Da haben wir es also schwarz auf weiß, und amtlich atteftirt, daß die Regierung dem Reichstag einen Gesezesentwurf vorgelegt hat, der in der projektirten Gestalt kaum durchführbar ist.

Kann eine Regierung sich ein fläglicheres Armuthszeugniß ausstellen? Und die Sache wird noch schlimmer, wenn wir bedenken, daß der Entwurf des Unfallversicherungsgesetzes in seiner gegenwärtigen Gestalt schon der zweite Entwurf eines solchen Gesetzes ist; und daß von dem ersten kein Geringerer als der Oedipus  " in höchsteigener Person vor versammeltem Reichstag erklären mußte, derselbe habe nichts getaugt! Wohlan, der zweite taugt ebensowenig. Und vor solchen Gesetz­gebern soll man Respekt haben? Soll an die sozialreformatorische" Mission und den sozialreformatorischen" Ernst des Mannes glauben, der innerhalb der letzten vier Jahre es find jetzt genau vier Jahre, seit er die famosen positiven Maßregeln" versprochen! auf sozial­reformatorischem" Gebiet absolut nichts fertig gebracht hat, mit Ausnahme dieser jämmerlichen Pfuscharbeit?!( Das andere der beiden großen Arbeitergefeße", das über die Krankenkassen, ist beiläufig noch jämmerlicher!)

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Was nun die im Waschzettel vorgeschlagene ,, Verbesserung" anbelangt, so wird sie sehr wenig nügen. Ob die Zahl der korporativen Genossen­schaften" 2000 beträgt, oder ob wir blos 75 Verbände" bekommen das ist im Ganzen höchst gleichgiltig. Den Genossenschaften" oder Ver­bänden", welche der Bismarck  'sche Polizeistaat einrichten wird, geht eben das wichtigste Bedingniß der Existenz ab: die freie Bewegung, die Selbständigkeit. Es find mechanische Gebilde, die keine innere Lebens­kraft haben, die nur von außen her durch den Landrath oder Kreis­hauptmann, mit Hilfe der Polizei künstlich in Gang gesetzt werden können, und, weil ihnen das eigene selbständige Leben fehlt, nie zu lebensstarken und lebensfähigen Organismen werden können. Gegen das Prinzip der Unfallversicherung haben wir ja unter den heutigen Ver­hältnissen nichts einzuwenden, auch dem kann man zustimmen, daß die Unfall­versicherung mit dem allgemeinen Krankenkassenwesen in Verbindung gebracht wird, und zur Basis der( freilich noch in nebelhafter Ferne liegenden) Alters- und Invalidenversorgung gemacht werden soll aber das läßt sich nur durchführen durch lebensträftige, orpo­wenn auch natürlich nach rationen", die vollkommen selbständig einheitlichem Plan geleitet sein müssen, und für die Arbeiter nur in großen Gewerksgenossenschaften bestehen können.

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Ohne selbständige Gewerfsgenossenschaften der Arbeiter feine Arbeitergesezgebung. Das möge Herr Bismarck   sich merken!

Aus Frankreich  .

Die Unruhen in Monceau- les- Mines stehen noch immer im Vordergrunde der öffentlichen Diskussionen. Alle Parteien suchen aus denselben Kapital zu schlagen, in erster Linie natürlich die Monarchisten, welche papageiähnlich ihr stupides in einer Monarchie ist so etwas un­möglich", wiederholen. Daß in der absolutesten der Monarchien, in Rußland  , in diesem Augenblicke noch etwas ganz anderes passirt, stört Nachteulen ebensowenig wie ihre deutschen   Nachkrächzer.

