Wir nannten absichtlich die Erklärung unserer Genossen eine Antwort auf die Botschaft, obwohl eigentlich das Umgekehrte der Fall ist: die Botschaft ist eine Antwort auf die Erklärung. Am 10. November fanden die Verhandlungen statt, von denen Bis­mard zweifelsohne unterrichtet worden war, noch am 12. erscheint in der Norddeutschen Allgemeinen an hervorragendster Stelle ein Leitartikel, in dem es am Schlusse mit unverkennbarer Ab­sichtlichkeit heißt:

Es in der That leicht ersichtlich, daß, soweit die liberale Partei sich an dem Genusse der Gegenwart genügen läßt und die Sorge für die Zukunft ihren Enkeln überweist, ihr aus dem durch jene Repressiv­maßregeln( dem Sozialistengesetz) geschaffenen Zustande mannigfache Vortheile erwachsen. Einmal ist die Furcht des Liberalen in Bezug auf die Sicherheit seines Eigenthums und seiner Person durch das Bestehen jener Repressivmaßregeln zur Zeit beseitigt; andererseits sind diejenigen Volksklassen, aus deren Unzufriedenheit die Agitation Nahrung zog, zur Zeit weniger fähig, als es ohne dieses Ausnahmegeset der Fall wäre, die wohlwollenden Absichten der Re­gierung zur Hebung ihrer Lage zu würdigen und diese zu unterstützen; vielmehr werden einige Elemente dieser Volksklassen aus Widerwillen gegen jene Repressivmaßregeln geneigt sein, der fortschritt­lichen Bekämpfung der Regierung ihre Unterstützung zu leihen. Die liberale Bourgeoisie hat also, Dank dem Sozialisten­gesetz, politische Verbündete in der Klasse ihrer wirthschaft­lichen Erbfeinde, den Arbeiterklassen, gefunden, deren un­bequeme Ansprüche auf ökonomischem Gebiet diese selbe liberale Partei gleichwohl nach wie vor zu vereiteln sucht. In der That eine an­

genehme Lage

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so weit sie vorhält. ,, Es ist nicht nöthig, hervorzuheben, daß diejenige staatsmännische Auf­fassung, die von der Regierung erwartet werden darf, sich nicht mit diesem Genusse der augenblicklich sichergestellten Gegenwart genügen lassen kann, und daß dieselbe unablässig trachten muß, durch Befriedigung der gerechten Forderungen der Arbeiter den gesunden Kern der sozialistischen   Ideen zu verwirklichen und dadurch der revolutionären Richtung der Sozialdemokratie den Boden zu entziehen. Wenn diese Reformen durchgeführt sein werden, dann wird auch das Gesetz vom 21. Oktober 1878 unnöthig geworden sein."

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Deutlicher kann man schon nicht mehr reden. Offen und unumwunden wird uns hier zugerufen: Stimmt meiner Sozial­reform zu, und das Sozialistengesetz ist nicht mehr! Auf schwache Gemüther hätten so verführerische Lockrufe ihre Wirkung sicher nicht verfehlt, keine andere Partei hätte in gleicher Lage wie die Sozialdemokratie ihnen Widerstand geleistet man vergleiche nur die ewige Jammerei der Nationalliberalen die Sozialdemokratie aber, durch Kampf und Verfolgung gehärtet, antwortet im Be wußtsein der Stärke ihrer Sache selbstbewußt: Nein! wir ver­zichten nun und nimmermehr auf das Recht der selbständigen Prüfung. Soweit Eure Projekte den Arbeitern von Nutzen, nehmen wir sie an ohne Euren Dank dafür zu verlangen, soweit sie aber die Arbeiter schädigen und dazu gehört vor allen Dingen Euer Lieblingsprojekt, die Ersetzung der direkten Steuern durch indirekte, durch Mehrbelastung der nothwendigsten Lebensmittel, weisen wir sie rundweg ab, ohne Furcht vor Euren Repressalien. Auf reaktionäre, d. h. arbeiter: feindliche Bestrebungen lassen wir uns nicht ein.

Da kommt nun die kaiserliche Botschaft, von Neuem wird die zärtliche Fürsorge für das Wohl der Arbeiter in den Vorder= grund gestellt, das Sozialistengesetz aber nur flüchtig berührt, und die Versicherung abgegeben, daß die Umwandlung der be stehenden Staats- und Gemeindelasten in weniger drückende, indirekte Reichssteuern"- nicht nur von fiskalischen, son­dern auch von reaktionären Hinter gedanken frei ist". Wir wollen ja gar keine Reaktion, wir wollen nur den Bestand des Reiches sichern, heißt es am Schlusse.

