,, Das Polizeiamt wird veranlaßt, das nach§ 13 und 14 des angezogenen Gesetzes Erforderliche zu besorgen und den Erfolg anher anuzeigen.
Königliche Kreishauptmannschaft. Gumprecht.
An das Polizeiamt hier." Das der famose Erlaß.
Mit der allgemeinen Logik desselben befassen wir uns nicht. Von der Polizei und den Polizeiorganen erwartet kein vernünftiger Mensch Logik, sie stehen über der Logik, wie jener Kaiser über der Grammatik. Die Polizei- Logik ist das einfache: Ich will, ich verordne! Darin liegt der ganze Polizeiverstand; mehr Verstand braucht die Polizei nicht zu haben. Daß die Leipziger Polizei, bezw. die Leipziger Kreishauptmannschaft den Verstand gehabt hat, zu erkennen, daß die heutige Staats- und Gesellschaftsordnung die Inkarnation alles Lugs, alles Trugs und aller Niedertracht ist, und daß sie den Muth gehabt hat, das der Welt amtlich mitzutheilen, es den Sozialdemokraten schwarz auf weiß zu bescheinigen, darauf waren wir allerdings nicht vorbereitet; und das verdient nuser aufrichtigstes Lob.
Der Fall steht übrigens nicht ganz vereinzelt da. Die Polizeiorgane zeichnen sich mitunter durch eine außerordentliche Scharfsichtigkeit und Offenherzigkeit aus.
Man erinnere sich z. B. jenes Pariser Polizeibeamten, der unter dem Bas- Empire des Bouſtrapa*) einen Spaziergänger wegen Majestätsbeleidigung verhaftete.
" Sie haben gesagt:„ Er ist der größte Schuft unseres Jahrhunderts". sprach von
-
Ganz rechten vom größten Schuft des Jahrhunderts ſpricht,
,, Ruhig! Wenn
tann blos der Kaiser gemeint sein!"
Das war so richtig, daß der Mann nicht blos verhaftet, sondern auch verdonnert ward.
Die Leipziger Polizei und Kreishauptmannschaft ist die würdige Nachfolgerin jenes Pariser Polizeisergeanten.
Das: Wer vom größten Schuft des Jahrhunderts spricht, kann nur den Kaiser gemeint haben", findet seinen klassischen Pendant in dem:
„ Wer von allem Lug, allem Trug und aller Niedertracht spricht, kann nur die heutige Staats- und Gesellschaftsordnung gemeint haben."
Jener Pariser Polizeisergeant hatte Recht, und die Leipziger Polizei und Kreishauptmannschaft haben Recht.
Und hinfür soll es uns nicht mehr einfallen, die Unfehlbarkeit der Polizei anzuzweifeln.
Preußische Verwaltungsbeamte.
Ein Beitrag zur Frage der Verstaatlichung. Königsberg , 20. Juli.
Wie es Menschen giebt, welche die sozialdemokratischen Bestrebungen als berechtigt anerkennen, ohne sich selbst zur Sozialdemokratie hinaufschwingen zu können, giebt es auch Zeitungen, die einen solchen Standpunkt einnehmen.
So tritt neuerdings ein unabhängiges deutsches Blatt dafür in die Schranken, daß unter Anderen das Feuerversicherungswesen vom Staate, zum Besten des Staates verwaltet werden müßte. Gewiß ist das ein sozialistischer Gedanke, aber das Blatt thut nicht gut, dergleichen vom jetzigen Staate zu verlangen. I m Bismarck'schen Staate geht es damit nicht. Auf Details im Versicherungswesen, die wir uns auch anders wünschen möchten, als jenes Blatt sie ausführt, wollen wir gar nicht eingehen, sondern uns begnügen, die Unmöglichkeit nachzuweisen, im heutigen Staate das Versicherungswesen in die Hände von Staatsbeamten zu legen.
Bei uns existirt ein Feuerversicherungsverband der Provinz für kleine Ländliche Besitzungen, mit einem Wort für Bauern, die nur sehr schwer bei Privatgesellschaften angenommen werden. Und doch ist dieser Verband für die Bauern kein Segen, denn sie zahlen pro Hundert so viel, wie größere Besitzer pro Tausend bezahlen. Jährlich kommen Nachrechnungen, da die gezahlten Normalbeiträge( irren wir nicht Mt. 1,50 pro Hundert) nicht ausgereicht, und dehnen sich solche Nachforderungen, soviel uns bekannt, immer neu die Jahresrate, oft über mehrere Jahre aus, die Prämie ins Unendliche steigernd. Das erwähnte Institut steht unter Staatskontrole und nur diese ist schuld, daß die Prämien so hoch und drückend sind also schönsten Dank in unserem Staate für staatliche Feuerversicherung.
