheidiger, aben­teuerlich Schimpfpossen, gar irrationabiles und der Vernunft zuwider" erklärt hat.

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In den Handwerksgrüßen ist das Erkennungs­zeichen, gewissermaßen das Losungswort, der Zu­gehörigkeitsnachweis des Eingeweihten zum Bunde zu sehen. Mochte der walzende deutsche Geselle in Naugard   oder Madrid   oder Köln   vorsprechen: Zunft brauch, Zunftspruch und Zunftzeremonie wiesen ihn als Bruder und Genossen aus.

Das greift aber noch in höhere Gebiete.

Wir sahen schon neulich, daß Räthselfragen und Wizproben dazu dienten, über die wichtigsten Dinge frommgläubiger Zeiten, über Religionsangelegenheiten dem Fragenden Kunde davon zu geben, weß Geistes Kind der vor ihm stehende Gefragte sei. So wird förmlich der ganze altgermanisch- heidnische Katechismus abgefragt im Wafthrudnirlied, ähnlich im Alwißliede, in welchem der Gott Thor den Zwerg Alwiß fragt, wie verschiedene Dinge heißen in der Sprache der Menschen, der Asen( Himmelsgötter) der Unter­irdischen, der Riesen, der Alfen( Lichtgötter) und der Wanen( Wassergottheiten).

Das war in mittelalterlich- christlicher Zeit nicht anders. Theologisch, das ist geistlich gelehrt, sind die Räthsel in dem merkwürdigen Lehrgedicht vom Wartburgkriege, in dessen zweitem Theile der Zauberer­Sänger Klingsor aus Ungarland und Wolfram von Eschenbach   sich einander mit theologisch- mystischen Näthselfragen gegenseitig erproben.

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Den nämlichen Zug finden wir in den Sch, len der handwerklichen Meistersinger in den Städte des späteren Mittelalters wieder. Auch bei ihnen wurde der neue Ankömmling oder Bewerber um die Weister­schaft auf seinen Scharfsinn, seine Fachkunde, sowie auf kirchliche Rechtgläubigkeit und Beschlag.uheit in der Lehre gepriift. Er muß mehrere schwere Fragen, Räthsel rathen, errathen, lösen, deuten; man sagte auch wohl, er soll den Haft, Knoten, Strang, Strick, Bund lösen, aufschließen oder aufbinden", und so seinen Befähigungsnachweis" führen.

Auch die fahrenden Sänger, die das Bindeglied

zwischen ritterlichem Minnesang und stadtbürgerlichem Meistersang gebildet zu haben scheinen, hatten sicher diesen Brauch. diesen Brauch. Die prüfende Behörde aber ist bei diesen meist Einer aus der Gesellschaft, oder ein erfahrener Sänger ant Ort, der mit dem Fremden die Konkurrenz aufnimmt und das Feld zu be= haupten sucht.

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Wenn Einer eine Reiſe thut,

Dann kann er was erzählen." Und fonimt so ein fremder Fahrender daher, sei er min ein Pilger, der vom heiligen Grabe kommt, oder sei er nur Unterhaltungssänger, Spruchsprecher, Freiheit oder Freiheiter oder ganz gewöhnlicher Gaukler: er hat doch Welt gesehen, wie schon jener Tragemund des erzählenden Gedichtes von Orendel, von dem es heißt:

Da fam ein armer wallender Mann,

Der wollt zu dem heiligen Grabe gahn, Er war genannt Tragemund,

Jhin waren 72 Königreich' fund.

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Der Name Tragemund ist stehend geworden; die Einen bringen die Bezeichnung mit dem or en talischen Wort Dragoman Dolmetscher, llebersezer zusammen, die Anderen( wie Grimm) mit Trag.bodo, Traboto, was so viel wie Bote, Pilger, Gast be­deuten soll.

In dem von Uhland in seiner Volksliedersammlung gebotenen Tragemundlied wird der Ankömmling begrüßt und gefragt:

Nu sage mir, Meister Tragemund, Zweiundsiebzig Länder sind dir fund, Welcher Baum trägt ohne Blüthe? Welcher Vogel fängt seine Jungen?... Was ist weißer als Schnee?

Was ist schneller als das Neh?... Was ist höher als der Berg?

und manches Andere. Die Antworten auf oben ausgehobene Fragen lauten der Reihe nach:

Der Wachholder( der zwar nicht ohne Blüthe trägt, aber dessen Blüthe ganz unscheinbar ist). Die Fledermaus.

Die Sonne.

Der Wind.

Der Baum( nämlich der, welcher auf der Spize des Berges steht).

Sind die Räthselfragen glücklich gelöst, so lohnt den fremden Sänger Beifall, Ehrenauszeichnung durch den Kranz von Blumen und Bändern, mehr oder minder werthvolle Gabe vom kühlen Willkommtrunk bis zu reichem Geldgeschenk.

Aber auch ohne zünftigen Sänger übte mittel­alterliches Volk in deutschen Dörfern und Städten Räthsellied und Räthselspiel bei den Abendtänzen" auf Gassen, Plägen und Brücken, wo um den Kranz" gesungen und gerathen wurde.

So schildert Sebastian Frank   in seinem ,, Weltbuch" 1542 den Brauch des Johannistages in Franfen: Die Maid( Mädchen) machen auf diesen Tag Rosen­häfen also: si lassen inen( si)) machen Häfen( Töpfe) voller Löcher, die Löcher fleiben( fleben) si mit Rosen­blettern zu, und stecken ein Licht darein, wie in ein Latern, henken nachmals diesen in der Höhe zum Laden heraus. Da singt man alsdann umb ein' Kranz Meisterlieder; sunst auch oftmals im Jahr Kranz Meisterlieder; sunst auch oftmals im Jahr zu Sommerszeit, so die Maid am Abend in ein Ninj herumsingen, kummen die Gesellen in Ring und singen umb ein Kranz, gemeinlich von Nägelin( Nelken) gemacht, reimweis vor: welcher das Best thut, der hat den Kranz."