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Aber die Logik der Sozialdemokratie ist unerbittlich, ihr gegen: über helfen keine Ausflüchte. Die kaiserliche Botschaft wird mit den Worten abgetrumpft: daß wir nicht in der Lage sind, die Erhöhung der indirekten Steuern αίς arbeiterfreundlich anzuerkennen. Ob sie von reaktio­nären Hintergedanken frei ist, das ist uns sehr gleichgültig, sie ist an und für sich so reaktionär, daß es der Hintergedanken gar nicht bedarf. Was soll es denn noch Reaktionäreres geben, als dem Arbeiter zehnfach das vom Munde wegzureißen, was er von Rechtswegen höchstens einfach zu zahlen hätte? Für den reichen Mann, für den Kanzler, mag es wenig brückend" sein, wenn die Lebensmittel theurer werden, für den Arbeiter, der

Feuilleton. Wereschagin.*)

I.

Wien  , den 31. Oktober 1881. Die Façade des Wiener   Künstlerhauses ist von zwei Flammen elek­trischen Lichtes taghell erleuchtet. Die intensive Helle reicht weit hin über die breite macadamisirte Straße. Sie läßt die lange Doppelreihe der Wagen und die vor dem Hause dicht angesammelte Menge genau erkennen, die aus allen Ständen zusammengesetzt, nur langsam und ruck­weise gegen das weitgeöffnete Thor sich vorzuschieben vermag. Im Vestibule, das ebenfalls, gleich den Ausstellungsräumen, im elektrischen Licht erstrahlt, stehen die Besucher Kopf an Kopf gedrängt; Bewegung und Gegenbewegung ist hier gehemmt und an den Kassen, wo die Beamten den Anforderungen nicht zu genügen vermögen, balgt man sich um die Karten.

Jetzt ist unter dem ordnenden Einschreiten einiger Sicherheitsorgane wieder ein Schub befördert und die Glücklichen eilen die breite Marmor­treppe hinauf nach dem ersten Stock, um die Gemälde Wereschagins in Augenschein zu nehmen. Seit dem Bestande des Künstlerhauses hatte noch bei keiner Ausstellung, welchen Namen sie auch trug, sich eine solche Theilnahme des Publikums kundgegeben, war ein solcher Massenandrang zu verzeichnen gewesen.

In ungeduldig fröhlicher Erwartung, voll lebhafter, oft witzelnder Neugier, als gelte es wie gewöhnlich die nackten Weiber Makart's zu bewundern, betreten die Besucher den Mittelsaal. Wenn sie die Runde gemacht, ist das Lächeln aus ihren Zügen entschwunden. Sie sehen ernst und nachdenklich; von heimlichem Grauen erfüllt, die Meisten in lauter erregter Weise das Gesehene diskutirend.

Aber was hat dieser Maler denn dargestellt, was diese fast wilde Neu­gier hervorgerufen, was hat man denn gesehen, was diese sonst so in­differente Menge aus ihrer Ruhe bringt, ja verstört?

Ein Stück Menschengeschichte

Wahrheit.

eine bisher sorgfältig verhüllte

Und sie alle empfinden sie als solche, denn sie alle sind für diese Er­kenntniß reif, und nicht Einer ist darunter, der zu sagen wagte: das ist absichtliche Entstellung und Uebertreibung, das ist mit zu brutalen Farben gemalt, es ist eine Lüge; nein, fein Einziger. Und wer vermöchte sich auch dem Eindrucke des Wahrhaftigen, des Wirklichen zu entziehen, wenn man nur erst einmal den Muth hat, dergleichen vor das Forum der

*) Wegen Raummangels bisher zurückgelegt.

mit Pfennigen zu rechnen hat, bedeutet jeder Preisaufschlag nur neue Entbehrungen. Und mag man die Verfolgungen gegen uns verzehnfachen, niemals werden wir unsere Zustimmung zu solchen Reformen" geben. Niemals werden wir um das Linsengericht   einer Unfalls- und Invalidenversicherung von höchst zweifelhaftem Werthe das Recht des Volkes auf Arbeit und Existenz, niemals das Recht und die Pflicht des Volkes, seine Forderungen im Noth falle mit Gewalt durchzusetzen, preisgeben. Das ist die stolze Antwort der Sozialdemokratie auf die Kaiserliche Botschaft.

