" Schon der Geschäftsbericht pro 1879 80 ergab für die Union eine Steigerung der gezahlten Löhne pro Kopf des Personalbestandes auf Mt. 818. 39 gegen Mr. 802. im Jahre 1878/79. Jm abgelaufenen Geschäftsjahre betrug dieser Satz pro Kopf des Personalbestandes Mt. 884. 33, ergibt mithin gegen das Jahr 1878/79 eine Verbesserung pro Kopf des Personalbestandes von Mt. 82.-."

Dieser geschäftsberichtliche Hinweis der ,, Union  " wird sekundirt durch das Telegramm, welches der Verein zur Wahrung der industriellen Interessen im Rheinland   und Westphalen vom 29. November 1881 an Bismarck   richtete, in welchem ebenfalls mit Betonung auf eine Besserung der Lage der Arbeiter als eine Folge der neuen Wirthschaftspolitik hin­gewiesen wurde.

Diesen Auslassungen steht gegenüber die in Nr. 2 des Sozialdem." besprochene Petition der Essener Bergarbeiter- Versammlung; zwar wider­spricht sie durchaus nicht den Angaben der Dortmunder Union", daß der Lohn pro Kopf des Arbeiterbestandes von Mt. 818. 39 im Jahre 1879/80 auf Mt. 884. 33 im Jahre 1880/81 gestiegen ist; aber sie hebt hervor, was die Union  " verschweigt, daß die Löhne sich nur dadurch gesteigert haben, daß die Leistungen des einzelnen Ar­beiters größer geworden sind, weil dieselben zu Ueberschichten gezwungen sind, daß aber die Schicht­löhne nicht erhöht worden sind.

Kohlenförderung

Eisensteinförderung

Ctr.

Stellen wir aus den Geschäftsberichten beider Jahre folgende Zahlen zusammen: 1880 81 1879 80 5,320,216 4,573,020 Kilo 85,367,405 71,507,965 88,068,287 133,643,071 11,999,758 6,750 5,524,155 818,39

Roheisenproduktion

Walzfabrikate wurden produzirt

Sonstige Fabritate

Arbeiter am Jahresschlusse

Im Jahre gezahlte Löhne

oder pro Kopf

=

"

115,290,508

"

140,515,505

11

11,773,561 6,615 Mf. 5,849,811 884,33

"

Die gesammte Produktion betrug darnach in 1880 81: Ctr. resp. Rilo 358,267,195 gegen 309,792,101 in 1879180, sie hat also zugenom­men um 48,475,074 15½ Proz. Die Löhne dagegen haben zu­genommen von Mt. 5,524,155 in 1879 80 auf Mt. 5,849,811 in 1880| 81 also um Mt. 325,656 dies ist noch nicht ganz 6 Proz., d. h. die Kosten der Arbeitsleistung sind also bei der Dortmunder Union im 1880/81 gegen 1879 80 nicht unerheblich billiger geworden. Die Arbeitsleistung hat um reichlich 15% Proz., der Lohn aber noch nicht ganz 6 Proz. zugenommen, d. h. um un­gefähr so viel, als nach den nicht wiederlegten Angaben des Lüdenscheidter Konsumvereins die Preise der Lebensmittel für eine fünfköpfige Arbeiter­familie durch die neuen Zolltarife vertheuert worden sind. Mit dem besseren Verdienst ist es also trotz bedeutender Ueberschichten reiner Schwindel. Diese Thatsache muß man sich vergegenwärtigen, um sich voll und ganz der armseligen Flunkerei bewußt zu werden, die in folgenden pomphaften Sätzen des letztjährigen Geschäftsberichts der Dortmunder Union sich breitmacht.

