gangen; der Mord weist 42, Falschmünzerei 50, Brandstiftung 48, Todtschlag 47, Verwandtenmord 100, Nothzucht 30 Prozent Rückfällige auf. Mit Rücksicht auf diese Zahlen kann man wohl sagen, daß die Kriminalität sofort um 80-60 Prozent fallen würde, wenn sie sich von den Rückfälligen befreien könnte. Die Raschheit, mit welcher das Ver­brechen das Verbrechen erzeugt, ist nicht minder erschreckend. Von 18,000 Individuen, welche in den Jahren 1878 und 1879 aus verschiedenen Zentralgefängnissen entlassen wurden, sind im Laufe derselben Jahre 63 Prozent wieder ergriffen worden. Noch mehr schädlich als durch ihre eigenen Verbrechen sind die Rückfälligen dadurch, daß sie eine förmliche Schule des Verbrechens, insbesondere für die Jugend, bilden. Die Hälfte der Verhaftungen in Paris   wird an Minderjährigen vollzogen; seit drei Jahren hat sich das Verhältniß beinahe verdoppelt. Die Mädchen, welche sich vor ihrer Großjährigkeit freiwillig als öffentliche Dirnen einschreiben lassen, bilden die Hälfte aller der Kontrole Unter­worfenen. Die Gefahr ist nicht blos eine soziale, sondern auch eine politische. Unter den Kommunegefangenen befanden sich 20 Proz. ab­gestrafte Verbrecher und 25 Proz. öffentliche Dirnen; unter 30,000 ge­fangenen Insurgenten zählte der General Appert 7400 abgestrafte Ver­brecher und nach den Berichten der Generale Trochu und d'Aumale ent­hielt die Kommune- Armee 20,000 Rückfällige. Von 1826-1879 ist die Zahl der Rückfälligen vor den Assisen von 16 auf 50 und vor den Zuchtpolizeigerichten von 8 auf 40 Prozent geftiegen. Des entlassenen Sträflings nimmt sich Niemand an, so daß er in vielen Fällen, auch wenn er will, auf den Weg der Ehrbarkeit nicht mehr zurückkehren kann. Durch den ehemaligen Justizminister Cazot ist konstatirt, daß die Rück­fälle hauptsächlich in den ersten Monaten nach der Entlassung aus dem Gefängniß stattfinden, woraus zu folgern ist, daß die Schwierigkeit für die Entlassenen, in die Gesellschaft wieder einzutreten, eine Hauptursache fitr die Zunahme der Rückfälle bildet."

Diesen Uebelständen muß abgeholfen werden, und das geschieht am besten und sichersten, indem man für die entlassenen Sträflinge Arbeitsnachweise errichtet, und die Gewohnheitsver­brecher von der Stätte ihrer Verbrechen entfernt und nach irgend einer abgelegenen Kolonie de portirt."

Je weiter je besser!

Ehe wir zur Kritik schreiten, müssen wir die von den Deportations­freunden wieder aufgetischte Lügenmär ans Scheunenthor annageln, daß die Kommune- Armee 25,000 rückfällige Verbrecher enthalten habe, und daß unter den gefangenen Kommunarden 7400 bestrafte Verbrecher ge­wesen seien. Diese Lügenmähr ist seinerzeit von den Versailler Mord­banditen zur Diskreditirung der Kommune erfunden worden. Wahr ist 1mgekehrt, daß zu keiner Zeit die Verbrechen weniger häufig waren, als während der Kommune, und daß das Verbrechergesindel von Paris  damals in Massen auswanderte, wohin es gehörte, nach Versailles   zu den Ordnungsbanditen.

Nun zur Sache!