Hauptvorstand des Verbandes ist der Regierungsrath von Schlott hier. Trotz schon vorher hoher Prämien wurde für unseren Feuerverficherungsverband ein großartiges Gebäude aufgeführt, dessen Beletage Herr v. Schlott bewohnt. Warum sollte er auch nicht schön, sogar sehr schön wohnen, wenn Andere für ihn die Wohnung bezahlen? So großartig geht es in der ganzen Verwaltung her, und daher die unsinnig hohen Prämien, in Wahrheit unberechenbar, da, wie schon gesagt, fast immer Nachschüsse verlangt werden. Aus diesem Grunde muß sich ein Austretender auch verpflichten, noch zwei Jahre Nachschüsse zu zahlen, wenn solche verlangt werden, was wohl regelmäßig geschieht.
So die Einrichtung, aber v. Schlott verwaltet das Geschäft, und das ist das Schlimmste. Der genannte Herr war nämlich früher auch Badekommissarius im Seebad Cranz , eine Sinekure, die sich jeder Kontrole entzog, da die Herren Räthe einen aus ihrer Mitte dazu erwählten und das Kollegium als solches sich um die Verwaltung gar nicht kümmerte. Die frechsten Uebergriffe fanden statt. Schlott reiste in seiner Eigenschaft als Badekommissarius flott hin und her, hatte sich eine angenehme Wohnung in Cranz eingerichtet, Unterbeamte lebten aus der Kasse, kurz alle Einnahmen wurden verbraucht, und für das Bad, für den Schutz des Strandes geschah so gut als nichts. Der fortschrittliche Abgeordnete Frenzel griff diese Art der Verwaltung im Abgeordnetenhause an, und wenn wir uns nicht sehr täuschen, beschuldigte er den pp. Schlott geradezu der Unterschlagung. Die reaktionäre ostpreußische Zeitung brachte eine Rechtfertigung Schlotts, die aber keine Rechtfertigung war, sondern nur ein Angriff, Beleidigungen gegen Frenzel enthaltend. Die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, gegen diesen Artikel einzuschreiten, und erklärte Frenzzel öffentlich, daß er sich nicht entschließen könne, gegen Schlott eine Privatklage auzuſtrengen, da der Mann ihn nicht beleidigen fönne.
Die damals hier erscheinende, von Reitenbach redigirte ,, Friedens- und Freiheitspost"( wenn auch kein ausgeprägt sozialistisches Blatt, so doch ein uns sehr nahestehendes) berührte diese Cranzer- Angelegenheit auch einmal. Sofort schritt die Staatsanwaltschaft ein und lud den Verleger vor die Schranken. Im ersten Termin wurde ihm, trotz heftiger Gegenwehr des Staatsanwalt Hecht, nach dessen Begriffen ein selbst stehlender Regierungsrath dabei zu sein scheint, das Recht zuerkannt, den Beweis der Wahrheit antreten zu dürfen.
Die Cranzer Akten lagen damals, die Geschichte spielte im Jahre 1875, auf Antrag Frenzels, wie er ihn im Abgeordnetenhause gestellt, bei der Oberrechnungskammer. Die Sache ruhte nach dem ersten Termin, und das Damoklesschwert der etwaigen Berhaftung schwebte über dem Angeklagten bis zum vorigen Jahre, wo die Sache endlich wieder aufgenommen wurde, nachdem, wie wir erfahren haben, einige Belastungszeugen in Cranz verstorben waren. Der Angeklagte erklärte nochmals, daß er den Beweis der Wahrheit führen wolle, und bezog sich vorläufig nur auf die ca. 100 Monita, welche die Oberrechnungskammer
*) Spitzname Bonaparte's, des Helden von Boulogne , Straßburg und Paris ( Boulevardmetelei nach dem Staatsstreich); das Wort ist ans den Anfangsbuchstaben dieser drei Namen zusammengesetzt.
erhoben. Ehren- Hecht erklärte, auf diesen Einwand nicht vorbereitet zu sein und bat um Vertagung der Sache. Kurze Zeit darauf wurde dem Angeklagten mitgetheilt, die Regierung habe die Anklage zurückgezogen.