Der Prozeß gegen die aufrührerischen Berglente" ist fast gegen Ende der Verhörs unterbrochen und vertagt worden, angeblich weil die Ge­schworenen durch Drohbriefe an der Fällung eines unbefangenen Urtheils verhindert worden seien. Welch' elende Ausflucht! Wer empfängt heute feine Drohbrieje? Und wer, außer Bismarck  , hat solche bisher ver­öffentlicht oder ihnen irgend welche Bedeutung beigelegt? Zudem trug der vom Präsidenten des Gerichtshofes verlesene Drohbrief noch eine derartige Naivetät zur Schau, daß er entweder von einem sehr unschul­digen Burschen oder von einem sehr raffinirten Polizeischurken geschrieben sein muß. Auf letzteres läßt das große Lob des Vertheidigers schließen, das natürlich nur geeignet war, diesen in den Augen der bürgerlichen Geschworenen nur verdächtig" erscheinen zu laffen.

In Wahrheit wurde der Prozeß vertagt, weil er je länger um so mehr die ganze Nichtigkeit der Anklage enthüllte. Die gewaltige Ver­schwörung, von der dieselbe fabelte, schwand immer mehr in ihr Nichts zusammen, es blieb absolut nichts übrig als ein lokaler Krakehl, hervor­gerufen durch die liebevolle christlich- soziale" Behandlung der Arbeiter von Seiten der frommen Bergwerksverwaltung.

Sören wir zunächst die Aussage des Herrn Bergwerkbirektors Jules Chagot.( Wir zitiren nach der Justice"):

Herr Chagot erklärt, daß er, wie Jedermann" religiöse Gefühle habe, aber daß er nichts dagegen habe, wenn seine Arbeiter/ denken( wie edel!), was ihnen gut dünkt. Was ich nicht will", sagt er, sind öffentliche Demonstrationen von antireligiöser Gesinnung, daß sie an antireligiösen oder sozialistischen Versammlungen oder Manifestationen u. s. w. theilnehmen". Auf eine Frage des Bertheidigers setzt Herr Chagot hinzu: Ich habe meine Arbeiter nicht verhindert, Zivilbegräbnissen beizuwohnen, ich äußerte nur, daß ich sie nicht zu solchen gehen zu sehen wünschte( das kennt man! d. Red.) und ich entließ die, welche sich in Opposition zu mir befanden."

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Aber Herr Chagot der Mensch könnte eigentlich Ca got heißen ( cagot= scheinheilig) ist dennoch ein sehr toleranter Mann; trotzdem er wußte, daß Dreiviertel der Arbeiter seine religiösen Ansichten nicht theilten, hat er sie doch nicht entlassen, sondern hochherzigst weiter aus­gebeutet, natürlich unter der Bedingung, daß sie sein fuschten und prompt zur Messe und Beichte gingen.

Der seitherige Hilfs- Priester von Monceau, Herr Gauthier, sagt aus, daß er mit den Pfarrangehörigen nur wegen der Beerdigungen Schwierigkeiten gehabt habe. Er habe sich darüber bei der Gruben­verwaltung beschwert( edle Christenseele!), worauf 10 oder 12 Personen Aus diesem zur größeren Ehre Gottes. entlassen worden seien" Grunde habe sich gegen ihn ein gewiffer Haß entwickelt. Einmal habe man seine Fensterscheiben zerbrochen, aber obwohl man allerhand Unfug an seiner Thür verübt habe, sei er doch von keiner Drohung betroffen worden.

Und Herr Jeanin, der Maire( Bürgermeister) von Monceau   er­flärt:

Die Bergarbeiter haben große Ursache zur Unzufriedenheit mit den großen Gesellschaften, die einen empörenden religiösen Druck auf ihre Arbeiter ausüben". Er bestätigt dann im Verlauf seiner Aussage, daß die zum Auflesen angestellten Arbeiterinnen gezwungen wurden, den Andachten beizuwohnen, die Besuche von Priestern und Nonnen zu empfangen, zur Predigt zu gehen u. s. w., und daß jede Gunst durch Theilnahme an religiösen Zermonien erkauft werden muß. Ohne dieselbe gibt es nur Bußen und Entlassung."