Daß die Zahl der rückfälligen Verbrecher beständig zunimmt, nicht blos in Frankreich  , sondern auch in allen übrigen Kulturländern, das ist durch die Statistik über jeglichen Zweifel erhaben. Die moderne bürgerliche Gesellschaft steht eben den Verbrechern gegenüber rathlos da. Alle Versuche, sich derselben zu entledigen, sie vom Verbrechen abzu­schrecken oder sie zu bessern, sind kläglich gescheitert. Einzelhaft, Massenhaft, Zellengefängniß, Pennsylvanisches System, Frisches System, und wie die Systeme" alle heißen mögen Nichts hat geholfen, die Verbrechen sind nicht aus der Welt zu schaffen und die Verbrecher lassen sich weder bessern noch ausrotten. Der Mißerfolg ist komplett.

Und wie sollte es anders sein?

Wenn Jemand sein Haus trocken haben will, und es inwendig zwar sorgfältig vor Feuchtigkeit behütet, aber für feine Drainirung um die Fundamente herum sorgt, so wird man diesen Mann für sehr albern erklären, denn er vergißt, daß wer die Wirkungen beseitigen will, die Ursachen aus dem Weg räumen muß, und statt auf die Hauptsache sein Augenmerk zu richten, beschränkt er sich auf Nebensächliches.

Ganz ebenso ergeht es der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Verbrechen und den Verbrechern. Ja sie treibt es noch schlimmer. Denn nicht genug damit, die Ursachen der Verbrechen bestehen zu lassen, fördert sie noch die Ursachen der Verbrechen. Die moderne bürgerliche Gesellschaft ist in der That im eigentlichsten Sinne des Wortes eine Gesellschaft zur Förderung des Verbrechens.

Jeder Verbrecher im Affekt begangene Handlungen machen nicht zum Verbrecher, gerade so wenig wie Handlungen, die aus frank­haften, außergewöhnlichen Körper und Geisteszuständen resultiren- jeder Mensch, dem der Name Verbrecher mit Fug zukommt, ist direkt oder indirekt das Produkt unserer ungesunden sozialen Verhältnisse, ist der 3ögling der bürgerlichen Gesellschaft.

Von Schriftstellern unserer Partei ist dies hundertmal nachgewiesen worden, und die Wissenschaft erfenut, soweit sie frei" ist, die Richtig­feit dieses Sayes an.

Die bürgerliche Gesellschaft verschließt aber Augen und Ohren: sie hört und sieht nicht, weil sie nicht hören und sehen will. Und sie will nicht hören und sehen, weil sie ihre eigene Schande hören und sehen

würde.

Sie streut mit vollen Händen die Saat des Verbrechens aus, und wundert sich, daß die Saat aufgeht. Oder vielmehr, sie wundert sich nicht, denn sie denkt gar nicht nach. Sie akzeptirt gedankenlos das Ver­

Feuilleton.

Aus der neuesten Nummer der Narodnaja Wolja  ".

I.

Vorrede zu der zweiten russischen Auflage*) des ,, Manifestes der Kommunistischen Partei".

Von

Karl Marx   und Friedrich Engels  .

Die erste russische Ausgabe des Manifestes der Kommunistischen Partei  " erschien Anfangs der 60er Jahre in der Uebersetzung von Bakunin  ( Verlag des Kolokol" von Herzen). Damals konnte der Westen Europa's   eine russische   Ausgabe des Manifestes" nur als ein literarisches Kuriosum betrachten; heute ist eine solche Ansicht unmöglich. Wie beschränkt s. 3.( Dezember 1847) das Territorium der proleta­rischen Bewegung war, beweist am deutlichsten das Schlußkapitel des ,, Manifestes": ,, Ueber das Verhältniß der Kommunisten zu den ver­schiedenen oppofitionellen Parteien in den verschiedenen Ländern." In diesem Kapitel werden weder Rußland   noch die Vereinigten Staaten   er­wähnt. Es war das eine Zeit, in der Rußland   die letzte sichere Stütze der europäischen   Reaktion darstellte; in der die Vereinigten Staaten  mittels der Emigration den Ueberfluß des europäischen   Proletariats in sich aufnahmen und im Verein mit Rußland Europa mit Rohstoffen versahen, während sie selbst den Absatzmarkt der Industrieprodukte der Letzteren bildeten. So dienten in dieser oder jener Weise Rußland   und Amerika   zu Stützpunkten der bestehenden Ordnung in Europa  .