Die Berliner   Schürzenkonfektion.

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Von Otto Breitmann.

In den Fenstern des Zimmers sißen sie ein­ander paarweise gegenüber. Manchmal nur ein Paar der Mädchen an einem Fenster, oft aber auch zwei. Vorn die Aelteren, weiter zurück oft aber auch zwei. Vorn die Aelteren, weiter zuriick im Zimmer die Jüngeren. Das eine Mädchen hat

* Diese waren damals noch nicht, wie seinerzeit der sächsische Kriegsminister von Fabrice in der sächsischen Kammer von der Dresdener Augustusbrücke sagte: in erster Linie Militärstraßen", sondern gehörten dem Volf, wie heute noch in freien Ländern.

gerade eine lange Reihe weißer Battiststreifen in der Hand, und läßt sie unter der Nadel fortgleiten, so daß sie jenseits der Nähmaschine einen duftigen Hiigel bilden. Ein anderes Mädchen schiebt ein großes Stück gemustertes Zeug, in dem kleine Wellenlinien nebeneinander laufen, über die rasselnde Maschine. Es ist eben dabei, die Fonds, die großen Mittel­stücke der Schürzen zu säumen. Und da es aus dem neben ihm stehenden Korbe immer wieder einen Fonds nimmt und ihn an den soeben gesäumten, noch halb auf der Maschine liegenden, halb herunter­hängenden Fonds schiebt, ohne den Faden durch­zureißen, so bildet sich vor ihr und um sie eine ganze Wolke des zarten Stoffes, den die Schürzenfabrikanten Zephyr nennen. Ein drittes Mädchen sekt zwischen Stücke großblumigem Organdy zarte Spizenstreifen. Ein Vertes benäht marineblauen Satin- Augusta mit schrägstreifigen, lebhaft gefärbten Blenden. Andere umnähen die fertigen Fonds mit faltig geschobenen Stickereien oder mit Volants, die mit Soutache und blumigen Besatstreifen versehen sind. Alle haben sie Körbe neben sich, aus denen die zugeschnittenen Stoffe, die Soutachestücken, die Blenden, Spizen und Stickereien quellen. Alle sind sie halb verhüllt von den duftigen Geweben. Ihre Ecke ist ein wunder­bares, zartes Durcheinander von sanften, lichten Farben, gehoben von einigen Flecken greller Töne.

Und Alle schieben sie mit unbeschreiblicher Eile ein Stück nach dem anderen unter die Nadel, die von dem durch die Fußbewegungen in Gang gehal tenen Triebwerk der Maschine so rasch auf und niedergezogen wird, daß sie nur wie Geflimmer zu sehen ist. Gilt es doch, gleich volle Dußende der Gehänge, der Tändel- oder Kinderschürzen fertig zu ſtellen.

Weiter hinten im Zimmer steht der Nähstuben­befizer vor einer großen Platte, auf der die ganzen Stücke Stoff liegen. Er schneidet die Schürzen zu, auch immer gleich dugendweise. Nicht weit von ihm sist seine Frau. Sie fräuselt Stickerei auf einer kleinen Maschine, deren von glühenden Bolzen erhitte Walzen kleine Nillen zeigen, die sich in die angefeuchtete Stickerei drücken.

So etwa sieht eine der zahlreichen Berliner   Näh­stuben aus, in denen die feineren Schürzen gefertigt werden, mit denen sich Sonntags oder in freien Stunden die Hausfrauen schmücken.

Der genaue Lauf der Herstellung einer Schiirze ist der folgende: Eine der zahlreichen Berliner   Engros­Schürzen- Firmen, die besonders in der Nähe des Neuen Marktes und auch beim Dönhoffplatz wohnen, giebt ihren Arbeitern, d. h. den mehrere Mädchen und Frauen beschäftigenden Nähstubenbesißern, Proben von den neu eingekauften Stoffen und Geweben mit, aus denen diese die Muster zusammen zu stellen haben. Im Oktober und März ist diese Musterzeit. Außer­dem wird aber noch mehrmals in der Zwischen­zeit nachgemustert. Die Stoffe kommen meist aus dem Vogtlande, ebenso die Stickereien. Die feineren, 31 Blenden und Besatstreifen verwendeten Satins, die oft einen sanften Seidenglanz und warme Weich­heit haben, werden dagegen aus Frankreich   und dem Elsaß   bezogen. Viele Webereien haben ihre eigenen Lager in Berlin  , doch giebt es auch viele Geschäfte, die nur mit den außerhalb aufgekauften oder be­stellten Stoffen handeln.

Von den Nähstubenbesizern werden beim Ab­liefern der Muster gleich die Preise angegeben, die sie für das Herstellen pro Dugend der Schürzen verlangen. Nur wenige der Händler bewilligen so­fort die geforderten Preise. Meist drücken sie die Preise herab mit der Bemerkung, daß ein anderer Arbeiter dieselbe Schürze für das halbe Geld liefere. Es kommt aber auch recht häufig vor, daß die Ar­beiter selbst einander unterbieten, um ja recht große Posten bestellt zu bekommen. Da erhält dann der, welcher die Muster geliefert, sich beim Zusammen­stellen und Ausdenken neuer Zusammenstellungen ge­quält hat, oft nur wenige Dußend bestellt, während ein Anderer, dem der Geschäftsmann das andere Muster zur Kalfulation vorgelegt und der es billiger berechnet, die Hauptlieferung bekommt.

Auf diese Weise hat man es erreicht, daß jezt das Duzend Tändelschürzen schon für 30 und 35