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Aber trotz dieser Aussagen suchen nicht nur Staatsanwalt sondern auch der Gerichtsvorsitzende Masson heißt der Biedermann- mit Gewalt aus diesen rein lokalen und meist von halbmündigen Leuten verübten ,, Ver­brechen" eine gewaltige politische Staatsaktion zu fabriziren. Es zeigt sich dies namentlich beim Verhör des Arbeiters Bonnot, dem Vorsitzenden des Syndikatsvereins Der Gedanke"( welch ein aufrührerischer Name für einen Arbeiterverein! Ein Arbeiter, der denkt, ist ja schlimmer als ein Mörder!), den sie gern als Sammelplatz der Verschwörer hinstellen möchten, um Grund zu seiner Auflösung zu liefern. Bonnot aber ließ den Herrn Präsidenten gehörig abblitzen. Man höre nur:

Präs. Sie forrespondirten mit Dumay( im Creusot  ), und man hat bei Ihnen Briefe dieses Agitators gefunden, worin Sie aufgefordert werden, energisch zu sein, weil der große Tag herannaht. Was soll dieser Satz bedeuten?

Antwort: Es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen dies auseinander­zusetzen.

Präs.: Man hat bei Ihnen die rothe Fahne beschlagnahmt?

Antwort: Ich habe bei Prozessionen viel weiße Fahnen gesehen,

ich glaubte, mir eine Fahne anschaffen zu dürfen, die mir gefällt. Des­halb habe ich die rothe Fahne aufgepflanzt( Bewegung).

Präs. Haben Sie am 15. Auguft während Ihrer zweiten Monats­fizung nicht eine wichtige Nachricht empfangen?

Antwort: Ein Freund, der Bürger Dumont, tam zu mir und fagte: Bonnot, man will die Kapelle von Bois- Duverne in die Luft sprengen." Jch kehrte in die Sigung zurück und sagte zu den Mit­gliedern: Wenn ich erführe, daß unter denen, welche diese Absicht haben, fich Mitglieder des Syndikatsvereins befinden, so würde ich mein Amt nieberlegen." Dann ging ich nach Hause.

Präsident: Ihre Pflicht als Präsident des Syndikatvereins war, mit allen Mitteln das Attentat zu verhindern, welches man zu verüben im Begriff war.

Antwort: Es war nicht meine Pflicht, die Rolle der Polizei zu übernehmen.

Troß dieser treffenden Zurechtweisung kommt der Herr Präfident im Ver­lauf des Prozesses immer wieder darauf zurück, daß Bonnot die Pflicht ge­habt hätte, die Erzesse direkt zu verhindern. Wenn das keine Beeinflussung der Geschwornen ist, so gibt es überhaupt keine.

Schließlich verliest der Edle den obenerwähnten Drohbrief, und, um die Vertagung des Prozesses als ganz besonders dringlich erscheinen zu laffen, werden plötzlich auf Veranlassung des Gerichtshofes in Paris  , Lyon  und St. Etienne Verhaftungen über Verhaftungen von Sozialisten und Revolutionären, sowie von Redakteuren sozialistischer Blätter vorgenommen, die indeß nicht den erwünschten Erfolg hatten, denn die meisten der Ver­hafteten mußten bereits nach 24 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt

werden.

Ebensowenig Erfolg hatten die Enthüllungen" der gutgesinnten Preſſe, namentlich des Gambettistischen Blattes, Paris  ", welche in weiter nichts bestanden als in geheimnißthuerischem Auskramen von Dingen( Liften 2c.), die in den sozialistischen   Blättern lange vorher offen mitgetheilt worden

waren.

