Ev.- luth. Kirchenzeitung" die Ausdrucksweise der Offiziösen auf das kirchliche Gebiet übertragen, indem es anläßlich des Streit­falles des Predigers Werner das Recht jeder freisinnigen Rich: tung in der Kirche bekämpft und jene mit der Kommune auf eine Stufe stellt. Unbedenklich sagt sie sind die tirchlichen Kommunards noch gefährlicher als die politischen, da diese nur den materiellen, jene aber den ge­sammten geistigen Besißstand in Frage stellen."

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Damit aber aller guter Dinge drei sind, kommt auch noch die Handelskammer von Aachen   und Burtscheid   und schreibt( in ihrem Jahresbericht) dem freihändlerischen Liberalismus Folgendes ins Stammbuch: Die Phrase nennt das Zerstörungswerk des absoluten Freihandels die Entfesselung des Verkehrs, aber man müßte es wohl anders bezeichnen. Es wäre ein großer Segen für das Land, wenn dieser wilde Konkurrenzkampf aufhören könnte: denn wenn der Sozialismus höchst gefährlich ist, so hat doch einstweilen der abstrakte Freihandel mehr materiellen Schaben angerichtet, und was sehr be­dauerlich ist, auch talentvolle Persönlichkeiten ergriffen, deren be­währte Kräfte dem Staate von großem Nuzen sein können."

Wir enthalten uns hier jeder Kritik der angezogenen Angriffe auf den politischen, kirchlichen und ökonomischen Liberalismus. Wir wollen nur zeigen, wie schnell man aus dem Hammer Ambos werden kann und wie thöricht es daher ist, wenn man ben Kampf beider aus einem natürlichen, regelmäßigen und loyalen in einen wüthenden Vernichtungskampf umgestalten hilft.

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Haussuchungen in größerem und kleinerem Maßstab nach dem Sozialdemokrat" und sonstigen verbotenen Schriften haben wieder stattgefunden in Chemnitz  , Burgstädt  , Ottensen  , Hamburg  , München  , Schwabach  , Har burg, Ulm  , Reutlingen  , Schwäbisch Hall  , Königs­ berg  , Eisenach  , Magdeburg  , Wilhelmshaven  , Cop­perhörn, Meß, Breslau  . Soweit wir erfahren konnten, ist der Erfolg der polizeilichen Bemühungen allenthalben gleich Null gewesen. Trotzdem wurden aber an einzelnen Orten vorüber­gehende Verhaftungen vorgenommen. Nur in Wilhelmshaven  soll ein Arbeiter der kaiserlichen Werft bei Verbreitung des " Sozialdemokrat" ertappt worden und auf Anzeige der Po­lizei sofort aus der Arbeit entlassen worden sein. Am un­verschämtesten und ungesetzlichsten, und sogar die Berliner  Polizei übertreffend, geht bei den Haussuchungen das Polizei­präsidium Breslau   vor. Nachdem die einigen 50 in letter Zeit unter Aufbietung aller Kräfte unternommenen Durchschnüffe lungen nichts als einige Broschüren und eine russische Revolutions: zeitung ergeben hatten, erschienen am 10. d. M. in der Schlesischen Volksbuchhandlung Zimmer u. Co. Polizeibeamte und präsentirter folgenden unglaublichen Ukas des Polizeipräsidenten: Da sich die Schlesische Volksbuchhandlung H. Zimmer u. Comp., resp. deren Inhaber H. Zimmer mit der Verbreitung verbotener resp. auf Grund des Gesetzes vom 21. Oktober 1878 zu verbietender Druckschriften beschäftigt, sollen zur näheren Ueberwach ung alltäglich und zu jeder Tageszeit Durchsu­chungen der genannten Geschäftsräume stattfinden"! Hierauf wurde zur Durchsuchung geschritten, welche jedoch nicht das geringste Resultat ergab.