,, Wenn wir mit größerem Vertrauen als seit längerer Zeit auf das neue Geschäftsjahr und auf die weitere Entwicklung unseres Unternehmens blicken dürfen, so fühlen wir uns verpflichtet, an dieser Stelle, das be­reits in unserem vorjährigen Bericht niedergelegte Zeugniß zu bestätigen, daß diese Wendung zum Bessern zum großen Theil der veränderten wirthschaftlichen Gesetzgebung und der Wiederherstellung des Vertrauens zu verdanken ist, welches in Folge derselben bei der Jndustrie zurück­gekehrt ist. Wir haben uns in früheren Jahren über die hiefür maß­gebenden Gesichtspunkte so oft eingehend geäußert, daß wir uns hierauf beziehen und somit auf das oben ausgesprochene wiederholte Zeugniß beschränken dürfen. Nur einen Umstand möchten wir auch an dieser Stelle ganz besonders hervorheben: Wir meinen die erfreuliche Verbesserung der Lohnverhältnisse, welche ganz in derjenigen Weise eingetreten ist, wie sie von denen vorhergesagt wurde, die den Schuh der nationalen Arbeit nicht sowohl im Interesse der zahlreichen, von der Erhaltung der deutschen   Eisenindustrie abhängigen und in ihrer Existenz auf's Schwerste be= drohten Arbeiter bevölkerung befürworteten."

Schamloser Schwindel und Humbug, die Sorge, dem armen Mann, dem Arbeiter und kleinen Handwerker aufzuhelfen", und schamloser Schwindel und Humbug die ausposaunte Verbesserung der Lohnverhält­nisse! Nichtswürdiger Schwindel!

Die schon früher mitgetheilte und besprochene Petition der Essener Bergleute wird aber denselben Erfolg haben, wie eine ähnliche Petition derselben vom Jahre 1868, welcher Schreiber dieses nahestand, und welche mit einigen schön stylisirten Phrasen von der warmen Fürsorge der Regierung für das Wohl der Bergarbeiter abgespeist wurde. Aus Westphalen.

-1.

Aus der Rede Liebknechts über den Reichsetat.

Gehalten am 24. Januar 1882.

Reichsetat.

( Nach dem amtlichen stenographischen Bericht.) Meine Herren, der Herr Abgeordnete Richter hat darauf hingewiesen, daß die Anschauungen, welche soeben von dem Herrn Reichskanzler hier vertreten wurden, bereits zu den Zeiten der Reaktion in den fünfziger Jahren und früher von Gerlach und von anderen vertreten worden seien. Neues haben wir hier allerdings nicht gehört. Aber wie ist es über­haupt möglich, daß diese alten Anschauungen hier noch auftauchen können? Da muß ich allerdings der linken Seite des Hauses den Vorwurf machen, daß es ganz wesentlich ihrer Haltung zu verdanken ist, daß der­artige Anschauungen heute noch hier am Regierungstisch zum Wort gelangen können. Als in den sechziger Jahren der Kampf mit dem Abso­lutismus von der Fortschrittspartei aufgenommen wurde, stand das Volk hinter der Fortschrittepartei; trotzdem wagte sie es nicht, den Kampf bis auf's Aeußerste zu führen, bis sie gesiegt hatte. Sie ließ sich durch die auswärtige Politik des Fürsten Bismarck blenden und ertheilte ihm Indemnität für seine innere Politik; und jetzt, nachdem der Kampf Jahrzehnte lang vertagt war, finden wir, daß er von Neuem auf­genommen werden muß. Dieselben Prinzipien, die Sie damals bekämpft haben, stehen Ihnen heute wieder gegenüber. Das persönliche Regiment, ob es sich verkörpert im Monarchen, ob es sich verkörpert im Reichskanzler, es steht Ihnen gegenüber, ob man es Selbstregierung nennt oder Selbstherrschaft, es ist das autokratische persönliche Regiment, mit diesem müssen sie abrechnen, wenn nicht der Verfassungsstaat gerade so ein Gegenstand des Gelächters sein soll, wie es neulich hier im Reichstag der Rechtsstaat mit Recht gewesen ist.

Meine Herren, ich komme nun zum eigentlichen Gegenstand der Tagesordnung zur Generaldebatte über den Etat. Ich hatte und habe nicht die Absicht, akademisch über die Frage des kaiserlichen Erlasses zu reden, die sich, wie jetzt schon zu sehen, im Sande verlaufen wird. Wie dem aber auch sei, Sie kommen nicht zwischen den Hörnern des Dilem­mas hindurch, entweder müssen Sie das absolute Regiment, das Ihnen in der Person des Heichskanzlers gegenübertritt, durch einen inneren Verfassungskampf, durch einen siegreich durchgeführten Konflikt brechen, oder Sie müssen es hinnehmen, sich unterwerfen, und höchstens den Konflikt durch allgemeine Redensarten vertuschen. Man wird vielleicht das Absolutistische dieses Erlasses vom 4. Januar weginterpretiren, ihm die Spitze scheinbar abstumpfen es ist dies im Lauf der Debatte theil­weise schon geschehen-, aber das absolute, das persönliche Regiment steht da, es bleibt und wird bei jeder Gelegenheit Ihnen wieder ent­gegentreten.

