ser Presse des deutschen Reiches ist die Erfüllung dieser Aufgabe anheim­gestellt, sondern der Presse des Auslandes. Und weshalb? Jm deutschen Reiche darf man wohl schreiben: Diese oder jene Zeitung, dieses oder jenes Buch ist auf Grund des§ 11 des Reichsgesetzes vom 21. Oftober 1878 verboten worden", aber wehe dem, der es wagen würde, die mit Auszügen aus der betreffenden Denkschrift versehene Begründung des amtlichen Verbotes wortgetreu, ohne jede eigene kritisirende Bemerkung mitzutheilen. Seiner harrte sicher eine Anklage wegen Verstoßes gegen§ 19 des gedachten Gesetzes, welcher die Verbreitung, die Fortsetzung, oder den Wiederabdruck einer verbotenen bezw. vorläufig beschlagnahmten Druckschrift mit Geldstrafe bis zu eintausend Mart, oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bedacht; und das Gericht könnte selbstverständlich gar nicht anders, als ihn nach Befund der Schwere seines Vergehens zu strafen.

So ist denn dem unabhängigen deutschen   Journalisten, ganz nach rus­fischer Art, nicht einmal der Trost und die Genugthuung geblieben, den Mißbrauch, welcher seitens der Behörden mit den Konfiskations- und Verbots- Paragraphen des Sozialistengesetzes getrieben wird, auf Grund amtlicher Aktenstücke in der Presse des eigenen Landes zu kritisiren er muß sich damit will er nicht das gesammte schätzbare Material im Pulte liegen lassen, nach dem Ausland wenden.

Siebenzehn Monate lang habe ich alle mir erreichbaren Verbote auf Grund des Sozialistengesetzes betreffenden amtlichen Aktenstücke gesammelt; dieselben bilden schon einen ganz respektablen Stoß. Das Interessanteste darunter aber sind die von den Regierungen zu Cassel und Wiesbaden  erlassenen Verbote zweier von unserm Parteigenossen Karl Frohme   heraus­gegebenen Zeitschriften. Da ist zunächst eine Verfügung der Regierung von Wiesbaden   vom 30. Oftober 1878, betr. das Verbot der Nr. 1 und des ferneren Erscheinens der in Frankfurt   a. M. herausgegebenen Zeit­schrift Hoffnung. Ein Wochenblatt für das Volk".

Was enthielt nun die erste Nummer dieses Blattes, worauf stützte sich das Verbot desselben? Da war erstens ein Artikel Vor zweitausend Jahren", der, wie eine redaktionelle Bemerkung besagte, aus einem von fonservativer Seite stammenden und in der Augsburger Allgem. 3tg." veröffentlichten Aufsätze über den Sozialismus im alten Hellas entnommen war. Der Artikel gab folgende Lehre: Es ist eine lehrreiche Wahrneh mung, die wir in der Geschichte machen, daß siegreiche Kriege, welche eine Nation übermäßig bereichern und die früheren Grenzen des Wohl­standes bedeutend verrücken, derselben verderblich werden können. Die große Spekulation findet sich ein, welche ungeheure Vermögen schafft und den mittleren Besitz austilgt. Geldoligarchie und Pauperismus treten neben einander auf und während die Reichen ihren Lurus fortwährend steigern und darüber physisch und moralisch verfaulen, haben auch die Väter der nun verarmten Massen aus der besseren Zeit, die sie noch gesehen, ihren Nachkommen Arbeitsschen und Genußsucht vererbt." Die Redaktion machte hiezu die einfache Bemerkung: Die Geschichte ist die große Lehrmeisterin der Menschheit; ihre Lehren sich fest einzuprägen und nach ihnen gewissenhaft zu handeln, ist jedes ehrlich denkenden Menschen unabweisbare Pflicht. Wer die Gegenwart richtig verstehen und aus ihr auf die Zukunft schließen will, muß sich bemühen die Vergangen­heit kennen zu lernen. Diese Kenntniß zu vervollkommnen, wollen wir nach Kräften bestrebt sein; von welcher Seite immer schätzenswerthe Aufschlüsse über die Vergangenheit erfolgen: wir werden sie unsern Lesern zur Beurtheilung unterbreiten!"