Man stelle sich vor: alltäglich und zu jeder Tages: zeit" sollen Haussuchungen stattfinden! Ist das nicht mehr als russisch  ? Der Breslauer Polizeipräsident hat sich offenbar den obersten Chef" Loris- Melitoff zum Muster genommen. Natürlich ist die Maßregel im höchsten Grade ungeseßlich. Denn erstens stellt das Sozialistengesetz gar kein Durchsuchungsrecht, sondern lediglich ein Beschlagnahmerecht fest. Auf Grund der gemeinen Gefeßgebung aber sind nur für jeden Einzelfall besonders an geordnete Hausfuchungen zulässig; eine generelle Haussuchungs verfügung ist, da sie die elementarsten Bürgschaften der persön lichen Freiheit aufheben würde, absolut unzulässig. Aber auch eine einzelne Haussuchung kann nur von jenen Polizeibeamten befohlen und vorgenommen werden, welche als Hilfsbeamte der Staats­anwaltschaft" gelten, niemals aber vom Polizeipräsidenten. Was kümmert sich aber die Polizei, wenn es den Sozialisten gilt, um solche Lappalien wie Geseze? Wer weiß übrigens, ob das neue Breslauer Verfahren nicht eines schönen Tages noch allgemeines Sozialistenrecht wird. Nun, wir wüßten uns auch darauf einzu­richten und es würde das Maß dem Ueberlaufen bedeutend näher führen.

-In Berlin   wurde abermals ein Genosse ausgewiesen, der Weber Neßnaz. Es ist das der Hundertzweiund­dreißigste Ausgewiesene!

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Unsere Leser werden sich an einen, in Nr. 12 vom De­zember v. J. abgedruckten Brief des Gen. Hasenklever an einen Genossen G. H. in London   über die vielbesprochene Eid­frage" erinnern. Ende Januar oder Anfangs Februar übersandte uns nun Karl Hirsch denn dieser war der Empfänger jenes Briefes - aus London   eine berichtigende Erwiderung, welche indessen fehr wenig berichtigte", dagegen die längst entschiedene Eid­geschichte mit den drum und dran hängenden taktischen Fragen noch einmal breit trat und zum Ueberfluß auch noch eine Reihe von zum Theil ziemlich perfiden Ausfällen gegen mehrere be­fannte Genossen enthielt. Wir theilten das Hirsch'sche Elaborat den angegriffenen Genossen, u. A. Liebknecht und Hasenklever mit, welche gegen die Veröffentlichung nichts einzuwenden hatten, fie vielmehr befürworteten. Wenn also der Brief nichtsdestoweniger nicht veröffentlicht wurde, so trifft die Schuld nicht die Genannten, sondern allein uns, die wir den kostbaren Raum unseres Blattes nicht mit einem neuen unfruchtbaren Streit anfüllen wollten, der durch die dann natürlich unvermeidlich erfolgende Erwiderung der Angegriffenen große räumliche Dimensionen hätte annnehmen müssen. Wir erklärten deshalb Hirsch, daß wir seine langen Aus­führungen nicht aufnehmen könnten, dagegen einer thatsächlichen Berichtigung ihm angeblich ungerechtfertigter Vorwürfe selbstver­ständlich unsere Spalten öffneten. Hirsch antwortete hierauf, daß sein Brief entweder ohne Veränderung auch nur eines Wortes, oder gar nicht veröffentlicht werden dürfe. Damit war die Sache schnell entschieden und wir stellten dem gebieterisch auftretenden Verfasser seine Arbeit wieder zur Verfügung.

Hamburg  , 11. März. Um bei unseren Genossen nicht den Glau­ben aufkommen zu laffen, als ob wir hier im Rosenbeete säßen und uns weder um Polizei noch Obrigkeit zu fümmern hätten, wollen wir

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im Nachstehenden doch Einiges über die Thaten unserer Polizei ſeit Erlaß des Oktobergesezes berichten. Da hier um in der Sprache unserer Gegner zu reden ein Hauptheerd der Sozialdemokratie ist, so ließ sich voraussetzen, daß es unsere republikanischen"( sic!) Behörden nicht an dem nöthigen Eiser fehlen lassen werden. Die Voraussetzung traf auch zu. Sobald das Gesetz in Kraft getreten war, ging es an ein Verbieten, daß es eine wahre Freude war. Da blieb fein Verein­chen, kein Klub und keine auch noch so unschuldige Verbindung von der Auflösung verschont, sobald die Polizei nur irgendwie den Namen eines Sozialisten unter den Mitgliedern entdeckte. Auch an Haussuch ungen fehlte es nicht, und da unsere hiesigen Genossen es nicht gewohnt waren, sich auf den Besuch der Polizei vorzubereiten, so fiel derselben mancherlei Fahnen 2c. in die Hände, was sie eigentlich nicht hätte zu sehen brauchen. Auch an Verboten von periodischen und nicht periodischen Zeitschriften hat es nicht gefehlt; so wurde hier das un­schuldige Petroleum Lied von Jakob Audorf jun. verboten. Doch dieses letztere Verbot scheint die Polizei selbst genirt zu haben, denn bis heute hat sie es unseres Wissens unterlassen, dem Verleger dieses Verbot zu­zustellen. Es ist dies auch nur zu erklärlich, wenn man weiß, daß das Gedicht nichts weiter als ein von Humor und unschuldigem Witz spru­delndes Kneiplied ift.