Die ungeheure Mehrzahl der Summen, um deren Verfügung es sich handelt, sind ausgeworfen für militärische Zwecke. Den Mili­tarismus müssen wir aber prinzipiell bekämpfen; im Militarismus er

blicken wir den Feind jeder freiheitlichen Entwicklung, den Krebsschaden, der an unserem Wohlstande frißt, kurz den Ruin unseres Vaterlandes.

-

Wozu brauchen wir denn das große Heer? Ist uns nicht in der Thronrede gesagt worden, daß wir friedliche Beziehungen mit allen Mächten haben? Sind von irgend einer Seite friegerische Verwicklungen zu erwarten? Ist etwa Rußland  , welches vom Nihilismus zerfressen ist, und welches vor wenigen Jahren als es noch stärker war, nicht ein­mal seinen Krieg mit der Türkei  , einer Militärmacht dritten Ranges, ohne Hilfe zu siegreichem Ende führen konnte, ist etwa Rußland   im Stand, uns anzugreifen? Ist bei Desterreich der Wille und die Macht anzunehmen, uns mit Krieg zu überziehen? und droht uns etwa von Frankreich   eine Gefahr? Meine Herren, man hat Gambetta  , der viel­fach mit dem Fürsten Bismard verglichen worden ist, den Diktator Frankreichs   genannt; man hat darauf hingewiesen, daß in Gambetta's Person der Gedanke der Revanche sich verkörpere; jetzt sehen Sie, wie ohnmächtig dieser Mann in Frankreich   ist, Sie sehen, daß Frankreich  , weil es entschlossen ist, sich zur demokratischen Republik zu entwickeln, auch mit diesen chauvinistischen Traditionen, mit dieser engherzigen Revanchepolitik gebrochen hat. Das Schicksal Gambettas zeigt, daß Frankreich   einen Krieg nicht will.

Sie begreifen, meine Herren, daß wir schon allein unserer Stellung zum Militarismus wegen nicht für den Etat stimmen können, da der größte Theil der Summen, welche in demselben ausgesetzt sind, für nach unserer Ansicht verwerfliche und gemeinschädliche Zwecke, die Zwecke des Militarismus, ausgesetzt ist. Man hat auch in oberen Regionen begriffen, daß es in der bisherigen Weise nicht fortgehen kann mit der Steigerung der Lasten, welche dem Volke auferlegt werden, und man hat sich darum entschlossen, etwas zur Hebung des allgemeinen Wohlstandes zu thun. Da ist denn die sogenannte Steuer­und Wirthschaftsreform" sind die sozialpolitischen Pläne" des Reichskanzlers aufgetaucht.

Meine Herren, zu diesen Plänen und angeblichen Reformen habe ich Stellung zu nehmen. Ich werde es thun, so kurz wie möglich, aber es zu thun, bin ich verpflichtet. Was die Frage der direkten und indirekten Steuern betrifft, so stimmen wir in derselben bis zu einem gewissen Bunkt vollständig mit der Linken dieses Hauses überein, und ich brauche daher über dieses Thema nicht weiter zu reden. Wir sind der Ansicht, daß die indirekten Steuern weit schwerer auf dem Volke lasten, als die direkten Steuern, und daß die einzig vernünftige Besteuerung eines Volkes geboten wird durch die progressive Einkommensteuer. Diese beste aller direkten Steuern und überhaupt aller Steuern fordern wir in unserem Parteiprogramm, und wir sind darum enschiedene Gegner der Politik des Reichskanzlers, die direkten Steuern durch indirekte zu ver­drängen.