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den

Wie ganz anders jetzt! Gerade die europäische   Auswanderung macht in Nordamerika   die Entwickelung einer folossalen landwirthschaftlichen Pro­duktion möglich, deren Konkurrenz den europäischen   Grundbesitz großen wie den kleinen in seinen Grundfesten erschütterte. Ebenso half die Auswanderung aus Europa   den Vereinigten Staaten  , ihre ge­waltigen Industriequellen mit solcher Energie und Schnelligkeit zu ver­arbeiten, daß dem bisher bestehenden Monopol des westlichen Europa's und besonders Englands ein sicherer und baldiger Untergang bevorsteht. Diese beiden Umstände wirken auf Amerika   selbst umwälzend. Das kleine und mittlere Farmerthum, welches die Basis seines ganzen politischen Gebäudes find, werden allmälig unter dem Drucke der Konkurrenz des *) Herausgegeben von der Russischen sozialrevolutionären Bibliothet".

brechen als ewige Naturnothwendigkeit, wie sie gedankenlos sich selbst als ewige Naturnothwendigkeit afzeptivt.

Bei jeder Gelegenheit, tausendmal jeden Tag mit der Nase darauf gestoßen, daß Armuth, schlechte Erziehung, unnatürliche Gesetze, wider­natürliche Einrichtungen, Zustände die Verbrechen und Verbrecher er­zeugen, denkt die bürgerliche Gesellschaft keinen Moment daran, die Quelle der Armuth zu verstopfen, all' ihren Mitgliedern den Segen einer guten Erziehung zu Theil werden zu lassen, die unnatürlichen und widernatürlichen Gesetze, Einrichtungen und Zustände zu beseitigen. Sie denkt nicht daran- aus guten Gründen. Der Selbsterhaltungs­trieb verbietet es ihr. Die Beseitigung der Ursachen, aus denen die Verbrechen entspringen, wäre die Besei tigung der bürgerlichen Gesellschaft selbst.

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Und so ist die bürgerliche Gesellschaft absolut unfähig, mit dem Ver­brechen und den Verbrechern fertig zu werden. verburden mit Ge Der Stock, das Beil, die Guillotine, der Galgen, verbunden mit Ge­fängnissen und Zuchthäusern aller Systeme" nichts hilft gegen das Uebel. Von tausend Strömen gespeist, die ihm den Schlamm und die Fäulniß der Gesellschaft zuführen, spottet der Ozean des Verbrechens dem findischen Versuche, ihn mit philantropischen und unphilantropischen Löffeln ausschöpfen zu wollen.

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Daß es nichts hilft, fängt die bürgerliche Gesellschaft zu merken an. Sie kann die Verbrechen und die Verbrecher nicht aus der Welt schaffen, so will sie sich wenigstens die Verbrecher aus dem Gesicht schaffen. Aus den Augen aus dem Sinn. Wie eine liederliche Hausfrau den Schmutz nicht beseitigt, sondern irgendwohin in einen Winkel kehrt, will die bürgerliche Gesellschaft die Verbrecher in irgend einen entfernten, abgelegenen Winkel fegen. Je weiter desto besser.

Das nennt man Deportation. Deportation ist nichts anderes als das Geständniß der bürgerlichen Gesellschaft, daß sie mit den Ver­brechern nichts mehr anzufangen weiß, daß sie am Ende ihres Lateins ist. Für die nöthige Zufuhr und den ununterbrochenen Nachschub von Verbrechern wird sie schon sorgen!