Beinahe 5 Jahre ein ehrlicher Mann in der Gefahr, täglich verhaftet zu werden, während ein Regierungsrath, der sich der tollsten Kassenververwaltung schuldig gemacht, noch heute im Amte ist und einer ehrenvollen Entlassung mit irgend einem Verdienstkreuzchen und fetter Pension entgegensieht. Die Tranzer Badeverwaltung wurde dem Ehrenmann zwar abgenommen, aber noch heute ist er Regierungsrath, noch heute verwaltet er die ländliche Feuerversicherung.
Unter solchen Umständen wundern wir uns über die hohen Prämien nicht weiter, aber unter Bismarck , in unserem jetzigen Staat, wo solche Ehrenmänner im Amt bleiben, wollen wir doch vorläufig für Versicherung noch lieber Privatgesellschaften.
Tirnowa, 5./17. Juli. Am 1./13. Juli Morgens eröffnete Fürst Battenberg mit einer kurzen Rede die Große Nationalversammlung; nach einem langen Hurrah" wurden seine 3 Vorschläge einstimmig angenommen und unterschrieben. Bureauwahl, Revision der Wahlen und Diskussion wurde nicht gestattet. Man sollte meinen, daß es thatsächlich dem Willen des Volkes entspreche, wenn 304 Deputirte einstimmig etwas bejahen, man würde sagen: die Volksvertretung, also das Volk, nimmt den Absolutismus an. Wenn man sich aber die Frage stellt, wer sind diese 304 Deputirte, wie sind sie gewählt worden und wer hat sie gewählt, wenn man das Alles genau untersucht, dann sagt man sich ganz einfach:„ Das arme, bedauernswerthe bulgarische Volk ist hintergangen worden, seine Rechte sind ihm auf eine unerhört perfide Weise geraubt worden. Ist es denn möglich, daß ein Volk zum Selbstmörder, zum Verbrecher an sich selbst wird und den Maßnahmen seines Tyrannen, seines Unterdrückers zujubelt? Nein, es ist nicht möglich, und, ich wiederhole, es wäre ein großer Irrthum, den Beschluß der Großen Nationalversammlung in Sistowa als Willen des bulgarischen Volkes zu betrachten. Gleich nach der Proklamation des Battenbergers gingen seine Kreaturen und Helfershelfer energisch an die Agitation, wenn der Ausdruck Agitation für ein Verfahren zulässig ist, wo man die Freigesinnten bedrohte, schlug, verhaftete und sogar ermordete. Mehrere Hunderte von Polizei- und Administrativbeamten, die früheren konservativen Minister, der Fürst selbst mit dem hochgeehrten russischen Gesandten Hitrowo- letzterer wahrscheinlich in der edlen Absicht, die Knute und das Hängen auch in Bulgarien einzuführen reisten im Lande herum, um das Volk zu überzeugen, daß es der Wille des Sohnes unseres Befreiers*) sei, die ausschweifende Verfassung aufzuheben, daß beim Absolutismus die Bauern keine Steuern zu zahlen brauchen, daß, wenn die Verfassung bestehen bleibt, Europa unzufrieden sein und wiederum die Türken schicken wird. Wenn das Volk die Vorschläge nicht annimmt, hieß es, wird der Fürst das Land verlassen, und was soll man dann ohne Fürst anfangen? Rußland wird seine Offiziere zurückziehen und wir werden ohne Armee, und ohne Beschützer sein!
-
Der bescheidene, erfahrene( man weiß wohl, worin!) Fürst fuhr, begleitet von Hitrowo und höheren Offizieren, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf( der Bauer zahlt ja alle seine Reisespesen), um dem Volke seine Ergebenheit und sein Wohlwollen zu beweisen und ihm seine Pläne zu erklären. Er glaubte, daß man ihm ohne Weiteres zustimmen würde. Wie sehr fand er sich aber enttäuscht, als er in den Kasernen und Regierungsgebäuden heimlich übernachten mußte, als er fast überall mit eisiger Kälte aufgenommen wurde, als man fast überall nicht den Absolutismus, nicht den Fürsten , sondern die Berfassung, das Volksrecht hochleben ließ! Erhielt er doch in verschiedenen Städten, in Sofia , Gabrowa, Küstendil, Lowetz und Rustschuk von den Bürgerinnen Adressen, in denen ihm ganz offen gesagt wurde, daß, möge er thun was er wolle, er auf die Erziehung der Bulgaren keinen Einfluß ausüben werde: der Bulgare bleibe immer frei u. s. w. In Küstendiel mußte er den Ruf hören: ,, Nieder mit dem Verfassungsräuber!" Die Polizei wurde zu Hilfe gerufen, aber das Volk war zu erregt, so daß dieselbe nichts ausrichten fonnte.