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Im Uebrigen muß man es der hiesigen Polizei lassen, daß sie sich gegenüber der Polizei in dem benachbarten preußischen Altona   und anderen Orten verhältnismäßig anständig benimmt. Das ekelhafte Spionagesystem fennt man hier nicht und ebenso wenig erlauben sich die Beamten bei Haussuchungen 2c. Rohheiten, wie sie von anderwärts berichtet werden. Die Folge dieses bis zu einem gewissen Grade noblen Benehmens der Polizei ist nun aber eine ganz merkwürdige. Unsere Genossen wollen sich nämlich von der Polizei nicht übertrumpfen lassen und so meiden sie denn theilweise mit einer wahren Aengstlichkeit jede Parteithätigkeit, um- der verehrlichen Polizei keine Ver. legenheit zu bereiten! Man sollte es kaum für möglich halten, aber es ist thatsächlich so. Ein großer Theil unserer Genossen besteht nämlich steif und fest darauf, daß unsere Hamburger Polizei  " nicht so schlecht sei" und daß sie nur von Berlin   aus getrieben werde. Um aber den Berlinern nicht die Freude zu machen, der hiesigen Polizei einen Vorwurf machen zu können, plaidiren diese Genossen für mög wäre, möchten wir nicht gerade behaupten; aber eine Aenderung läßt lichstes Ruhigverhalten. Daß diese Thatsache eine besonders erfreuliche

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sich leider nicht so schnell als wünschenswerth herbeiführen.

Daß der bisherige Vertreter des II. Hamburger   Wahlkreises, der 3ünftler Bauer, sein Mandat niedergelegt und wir sonach eine Neu­wahl zu bestehen haben, ist Ihren Lesern bereits bekannt. Bauer, welcher seinerzeit als Kandidat der Ordnungspartei sich zum Freihandel be. kannte, ließ sich durch einen Händedruck von Bismarck   bestimmen, für die Schutzölle zu stimmen. Die Folge war, daß Bauer bei dem ganzen Ordnungsmischmasch, der ja hier ausschließlich freihändlerisch ist, in Miß­kredit kam und daß er schließlich bei den lezt stattgehabten Bürgerschafts. Wahlen, wo ihn seine Handwerksbrüder" als Kandidaten aufstellten ,. jämmerlich durchfiel. Wann die Wahl stattfindet, ist noch nicht be= taunt; schwerlich wird sie vor Mitte Mai angefeßt. Wer von unserer Seite als Kandidat aufgestellt wird, ist noch nicht entschieden, wahr. scheinlich wird es der frühere Kandidat des Kreises, G. W. Hart mann, sein. Ueber die Wahlaussichten läßt sich wenig fagen; möglich wäre es immerhin, daß wir siegen, allzugroß ist indeß die Hoffnung in unseren Kreisen nicht.