Doch nicht alle Verbrecher sollen deportirt werden. Für die nicht gewohnheitsmäßigen" sollen Arbeits- Nachweisebureaur eingeführt werden. Wie human! Und wie kunstvoll der Gaul am Schwanz aufgezäumt! Arbeitsnachweis nach verübtem und verbüßtem Verbrechen! Nachher! Warum nicht vorher? Hätten die Leute vorher Arbeit gehabt, wären sie keine Verbrecher geworden. So weit darf aber die bürgerliche Gesellschaft nicht denken, denn ist einmal das Prinzip anerkannt, daß durch geordnete Arbeitsverhältnisse dem Verbrechen erfolgreich vorgebeugt wird, und daß die Gesellschaft verpflichtet ist, ihren Gliedern das Arbeiten zu ermöglichen, dann ist es mit der ganzen bürgerlichen Gesellschaft vorbei.

Daß unsere deutsche   Bourgeoispreffe für das französische   Regierungs­projekt schwärmt, und die Deportation auch für Deutschland   als staats­und gesellschaftsrettendes Heilmittel fordert, bedarf keiner besonderen Er­wähnung.

Leider aber gehören zur Deportation Kolonien. Und woher Kolonien nehmen und nicht stehlen? Das Kolonieftehlen ist aber nicht so leicht wie das vulgäre bürgerliche Stehlen. Die Kolonien nimmt man nicht einfach wo man sie findet, wie gewisse Leute das Geld nehmen.

Ob aber die Kolonien schließlich gefunden werden oder nicht, das kann uns gleich sein. Die edle Absicht steht fest, nnd das genügt uns. Denn mit der Deportation hat die bürgerliche Gesellschaft nicht blos ihr letztes Wort in Sachen der durch sie erzeugten Verbrechen und Verbrecher, sie hat damit auch ihren verbrecherischen Trägern und Stützen Ein, Rüdfälliger". das Urtheil gesprochen.

Sozialpolitische Rundschau.

3ürich, 12. April 1882. Reptilienlogif. Ein offenbar dem Berliner   Preßbureau entstammender Leitartikel, der jetzt durch die gesammte reaktionäre Presse die Runde macht, führt aus, daß die beiden einzigen Länder Europa's  , welche im gegenwärtigen Augenblick aufrichtig den Frieden wollen und ihn auch verbürgen, zwei Länder mit konservativen Regierun gen sind: Deutschland   und Oesterreich  ; daß aber sämmtliche Länder mit demokratischen Einrichtungen und Bestrebungen, wie Frankreich  , England, Rußland  , entweder im Innern keinen Frieden hätten oder nach Außen den Frieden bedrohten.

Man weiß, wenn man derartigen Blödsinn liest, wirklich nicht, ob so Etwas überhaupt ernsthaft gemeint sein kann. Wenn der Konservatismus oder richtiger reaktionäre Absolutismus à la Bismarck eine Bürgschaft des Friedens ist, dann müßte doch vor Allem Rußland   an der Spitze der friedenverbürgenden Mächte stehen, denn in puncto des reaktionären Absolutismus ist Rußland   doch unzweifelhaft dem Bismarck'schen Deutsch­land weit über.

,, Aber Rußland hat den Nihilismus."

Ganz recht. Allein warum hat es ihn? Eben weil es in puncto des reaktionären Absolutismus dem Bismarck'schen Deutschland weit über ist, und weil dort das Polizeiregiment eine Ausbildung erlangt hat, die Bismarck   für Deutschland   vergebens erstrebt vergebens in Folge der höheren Kultur Deutschlands  .

Großlandwirthschaftsbetriebes zu Grunde gehen. Gleichzeitig damit be­ginnt in den industriellen Bezirken die Entwickelung eines Massen­proletariats und einer beispiellosen Konzentration des Kapitals.

Und Rußland  ! Zur Zeit der Revolution von 1848/49 erblickten nicht nur die europäischen   Fürsten  , sondern auch die europäische Bourgeoisie in der russischen   Einmischung den einzigen Rettungsanker gegenüber dem eben erwachten Proletariat. Der Zar wurde zum Chef der europäischen  Reaktion proklamirt. Jetzt sitt er als Gefangener der Revolution in Gatschina, und Rußland   erscheint als die Avantgarde der revolutionären Bewegung Europa's  .