Der allgemeine Gedanke war:„ Wir ziehen die Freiheit für unsere Söhne dem Absolutismus für uns vor. Lieber 100 in Freiheit, als 10,000 unterm Joch!
Unter solchen Umständen suchte man sich auf eine sehr praktische Art zu helfen: über fast alle größeren Städte wurde der Belagerungszustand verhängt, die intelligentesten Leute wurden verhaftet, die freisinnigen Beamten und Offiziere ohne irgend einen Grund entlassen, willkürlich verurtheilt 2c. 2c. Kurz die organisirte Unterdrückungsmaschinevie wurde in Thätigkeit gesetzt: Polizisten, Beamte, Offiziere, sogar die ehemaligen konservativen Minister zogen im Lande umher und zwangen den Bauern lithographirte Stimmzettel mit den Namen der Regierungskandidaten auf; es genügte, wenn der arme Bauer oder Bürger ein Wort dagegen zu äußern wagte, daß er sofort geprügelt und in Strafe genommen oder als ein staatsgefährlicher Agitator verhaftet wurde. Der Bauer sollte mit Gewalt nur die würdigen Söhne wählen, welche ihm die Regierung anwies.
In Nikopoli starben 6 Mann von den Händen dieser„ Befreier", weil fie erklärten, sie kennen die Regierungskandidaten nicht und wollen nur solche Leute wählen, welche sie kennen und für vertrauenswürdig halten. In den Städten: Sofia , Küstendil, Tran, Rustschuk , Lowetz, Gabrowa, Rasgrad, Schumla, Varna , Djunaja liegen mehr als 400 Mann an den Folgen der Mißhandlungen dar nieder, über 120 Mann sind den selben erlegen, das heißt einfach ermordet worden! Was in den Dörfern geschah, davon will ich schweigen, die Geschichte zeigt wenige Beispiele, daß mit solcher Wuth und Grausamkeit ein Volk gemaßregelt wurde!
Und trotzdem reichten alle diese Maßregeln nicht hin, das Volk zu unterdrücken, es protestirte überall, wo es seiner Stimme nur Ausdruck geben konnte. Bittschriften, Adressen, Proteste von Bürgern und Bürgerinnen, Bauern und Bäuerinnen liefen massenhaft an den Fürsten ein, in mehreren Zeitungen erschien ein offener Brief, der den Fürsten direkt mit dem Schicksal aller Tyrannen bedrohte, falls er seine volksfeindlichen Bestrebungen fortsetze, die im Auslande weilenden bulgarischen Studenten erließen einen Protest u. s. w.
Alles das zeigte den Herren Battenberg und Genossen, was ihr Schicksal sein würde, wenn sie nicht zu noch gröberen Mitteln greifen. Und die Herren wußten sich zu helfen. Am Wahltage nahmen ein Kommissär und ein Subkommissär die Stimmzettel in Kästen mit doppelten Böden entgegen. Unten lagen bereits von vorneherein die Stimmzettel der Regierungskandidaten.**) Die Wahllokale waren mit Soldaten mit aufgepflanztem Bajonnette besetzt, damit die Wahlen in Ordnung vor sich gehen!" Dabei wurden die Wähler von den Polizisten gezwungen, ihre Stimmzettel zu zeigen, und wenn diese ungünstig für die Regierung lauteten, gemißhandelt und verhaftet. Vielen wurde das Wahlrecht unter irgend einem nichtigen Vorwande streitig gemacht.
Trotz aller dieser Machinationen und trotzdem durch dieselben die Regierung ihr Ziel erreichte, wurden in Sofia , Tirnowa, Rustschuk , Nikopoli und Rasgrad doch die Führer der Volkspartei: Zankoff, Karaveloff, Slavejkoff, Suknazoff, Stambouloff und Zivkoff gewählt. Am 1./13. Juli, wie gesagt, wurde die Nationalversammlung abgehalten, nicht in
*) D. h. Alexanders des Dritten!
Anm. d. Red.
**) In Nikopoli merkte das Volk, daß die Kästen falsch waren, und empört über soviel Niedertracht, schlug es den Kommissär halbtodt.