Ein Strike, der so recht die Brutalität unserer Kapitalistenklasse zeigt, ist mit Anfang dieser Woche in der Druckerei des Korrespondent" und der Börsenhalle" ausgebrochen. In dieser Druckerei sind Arbeiter be­reits seit 30 und 40 Jahren, einige sogar schon über 45 Jahre beschäf­tigt. Vor ein paar Wochen wurde nun ein neuer Leiter angestellt, welcher sein horrendes Gehalt, 7500 Mart, dadurch herauszuschlagen sucht, daß er dem gesammten Seßerpersonal einen Lohnabzug bis zu 15 Prozent zumuthete. Die Setzer, 57 an der Zahl, haben darauf sämmtliche die Arbeit niedergelegt und die beiden Blätter müssen nun durch Pfuscher fertig gestellt werden, welche der neugeworbene technische eiter aus allen Windrichtungen zusammen geholt hat. Dieses brutale Verfahren der Befizer der Druckerei wird dadurch besonders illustrirt, daß das Geschäft in diesem Jahre sein 150jähriges Jubiläum feiert. Daß der Strike seitens der Geschäftsleiter hauptsächlich nur deshalb pro vozirt wurde, um die alten Arbeiter los zu werden, ist hier ein öffentliches Geheimniß und beweist eben wieder einmal recht tref­fend, was es mit der Harmonie zwischen Kapital und Arbeit" auf sich hat. Die Harmonie existirt eben nur so lange, als die Arbeiter fich geduldig ausbeuten lassen und vor Allem, so lange fie auch noch die Kraft haben, um ausgebeutet werden zu können.

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In den letzten Tagen hatten wir hier und auf dem Landgebiet eine große Anzahl von Haussuchungen. Die Polizei suchte, auf Requisition der Altonaer   Staatsanwaltschaft, Exemplare des, Sozialdemokrat". Ge­funden wurde nichts.

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Sonst wäre nur noch zu melden, daß sich hier eine kleine Klique von Stänkern befindet, welche es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu ha. ben scheinen, den Frieden und die Einheit unter den Genossen zu stören. Leider befinden sich darunter auch ein paar Genossen, von denen man, in Folge, ihrer früheren Stellung in der Partei, Besseres erwarten sollte. Daß es übrigens feine prinzipielle Opposition ist, welche diese Herrn machen, geht wohl am besten daraus hervor, daß sie sich zu gleicher Zeit an die Most'sche Freiheit", an die Findel'sche Volfeztg." und an die hiesige Tribune"( ein Bordellblatt, das as fein anständiger Mensch in die Hand nimmt) wandten, um da ihre Stinkbomben los zu werden. Die Tribüne" hielt sich indeß für zu gut, um diesen Leu­ten die Spalten zu öffnen, Findel prostituirte sich dagegen; was Herr Most gethan, wissen wir nicht, da uns die letzten Nummern der Frei heit" noch nicht zu Gesicht gekommen sind. Hoffentlich zwingen uns die Herren nicht, uns noch öfter und in ernsterer Weise mit ihnen zu beschäftigen.

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Angeklagten freigesprochen wurden. In den Entscheidungsgründen ist von prinzipieller Wichtigkeit, namentlich für die Leser des ,, Sozialdemokrat", der Punkt, daß es nicht als Verbreitung im Sinne des Ge­sebes anzusehen sei, wenn man einem Freunde ein Exemplar einer verbotenen Zeitschrift zur Lektüre gibt, sondern daß erst das Eindringen des verbreiteten Objekts in größere Kreise resp. in die Oeffentlichkeit die Straf barkeit bedinge. Diese Definition stimmt auch mit einem Kommentar des Generalstaatsanwaltes Schwarze überein. Die Regierung dürfte einen solchen Ausgang kaum erwartet haben und von ihm wenig erbaut sein.