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Ein weiterer Artikel Die Gräfin Grävenitz" war durchaus objektiv nach Vehse's bekannter Geschichte der deutschen   Höfe" bearbeitet. Er bildet den Anfang einer Schilderung des Verhältnisses des Herzogs Eberhard Ludwig von Württemberg   mit der berüchtigten, aus einer Mecklenburger Adelsfamilie stammenden Wilhelmine von Grävenitz  . Es wird da lediglich erzählt, daß der( man merke, denn das Hauptsächlichste bei allem ird'schen Ding ist Ort und Stunde", um mit Seni in Schiller's Piccolomini" zu reden) von 1693 bis 1733 regierende Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg   mit der Grävenit, trotzdem seine Gemahlin noch lebte, eine Liaison" einging und sie dann in aller Form heirathete also eine Bigamie beging; daß der Herzog aber schließ­lich durch die Vorstellungen des Kaisers und der Fürsten   bewogen wurde, seine Ehe mit der Grävenitz für nichtig zu erklären, worauf die Grävevitz mit 50,000 von den Landständen ihr bewilligten Gulden nach Genf   zog, wohin ihr dann der Herzog bald nachfolgte und dort zwei Jahre in Saus und Braus mit ihr lebte; daß er hann im Jahre 1710 nach Stuttgart   zurückgekehrt sei, sich mit seiner Gemahlin versöhnt und die Grävenitz   an den Grafen von Würben verheirathet habe; daß also, wie Vehse bemerkt, die Gräfin zwei angetraute Männer und der Herzog zwei angetraute Frauen gehabt habe. Lediglich diese anmuthige Fürsten­geschichte, diese geschichtlichen Thatsachen wurden in dem Artikel er­zählt, ohne daß irgend eine Nutzanwendung auf heutige Zustände gezogen

wurde.

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Der dritte Artikel" Tacitus  ", beschäftigt sich mit dem berüchtigten römischen Kaiser Domitian  . Er setzt sich zusammen aus zwölf Zeilen über des Tacitus   Person und Thätigkeit, sowie aus zwei Zitaten aus seiner Schrift über Leben und Charakter des Julius Agricola  ". Das erste dieser Zitate feiert in schwungvollen Worten das ,, wiedergefehrte Leben die glückselige Epoche unter dem Kaiser Nerva Trajan  , der Monarchie und Freiheit, zwei sonst unvereinbarliche Dinge", wie Tacitus   sagt, mit einander verschmolzen und die öffentliche Sicherheit zu festem Bestand gebracht habe. Das zweite Zitat schildert die der Regierungszeit Trajans  vorhergegangene Epoche; wie schrecklich diese Epoche auf dem Volke ge­laftet; wie zwei ausgezeichnete Männer, Arulenus Rusticus und Herennius Senecio vom Kaiser Domitian   deshalb getödtet wurden, weil sie in ihren Schriften die unter den Kaisern Vespasian   und Nero gemordeten Heloidius Priscus und Pätus Thraseo belobt hatten; wie Henkershand die Werke dieser Männer auf offenem Markte verbrannte; wie die Pro­fessoren der Philosophie verjagt und von der Polizei sogar der Austausch der Gedanken verboten wurde 2c. Eine einfache Erzählung geschicht­licher Thatsachen, wiedergegeben mit des Tacitus eigenen Worten nichts weiter! Unter Allerlei" war sodann eine Erzählung aus dem Leben des Herzogs von York  , welche als von Walter Scott   herrührend be­zeichnet war, gebracht, welche ich hier wörtlich wiedergebe: An der Tafel des Herzogs erhob sich einst zwischen einem jungen Offizier und einem Oberst ein Streit über die Frage, wie weit der militärische Ge­horsam gehen dürfe. Wenn der Oberbefehlshaber", sagte der junge Offizier, mir etwas befehlen würde, was gegen die bürgerlichen Rechte wäre, so würde ich kein Bedenken tragen, ihm zu gehorchen und würde mich selbst durch den Befehl eines Obern frei von aller Verantwortlichkeit halten." Das würde ich nicht", entgegnete der Oberst, ich würde lieber die Gefahr vorziehen, wegen Ungehorsams gegen meinen Chef erschossen, als wegen Nebertretung des Gesetzes ge­henft zu werden". ,, Und Sie haben Ihrer würdig geantwortet", fiel der, Herzog ein, dessen Aufmerksamkeit die Lebhaftigkeit des Streites er­regt hatte ,, und der Offizier, der anders handelte, würde Beides verdienen. Ich bin überzeugt, daß alle britischen Offiziere sich weigern würden, einen gesetzwidrigen Befehl zu vollziehen, wie ich über­zeugt bin, daß ein britischer Oberbefehlshaber unfähig ist, Jemandem einen solchen zu ertheilen." Das der Wortlaut der Erzählung.