So will man der Industrie aufhelfen. Dem Hand­werk will man aufhelfen, dadurch, daß man die Innungen wieder herstellt. Meine Herren, was sind Innungen? Innungen, soweit sie überhaupt irgend etwas sind, sind verschämte Zünste. Entweder sind die Junungen nichts, oder sie müssen zu Zünften werden. Das ist aber nicht möglich. Und daß wir Sozialdemokraten, die wir die moderne bürgerliche Entwickelung als historische Nothwendigkeit anerkennen, und in der Beseitigung der Mißstände und Ungerechtigkeiten, die sich heraus­gestellt haben, die konsequente ortentwicklung über die bür­gerliche Gesellschaft hinaus erstreben daß wir keine Rückkehr in das Zunstwesen des Mittelalters wollen können, liegt von vornherein auf der Hand. Wir müssen also auch auf diesem Gebiete die Bestrebungen der Reichsregierung und jener, welche sie unterstützen, bekämpfen.

Nun kommen wir zu dem sogenannten armen Mann", dem durch die sozialpolitischen Reformen aufgeholfen werden soll. Ja, meine Herren, wenn es so weiter geht mit dem deutschen Reich, dann wird es in Deutschland   bald nur noch arme Männer geben; der arme Mann, dem aufgeholfen werden soll und muß, das ist jetzt schon beinahe das gesammte Volk. Daß diesem Hilfe geschaffen werde, ist aller­dings sehr nothwendig; geschieht es nicht sehr bald, so wird es zu spät sein.

Worin besteht nun die in Aussicht gestellte Hilfe? Da redet man von positiven Maßregeln. An diesen positiven Maßregeln, die man uns ver­sprochen hat, habe ich bisher noch nichts Positives entdeckt, als den Nebel, in den sie eingehüllt sind. Und der Herr Reichskanzler, der noch vor Jahresfrist so fühn, ich möchte sagen, wie Ziethen   aus dem Busch, auf die soziale Frage lossprengte, wie fleinlaut hat er sich in der Sizung vom 10. Januar d. J. geäußert! Er hatte inzwischen angefangen, die soziale Frage etwas zu studiren und da war es ihm klar geworden, daß an jedem Zipfel, wo er sie anfaßt, das Ganze hängt, die ganze Umhüllung und der ganze Organismus der heutigen Gesellschaft, daß, wer einmal A gesagt hat, auch B sagen muß, furz, daß die soziale Frage sich nicht im Detail, nicht in einzelnen willkürlich herausgegriffenen Detailpunkten lösen läßt. Er hat gefunden, daß mit der Unfallversiche­rung und mit der Altersversorgung, falls sie überhaupt von ihm durch­gesetzt werden kann, den Arbeitern noch lange nicht gedient ist. Heißt es dem Arbeiter helfen, wenn man ihm nur hilft, nachdem er ver­unglückt oder invalid geworden ist in Folge der Ausnutzung durch die tapitalistische Produktion? Der Mann will vorher, will auch sonst vom Staate unterstützt sein nicht in Form von Almoser, und Sie müssen ihn unterstützen, wenn er nicht zu Grunde gehen soll. Sehen wir doch, in welcher Lage die ungeheuere Mehrzahl der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland   sich befindet. Da gilt es, für Hunderttausende Verdienst schaffen, Arbeit schaffen und der Herr Reichskanzler hat vor einem Jahre ja auch erklärt: es kann nothwendig werden in konsequenter Verfolgung meiner Pläne, daß der Staat für die Beschaffung von Arbeit eintreten muß. Ja, meine Herren, das ist nicht blos möglich oder wahrscheinlich, das ist nothwendig; denn wenn man einmal die foziale Frage in die Hand nimmt, dann muß sie auch vollständig und gründlich gelöst werden.

Was die Gesetzesvorlagen betrifft, welche die Regierung bisher auf diesem Gebiete gemacht hat, so hat sie mit denselben nichts weiter be­fundet, als ihre vollständige Rathlosigkeit.

( Sehr richtig!)

Speziell vom Unfallversicherungsgesetz kann ich nur sagen, daß der be­scheidenste Arbeiterverein in Deutschland   ein besseres, praktischeres Geſetz zuwege gebracht hätte, als das war, welches in der vorigen Session dem Reichstag vorgelegt wurde.