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Weimar  , 5. März. Wenn seit dem Bestehen unseres neuen Partei­organs bis jetzt kein Bericht über hiesige Parteiverhältnisse eingesandt wurde, so ist das kein Beweis, daß hier eine Stagnation in der Bewegung ein­getreten wäre; im Gegentheil, die Genossen sind sich bewußt, daß es bei der reaktionären Hochfluth mehr als je geboten ist, aktiv zu sein, ohne die gebührende Taktik außer Auge zu lassen. Denn auch auf unserem klassischen Boden gibt es wie überall im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte", wo sich alles so herrlich gestaltet", Briefdiebe, Bostspißel und ähn­liches Gelichter. Einige Nummern des Sozialdemokrat" sind den Häschern in die Hände gefallen und wurden dieserhalb zwei Genossen polizeilich ver­nommen, wobei es vorläufig sein Bewenden hatte. Am 3. d. Mts. kam ein Packet von Leipzig   an einen hiesigen Genossen zur Beförderung an einen hier ebenfalls wohnenden Geschäftsmann. Der schuftigen Neugierde gewiffer Beamten" war es zu verdanken, daß das sehr solid gepackte Packet an einer Ecke vollständig zerrissen war. In derselben Weise waren im borigen Sommer einem hiesigen Genossen mehrere Jahrgänge der Neuen Welt", welche gebunden, mit dem Namen des Besizers versehen und in je einem Exemplare vorhanden waren, weggenommen worden; alles Reklamiren auf Herausgabe des Eigenthums blieben erfolglos.- Merger als durch solche Machinationen kann das Eigenthum nie in Frage gestellt werden; würden es andere als Sozialdemokraten sein, welche so schamlos enteignet werden, der deutsche   Spießbürger würde noch um eine Gäusehaut bereichert, aber so ist er ,, ruhig und friedlich", eingedent seiner pietätsvollen Tradition, die ihn dazu verpflichtet, die von Gott  " eingesezte ,, Ordnung" zu respektiren. Ueber den Nothstand in Thüringen   haben Sie bereits referirt. Die Betroffenen, deren 3ahl eine enorme iſt, theilen ihr trauriges Loos in allen seinen Konsequenzen mit den armen Oberschlefiern. Oberschlesier  ? Als wenn nur diese Distrikte Deutschlands   von Hungersnoth betroffen wären. Sachsen  , Berlin   2c. 2c. liefern ebenfalls ihre Kontingente als mahnendes Beugniß, wie nothwendig es ist, bald mit den fluchenswerthen Einrichtungen aufzuräumen. Hungersnoth, Arbeitslosigkeit, Steuererhöhung, mehr Militär ( natürlich mehr für den innern als äußeren Feind"), Knebelung jeder freien Regung im Volke wie lange wird das Volk der Denker und Dichter diesem Treiben ruhig zu sehen? Aber freilich ist das Maß der Sünden noch nicht voll; der Deutsche   ist nirgends größer, als in Lang­müthigkeit, und deshalb kann die herrschende Klasse Deutschlands   mehr sündigen als in verschiedenen anderen Länderen, ohne daß die Masse des Boltes sein kräftiges Halt ertönen läßt. Glücklicherweise mehren sich die Sünden der Männer" für ,, Ordnung und Recht" in Deutschland   von Tag zu Tag, weshalb ihre Existenz nur noch von kurzer Dauer sein dürfte und ihre Tage gezählt find. Die Reaktion muß immer weiter schreiten auf ihrer verhängnißvollen Bahn, bis sie auch dem uns noch fernstehenden Theil des Volkes unerträglich wird und dieser, seine passive Rolle aufgebend, zu uns kommt und mit uns gemeinschaftlich den Schmaroßern der Menschheit ihr Treiben endigt. Wenn diese Tattit befolgt wird, kann unser Sieg nicht fern fein. Deshalb wurde auch der Rechenschaftsbericht unserer Ab­geordneten von den hiesigen Genossen freudig begrüßt; die darin enthaltenen Gründe für diese Taktik sind korrekt und werden auch nach und nach von jenen als richtig erkannt werden, welche noch theilweise schmollend im Winkel ſtehen.

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A propos, wegen der Diebesbande bei der deutschen Post: die Diebe find hungrig; spielen Sie daher diesen Leutchen etwas ,, Nahrhaftes", z. B. trichi­nöses Fleisch, verdorbenen Käse c. c. in die Hände; denn von oben bekommen die Diebe für ihren Diebstahl anscheinend wenig. Von hiesigen Genossen, desgleichen von denen in Legefeld  , Gelmeroda, Oberringen, Berka   2c. brüder­liche Grüße. whit Vergißmeinnicht.

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Aus Süddeutschland  , 5. März. Nach den Beitungsberichten soll Genosse Bebel in der Debatte über die Militärvorlage im Eingange seiner Rede eine Erklärung abgegeben haben, die etwa folgendermaßen lautete: ,, Wenn das deutsche Gebiet von einem auswärtigen Feinde ange­tastet oder angegriffen wird, wird auch die deutsche Sozialdemokratie bei der Vertheidigung mitwirken." Diese Erklärung, wenn sie so ohne jede weitere Bedingung abgegeben worden wäre, könnte nur als subjektive Mei­nung unseres Parteigenossen betrachtet werden; in Parteikreisen ist man Es kann ja mißgestimmt über diesen Theil der Bebel'schen Rede.*) dahingestellt bleiben, ob es parlamentarisch erforderlich war, die Betheili­gung oder Nichtbetheiligung der Partei an einem Vertheidigungskriege zur Sprache zu bringen; zu einer rückhaltlosen Aeußerung über gewisse Punkte ist ja die Reichstag   stribüne nicht gerade der zweckmäßigste Ort. Wenn aber das Thema berührt werden mußte, so hätte unser Vertreter es in einer anderen Tonart thun mögen. Er hatte etwa sagen können:

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Wenn Sie ein starkes Land, wenn Sie in demselben opferwillige Bürger haben wollen, dann streben Sie vor Allem dahin, die Lage der nothleidenden Klassen zu einer menschenwürdigen zu machen, dann heben Sie jene Gefeße auf, welche die Nation in zwei Heerlager scheiden: in Unterdrücker und Unterdrückte. Nur freie, glückliche Bürger haben den wahren Muth, ihr Gut und Blut für die Vertheidigung ihres Landes einzusetzen, wenn die Noth ruft. Sklaven und Unterdrückte haben kein Vaterland, fie haben nur eine Geburtsstätte und es fann ihnen sehr gleichgültig sein, wer in der­selben schaltet und die Peitsche schwingt. Sie haben für Millionen von Deutschen   einen Zustand der Aechtung und Rechtlofigkeit geschaffen; Ste haben den deutschen   Arbeiter faktisch durch Ihre Ausnahmegesetzgebung, durch Ihre Fixirung der Polizeiwillfür in eine Lage verseßt, die um wenig besser ist, als jene der christlichen Rajah   unter der Herrschaft der Osmanli. Diese Schwächung der innern Volkskraft kann nicht durch Vermehrung der Bataillone aufgewogen werden. Geben Sie dem Volke Freiheit, gewähren dann Sie ihm die Mittel, an der Verbesserung seiner Lage zu arbeiten wird ganz Deutschland   ebenso opferfreudig zur Vertheidigung der Grenzen sich erheben, wie die freien Männer Frankreichs   im Jahre 1793." Nur in solcher Weise hätte unser Abgeordneter an jener Stelle als das Echo der Partei gehört werden dürfen. Wie, wir, die Verfolgten und Ge­hezten, die Geächteten und Rechtlosen, wir sollten freiwillig mitwirken an einem Kampfe, der nur die längere Dauer unserer Ketten zur Folge hätte? Wie wurden die Opfer des Volkes in den Jahren 1813-1815 belohnt? Mit den Karlsbader Beschlüssen, mit der Bentraluntersuchungskommission, mit Kerker für jedes freie Wort. Und 1870 dasselbe Spiel. Und wir sollten so bodenlos thöricht sein, um sehenden Auges abermals in die Falle zu rennen? Wir sollten freien Willens das deutsche Reichszuchthaus und dessen Buchtmeister mit unserem Blute vertheidigen helfen? Wenn wir unsere Rücken der Knute darbieten müssen, fann es uns ein Unterschied sein, ob dieselbe von deutschen   oder nichtdeutschen Händen geschwungen wird? Wir sollten all die seit Jahren erduldeten Mißhandlungen mit einem Schlage wegwischen? Vergessen die Ausweisungen, die Verhaftungen ohne Recht und Urtheil, vergessen die Hungerpeitsche, vergessen die Konfistationen, ver­