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Und wie weiß die Wiesbadener   Regierung aus diesen Artikeln ein Verbot zu formuliren? Man höre: Der erste Artikel Vor zweitausend Fahren" sagt die Begründung" des Verbotes seitens der Regierung von Wiesbaden  - läßt die Absicht seiner Verwendbarkeit ( soll heißen Anwendbarkeit. oder richtiger Anwendung D. R  .) auf die gegenwärtigen Zustände und Verhältnisse nur zu deutlich durchblicken und sucht damit auf den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschafts­Ordnung in einer die Eintracht der Bevölkerungsklassen störenden Weiſe hinzuwirken. Daß es sich in dem zweiten Artikel Die Gräfin Grävenit" nicht um eine historische Studie, oder um eine Unterhaltungslektüre der Leser handelt, sondern daß vielmehr die monarchischen Institu tionen unseres Staates und des deutschen Reiches lediglich dadurch in Mißkredit gebracht werden sollen, ist nicht minder flar. Der Artikel Tacitus  " beabsichtigt, die gegenwärtigen öffentlichen Berhältnisse mit denjenigen unter den römischen Weisen Domitian   zu indentifiziren, welche schwer auf dem Volke gelastet. Die Erzählung unter der Rubrik ,, Allerlei", das Vorkommniß aus dem Leben des Herzogs von York   betreffend, ist geeignet, die militärische Disziplin zu untergraben, indem solche dazu auffordert, vor Ausführung der Be­fehle der Vorgesetzten zunächst diese Befehle der eigenen Kritik der Unter­gebenen zu unterziehen." Man vergleiche gefälligst die einzelnen Stellen dieser Begründung" mit der obigen Inhaltsangabe des betreffenden Artikels und staune!

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Sozialpolitische Rundschau.

Deutschland  .

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Aus dem Hannoverschen, 16. Aug. Wie liberal unsere Fabri­fanten gegen die Arbeiter handeln, davon kann ich Ihnen einige empörende Geschichten mittheilen. In Geesthacht   besitzt ein gewisser Meyer eine Glashütte. Der Mann ist sehr reich, natürlich nur von dem an seinen Arbeitern begangenen Diebstahl. Wie abgefeimt dieser Herr bei der Aus­beutung der Arbeiter verfährt, zeigt folgendes: Um möglichst billige Glasmacher zu haben, läßt er sich zwei aus Germersheim   kommen, beide mit starker Familie von 5 und 6 Kindern. Jetzt setzt er ihren Arbeits­lohn auf wöchentlich 7% Mark herab! Er selbst aber wohnt in Ems in einer, wie ich verbürgt weiß, fürstlichen Wohnung und geht dann noch einige Wochen nach Kiel  ; sein Sohn war einer der ärgsten Schlemmer Hamburgs  . Aber, denkt der Herr, was braucht die Kanaille mehr, sie wird sonst nur üppig: ja wohl üppig bis zum Verhungern! Außer dem erweist sich dieser edle Herr, wie viele seiner Klassengenossen, auch als dienstbares Werkzeug der Polizei gegen die Arbeiter, wie das jüngst unser Genosse Menke erfahren mußte. Wann wird das Maß dieser in­famen Ausbeuter voll sein? Nun einige Bemerkungen über den Stand unserer Partei in unseren Distrikten an der Elbe  . Es ist sehr schwer, bei den Leuten Eingang zu finden, denn falls sie ihr Bestes auch einsehen, so hat der von den Bauern, Gensdarmen und Pfaffen geübte Einfluß und Terrorismus doch so viel gewirkt, daß man häufig die Worte hört: Ach Minsch bliev mi doch uten Hus". Man muß dabei froh sein, wenn man endlich Einen gewinnt. Der mächtigste Faktor zur Aufklärung der Leute wird da leider die materielle Noth sein. müssen, weil in derselben erst die Leute die christliche Liebe ihrer Brüder und das Wesen unserer famosen ,, Ordnung" recht deutlich erfahren. Doch haben wir meiner Ansicht nach trotzdem Hoffnung, mit der Zeit auch unter unserer hannöver'schen Landbevölkerung unsern bezwingenden Ideen Eingang zu verschaffen. A. M.