--
der Hauptstadt Sofia , sondern in Sistowa. Ueberhaupt zeigte sich der ,, muthige und erfahrene" Fürst sehr bescheiden, er stieg in Widdin auf ein Dampfschiff und sammelte die Abgeordneten von Widdin, Lompalanka, Rahowa und Nikopoli , damit sie nicht vorher mit den andern zusammenträfen, und von 400 Soldaten umringt, führte man sie in die Nationalversammlung, an welcher die freisinnigen Deputirten sich übrigens nicht betheiligten, in welche man dagegen Leute hineinführte, die feine Deputirte waren. Nimmt man nun noch hinzu, daß die Versammlung unter dem, Schutze" von 6000 Soldaten tagte, daß keine Debatte stattfinden durfte, sondern nur Abstimmung, daß es vom Regierungskommissär abhing, wer als Abgeordneter Zulaß erhielt und wer nicht, daß keine Wahl geprüft wurde, so wird man begreifen, warum die Anträge des Fürsten Battenberg„ einstimmig" angenommen
wurden.
Bravo , Battenberg , jetzt sieht man in der That, wie bescheiden Du bist! Du hast Europa gezeigt, wie„ Dein" Volk Dich liebt, Deine Vorschläge sind ja einstimmig angenommen worden! Ja, wir haben Dich sehr lieb, aber Du thätest doch besser, auf Deinem Dampfschiff am rumänischen Ufer zu übernachten. M. C. Petroff.
Ein Attentat in Sicht. Die„ Norddeutsche Allgemeine Zeitung", bekanntlich der Spucknapf des Fürsten Bismarck, hat eine furchtbare Entdeckung gemacht. Das Leben des„ Eisernen "( mit dem Hasenherz) schwebt in Gefahr. Sie schreibt:
,, Um unsern Lesern ein Beispiel zu geben, welche Früchte die schimpflichen Hetzereien der Fortschrittspresse gegen den Reichskanzler zeitigen, veröffentlichen wir nachstehend einen der Drohbriefe, wie sie dem Reichsfanzler jetzt wiederholt zugehen, um ihn zum Aufgeben seiner auf die Verbesserung des Looses der Arbeiter( durch Vertheuerung der Lebensmittel. Oder denkt die„ Norddeutsche" etwa an den„ Arbeiter" Wilhelm Bismard alias Reichslulu?) gerichteten Bestrebungen zu veranlassen:
,, Seiner Durchlaucht dem Fürsten Reichskanzler Otto v. Bismard! großer, eiserner resp. einfältiger Reichskanzler! Was hört und liest man blos von Dir! Nichts als Lächerliches. Glaubst Du etwa, daß Du Deiner gefällten Strafe entgehen kannst? Nein, nein! Was wir Dir einst zugeschworen, wird für Dich sicher in Erfüllung gehen und wenn Du den Polizeiring um das Zehnfache vermehrst, der Dich etwa schützen soll vor dem Bestrafer Deiner verübten Tyrannei. Wie es bei Dir in Kissingen aussieht, wissen wir ganz gut. Traurig genug, daß Du es so weit gebracht haft mit Deiner elenden Tyrannenpolitik, daß Du jetzt nicht einmal Deines Lebens sicher bist. Weise nur immer fleißig Mitmenschen aus Deutschland , desto eher kannst Du Dich mit dem Todtengräber bekannt machen. So wie damals die Würfel für uns fielen, so sind diese auch schon für Dich gefallen, d. h. vorläufig die kleinen, bis Dich der große Würfel für immer und ewig trifft. Deinem Sohn Wilhelm mit seinen bisherigen maskirten und lächerlichen Redensarten werden wir auch bald was zuschwören, wenn er nicht aufhört zu wühlen. Die Bismarckbrut muß ausgerottet werden. D. E. C."
Entsetzlich! Entsetzlich! Entsetzlich!