dt München  , 12. März. Ein Beweis, daß unsere Sache immer mehr an Ausdehnung und Popularität gewinnt, ist, daß die Gesellschafts­retterin Polizei ärger denn je mit uns zu thun hat, freilich ohne dadurch irgend welche Erfolge zu erzielen. So hielten es die Spürhunde in den ersten Märztagen für nöthig, Tag und Nacht zu suchen, bei welcher Thätigkeit sich allerdings der Bibelspruch nicht bewährte: Suchet, so werdet Ihr finden". Die Kerle tamen bei dieser undankbaren Arbeit sogar bis weit über den Burgfrieden unserer Stadt, bis Bogenhausen  , in den eng­lischen Garten hinunter. Da sie nun aller Mühe ungeachtet keine Sozialisten erwischen können, so scheinen sie nach dem Sprüchwort: Wenn der Teufel feinen Braten hat, frißt er Fliegen ihren Grimm nun an gänzlich un­schuldigen Leuten auszulassen. Vor einigen Tagen wurde auf Grund einer Denunziation bei einem Lehrer in dem benachbarten Dorf Neuhausen eine Haussuchung gehalten, in welcher einige sozialistische Schriften gefunden worden sein sollen, welche der Mann aber( wenn es sich wirklich so ver­hält) nur zum Studium gehabt haben kann, da er uns vollkommen unbe fannt ist und wahrscheinlich eher zu unseren Gegnern gehört. Trotzdem wurde er von der Kreisregierung sofort seines Dienstes enthoben. Die jüngsten Reden unserer Abgeordneten Bebel und Vahlteich haben hier allgemein befriedigende Bustimmung hervorgerufen.geffen die Mundtodtmachung, vergessen allen blutigen Hohn und Spott der

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Dresden  , 10. März. Gestern ist endlich der seit langem spielende und im Juli v. Is. mit der Verhaftung mehrerer Genossen und Beschlag­nahme großer Mengen von Schriften, Briefe c. begonnene Sozialisten­prozeß beendigt worden. Auf die anfänglich gehegte Hoffnung, eine Haupt- und Staatsaktion daraus arrangiren zu können, hat die Regierung freilich schon längst verzichten und u. a. auch zwei Mitangeklagte schon vor vielen Wochen wegen völligen Mangels an Beweisen außer Anklage sezen müssen. Angeklagt waren die Genossen Kaufmann Schuster, Redakteur Regel und Expedient Schlüter wegen angeblicher Verbreitung verbotener Schriften. Schuster sollte an seinen Freund Kaufmann Goldstein eine Nummer der Freiheit" gegeben haben, Schlüter wurde des Verkaufs ver­schiedener auf Grund des Sozialistengesezes verbotener Schriften beschul­digt, der in der Expedition der jeßt verbotenen ,, Dresdner Presse" vor sich gegangen sein sollte, und betreffs Regel's wurde angegeben, er sei ver­- er als Re­dächtig, an diesem Verkauf Theil genommen zu haben, weil dakteur des genannten Blattes in dem neben der Expedition gelegenen Bimmer beschäftigt gewesen sei! Die Berhandlung, bei welcher ,, in Rücksicht auf die öffentliche Ordnung" die Oeffentlich. teit ausgeschlossen war, endigte mit einem großen Mißerfolg für die Regierung, indem sämmtliche drei, von Genosse Freytag I. vertheidigten

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Gewalthaber? Nimmermehr! Mögen jene das Land und die Staatsein­richtung vertheidigen, die sich im Genusse aller Privilegien befinden; uns, die Unterdrückten und Rechtlosen, spornt Nichts dazu an. Es ist undenkbar, daß der aus Dresden   ausgewiesene ,, Vagabond" Kayser und der in Elber­ feld   rechtlos eingekerkerte Hasselmann ihre Leiber zum Bollwerk her­geben sollen, um den wackeren Polizisten und Richtern Schutz vor dem Feinde zu bieten. Bismarcks Reichshund Nero mag ihm die Hand lecken, von welcher er die Prügel empfangen: die deutsche   Sozialdemokratie be­wahrt fich ihr Gedächtniß und wartet schweigend und aufmerksam ihre Zeit ab!

worüber

*) Wir halten es für voreilig, über etwas ,, mißgestimmt" zu sein, man gar nichts Genaueres weiß und was lediglich nach Berichten der gegnerischen Bresse geschehen sein soll. Wir sind keine Autoritätsanbeter, aber wir meinen denn doch, daß die Gesinnungstreue eines Bebel bis zur Entscheidung der Sache bei So­zialdemokraten mehr Kredit haben sollte, als die Behauptung eines beliebigen Bour­geoisblattes. Da wir indeffen nicht den Genfor spielen wollen und uns die Intention des Verfassers eine sympathische ist, geben wir der Einsendung nichts desto weniger Raum; enthalten uns auch um so mehr, als uns der stenographische Bericht der Rede nicht zur Hand ist jeder Bemerkung, da unser Genoffe Bebel zweifelsohne felbft die Antwort nicht schuldig bleiben wird. D. Red.

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