B. Posen, 20. Aug. Eine Korrespondenz aus der Provinz Posen  dürfte bei den Lesern des Sozialdemokrat" Befremden erregen. Ist doch immer Posen als die einzige von dem sozialistischen   Gift" nicht infizirte Provinz des Reiches bezeichnet worden. Und das ist auch nicht ganz un­wahr, denn die geringen Ansätze, die hier und in Rawitsch   und Brom­ berg   gemacht wurden, beschränkten sich auf zeitweise eingewanderte Deutsche  , meistens Zigarrenarbeiter, und jetzt ist hier so gut wie gar keine Sozial­demokratie vorhanden. Dennoch, hoffe ich, wird eine wenn auch mit Schilderung Rücksicht auf den engbemessenen Raum oberflächliche

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der hiesigen Verhältnisse, namentlich des Proletariats, nicht uninteressant sein. Nach der Analogie unserer Gegner von Stumm bis herab zu Richter die da die Sozialdemokraten für die schlechten wirthschaft­lichen Zustände verantwortlich machen, müßten doch hier die gesegnetsten herrschen, und da wollen denn wir doch einmal sehen, wie es damit aus­sieht. In der Provinz Posen   sieht man in gewissem Sinne die Ideale der Bourgeois aller Schattirungen. Hier finden die Liberalen beim Bürger- und Bauernstand ausschließlich Kleinbetrieb und Parzellenwirth­schaft, die Konservativen Harmonie" zwischen Kapital und Arbeit, die Ultramontanen endlich einen fruchtbaren Boden für Verbreitung der un­geheuerlichsten Wundergeschichten, eine wahrhaft horrende Bildungslosig keit der Massen. Nun, die Lage der Handwerker und Kleinbauern wird wohl am besten gekennzeichnet, durch die kolossale sich ausschließlich aus diesen Ständen zusammensetzende Auswanderung, die hier gerade in diesem Jahre solche Dimensionen angenommen hat, daß es allenthalben auf­gefallen ist. Der Handwerkerstand steht dem anderer Bezirke in technischer und daher auch materieller Hinsicht weit nach und verfügt zudem über gar fein Kapital die Vorschußvereine sind hier nur für die kleinen Kaufleute. Noch schlechter ist der Kleinbauer dran. Die Schilderungen, welche Liebknecht in seiner Grund- und Bodenfrage" von diesem Stande im Allgemeinen macht, wird hier durch die Wirklichkeit weit übertroffen. Wir haben in dieser wie in mancher andern Beziehung schon mehr irische Zustände. Der Boden trägt in Folge der irrationellen Bewirthschaftung wenig und Moschtuen find bei den Bauern gar nicht in Betrieb; der Werth der Bodenerträgnisse aber richtet sich nach den allgemeinen, durch den billigeren Maschinenbetrieb beeinflußten Preisen. Das Fazit ist leicht zu ziehen. Ich bin der Zustimmung aller halbwegs Klarsehenden sicher, wenn ich behaupte, daß mehr als die Hälfte aller hiesigen Kleinmeister und Baueru mit Unterbilanz arbeitet. Das deut­lichste Symptom hiervon ist die hohe Blüthe, in welcher das Wucher­thum hier stand; hier war sein Eldorado.