Sozialpolitische Rundschau.

Zürich  , 23. November 1881.

Der Sieg der deutschen   Sozialdemokratie über die vereinigte Reaktion hat unter den Sozialisten aller Länder freudige Begeisterung hervorgerufen. Ganz besonders sind es die Nachbarländer Deutschlands  , in denen unsere Genossen mit gespannter Aufmerksamkeit der deutschen   Wahlbewegung gefolgt sind. Sie waren gewohnt, die deutsche Sozialdemokratie als ihre Vorkämpferin zu betrachten, an ihrer rastlosen Thätigkeit sich ein Muster zu nehmen, und als nun das Sozia­listengesetz fam, als uns die öffentliche Agitation unmöglich gemacht wurde, als es den Anschein hatte, als sei die deutsche Sozialdemokratie in sich zerfallen, da litt auch bei ihnen die sozialistische Bewegung schwer, man kann fast sagen, daß ihnen das Sozialistengesetz mehr Schaden zugefügt hat als uns. Desto größer ist aber jetzt unter ihnen der Jubel über unseren glänzenden Sieg, der sicher nicht ohne Rückwirkung bleiben wird. Das Wahlresultat", schreibt unser Wiener   Bruderorgan, Die Wahrheit", hat unsere Erwartungen weit übertroffen und uns mit neuem Muthe erfüllt. Es sollte uns aber auch anspornen, eine energische Agitation für die Einführung des allgemeinen Stimmrechts in Dester­reich ins Leben zu rufen."

Und an einer anderen Stelle:

,, Wir sprechen ihnen, den wackeren Arbeitern Deutschlands  , in unserem, wie im Namen unserer politischen Freunde in Oesterreich   den herzlichsten Dank für ihre Haltung aus."

Die Arbeiter Wochen- Chronik" in Budapest   schließt ihren Artikel über die deutschen   Wahlen mit folgenden Worten, denen sie unsern Aufruf zu Geldsammlungen anfügt:"

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,, Uns aber soll das Beispiel der deutschen   Genossen aneifern zum Aus­harren in unseren Bestrebungen und wenn je, so gilt in Bezug auf die deutschen   Genossen das Wort: Gehet hin und that des. gleichen!"

Das Organ der belgischen Sozialdemokratie, die Genter Toekomst", schreibt: Unsere Genossen haben die Feuerprobe würdig bestanden, sie werden in dem fortdauernden und heißer werdenden Streit die Fahne nicht sinken lassen. Unsere Partei ist unbesiegbar, wie ihre Prinzipien unüberwindlich sind. Was unsere Feinde auch anstellen, um uns zu vernichten, wird fruchtlos sein. Darum, Genossen, niemals den Muth verloren!"

Und um ihre Solidarität durch die That zu beweisen, haben unsere Genter Genossen sofort eine Sammlung zu Gunsten unseres Wahlfonds vorgenommen, welche die Summe von 75 Fr. ergab.

Mit Ehrfurcht und Bewunderung", schreibt unser holländisches Bruderorgan, Recht vor Allen", werden wir erfüllt, wenn wir vie Ausdauer und Kraft betrachtet, mit der unsere sozialistischen Brüder in Deutschland   den Wahlkampf geführt haben."

Der Proletaire", das Organ der französischen   Arbeiterpartei, schreibt: Die Wahlen vom 27. Oktober werden in den Annalen der deutschen   Sozialdemokratie Epoche machen."... ,, Die von ihr erzielten Resultate sind der stärkste Stoß, welchen die Bismarck  'sche Politik in Deutschland   erhalten hat. Drei Jahre Bismarckischen Schreckens... haben den Triumph der deutschen   Sozialdemokratie nicht verhindern

fönnen."

O Protesto", das Organ der sozialistischen   Arbeiter Portugals  , schreibt: Alles in Allem ist das Wahlergebniß ein glänzender Sieg, zu welchem wir dem Volk und den Sozialisten Deutschlands   Glück wünschen fönnen."

Der Avanti!" von Imola  , der in der uns vorliegenden Nummer erst das Ergebniß der Hauptwahl kannte, begrüßt dasselbe mit Freuden, indem er die vielen Schwierigkeiten in Betracht zieht, welche die soziale Demokratie besiegt hat.