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Wenn die Polizei nicht volles Fiasko machte, so dankt sie dies in erster Reihe den Anarchisten. In einer am 25. Oktober in Paris   stattgehabten Protestversamm­lung" gegen die Massenverhaftungen hatte der Hauptredner, der bekannte Anarchist Lefrançais, selbst den Revolutionären und besonders den Anarchisten zugerufen:

Ich beschwöre sie, unsern Feinden auch nicht den geringsten Vorwand zu liefern. Die Zeit ist vielleicht nicht fern, wo sie von einem großen Volkssturm werden weggefegt werden. Lassen wir sie in ihrem eigenen Fett schmoren; hüten wir uns vor den Fallen. Diese Leute handeln weniger aus Dummheit, wenn es auch so scheint, als aus Berechnung. Sie würden nur zu glücklich sein, wenn sie einen Vorwand hätten, uns auszurotten. Laßt uns nicht in den revolutionären Don Quichotismus verfallen, Paris   hat sich oft genug bewährt, als daß man es der Feigheit anklagen werde. Es bedarf keiner neuen Hekatomben, es hat die Reaktion zu fürchten, welche die Folge derselben sein würde." Mit diesem Rathe, dem auch die angenommene Resolution entsprach, fam er indeß bei den Anarchisten in Lyon   und anderwärts schlecht an. Nicht, daß sie etwa ihre Haut ristirten, aber sie versorgten die Regie­rungspresse nach Kräften mit Revolutionsplakaten, in denen es nur von Exekutivkomites, Dynamit, und ähnlichen Dingern, die den Philifter ein­schichtern, wimmelte. Hierzu kommen noch die wirklich infamen Dynamit attentate in Lyon  . An einem öffentlichen Ort, wie es die Restauration eines Theaters ist, eine Dynamitpatrone explodiren zu lassen, ganz un­bekümmert, wen sie verletzt, das kann nur ein Schurke oder ein Wahn­finniger. Die Beschönigung des Revolté, daß in dem betreffenden Lokal nur die hohe Schweinerei" von Lyon   verkehrt, ist mehr als abgeschmackt, sie ist frivol. Wenn doch diese Herren, welche die Sympathie mit den russischen Revolutionären stets im Munde führen, sich vergegenwärtigen wellten, welche kolossale Vorsichtsmaßregeln diese, die sich doch in einer Zwangslage befinden, beobachten, um nur ja feinen Unschuldigen zu treffen. So dankt der General Todtleben, der grausame Henter Lisogubs, des edelsten aller Revolutionäre, sein Leben nur dem Umstande, daß er ftets mit seiner jungen Tochter ausfuhr; die Männer der wirklichen That scheuten davor zurück, ein Menschenleben ohne Noth zu vernichten, und wenn es das der Tochter ihres Todfeindes war. Ein Ribalt= schitsch, nach Urtheil der gerichtlichen Sachverständigen ein Genie, verwendete seinen ganzen Scharfsinn darauf, die Bomben, welche für den Henkerczaren bestimmt waren, so zu konftruiren, daß ihre Wirkung auf den geringsten Umfang beschränkt blieb.

Uebrigens ist noch in keiner Weise konstatirt, wer das Bubenstück von Lyon   begangen, so daß es nicht unmöglich ist, daß ein gewöhnlicher Akt von Privatrache vorliegt. Dann bliebe aber immer noch die Frivolität zu verurtheilen, eine solche That für revolutionär auszugeben.

Der Prozeß von Monceau- les- Mines ist also vertagt; er soll aber schleunigst wieder aufgenommen werden, da es das Gericht nicht über sich bekommen hat, selbst diejenigen der Untersuchungsgefangenen freizugeben, deren Unschuld sich aus dem Verhör bis zur Evidenz erwiesen hat, und man sich doch schämt, die Haft übermäßig auszudehnen.