Das zweite der oben angeführten Momente betreffend, ist zu bemerken, daß das Kapital als wirthschaftlicher Faktor hier durch den Großgrund­besitz repräsentirt wird, der sich noch zum größeren Theile in den Händen von polnischen Adligen" befindet. Diese polnischen Adligen wirthschaften polnisch". Vielfach geht in Folge dessen Grundbesitz in deutsche Hände über; gewährt doch die Regierung Einwanderern die vortheil­haftesten Bedingungen bei Ertheilung des Baarschaftskredits. Doch ist das nur insofern von Bedeutung, als mehr Ordnung in die Verwaltung der Güter kommt, während die dem deutschen   Gutsbesitzer Untergebenen vielfach noch die Veränderung zu beklagen haben. Das Proletariat, hier vielleicht noch mehr als anderswo die überwiegend zahlreichste Klasse, ist hier wie in Irland   fast durchweg ein ländliches, da Industrie fast gar nicht vorhanden ist. Der größte Theil derselben besteht aus sog. Kumornits( d. h. Einlieger, Häusler), das sind Leute, meist ohne allen Besitz, die vom Gutsherrn ein Stück Land bezw. Wiese und eine sogen. ,, Wohnung" erhalten und dafür als Gegenleistung nebst Frau und einer zu stellenden Magd eine gewisse Zeit arbeiten müssen. In welchem Ver­hältniß die Leistung des Kumornits zu der des Gutsherrn steht, ersieht man am besten aus der Lebensweise der Leute. Des Morgens stehen sie um 3 Uhr auf und arbeiten mit geringen Unterbrechungen bis Abends, wenn es dunkelt, das heißt 15-16 Stunden! Und was schaffen sie? Wenn es gut geht, haben sie gerade satt zu essen und zwar Kar­toffeln, teigiges Schwarzbrot,( das aus Kartoffeln und Mehl schlechtester Sorte besteht) und in Gährung und Fäulniß übergegangenes Sauer­fraut, Kapuste genannt. Es ist wohl noch nie vorgekommen, daß ein Kumornit es durch seine Arbeit zu etwas gebracht, wohl aber geschieht es nicht selten, daß er durch die Bauern des Gutsherrn von Haus und Hof getrieben wird. Bemerkt muß werden, daß das Leben des Klein­bauern nicht viel besser ist, seine Ernährung hat höchstens Vorzüge in der Quantität der Nahrungsmittel, nicht in der Qualität. Die Knechte, die wie gesagt, in geringer Anzahl vorhanden sind, stehen mei­stens bei den Kleinbauern in Diensten, deren Lebensweise sie natürlich theilen. Sie erhalten ca. 24 Thlr. Lohn. Während der Sommerarbeiten erhalten Feldarbeiter 1 Mart täglich. Frauen 60-75 Pfg. Die Kumor­nits sind gewöhnlich gehalten, außer den verpflichteten Frohntagen für 30-40 Bf. täglich zu arbeiten. Die Kinder werden gewöhnlich zum Viehhüten verwendet und erhalten 5-6 Thlr. per Jahr nebst mangel­hafter Verpflegung.