Das Manifest der Partei bezweckt die unausbleiblich bevorstehende Liquidation des modernen bürgerlichen Eigenthums zu proklamiren. Aber wir finden in Rußland   zu gleicher Zeit mit dem schnell an­wachsenden kapitalistischen   Schwindel und dem eben beginnenden indivi­duellen bürgerlichen Grundeigenthum, die größere Hälfte des ganzen Grund und Bodens im Gemeinbesitze der Bauern.

Es fragt sich nun: Kann der russische Gemeinbesitz, der eine, wenn auch stark erschütterte Form von Urgrundbesitz darstellt, unmittelbar in die höhere Form des kommunistischen   Grundbesitzes übergehen? Oder muß er jenen Zersetzungsprozeß, in welchem gerade die historische Ent­wicklung von Westeuropa   besteht, durchmachen?

Die einzige jetzt mögliche Antwort darauf ist folgende:

Wenn die russische Revolution zum Signal einer Revolution des Proletariats im Westen wird und diese Revolutionen sich so gegenseitig ergänzen, so kann der in Rußland   gegenwärtig vorhandene Ge meingrundbesitz zum Ausgangspunkte der tommuni­stischen Entwicklung werden. London  , den 21. Januar 1882.

II.

Kerker und Verbannung.

Seit einigen Jahren sehen wir Tausende, die dem Dienste der Freiheit zum Opfer gefallen sind, in Tod und Verbannung gehen. Es sind das Leute jeden Alters und jeder gesellschaftlichen Stellung: Reiche und noth­leidende Arbeiter, 14 jährige Kinder und Greise, junge Mädchen und Familienmütter, Militärs und Handwerker. Sie Alle gehörten zu den beliebtesten und thätigsten Elementen im Volke. Aber von dem Augen­

Daß der Nihilismus die russische   Regierung abenteuerlustig gemacht, fie in die Stimmung versetzt hat, ein Ende mit Schrecken( das ein Krieg mit Deutschland   ihr jedenfalls brächte) einem Schrecken ohne Ende vor­zuziehen, ist gewiß richtig; aber der Nihilismus ist doch gerade die nothwendige Folge des reaktionären Absolutismus der russischen Regie­rung, und dieser hat folglich die Schuld daran, daß Rußland   den Weltfrieden bedroht soweit ein finanziell und politisch bankerotter, militärisch jammervoll gestellter Staat wie Rußland   überhaupt den Welt­frieden bedrohen kann.

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Also gerade einer der drei Staaten, welche das Berliner   Reptil als Beweis für die Friedensgefährlichkeit demokratischer Einrichtungen oder Bestrebungen anführt, beweist umgekehrt auf's Schlagendste die Friedens­gefährlichkeit des reaktionären Absolutismus  .

In Wirklichkeit ist es lediglich die Demokratie, und zwar die heute einzig konsequente Demokratie, die Sozialdemokratie, welche den Frieden verbürgt. Und zwar solange sie noch nicht zur Herrschaft gelangt ist, durch Lahmlegung des seiner Natur nach friegerischen Abso­lutismus; und nach dem sie zur Herrschaft gelangt ist, durch Herstel­lung solcher Staats- und Gesellschaftseinrichtungen, welche den Frieden nach Innen und nach Außen, den nationalen und den internationalen Frieden ermöglichen und sichern.

In Frankreich   haben wir das recht deutlich gesehen. Im selben Maße, wie der demokratische Gedanke" dort vorgeschritten ist, hat der chauvi­nistische Revanchegedanke zurückweichen müssen. Jeden Zoll breit, den jener gewonnen, hat dieser verloren.