Die Ausbeuter der Möbelbranche haben den Augenblick für ge­tommen erachtet, die mit den Arbeitern im vorigen Jahre vereinbarten Abmachungen zu brechen. Was die Herren ganz besonders empört, ist, daß sie es nicht mit den einzelnen Arbeitern, sondern mit den Vertretern der Gesammtheit derselben, der Exekutionskommission, zu thun haben. Das soll in Zukunft aufhören, ebenso die Blockirung der Werkstellen wort­brüchiger Fabrikanten. Faktisch heißt das nichts anderes als das Verlangen, daß die Arbeiter sich der wirksamsten Waffen zur Vertheidigung ihrer Inter­effen begeben sollen. Natürlich haben sie keine Luft, darauf einzugehen und so scheint der Streit oder vielmehr Arbeitsausschluß ziemlich sicher. In einer großartigen, von 4000 Personen besuchten allgemeinen Schreiner­Versammlung im Saale   Graffard wurden am letzten Sonntag, nach­dem das hinterliftige Vorgehen der Prinzipale zur Kenntniß des Publikums gebracht war, beschlossen, daß am Tage, wo die Fabrikanten die Werkstätten. schließen, die Arbeiter jeder solchen Werkstätte ihren Prinzipal nach der Ursache dieser Maßregel fragen und beim Gewerberath die Zahlung einer Entschädigung verlangen sollen, jedoch nicht unterlassen sollen, vorläufig ihr Werkzeug mitzunehmen. Ferner forderte die Versammlung die Re­gierung auf, gegen den Fabrikantenbund wegen Beeinträchtigung der Freiheit der Arbeit einzuschreiten, wie sie im vorigen Jahre gegen die Arbeiter eingeschritten ist.

Was diese sich wohl hüten wird, zu thun.

Sozialpolitische Rundschau.

Zürich  , 1. November 1882.

Heute hat Genoffe Bebel im Leipziger   Bezirks- Gefängniß die Saft für zwei rechtsträftig gewordene Verurtheilungen in Höhe von drei Monaten angetreten. Eine dritte Verurtheilung Bebel's in Höhe von zwei Monaten schwebt noch vor dem Reichsgericht.

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Ein Musterlandtag. Ein Schock Landräthe, ein halbes Schock Kanzelhelden, ungefähr ebensoviel Rechtspfaffen, als Zugabe noch einige Minister, Geheime Räthe und Regierungspräsidenten  

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das find

so die Zierden des neuen preußischen Landtages, von Spaßvögeln auch Volksvertretung genannt. So glänzend hat sich das Dreiklaffenwahl­system noch nie bewährt. Nun wird Bismarck  , der Unfehlbare, wohl demnächst bekennen, daß er sich Anno 67 geirrt, daß das Manteuffel'sche Wahlsystem doch nicht das denkbar elende ste" ist. Wo es sich um das Staatswohl handelt, hat er ja seine genialen Irrthümer ftets gern bekannt. Als er 1878 z. B. merkte, daß er die indirekten Steuern

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zunächst nur in Form von Schutzöllen einheimſen könne, bekannte er freimüthig, daß er sich früher geirrt, daß der Freihandel die Wurzel alles Uebels sei.

Eigentlich so recht froh wird der geniale Staatsmann doch nicht sein, es ist ihm zuviel des Glückes. Er hat eine klerikal- konservative Mehrheit, wie er sie sich nicht beffer wünschen konnte, aber die famose Mittelpartei, nach der er, ach! so sehnsuchtsvoll verlangte, sie ist um so kläglicher in die Brüche gegangen. Die liebe Kompagnie Bennigsen hat die Zeche bezahlen müssen, sie kommt um 20 Mann schwächer angerüdt. 67 Benningsen'sche und 47 Freikonservative macht zusammen 114, da fehlen noch 103 zur Majorität, und wenn ihm auch von rechts so mancher Landrath willig zu Hilfe kommt, falls die Kompagnie Windthorst eines Tages nicht Ordre pariren will, allzutief nach rechts darf er nicht hinübergreifen, sonst fällt ihm links ab, was er rechts geholt. So fehlt ihm denn trozzalledem die Majorität, deren er bedurfte, um dem wider­borftigen Reichstag   in die Flanke zu fallen.