Wie ist denn nun das Verhältniß der einzelnen Stände zu einander? Es kommen hier eigentlich nur zwei Stände in Betracht, der Groß­grundbesitz und das Proletariat. Das Bürgerthum ist durch und durch morsch und lebensunfähig. Zu dem Proletariat müssen wir aber die drei untersten Stände rechnen, die Kleinbauern, Kumorniks und Knechte. Zwischen dem Proletariat also einerseits und dem Großgrundbesitz, d. i. dem Kapital andererseits, herrscht hier die schönste Harmonie". Die Herren", die Adligen" werden von ihren Untergebenen als Statthalter Gottes betrachtet und fast als heilig und unverletzlich verehrt. Diese da­gegen kümmern sich um die Leute gar nicht; jedenfalls weniger als um ihre Arbeits-, geschweige denn Kutschpferde. Ste kennen sie gar nicht, und es kommt ihnen auch nicht darauf an, sie gelegentlich für Vergehen förperlich züchtigen zu lassen! Und die Vergeltung? Ist potenzirte Unterthänigkeit! Es ist das eben die Logik und Konsequenz der Lehren des Christenthums. Man muß es einräumen; wenn irgend wo, findet man hier patriarchalische Zustände! Und nun endlich die religiösen Ver­hältnisse! Von der schauderhaften Stupitität des polnischen Proletariats sich einen Begriff zu machen, muß einem Fremden gewiß schwer fallen. Die jahrhundertlange Knechtung und die mehr thierische, als menschliche Lebensweise haben sie derart heruntergebracht, daß der Menschenfreund mitleidig und trostlos die Achseln zucken muß, bei dem Versuch, die Leute in irgend etwas aufzuklären. Sie liegen ganz und gar in den Armen der katholischen Kirche  , sie sind deren treueste und gläubigste Kinder. Ihre Devise ist Arbeiter, Kriechen( Gehorchen) und Glauben. Des Sonntags wallfahrtet die ganze Blase in die nächste Stadt und be­sucht dort mit demselben Eifer die Kirche und die Schenke. Diese

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beiden liegen in der That für den polnischen Bauer dicht nebeneinander. Die Begeisterung, welche den polnischen Proletarier des Sonntag mor­gens erfaßt bei dem Gedanken, er der niedere Erdenwurm, komme bald in unmittelbare Berührung mit dem höchsten Wesen, findet in der That einen sonderbaren Abschluß in der Situation, in der er sich des Abends befindet. Religion und Schnaps! Das ist ein Feld für den Ultramontanismus, der kulturelle Zustand dieses Volkes legt ein schönes Zeugniß für ihn ab! In diesen Umrissen stellt sich uns die polnische Gesellschaft dar. Das wären die Ideale unsrer Gegner! Dem gegenüber müssen wir uns doch fragen, wie soll das enden? Der polnische Proletarier hat heute noch keine Idee, daß seine Lage eine andere, bessere sein könnte, sonst hätte es ja der liebe Gott anders ein­gerichtet, also muß die Hilfe von außen kommen. Trotzdem ist es nicht unmöglich, daß die Noth und das Elend auch hier jenen Höhepunkt er­reichen, wo selbst die härtesten Köpfe Feuer fangen wie in Litthauen und dann adieu ,, Harmonie"!" Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, vor dem freien Menschen erzittere nicht!" Statt des Sozialismus kann dann der Nihilismus kommen. Discite moniti!

Sprechsaal.

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Tit, Redaktion des Sozialdemokrat.

Wir ersuchen hiemit, von folgender Warnung Notiz nehmen zu wollen:

Alle Genossen und Arbeitervereine werden hiedurch vor dem Buchbinder Rothe, Berliner   Ausgewiesener, gewarnt. Derselbe bezog diverse Unter­stützungen und ging dann, statt angewiesene Arbeit zu nehmen, nachdem er erst die ihn Unterstützenden angeschwindelt, nach Bern   und Genf  , wo er das gleiche Manöver ausführte. Wir ersuchen daher alle Vereine, die er heimsuchen sollte, ihm, statt ihm Unterstützungen zu geben, die Thüre zu weisen. Zürich  , 23. August 1880.

Im Namen des Deutschen Vereins Eintracht: Der Schriftführer D. Strohmaier. Anmerkung der Redaktion: Wir konstatiren, daß uns aus einer Reihe deutscher   Orte ganz ähnliche Klagen über den 2c. Kothe zu­gegangen sind, und möchten wir bei dieser Gelegenheit allen Partei­genossen dringend empfehlen, Unterstützungen nur in den aller­dringendsten Fällen an Einzelne verabfolgen zu lassen und die Gelder lieber an die Zentralstellen gelangen zu lassen, damit die Unter­stützung eine geregeltere wird.

Nach Schluß der Redaktion.

