Die Neue Welt. Illustriertes Unterhaltungsblatt.

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und die Horde mitrissen. Besonders beliebt waren die Laute Ha- ah, Ha- ah, Ha- ah- ha!" und I- wah, J- wah, J- wah- ha!"

So war es auch an diesem Abend. Die Horde hüpfte, taumelte, benahm sich wie übergeschnappt, fang und tanzte im trüben Zwielicht, vergaß ihre Sorgen, übte sich in Einmütigkeit und steigerte sich in eine finn­liche Ueberreiztheit hinein. Ihre Wut gegen Rotauge" versiegte unter dem Einfluß die­fer Art künstlerischer Betätigung. Die Ver­zückten brüllten die Chöre der Hih- Hih­Bersammlung, bis das Dunkel sie an die Schrecken der Nacht mahnte. Dann frochen fie in ihre Höhlen und schieden mit leisen Burufen voneinander, während die Sterne aufleuchteten und die Nacht herabsant.

Nur die Dunkelheit bereitete ihnen Angst. Lon Religion hatten sie nicht die geringste 2hnung. Der Gedanke an eine unsichtbare Welt störte sie niemals. Nur die wirkliche Welt lag ror inen, nur wirkliche Dinge fonnten ihnen Furcht einflößen, nur wirk­liche Gefahren und wirkliche Raubtiere machten ihnen das Leben sauer. Und nur wegen dieser wirklichen Gefahren fürchteten fie die Nacht, in der die Raubtiere herrsch­ten. Unter dem Schuh des Dunfels tamen diese Bestien aus ihren Schlupflöchern und fprangen aus diesem Dunkel auf die hilf­lofen Menschen los, die unversehens, ohne ein schüßendes Quartier erreichen zu können, von der Nacht überrascht worden waren. ( Sortfegung folgt)

Bild der Nacht.

Laternenbunter Abend glimmt. Die Häuser hauchen milden Sein. Noch eine legte Welle schwimmt, einsamer Schwan, ins Land hinein. Cin schwarzer Nachen 18ft sich los vom fernften, flernbejaten Grund. Nadi lebnt ain Mastbaum, nadt und groß, und hebt die Finger an den Mund.

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Allt- Berlin  .

Karl Bröger  .

Bohl faum irgendeine zweite Groß­fladt Deutschlands   hat in so verhältnis. mäßig furzer Zeit ihr Gewand gewechselt, wie Berlin  . Die Lage des Fischerdorfes und der märkischen Landftast liegen ja natürlich weit zurück. Aber auch die wer­dende Großstadt vor einem halben Jahr­hundert ist mit dem Berlin   der Gegenwart in feiner Weise zu vergleichen. Immer breiter muchs das Häufermeer an der Spree  in den Gürtel der umgebenden Wecker und Wiesen hinein. Die Stadtmauer wurde ge­Sprengt. Nur die Plamen der Zore erinnern heute noch daran, wo die Mauer lief. Die Gräben wurden zugeschüttet. Die alten Häufer mußten Neubauten weichen. Ganze Straßenzüge erstanden. Und von jenen traulichen, verschwiegenen inteln, an benen die Stadt früher reich gewesen, ver= schwand einer nach dem anderen. Nur hier und da, so mitten im Herzen der Riefenstadt, hat sich noch ein altes, malerisches Haus halten können, läuft noch eine frumme Holpergaffe, ragen noch ein paar malerische Giebel. Ein alter Baum breitet da nodj fein mächtiges grünes Blätterdach, das viel­leicht schon vor einem Bierteljahrtausend den darunter Gihenden Kühlung und Schatten spendete. Aber viel ist davon nicht mehr übrig geblieben. Bon biefem Wenigen jedoch, das aufgesucht und gefunden sein will inmitten der grozen Steinmüste, geben unsere Bilder eine Vorstellung; als noch mehr berartiger Häuser standen, muß es sicherlich malerischer in Berlin   gewesen

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Teichsbrecht. Filling B.

O. Delling: Alt- Berlin, die Friedrichsgracht.

fein als heutzutage. Damals war das 2fphaltpfiafter noch etwas Unbekanntes. Spihige Ropffteine machten einen Gang über die Dämme für den nicht Dere In den breiten beschuhten zur Qual. Goffen, über die vor jedem Torweg Bohlen und Planten als Brüden dienten, bustete es nicht gerade nach Parfüm. Ratten trieben in dem dünnflüssigen Brei der Abwäffer ihr Unwesen. Cine Ranali­fation war etwas Unbekanntes. Und bennach standen und sagen die Berliner   vor ihren Hauseingängen, oder lehnten hembsärmelig zum Fenster hinaus, unbelästigt durch das Aroma der Straße: ihre Masen hatten noch nicht die weltstädtische Feinheit befømmen.

Allerlei Gräben durchzegen die Gassen der Stadt. Namentlich dort, wo sich heute noch sogenannte Kolonnaden" befinden, wie in der Leipziger Straße  , zwischen Dön­hoffplak und Spittelmarkt, in der Kronen­firage, in unmittelbarer Nähe des Haus­nogteiplages, oder in der Königstraße, am Alexanderplatz  ( ekt abgeriffen). 30g fich ssich ein Wasser. Schwarz und schmieris Starrte meist feine dunkle Flut. Ein paar Kinder ließen rohgeschnitte Borfentähne darauf treiben. Ihnen tai es michis, daß die Flüssigkeit, auf der sie spielten, in des

Wortes vollstem Sinne zum Himmel, stant". In der Burgstraße aber, an der Friedrichs­gracht, am Röllnischen Fischmarft und am Mühlendamm war das eigentliche Wasser­gesicht des ehemaligen Fischerborfes. Dort lagen die didbauchigen Spree  - und Havel­tähne, die im Spätsommer so herrliche Aepfel in ihrem Innern trugen. Und dort taufte auch die eigentliche Berliner   Haus­frau ein, die nach feine Markthallen und Seintostgeschäfte tannte.

Und nun erst gar die Märfte in 21t­Berlin. Meit- weit liegt das nun zurück. Aber mit schmunzelndem Behagen denke ich eft und gern an die bunte Mannigfaltig­felt des 2Bochenmarties auf dem Aleran­berplak zurück, oder an den Herbst- Zopf­markt am Landsberger Tor, oder an den Schuhmarkt in der Großen Frankfurter Straße, oder gar an den Weihnachtsmarkt, der sich vom Rathaus bis zur Werberschen Kirche, vom Mühlendamm bis zum Luft­garten ausdehntel Wieviel Freude fonnte man damals für einen Silbergreichen ein tauschen! Und fam man auch mal mit fer­nen Berliner   Sungens- Ruppigkeiten an die falsche Adresse, man nahm's nicht meiter tragisch. Spaß muß sein sagte der Ber­ liner   auch schon damals!

O. Delling: Alt- Berlin, die Parochialstraße.

Dellings

Panchiali. 27-37.

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