Die Neue Welt. gllustriertes Unterhaltungsblatt.

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Kuppeln und Türme.

Bon allen architektonischen Formelemen ten spielen die Kuppel und der Turm in der Phantasie doch wohl die größte Rolle. Und das ist auch eigentlich fein Wunder. Sehen wir von ferne eine Stadt, so wird ste überragt von Türmen und Kuppeln. Oft genug wird eine Stadt für Jahrhunderte in ihrem Aussehen bestimmt von einem Turm, von einer Kuppel. Man nennt dies bann wohl Wahrzeichen der Stadt. So ist Bisas schiefer Turm das Wahrzeichen Dieser Stadt geworden, die Domkuppel das ahrzeichen von Florenz  , um nur zwei Beispiele zu nennen.

Oft genug gehen Turm und Kuppel eine Berbindung ein. Ja, wir Nordeuropäer find geneigt, eine solche Verbindung für das Gegebene zu halten, meil wir von un feren neueren Kirchenbauten gewöhnt sind, Türme an den vier Eden und eine mehr ober minder reine Kuppel über der Kreu sung von Längsschiff und Querschiff, der fogenannten Bierung", zu sehen. Doch trifft diese Vorstellung nicht völlig zu. Es gibt reine Ruppelbauten und reine Turm­bauten. Betrachten wir also im Folgenden die beiden Formen einzeln, jede für sich.

Die Kuppel gehört zu den ältesten Bau­formen Sobald man nur wölben fonnte, baute man Kuppeln, ja sogar schon früher. Denn schon ehe man die wahre Technik des Bölbens, als deren schwierigste das Kuppel­mölben zu gelten hat, beherrschte, schuf man tuppelartige Formen, die freilich nicht wirk­fich gewölbt, fondern durch vorkragendes Aufeinanderschichten von immer enger wer­benden, doch stets horizontal ruhenden Steinschichten erzielt wurden. Als Beispiel mag das Schaghaus des Atreus gelten, das Schliemann   in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Mylene ausgrub; ein Bau ungefähr des XV. Jahrhunderts v. Chr. Die frühesten echten Wölbungen finden wir, wenn wir vom allerfernsten Orient abfehen, bei den Etruskern, von benen sie die Römer erlernten. Bald zeig ten die Römer in der Runst des Wölbens eine außerordentliche Sicherheit und Kühn­heit. Ein großartiger Ruppelbau der römi fchen Raiserzeit hat sich bis auf den heutigen Iag erhalten das Pantheon zu Som, ein Bau, der auf die späteren Jahrhunderte eine ungeheure Wirkung ausübte. Denn in ben Stürmen der Böltermanderung ging die Kunst des Bölbens verloren. Der erste

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Die Kuppel des Pantheons zu Rom  .

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große neue Ruppelbau war die Riesen­tuppel des Florentiner Domes. Der Flo­rentiner Architekt Brunelleschi   hatte den Auftrag, die Wölbung auszuführen. Um sich für die Arbeit es war um die Wende des XV und XVI. Jahrhunderts Dor­zubereiten, ging Brunelleschi   nach Rom   und studierte hier die Konstruktion des Pan­theons. Mit den Kenntnissen der Antike glückte ihm seine neue Ruppel ausgezeichnet. Im Interesse der Gerechtigkeit muß aber gefagt werden, daß Brunelleschi   das Pan­theon durchaus nicht einfach nachgeahmt hat Er hat für seine Suppel eine neue äußere Form angewendet. Während näm­lich die Kuppel des Pantheons sich ohne er fennbaren Uebergang aus den unteren Um­faffungsmauern des Rundbaues heraushebt, schob Brunelleschi   zwischen Unterbau und Ruppelwölbung einen Zylinder ein, die fo­genannte Trommel. Und während die

Die Kuppel der Kirde San Giorgio del Greci in Venedig  .

römische Kuppel sich in schlichter Kreisform schloß, setzte Brunellescht auf den Gipfel der Wölbung einen fleinen turmartigen Auf­bau, die sogenannte Laterne. Für alle spätere Zeit sind dann diese Neuerungen, Trommel und Laterne, üblich geworden, und in der modernen Zeit finden wir taum eine Ruppel, die sie nicht aufwiese. Als Beispiele feien genannt die Kuppel der Peterskirche zu Rom   von Michelangelo  , die allgemein als die schönste Kuppel der Welt gilt, und der Berliner Dom  . Nur eine meit verbreitete Ruppel macht von der üb. lichen Form eine Ausnahme: die ruffliche Zwiebelkuppel. 3war eine Trommel hat sie auch, aber feine Laterne. Vielmehr zieht die Kurve der Kuppel, statt sie zuletzt im Kreis zusammenzuführen, furz vor der Ber­einigung in die Höhe und verbindet sie erft nach einer Weile in einer Spize. Und auch darin unterscheidet sie sich von der euro­ päischen   Ruppelform, daß fie die Rundung der Kuppel über den Umfang der Trommel sich in die Luft vorquellend ausdehnen läßt. Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß bei der Schaffung dieser ruffischen Zwiebelfuppel orientalische Einflüsse, z. B. perfifche, mitgewirft haben. Doch läßt sich nicht übersehen. daß in der merkwürdigen Verbindung von Trommel, Bauchung und Spige eine fonst nicht übliche russische Er findung vorliegt

Der Mensch gewöhnt sich leicht daran, Kunstformen, die er täglich und stündlich ta immer gleicher Erscheinung vor Augen hat, für allein feligmachend zu halten und will dann schwer glauben, daß man die betreffen­den Formen auch ganz anders bilden un verwerten fönne. So ist es z. B. mit bag bei uns üblichen Zurmform. Sehen wir von Nuzbauten mie Leuchtturm oder Aug sichtsturm ab, fn fennen wir den Turm als einen fest eingebauten Bestandteil von iro chen. Schlössern. Rathäusern usw. Wie nus aber, wenn man uns Kirchen zeigt, die das Ineinanderverwachfenfein von Haus und Turm überhaupt nicht kennen? Solche Kir chen finden mir namentlich in Italien   unb in Rußland  . Es läßt sich sogar nachweisen, daß die frühesten chriftlichen Kirchen nie mals den Turm in ihren Körper einbauten. Der Turm stand frei neben der Kirche als ein felbständiger Bauteil. Und so blieb es