F

Die sozialistische und radikal- demokratische Presse der Schweiz  : ,, Arbeiter stimme"," Grütlianer" und Volksfreund", die sozialistischen   Organe Nordamerikas  : New Yorker Volkszeitung"," Vorbote" u. s. w., sie alle stimmen darin überein, daß die Wahlen vom 27. Oktober ein glänzendes Zeugniß für den Muth und die Ausdauer der deutschen   Arbeiter darstellen. Und wenn es überhaupt noch eines Zeugnisses für den imposanten Eindruck

Oeffentlichkeit zu bringen! Wereschagin hat es gethan und er hat damit der Kunst eine neue Richtung gegeben.

Er hat, seinem unabhängigen Geiste folgend, sich von der guten alten Sitte emanzipirt, die dem kaiserlich königlichen Schlachtenmaler bisher nur gestattete, den Sieg und die Sieger zu malen; in überschwenglicher Manier den hohen Kriegsherrn zu verherrlichen und in allerlei rührenden, mehr oder weniger gut erfundenen Szenen den unerschütterlichen Muth, die stets flammende Begeisterung der Truppen zur allgemeinen Kenntniß zu bringen.

Wereschagin hat seine Schlachtenbilder nicht auf Kommando gemalt, sie sind unverkäuflich, sie gehören ihm. Es ist sein Eigenstes und es ist eine edle tiefmitempfindende Seele, die sich darin ausspricht. Gleichwohl scheint er die zarte Empfindsamkeit und ästhetische Rücksicht nicht zu kennen, die da gebietet, das Auge des Volkes mit all' den Gräueln des Bestehenden zu verschonen.

Mit unerbittlicher Naturwahrheit malt er, was er gesehen und selbst erlebt hat: die entsegliche Missethat an der Menschheit, den privilegirten Massenmord.

Man sieht und schaudert; selbst der durch die Gewohnheit abgeftumpfte, die Ordnung" hochachtende Bourgeois wird seiner Vernunft die schüch­terne Frage gestatten müssen, ob denn eine Ordnung", in welcher der Machtspruch eines Einzelnen genügt, um die kraftvolle Jugend eines Volkes zu so unsäglichen Leiden oder zu einem frühen Tode zu ver­urtheilen, nicht verdammenswerth ist, und ob Menschenopfer zu fordern wirklich ein unantastbares Recht der Krone sei?

Wir haben in den Gemälden Wereschagins die Schlachtfelder des letzten Orientkrieges vor uns. Bilder vom russisch- türkischen Kriegs­schauplatze" sagt der Katalog, der überall, wo der Maler allein nicht ausreicht, in trefflichen Kommentaren und Randgloffen das volle Ver­ständniß herbeiführt.

Vor dem Angriff" betitelt sich dieses Bild. Es bringt eine Episode vor der Erstürmung Plewna's   durch die Russen. Der Tag ist trüb, ein feiner Regen rieselt hernieder. Hinter einem Verhau, dicht aneinandergedrängt und auf dem najsen durchweichten Boden hingekauert, dessen klebriger Schmutz an ihren Kleidern haftet, harren die russischen Soldaten in banger fiebernder Erwartung des Befehls zum Angriff.

Ein General und einige Offiziere stehen an ihrer Seite. Bangen Auges sehen sie nach der türkischen Festung gegenüber. Aus ihren blassen, eingefallenen Zügen spricht der Ernst ihrer Lage; sie wissen es wohl, sie stehen vor einer schweren Stunde, aber sie versuchen es, den Soldaten Muth einzusprechen: Haltet Euch wacker, Brüderchen. Es ist heute der Namenstag des Zaren, ihr Braven sollt dem Kaiser Plewna zum Geschenk darbringen!"

Die

" Nach dem Angriff." Wir sehen einen Verbandplatz. Die

bedürfte, den die Wahlerfolge unserer Partei allüberall in Arbeiter­kreisen gemacht haben, so ist es die Thatsache, daß die anarchistischen Blätter theils ganz darüber schweigen, theils aber krampfhafte Anstreng­ungen machen, hie und da einen Rückgang aufzufinden. Das soll uns aber die Freude nicht verderben, wir werden uns ohnehin nicht auf die Bärenhaut legen, sondern mit frischem Muthe weiter arbeiten an dem Riesenwerk der politischen und sozialen Befreiung des Proletariats.