Doch greifen wir der Norddeutschen" nicht vor! Sie bemerkt weiter: ,, Diesem Briefe, welcher am 25. Juli in Hamburg auf die Post gegeben war, lagen Ausschnitte aus fortschrittlichen Blättern mit einer Karrikatur aus der Hamburger Reform" bei, auf deren Lektüre die Entstehung dieses Drohbriefes also zurückzuführen ist. Eine sozialdemokratische Bresse existirt seit drei Jahren nicht mehr, sie kann deshalb nicht verant wortlich gemacht werden. Die Stelle derselben haben aber, mas Ber leumdungen und Beschimpfungen des Reichskanzlers betrifft, di: Organe des Fortschritts, vor Allem in Berlin und Hamburg , vollauf eingenom men, und wer nur diese lieft, ohne ein eigenes Urtheil zu haben, muß wohl glauben, daß wir vo einer Gesellschaft von Schuften und Dummföpfen regiert werden.( Die„ Norddeutsche" hat doch einige Selbsterkenntniß, wir hätten ihr so viel Divinationsgabe gar nicht zugetraut.) Wenn die Fortschrittspresse sich nicht an die Sache hält und auf persönliche Angriffe verzichtet, so muß man schließlich glauben, daß ihr daran liegt, etwa einen zweiten Blind oder einen fortschrittlichen Kullmann mobil zu machen. Dies dürfte ohne Extrabemühungen zu erreichen sein; denn da die gehässigen Angriffe der Fortschrittspresse sich fast ausschließlich gegen die Person des Reichskanzlers richten, so wäre es kaum zu verwundern, wenn unter ihren urtheilslosen und einfältigen Lesern sich wieder einer findet, der wie Blind der Allgemeinheit einen Dienst zu leisten glaubt, wenn er auf einen nach fortschrittlicher Anschauung so gemeinschädlichen und längst gerichteten" Menschen, wie den Reichskanzler, ein Attentat ausübt."
Sela!
Also ein neuer Kullmann, dessen Pistole mit der bis dato unaufgefundenen Kugel statt von den Pfaffen von den Fortschrittlern geladen wird.
nen".
-
Der Herr Reichsfanzler weiß zwar in lichten Augenblicken, daß die lammfrommen Fortschrittler keinen Floh tödten, geschweige einen„ Eiserallein sein phänomenaler, durch Alkoholismus künstlich beförderter Sinn für persönliche Gefahr läßt ihn sehr häufig Gespenster sehen, Sinn für persönliche oder verdächtigen angeſpenſter und dann zittert er bei jedem verdächtigen Geräusch und sieht einen Mörder in Jedem, der keine Uniform oder Spitzelphysiognomie trägt, und eine Dynamitbombe hinter jedem weißen Taschentuch, das von irgend Jemand rasch aus der Tasche gezogen wird.
Höre man nur, wie der„ dappere" Salon- Kuirassier in Kissingen lebt. Von den 274 Gensdarmen, welche der Kreis Unterfranken besitzt, sind 27, d. h. ein volles Zehntel, zum Schutz des theuren. Badegastes kommandirt, die ihn Tag und Nacht bewachen müssen. Dies genügt indessen nicht; der größeren Sicherheit wegen hat ER zwei Dutzend Polizisten aus Berlin mitgebracht und obendrein einige Dußend Geheime, die als anständige Leute verkleidet, aber durch ihre konfiszirten Polizeigefichter sich verrathend, das hübsche Kissingen und dessen Umgebung un ficher machen.
Dazu kommt noch der„ Reichshund", der einzige Wächter, der des Eisernen" ganzes Vertrauen hat und unzweifelhaft blos deswegen noch nicht zum Reichsminister ernannt worden ist, weil der Chef" ihn zu nöthig für seine Leibgarde braucht.
Daß Jemand, der um sein liebes Leben so zitternd besorgt ist, durch anonyme Briefe sich in's Bockshorn jagen läßt, hat nichts Verwunderliches.
Was das obige Produkt angeht, so trägt es, auf 10 Schritte sichtbar, die Polizeimarke und riecht nach dem Molkenmarkt . Wir kennen den Stil, haben wir doch Dußende ähnlicher Fabrikate erhalten, deren Urheber bald liberale, bald konservative, bald christliche Masken vorhatten, und stets die muffigen Polizei- Odeurs verbreiteten.
Köstlich ist das( as) E( rekutiv) C( omite); der Spizzel, der mit der Arbeit betraut war, hat offenbar bisher in sozialdemokratischen Verschwörungen gemacht", und vergaß, den gewohnten Apparat bei Seite zu legen; Fortschrittler und ein Exekutivkomite! Wie kann die Polizei nur so dumm sein!
Nun, für den„ Eisernen " ist sie noch immer gescheidt genug. In seiner Angst glaubt er wirklich an ihre Werke, Thaten und Geschichten. Natürlich protestiren die Herren Fortschrittler voll tugendhafter Entrüstung gegen die infam lächerliche Insinuation, und auch die Liberalen find fittlich entrüftet.
Daß sie 1878 den Hödel und Nobiling an die Rockschöße der Sozialdemokratie hängen halfen, das scheint den liberal- fortschrittlichen Herren aus der Erinnerung verschwunden zu sein. Vielleicht wird ihr Gedächt niß aufgefrischt, wenn das Ausnahmegesetz für die liberal- fortschrittliche