Wenn nun in dem erwähnten Reptilartikel noch ferner behauptet wird, die deutsche Reichsregierung, soll heißen Bismarck, habe durch das Sozia listengesetz auf der einen und die Sozialreform auf der anderen Seite die Frage der Revolutionsbändigung vollkommen und mustergiltig gelöst, so ist das ein so schlechter Scherz, daß man fast meinen könnte, Bismard, der ja weiland den Kladderadatsch" mit derlei geistiger Waaree versorgte, sei der eigenhändige Autor. Das Sozialistengesetz ist durch die letzte Wahl ad absurdum reduzirt und höchstens alte Weiber männlichen und weib­lichen Geschlechts glauben noch daran sogar unsere Polizei, die wahr­haftig nicht durch phänomenalen Geist sich auszeichnet, fängt an, die Wunderkraft des Sozialistengesetzes zu bezweifeln.

Und was die Bismard sche Sozialreform anlangt wer lacht da? Genug eine Bismarck  'sche Sozialreform gibt es nicht und wird es nie geben. Es gibt nur einen Bismarck  'schen Schwindel mit Sozialreform, und dieser hat, gleich dem Sozialistengesetz, der deutschen  Sozialdemokratie nur genügt.

Mit der Bismarck'schen Friedensliebe verhält es sich beiläufig genau so wie mit der Bismarck  'schen Sozialreform. Der Bien muß! Herr Bismarck   liebt den Frieden, weil die Demokratie in Frankreich   und in Deutschland   und der Nihilismus in Rußland   den Frieden zur Nothwen­digkeit machen

voilà tout!

Kurz, das Bismarck  'sche Reptil, dem dieser Artikel zu verdanken, hat die Wahrheit in der unverschämtesten Weise auf den Kopf gestellt, was ja Reptilienart ist. Er hat einfach gelogen, und statt von einer ,, Reptilienlogik" hätten wir vielleicht besser von der Verlogenheit der Reptilien geredet, denn sie nehmen sich nicht einmal mehr die Mühe, ihren Lügen das Mäntelchen sophistischer Schein- Logik umzuhängen.

F

Polizeiliche Schlauheit- fortschrittliche Weis. heiten. Aus Leipzig  , Anfang April, wird uns geschrieben: Unser neuer Herr Polizeidirektor, der Er Oberstaatsanwalt Richter aus Chemnitz  , hat sich die hehre Aufgabe gesetzt, das Berliner   Spitzelthum verbunden mit Chemnitz  - Siebdraht'scher Polizeibrutalität hier einzuführen; und man muß dem Mann nachsagen, an Eifer fehlt es ihm nicht. Ob die Geschicklichkeit mit dem Eifer gleichen Schritt hält, ist freilich eine andere Frage. Die Berliner   Originalspitzel, die er sich verschrieben hat, laboriren unter dem unheilbaren Nachtheil so selbst polizeiwidrig konfis­zirter Gesichter, daß sie auf 100 Schritt sich selbst denunziren. Und mit der famosen Chemnitzer   Einrichtung, hinter jedem Mißliebigen einen Polizeischatten herzuschicken, ist au fond doch auch nichts anderes erreicht, als daß der betreffende Schatten auf Kosten des Steuerzahlers gesund­heitsstärkende Spaziergänge macht. Als neulich Bebel und Lieb­knecht auf 60 Stunden hier waren, erfreuten sie sich eines Ehren­geleites von je vier Mann was gewiß ein starkes Gefühl des Stolzes und der Sicherheit in den so sorgsam und schmeichelhaft Geleiteten er­zeugen mußte.