( Rufe: Sehr richtig!)

Mit solchen Gesetzentwürfen löst man die soziale Frage nicht und gewinnt man das arbeitende Volk in Deutschland   wahrlich nicht. Es ist ein großer Unterschied zwischen rein politischen und ökonomischen Fragen. Politische Fragen lassen sich unter Umständen mit dem Schwert lösen, mit Gewalt, durch gewaltsames Eingreifen, mit ökonomischen

-

Fragen ist dies nicht möglich; und so wenig einst jener deutsche   Kaiser sich über die Grammatik stellen konnte, eben so wenig kann ein Reichs­fanzler und verfüge er über eine zehnfache Macht wie Fürst Bis­mard sich über die Gesetze der Nationalökonomie hinwegsetzen. Die ehernen Gesetze der Nationalökonomie bestehen für den Fürsten Bismarc gerade so gut wie für uns, und wenn er an die Lösung der sozialen Fragen geht, so zählt sein bon plaisir, sein Wille für nichts, soziale Frage muß vor Allem studirt sein. Als im vorigen Jahre die von Bewunderern des Reichskanzlers, die an seine gesellschaftsretterische Mission glaubten, das Wort ausgesprochen wurde, Fürst Bismarck   ſei der Oedipus, welcher das Räthsel der Sphinx soziale Frage" lösen werde, da haben die Gläubigen sicher nicht vorausgesehen, daß der Oedipus  vor wenigen Tagen hier gestehen mußte, daß er in Bezug auf die soziale Frage jest weniger flar sei als früher, daß er mit einem Wort das Räthsel der Sphinx nicht gelöset hat- und auch nicht lösen wird. Sie wissen aber aus der griechischen Mythologie, mit der Sphinx war fein Spaß zu machen; diejenigen, die sich unterfangen hatten, ihr Räthsel zu lösen, und es nicht löften, gingen elendiglich zu Grunde.

Die Reichsregierung ist also bisher auf dem Felde der Sozialreform weder praktisch, noch auch nur, theoretisch durch Darlegung ihrer Ziele in einer Weise vorgegangen, welche geeignet wäre, den Arbeitern irgend Vertrauen einzuflößen. Es ist wahr, und alle meine Freunde haben, so weit die Arbeiterinteressen berührende Fragen hier zur Debatte famen, dies erklärt, wir sind bereit, alles zu diskutiren, und jeder Vorschlag, der im Interesse der Arbeiter ist, wird von uns unterstützt werden. Wir nehmen aber vom heutigen Staat keine Abfindungs summe, sondern nur Abschlagszahlungen, weil wir wissen, daß, so gering auch die Abschlagszahlungen sein mögen, wir schließlich doch im Stande find, den Zahler und sei er ein noch so schlechter

Zahler zur Zahlung der vollen Summe zu nöthigen. Wie kann aber angesichts dessen, was bisher geschehen und nicht geschehen ist, innerhalb der deutschen   Arbeiterklassen Vertrauen in die sozial­politischen Pläne des Fürsten Bismarck bestehen? Und wären diese Pläne auch vertrauenerweckender und weniger nebelhaft, dann steht immer noch als tiefe unübersteigliche Kluft zwischen uns und der Bismarc'schen Sozialreform das Sozialistengeset.