Nicht minder als Bismarck   ist das Großmaul Eugen Richter  , das den Fortschrittshimmel voll lauter Baßgeigen sah, hineingefallen. Er ist überall da geklopft worden, wo er sich der glänzendsten Resultate versah, und wird, wenn er die Häupter seiner Lieben zählt, nach Abzug der Hänel'schen Rebellen, finden, daß manches geliebte Haupt fehlt und die Schaar seiner Schildknappen sich eher vermindert hat als vermehrt. Und das nach so geräuschvoller Reklame- Agitation, nach so zahlreichen Siegesfanfaren vor dem Sieg!

Herr Hänel aber ist nicht minder betrübt als sein Gegenfüßler Eugen zwar hat er seinen Sitz behauptet und auch seine intimsten Getreuen glücklich ins Trockene gebracht, allein die ,, große liberale Partei", der er nachjagte, wie das Kind in der Fabel dem verzauberten Vogel­Ach der Biepmats iſt entflohen

Und der Piepmatz kommt nicht mehr

Er ist fort, und nicht einmal eine Feder vom Schwanze des Durch­brenners ist dem famosen Syrupredner in der Hand geblieben, um ihn an seinen schönen Traum zu erinnern. Grausame Enttäuschung! Ach, es wird nicht die letzte sein. War es auch sein höchstes Jdeal", so war es doch nicht sein letztes", und er ist in diesem Punkte dem Reichskanzler über", der schon vor zwei Jahren bei seinem letzten Ideal" angelangt war und nun trauernd an dessen Grab steht. Herr Hänel ist anderthalb Jahrzehnt jünger, als der Herr Reichskanzler, und fann sich noch den Lurus einiger Jdeale" gönnen.

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Wahrhaft komisch sind die Vorwürfe, welche die Herren Liberalen ( Fortschrittler natürlich eingeschlossen) an die Adresse der Drittklaß- Wähler richten. Die Wähler der dritten Klasse sollen daran schuld sein, daß die liberale Majorität nicht zu Stande gekommen. Wir glauben es gern, daß es den liberalen Herren Bourgeois erster und zweiter Klaffe sehr angenehm gewesen wäre, wenn die Proletarier der dritten Klasse sich ihnen als Schwanz angeschlossen und ein paar Duzend Konservative zu Fall gebracht hätten zum größeren Ruhme der Herren Richter, Hänel, Laster, Bennigsen. Die Wähler dritter Klasse, soweit sie selbstständig denken und einer politischen Partei angehören, sind aber fast ausnahmslos Sozialdemokraten, und sie hüteten sich wohlweislich, auf den Richter'schen Leim zu gehen. Sie thaten das Einzige, was Würde und Prinzip un­serer Partei erheischten, sie enthielten sich. Auch nicht ein Sozialdemokrat hat in Berlin   oder anderswo sich an der Wahl betheiligt. Liberale, speziell fortschrittliche Blätter, die ihren Aerger, daß die Sozial­demokraten nicht für die Fortschrittler gestimmt, nicht verwinden können, sprengen aus, hier und da, insbesondere auch in Berlin  , seien sozial­demokratische Stimmen für konservative Kandidaten abgegeben worden. Das ist aber einfach gelogen. Die Herren Liberalen und Fort­schrittler sollten bedenken, daß die Sozialdemokratie das demokratische Prinzip stets hoch gehalten hat, während es von den Herren Liberalen und Fortschrittlern( wir erinnern letztere nur an den berüchtigten Straf gesetzantrag Hänel's, sowie daran, daß Herr Hänel bei der Reichstags­wahl 1877 in Schleswig- Holstein   die Weisung gab: Wo ein Sozial­demokrat in Frage kommt, stimmen wir für den Konservativen) hundert­mal mit Füßen getreten worden ist, und täglich mit Füßen getreten wird.