Der Kongreß der deutschen   Sozialisten hat am 20., 21., 22. und 23. August auf Schloß Wyden  bei Offingen   im Kanton Zürich   in der Schweiz   stattgefunden. Derselbe war von 56 Theilnehmern besucht, die in ihrer über­wiegenden Mehrzahl aus allen Theilen Deutschlands   gekommen waren; außerdem waren Vertreter der deutschen   Sozialisten in der Schweiz  , in Frankreich   und Belgien  , sowie je zwei öfter­reichische und schweizerische Genossen anwesend. Der Kongreß berieth in acht Sizungen, welche zum Theil bis tief in die Nacht währten, eine sehr umfangreiche Tagesordnung und faßte nach theilweise sehr lebhaften Debatten über die allgemeine Lage der Partei, die Stellung der sozialdemokratischen Abgeord= neten im Reichstag, Programm, Organisation, Presse und Wahlen, fowie die Stellung der deutschen   Sozialdemokratie zu den Bruder= parteien anderer Länder, eine Reihe der wichtigsten Beschlüsse, über welche wir in unserer nächsten Nummer des ausführlicheren berichten werden.

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Soviel können wir schon heute mittheilen, daß diese Beschlüsse welche in ihrer Mehrzahl, und, soweit sie prinzipieller Natur find, ausnahmslos, mit Einstimmigkeit gefaßt wurden für die Stellung und Entwicklung der deutschen   Sozialdemokratie von der weittragendsten Bedeutung sein werden. Der ganze Kongreß Kongreß der erste, den die deutsche Sozialdemokratie im Ausland und geheim abzuhalten gezwungen war- war und ist der schlagendste Beweis dafür, daß unsere Partei trotz aller erdenklichen Verfolgungen nicht nur lebt, sondern so frisch und gesund, so stark und thatkräftig und selbstbewußt denn je ist. Die Verhandlungen und Beschlüsse zeigten, daß unsere Partei in ihren Grundsätzen und in ihrem Wesen voll und ganz die alte geblieben ist und durch alle Hindernisse unbeirrt, unverwandt dem gleichen hehren Ziele festen Schritts, mit zäher Ausdauer und unwandelbarer Energie zustrebt, daß sie aber die Richtung ihres Vormarsches, ihre Waffen und ihre Kampfart nach der Kampfes­weise ihrer Gegner einrichtet und nicht davor zurückschreckt, auf die in wahnsinniger Verblendung jede friedliche allmälige Umgestaltung der bestehenden ökonomischen und staatlichen Miß­wirthschaft zurückweisenden Handlungen der Gegner die entsprechende fräftige Antwort zu geben. Das Wuthgeschrei der Feinde und die freudige Bewegung und Neubelebung aller sozialistischen  Kreise Deutschlands  , sowie die sympathischen Zurufe der Prole tarier aller Länder werden in Kürze zeigen, wie richtig die Stellungnahme des Kongresses nach beiden Richtungen ist und daß die deutsche Sozialdemokratie aller ihrer Besonnenheit un geachtet keinen Augenblick aufgehört hat, eine energische, zielbewußte Vorkämpferin der sozialen Revolution zu sein!

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Wessen sich die Sozialisten aller Länder von dem Kongreß der deutschen   Sozialisten versahen, und was sie von ihm und wie unser demnächstiger Bericht zeigen wird, nicht vergeblich erwarteten, zeigen folgende an den Kongreß gerichtete Begrüßungs­schreiben und Sympathzuschriften.

Genf  , den 14. August 1880. Nachdem die Redaktion der« Równosc  »( Gleichheit), deren Zweck die Verbreitung der Ideen des internationalen Sozialismus in Polen   ist, in Erfahrung gebracht hat, daß die sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands   in Bälde ihren allgemeinen Kon­greß abhält, sendet sie, in der Erwägung, daß die engste So= lidarität der Sozialisten aller Sprachen eine Nothwendigkeit ist, in ihrem und aller polnischen Genossen Namen den Aus­druck ihrer lebhaftesten Sympathien für den Kongreß und das Ziel, das er erstrebt. Im Namen der Redaktion der« Równosc  »: Stanislas Mendelson.

Haag, den 16. August 1880. Liebe Genossen! Die sozialistische Arbeiterpartei der Nieder­ lande   blickt, indem sie sich mit den Sozialisten aller Länder und den Kraftanstrengungen unserer deutschen   Brüder gegen die autos