-

Nun, meine Herren, die Unterdrückung hat nicht vermocht, uns als Partei zu vernichten das zeigt schon das Wahlresultat und ebenso wie das Zentrum durch die Ausnahmegeseze nur gekräftigt worden ist, so ist die Sozialdemokratie als Partei durch das Sozialistengesetz nur gekräftigt worden. An uns werden Sie nichts ändern; die einzige Folge dieses Gesetzes für die Partei ist, daß es sie weiter nach links gedrängt hat und fortwährend drängt; daß die Furchtsamen ausgeschieden worden sind, und daß jetzt Strömungen in der Partei hervortreten, die lange nicht in der Stärke vorhanden waren, ehe das Sozialistengesetz kam, Strömungen, welche erst in dieser Stufe möglich geworden sind durch das zornige Gefühl der Unterdrückung. Sie haben durch den Belagerungs­zustand, überhaupt durch die Handhabung des Sozialistengesetzes eine Summe des Elends und des Unrechts geschaffen, der nur gleich kommt die Summe des Hasses, den Sie da mit erzeugt haben. Mit diesem Haß, meine Herren, werden die­jenigen zu rechnen haben, welchen wir das Sozialistengesetz verdanken. ,, Aha!" denkt man hier vielleicht: das ist eine Drohung mit der Re­volution." Meine Herren, vor dem Wort Revolution" schrecke ich nicht zurück. Unsere Partei hat sich stets als eine revolu tionäre Partei bekannt. Aber wir haben niemals gesagt, daß wir eine revolutionäre Partei seien in dem Sinne, daß das Wort re­volutionär" prinzipiell die Anwendung physischer Gewalt, das Anstreben des gewaltsamen Umsturzes bedeute. Im Gegentheil, gegen diese Unter­schiebung haben wir uns stets auf das energischste verwahrt. In dieser Beziehung haben wir schon vor 10 Jahren, im Leipziger   Hochverraths­prozeß, und später während der Sozialistengesetzdebatte und bei anderen Gelegenheiten die bündigsten und unzweideutigsten Erklärungen abgegeben; allein man hat uns nicht glauben wollen. Nun, meine Herren, das ist Ihre Sache, mögen Sie es glauben oder nicht glauben; das eine aber will ich Ihnen sagen, daß die Hoffnungen derer, welche glaubten, daß die Entwickelung Deutschlands   auf dem Wege der Reform sich vollziehen könne, durch das Sozialistengesetz sehr herabgestimmt worden find. Durch das Ausnahmegesetz haben Sie gerade der reformatorischen Entwickelung einen Riegel vorgeschoben. Der Weg zur Revolution, zum gewaltsamen Umsturz ist zu allen Zeiten mit Ausnahme­geseten gepflastert gewesen.

( Sehr wahr!)

Es wird ja jetzt auf dem Gebiet der Sozialreform von allen Parteien ein förmliches Kirchthurmwettrennen abgehalten; allseitig wird anerkannt, daß die jetzigen Zustände unhaltbar sind, daß eine neue Welt im Geburtsprozeß begriffen ist. Aber, meine Herren, so wenig wie im vorigen Jahrhundert die bürgerliche Welt auf das Kommando von oben entstehen konnte, ebenso wenig kann die neue sozialistische Welt auf Kommando von oben, sei es eines Kaisers, sei es eines Königs, sei es eines Reichskanzlers, entstehen. Das gewaltige soziale Problem kann nur gelöst werden durch das Volt. Die Internationale Arbeiter­ assoziation  , auf die neulich schon hier hingewiesen ward, hat dies in ihrem Programm ausgesprochen. Die Befreiung der Arbeiterklassen und die Erlösung der Menschen von dem sozialen Elend ist blos möglich durch die Arbeiterklassen. Bloß von unten herauf kann die Umgestaltung der Gesellschaft sich vollziehen. Diese Umgestaltung ist eine Revolution. Ob die soziale Revolution auf dem Wege der Reform oder auf dem Wege des gewaltsamen Umsturzes durchgeführt wird, das hängt nicht von uns ab, sondern von der Majorität der Volks­vertretung, von der Staatsflugheit der Regierungen.

Nach meinen bisherigen Ausführungen ist unsere Stellung zum Etat flar. Wir mißbilligen und bekämpfen das System, welches durch den Fürsten Bismard vertreten wird; wir sind prinzipielle Gegner des Militarismus, wir sind prinzipielle Gegner des vom Reichskanzler ver­tretenen Steuersystems, wir sind prinzipielle Gegner seiner gesammten Wirthschaftspolitit, und wir haben nicht den geringsten Grund, zu seiner sogenannten Sozialreform Vertrauen zu haben. Unter diesen Umständen müssen Sie es durchaus logisch und konsequent finden, daß wir sagen: für das System, welches uns den Militarismus bescheert hat, und welches mit dem Militarismus identisch ist, für das System, unter dem Deutsch­ land   verarmt, welches die Freiheit in Deutschland   unterdrückt, welches uns die Ausnahmegeseze gebracht hat, welches hunderttausende von braven fleißigen Bürgern jährlich aus dem Lande treibt, für dieses System wollen wir keinerlei Verantwortlichkeit übernehmen, dieses System bekämpfen wir, und für die Aufrechterhaltung dieses Systems können wir feinen Pfennig bewilligen. Wir werden also gegen den Etat in seiner Gesammtheit stimmen und ich hoffe, daß diejenigen Herren auf der Linken, welche vorhin so eifrig gegen den Absolutismus geredet haben, ebenfalls die Konsequenz besitzen werden, mit uns gegen den Etat und damit gegen das in Worten von ihnen bekämpfte System in seiner Gesammtheit zu stimmen.