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Die Botschaft, mit welcher der deutsche   Kaiser dem neugewähl­ten Reichstag   fund und zu wissen that, daß Er mit Seinem Kanzler ein Herz und eine Seele ist, wer da das Herz ist und wer die Seele, liegt auf der Hand ist eine bittere Nuß für die Herren Forckenbeck, Richter und Genossen. Mögen die Herren noch so laut schreien: Wir wollen von den Hohenzollern   regiert werden und nicht von ihrem Hausmeier! so lange sie den alten Herrn nicht pensioniren, so lange werden sie mit ihrem Geschrei den Bismarck nicht los. Und so wackelig es mit dem Ersteren auch steht, so hat er nun einmal ein zähes Leben und mag es bei guter Pflege wohl noch so ein paar Jährchen aushalten, wogegen wir natürlich nichts einzuwenden haben, da nach unserer Ansicht das monarchische Brinzip durch einen 84jährigen Mann am zweckmäßigsten vertreten wird.

Was nun Kaiser

pardon Kanzler Bismarcks Botschaft anbetrifft,

so ist das ein äußerst lustiges Ding. Der Parlamentarismus, wie er ist", wird da in so vortrefflicher Weise geohrfeigt, daß wir unseres Freundes Lothar Bucher   bewährte" Feder in jeder Zeile wieder­erkennen. Die armen Liberalen krümmen sich ordentlich, um diese kaiser­lichen Ohrfeigen, die ihnen in der Botschaft allergnädigst verabfolgt werden, in unterthänigster Demuth abzuwehren. Judem sie mit gewohnter Schlauheit den Kaiser immerfort als das Blümchen Rührmichnichtan hin­stellten, erhalten sie jetzt den wohlverdienten kaiserlichen Fußtritt. Alles, gegen was sie geeifert, die neue Wirthschaftspolitik, das Tabaksmonopol, die zweijährigen Etats- und die vierjährigen Legislaturperioden, wird ihnen jetzt vom Kaiser,- nicht vom Kanzler- huldreichst präsentirt. Jetzt zieht die Phrase vom Hausmeier nicht mehr, denn ein Hausmeier setzt, wie die Offiziösen mit Recht behaupten

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einen durchaus unfähigen, unselbstständigen Fürsten   voraus, so daß wer Bismard Hausmeier der Hohenzollern   nennt, eigentlich wegen Majestätsbeleidigung bestraft werden sollte. Nachdem aber nun gar der Kaiser mit allerhöchsteigner Unterschrift bebrieft und besiegelt hat, daß er noch Herr im Hause ist, da existirt für ein ächt liberales Gemüth gar kein Zweifel mehr der König rief, und Alle, Alle kamen!" Da fizzen die Herren nun in der Zwickmühle und warten auf Erlösung. Wären sie Männer, so könnten sie bei der jetzigen Zusammensetzung des Reichstages Bismard arg in die Klemme bringen, da sie aber Liberale sind, so warten sie auf den liberalen Kronprinzen und begnügen sich einstweilen mit dem politischen Schacher. Bismarc hat ja die allerhöchste Erlaubniß erhalten, seine Minister zu nehmen, wo - und sein Gegen­er sie findet, der Preis des Schachers wäre also da stand, die Interessen des Volkes, du lieber Gott, wer wird nach den Wahlen noch ernsthaft davon reden! Man wägt die eigenen Inter­effen sorgfältig gegeneinander ab, das ist die Hauptsache. Mir ein Vier­tel, dir ein Viertel", wie es im Liede heißt, gestohlen werden sie doch­dem Volke nämlich.

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Noch einmal zur Stichwahl in Berlin  . In unserem heutigen Leitartikel haben wir den Schlußpassus der Erklärung von Bebel und Liebknecht   fortgelassen, weil derselbe mit der dort behandelten Frage nichts zu thun hat. Unsere Genossen konstatiren nämlich ausdrücklich, was wir bereits in der vorigen Nummer festgestellt hatten, daß das in der Stich wahl erzielte Stimmenmehr unserer Partei hauptsächlich von solchen Wählern herrührt, welche in der ersten Wahl, weil sie an einen Sieg unserer Partei nicht glaubten, theils um der politischen Freiheit und Opposition willen für den Fortschrittler, theils um der versprochenen Sozialreform willen für den Kandidaten der Konservativen stimmten, sich aber nunmehr wieder dem Gros unserer Partei angeschlossen haben. Der ,, Volks- Zeitung" paßt das natürlich nicht in den Kram und sie möchte gerne mit aller Gewalt nachweisen, daß der Zuwachs unserer Partei von den Konservativen herrührt. Daß seine eigenen Kandidaten Träger und Klotz bei der Stichwahl anstatt eines Mehrs, wie es sonst bei den Stichwahlen der Fall ist, ein Minus von zusammen 1500 Stimmen erzielten, vergißt das fortschrittliche Organ dabei vollständig. Wie ernst es aber die Konservativen mit der Wahlenthaltung nahmen, dafür liefert die Volkszeitung" in ihrer Nr. 272 selbst den besten Beweis, indem sie schreibt:

,, Uns sind Fälle bekannt, in denen Bureauchefs ihren Unter­gebenen am Morgen der Wahl förmlich Vortrag gehalten und ihnen aus dem angegebenen Grunde*) Wahlenthaltung empfohlen oder sie, was dasselbe ist, durch eine Kontrole am Wahltische zur Wahlenthaltung gezwungen haben." Das zeigt denn doch deutlich genug, daß das antifortschrittliche Wahl­komite die Bebel- Liebknecht'sche Antwort richtig aufgefaßt hat.

Der Stöcker'sche ,, Reichsbote" versucht gleichfalls zu flunkern, indem er behauptet, daß Berliner   Sozialisten den Unterhändlern des antifort­schrittlichen Komites ihr lebhaftes Bedauern über das Scheitern der Ver­*) Nämlich daß beide Kandidaten Reichsfeinde seien.

Menge der Verwundeten war über Erwarten groß; was zur Verpflegung der Kranken vorgesorgt worden, reicht bei weitem nicht aus. Ein Divi­sionslazareth, welches für 500 Menschen abgetheilt war, hatte man mit 8000 angefüllt. Und nun regnet es, und die schutzlosen Verwundeten schwimmen förmlich in Schmutz und Wasser und Blut. Die Aerzte thun, was sie können, die barmherzigen Schwestern suchen mit bewun­dernswerther Aufopferung das Elend dieser Armen zu lindern, aber der Leidenden sind zu viele. Sie bleiben ohne Verband, ohne Nahrung, ihrer Qual, der Verzweiflung anheimgegeben, die Meisten schon den Tod in den schmerzverzerrten Zügen.

Diejenigen, die versorgt werden konnten, sitzen still, in sich gekehrt, vielleicht in der Erinnerung an die Lieben in der Heimath. Ein hübscher junger Bursche, ganz im Vordergrund, mit verbundenem Arm, die Tücher vom Blute starrend, der mit großen treuherzigen Augen so traurig vor sich hin sieht, macht einen tief wehmüthigen Eindruck.

Eines der bewundernswerthesten Gemälde, von vollendeter Meisterschaft zeugend, betitelt sich Die Sieger". Jede der vielen Gestalten ist voll Ausdruck und Charakter in der Zeichnung, voll Kraft und Ueppigkeit in der Farbe.

Die Türken haben die Russen geschlagen und hier auf dem Schlacht­felde, inmitten des hundertfältigen Todes, der grausigsten Verstümmelung, kommt die ganze Brutalität des Siegers, die freudetrunkene Rohheit des zur Bestie umgewandelten Menschen zum Durchbruch. Die Sterbenden und Verwundeten werden geplündert und gemartert, man sieht, wie die Sieger sie ihrer Kleider, ihrer Wäsche selbst berauben, man sieht die graufigen Säbelhiebe auf den schon entblößten Körpern. Hier zieht ein Arnaute einem Kosaken die Stiefel von den erstarrten Füßen, um fie sogleich selber anzulegen, neben ihm kugelt ein Kopf, der von dem noch blutenden Rumpf abgetrennt ist.

In der Mitte des Bildes sehen wir einen graubärtigen Orientalen, in dem verwilderten, fast thierischen Gesicht ein schlaues Schmunzeln. Er hat soeben die glänzende, ordenverzierte Uniform eines russischen Generals über seine Lumpen gezogen und steht nun breit, mit auseinander­gespreizten Beinen und vom Leib gehaltenen Armen unbeholfen und selbst­gefällig da, um sich von den Kameraden bewundern zu lassen.

Diese brechen in ein tolles Gelächter aus, man sieht, wie sie wieheru, sich krümmen vor Lachen. Der Kerl wirkt aber auch zu drastisch. Und der Eine greift, voll spöttischen Uebermuths, salutirend nach seinem Fez, den General auf europäische   Weise begrüßend.

Ausgelassener Humor und Todesröcheln; gibt es eine schneidendere Satire auf alles Menschenthum?!

Besiegte." In unabsehbarer Perspektive dehnt sich ein Leichenfeld hier aus. Die blutige Schlacht bei Telisch   war vorüber. Die Russen trugen die verstümmelten, entblößten Leichname, 1500 an der Zahl, zu