Also die Sozialdemokraten stimmten nicht, und die nicht sozialdemo­fratischen Wähler dritter Klaffe gehören zumeist keiner Partei an und waren in Folge ihrer politischen Ungebildetheit zum größten Theil eine leichte Beute der konservativen Bauernfänger.

Jedenfalls hat Herr Richter gesehen, daß seine fortschrittlichen Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Wer ist denn nun aber zufrieden mit dem Ausfalle der Wahlen? Abgesehen von einigen hyperorthodoxen Muckern nur allein das Zentrum. Dieses ist trotz der giftigen Angriffe der Norddeutschen" die maßgebende Fraktion im Landtage. Wo das Zentrum ist, da ist die Mehrheit. Herr Windthorst wird den Ton angeben der Vertreter der preußenfeindlichen Hannoveraner. Das ist auch ein Witz der Weltgeschichte.

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Wie der Baum, so die Frucht. Das denkbar elendeste aller Wahlgesetze" hat auch eine nette Sorte von Volksmännern in das Abgeordnetenhaus gebracht. Eine der edelsten Früchte von diesem Baume ist der Regierungsrath von Wiesbaden  , Herr von Wurmb, weiland Polizeipräsident von Verlin und noch heute- besonderer Günstling des deutschen   Kaisers.

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Herr v. Wurmb hat bekanntlich infolge der Affaire Hessels Berlin, wo er unmöglich wurde, verlassen müssen; aber er wurde be­fördert, während sein Opfer in der scheußlichsten Weise mißhandelt wurde. Als tonservativer Abgeordneter zieht der berüchtigte Wüstling wiederum in Berlin   ein, um durch Theilnahme an der Rückwärtsgesetzgebung für die Moral zu wirken eine Heuchelei, wie sie schamloser gar nicht denkbar ist.

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Angesichts dieser Wahl" des Kreises Biedenkopf bringen wir die bei E. W. Krebs in Bern   erschienene Broschüre: Frauenloos in Preußen und Preußische Gerechtigkeit" in Erinnerung, welche nicht nur über den pp. Wurmb eine erdrückendes Material enthält, sondern auch andere, in Amt und Würden sigende Ehrenmänner" in bisher unbe­tanntem Lichte erscheinen läßt. Aus dieser Broschüre veröffentlichen wir heute folgenden

Brief:

Potsdam  , am 16. Juni 1874. bilen Geehrter Herrr Justizrath! Sollte es für irgend eine Sache von Nugen sein, so bin ich bereit, in der Anklagesache wider Hessels:

1. zu beschwören, daß der pp. Wurmb mir zwei Mal sein Heiliges Ehrenwort" gegeben und nicht gehalten hat. Zeugen habe ich dafür nicht.

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2. aus den Aften und durch amtliche Zeugen nachzuweisen, daß der p. Wurmb wissentlich falsche Amtsberichte gemacht, und zwar an S. K. H. den Prinzen Karl, sowie auch an die vorgesetzten Behörden und an des Königs Majestät.

Dadurch hat der pp. Wurmb die Wahrheit, die er mir selbst ausführlich erklärt hatte und die durch die Akten und Zeugen bestätigt werden würde, an maßgebender Stelle als ihr direktes Gegentheil geschildert, was ebenfalls die Akten nachweisen.

Sollte es teiner guten Sache förderlich sein, so bitte ich, mich aus dem Spiele zu lassen."

Das Original dieses Briefes liegt bei einer von Frl. Hessels an das Preußische Abgeordnetenhaus gerichteten Petition. Armes Weib, das Schicksal dieser Petition ist besiegelt!

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Wie der Pindter flunkert" wird uns Zum Thema:" von einem unserer hervorragendsten deutschen   Genossen geschrieben: Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung", das Leiborgan des Fürsten Bismarck, ist vermöge ihrer Stellung nicht blos über alle Regeln des Anstandes, sondern auch der Logik und des gesunden Menschenverstandes