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Sozialpolitische Rundschau.

Zürich  , 1. Februar 1882.

Aus Berlin   schreibt man uns: Wie sehr die herrschende Gesell­schaft aller Scham bar geworden ist, und wie zugleich ein großer Theil unserer sogenannten Volfsvertreter" gar keine Ahnung davon hat, was sie mit dem gemeingefährlichen Gesetz vom Oktober 1878 eigentlich angestellt, dafür lieferte die heutige Reichstagssitzung einen deutlichen Beweis. Es ist ja Thatsache, daß mit den Machtbefugnissen, welche der Polizei durch das famose Ausnahmegesetz in die Hand gegeben sind, der scheußlichste Miß­brauch getrieben wird, denn der Appetit kommt mit dem Essen, und was die Polizei gegen Sozialisten in punkto Haussuchungen, Spionage und ähnlichen Geschichten verübt, das wird ihr mit der Zeit so zur Gewohn­heit, sie glaubt so sehr in ihrem Rechte zu sein, Alles als vogelfrei zu betrachten und demgemäß zu behandeln, daß dadurch eine für uns höchst erfreuliche Gefährdung der gesammten bürgerlichen" Ordnung entsteht. Wird doch durch dieses Gesetz und seine Handhabung ein ganz verächtliches Lumpengesindel von Mouchards großgezogen, welches bereit ist, fitr 20 Silberlinge jeden seiner Mitmenschen zu bespiteln, zu verrathen, falsch zu denunziren, und eventuell auch mittelst etlicher amt licher" Meineide, die heutzutage sozusagen wild wachsen, in's Zuchthaus zu bringen. Und das ist recht. So mußte es kommen. Die Früchte dieser hübschen Saat werden wir noch ernten. In der heutigen Reichs­tagssitzung benützte Parteigenosse Grillenberger die Gelegenheit bei der dritten Etatsberathung, um die schamlose, niederträchtige Spionage, welcher die zur Zeit hier weilenden sozialdemokratischen Abgeordneten aus­gesetzt sind, in recht verständlichem Deutsch zu geißeln. Zunächst schilderte er die Art dieser Spitzelei, und es dürfte auch die Parteigenossen allenthalben interessiren, hierüber Einiges zu erfahren. Es ist jedem unserer Abgeordneten ein sogenannter Zwanziggroschenjunge" als Schutz­engel beigegeben. Der Dienst desselben beginnt Morgens 6 Uhr und endet Nachts gegen 12 Uhr, wenn der letzte Zug von hier weg ist; unter Umständen passirt es jedoch auch, daß die Abgeordneten Nachts 2 Uhr noch solche Begleitung haben. Verläßt Einer der unter Polizei­aufsicht Gestellten Morgens das Haus, um sich nach dem Reichstag zu begeben, so löst sich irgendwo in einem gegenüberliegenden Hausflur oder in einem benachbarten Keller eine verdächtige Gestalt ab, um auf der andern Seite der Straße in einiger Entfernung dem Betreffenden ununterbrochen zu folgen. Betritt derselbe unterwegs ein Bierlokal, einen Zigarrenladen, besucht er einen Freund oder macht er einen ge­schäftlichen Gang sein Schatten bleibt vor oder sonst in der Nähe der Thüre stehen, bis Jener wieder heraustritt. Dann beginnt das alte Spiel. Besteigt er einen Pferdebahnwagen, so springt der Andere rasch hinten auf, um den Wagen nicht früher wie sein Schützling zu verlassen. Da diese Subjekte nichts bezahlen, sondern blos ihr Hundezeichen vor­