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Im Lauf des verflossenen Monats hatten wir hier und in der nächsten Umgebung drei große Versammlungen das heißt unsere Gegner hatten sie für uns. In Lindenau   und Reudnitz  , wo die Fortschrittler im Trüben fischen wollten dort Munkel, hier der pfäffische Salbader Kalthoff aber natürlich nur für uns die Fische aus dem Wasser holten, und in der Stadt selbst, in der Tonhalle, wo durch eine köstliche Fronie des Schicksals der Sozialistentödter Birnbaum einer Sozialisten­versammlung über das Tabaksmonopol Vortrag halten mußte. Es war ein Schauspiel für Götter! Und das Gesicht des armen Birnbaum mußte man sehen, als auf seine Bemerkung, daß das Tabaksmonopol zu dem sittlich verwerflichen Denunziantenthum und Spionirwesen führen werde einer unserer Genossen sich erhob, und unter dem donnernden Beifall der Kopf an Kopf gedrängten Menge erklärte: Das fittlich ver­werfliche Denunziantenthum und Spionirwesen brauche nicht erst durch das Tabakmonopol herbeigeführt zu werden. es sei seit 1878 vorhanden und eine Schande für Deutschland  .

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blicke an, wo sie das Wort Freiheit ausgesprochen, erregten sie den bittersten Haß der Regierung, und dieselbe erklärte sie als die Feinde des Staats; sie wurden außerhalb des Gesetzes und des Rechts erklärt. Nur einmal wagte die Regierung, sich auf das öffentliche Gewissen zu verlassen, aber das unparteiische Urtheil( Prozeß Sassulitsch) erschreckte und entrüstete sie. Und nun begannen die Kriegsgerichte und die blutigen Urtheile. Erschießungen, Schandpfähle, Galgen einerseits, anderseits haufenweise Verschickungen unter gewaltiger Bedeckung( fünf Frauen, darunter Leschern, Armfeldt und Kowalewskaja   wurden unter Bedeckung von 100 Soldaten geführt) und in Ketten nach tausenden von Werst entfernten Orten. Aber auch diese Scheingerichte waren der jetzigen Regierung noch zu ge­fährlich und Alerander III. befahl, daß die Gerichte und die Hinrichtungen ge­heim sein sollen. Jetzt wird man nicht einmal wissen, wer und weß­halb abgeurtheilt worden ist. Ist das eine Verhöhnung der Gesell­schaft oder die unverbesserliche Feigheit und Dummheit Alexander III.  ? In der Angst um sein eigenes Leben hat Alexander III.   den Rest von Verstand verloren und vergessen, daß es in Rußland   außer dem ,, Prawitelstwenny Wiestnit"( Regierungsbote) noch die Narodnaja Wolja  " gibt. Jedermann erinnert sich noch des Prozesses der 16 aus dem Jahre Sundelewitsch 1880( Kwiatkowsky Schirajew Pressnjakow das Attentat im Winterpalais Figner der Kongreß der zu Lipezk  das mißglückte Attentat zwischen Odessa   und Kiew  Berrath Goldenberg). Was ist nun aus den damals Verurtheilten ge­worden? Fünf sind zum Tode verurtheilt worden( Kwiatkowsky Preßnjakow TichonomOkladsky- Schirajew), aber die letzten drei wurden von Alexander II.   begnadigt, und die Uebrigen sind zu lebens­länglicher Zwangsarbeit oder zu längeren Terminen derselben Strafe verdammt worden. Damals machte man viel Aufhebens von der Milde des Zaren wegen dieser Begnadigungen. In der That aber ist diese Begnadigung nur ein Mißbrauch des Wortes. An Stelle des Todes durch den Strang ist der langsame Tod durch Gefängniß und Bergwerks arbeit getreten. So wurden diese Verurtheilten am 1. November nach der Peter Paulfestung abgeführt und dort in Isolirzellen gebracht, die durch feuchte Kälte und Finsterniß sich nicht viel von Gräbern unter­scheiden. Es herrscht dort eine solche Dunkelheit, daß das Licht erst um zwei Uhr Mittags ausgelöscht werden kann. Nahrung besteht aus Schtschi ( Kohlbrühe), Brei und ein Stück Brod Morgens und Abends. Die Defen werden nur einmal in drei Tagen geheizt, manchmal noch seltener. Die Wände sind daher immer feucht, und der Boden mit richtigen Pfützen

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Zuckermann

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