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Auch die unzähligen Verhaftungen wegen Hochverrathes und Geheim­bündelei wirkten nicht, umsoweniger da der größte Theil der Verhafteten entweder wieder freigelassen werden mußte oder in den wenigen Fällen, die bisher vor die Geschwornen gekommen- freigesprochen wurden, wobei sich nur zeigte, wie frivol die Polizei bei ihren Verhaftungen vorgeht.

Da schritt man denn zum letzten Mittel: zur diretten Provo0­tation der Arbeiterbevölkerung. Zu wiederholten Malen die Auflösung einer Versamm­bereits, wenn irgend ein Vorkommnip

lung oder dergleichen erregte Arbeitermassen in die Straßen trieb, tauchten plötzlich von allen Seiten Polizisten auf, welche gegen die fried­lich Dahergehenden in der roheften Weise vorgingen und mit Schimpf worten und Gewaltthätigkeiten nicht sparten. Kein Wunder, daß es mit­unter zu Konflikten kam, wie namentlich einige Wochen nach der Mer­ftallinger Affäre anläßlich einer Versammlung beim Dreher. Dieselben nahmen jedoch nie größere Dimensionen an.

Endlich gelang der Polizei ein Meisterstreich. Sie löste urplötzlich die Schuhmachergewerkschaft auf( am 30. Oftober), ohne jeden Grund, denn die konfiszirten Bücher und Zeitschriften( Chi­ cagoer   ,, Vorbote" 2c.) lagen schon seit längerer Zeit auf, ohne beanstandet zu werden. Aber freilich, der Moment war günstig gewählt. Seit Langem schon war die Zahl der Arbeitslosen in der Schuhmacherbranche teine so große wie gerade in diesem Herbste, wo das Exportgeschäft ganz darniederliegt. Die Gewerkschaft, welche jedem arbeitslosen Mitgliede eine wöchentliche Unter­stützung von 4 fl. und, wenn nöthig, auch eine Bettanweisung verabfolgte, war für viele derselben der einzige Halt; und nun wurde ihnen derselbe entzogen und die 700 Gulden, die zur Unterstützung der Arbeitslosen und Kranten bestimmt waren, von der Polizei gestohlen.

Die Polizei wußte das, und sie mußte auch wissen, daß von Seite der auf's Aeußerste gebrachten Arbeitslosen das Schlimmste zu befürchten stand, wie denn auch Jeder, der die Verhältnisse kannte, eine gewaltsame Erhebung der anarchistischen Schuh­macher und ihrer Gesinnungsgenossen in Folge der Auflösung ihrer Gewerkschaft erwarten mußte.

Wenn daher die Polizei ohne jeden Grund gerade in dem jezigen Momente die Schuhmachergewerkschaft auflöste, so konnte sie nur einen Zweck dabei verfolgen: nämlich den, einen Putsch zu pro voziren!

Zum Glück hat fie denselben nicht erreicht. Die anarchistischen Commis­voyageurs der Revolution waren zu feig, diese Gelegenheit zu einer " Propaganda der That" zu benutzen; in den Massen der Arbeiter aber, selbst wenn sie, wie die Schuhmacher, den radikalen Phrasen der Anar chisten Gehör schenken sollten, lebt noch immer der alte sozialdemokratische Geist, der sie vor jeder Unbesonnenheit warnt, und so kam es, daß das den Anarchisten sehr nahestehende Schuhmacher Fachblatt" vom 4. No­vember die Genossen auffordert, besonnen zu sein, und daß die Arbeiter auch dieser Weisung gemäß handelten.

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Veranlaßt wurde diese Aufforderung durch den Vorfall vom 1. No­vember. Es ist natürlich, daß eine Menge der Mitglieder, die von der Auflösung nichts wußten, und anderseits Arbeitslose, die nach Unter­stützung verlangten, sich vor dem Lokale des Vereines ansammelten und in dasselbe zu dringen versuchten. Ebenso natürlich ist, daß die Menge etwas erregt war und ihrem Unwillen in lauten Ausrufen Luft machte. Das war es, wonach die Bluthunde der Polizei schon lange gelechzt hatten. Begierig stürzten plöglich auf die in der Kaiserstraße gestaute Maffe einige Hunderte von Polizisten und eine Kompagnie Infanterie hatte also gewußt, daß es zu Unruhen kommen werde, als man die Gewerkschaft auflöfte, die mit blanker Waffe in die wehr. lose Menge ein hieben, welche in der engen Straße eingeteilt, fich nicht zerstreuen fonnte. Frauen und Kinder befanden sich unter den zahlreichen Opfern: von der Polizei wurde Niemand verwundet außer einem Detektive, der sich in Zivilkleidung in der Menge befand! Die Rohheit, ja der Blutdurst, mit dem die Sicherheits  " wache ihres ,, Amtes" waltete, spottet jeder Beschreibung und ist nur erklärlich, wenn man annimmt, die Polizisten hätten von Oben die Weisung erhalten, die Menge auf's Aeußerste zu reizen!

Und das ist ihr auch gelungen.

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Aber nicht den organisirten Sozialisten gegenüber. Ob Radikale, ob ,, Gemäßigte" ohne jede Verabredung hielten sie sich von den De­monftrationen der folgenden Tage fern, damit beweisend, daß der Anar­chismus in den Köpfen seiner Anhänger in Desterreich nur eine unver­standene Phrase und fern davon ist, ihnen in Fleisch und Blut über­gegangen zu sein.

Diejenigen, von denen die Demonstrationen der Tage nach dem 1. No­vember ausgingen, waren theils Neugierige, die sich vor dem Ver­einslokale drängten, um sich den Kriegsschauplatz" anzusehen, ferner die große Zahl Derjenigen unserer Phäakenbevölkerung, die überall dabei find, wo es eine Het" gibt, und endlich eine Maffe unorganisirter Arbeiter, in denen das Gefühl des Unrechtes, das sie erdulden, lebendig ist, aber ohne Klarheit über die Mittel, demselben abzuhelfen, welche aber in der Polizei, der Stüße der heutigen Ordnung", instinktiv ihren ge­borenen Feind sehen.

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Jedesmal ließ man die Menge, unter der sich eine Anzahl von Frauen und Kindern befand, sich stauen, um dann mit blanker Waffe dreinzu­hauen; der Unterschied vom 1. November bestand blos darin, daß man auch Ulanen und Dragoner einbauen ließ.

In der schamlosesten und blutdürftigsten Weise wurde gewüthet. Man veranstaltete förmliche Kesseltreiben, umzingelte einzelne Straßen und Plätze, so daß die Menge nach feiner Seite hin flüchten tonnte, und sprengte dann in sie hinein. Tausende von Ver­u den Spi­wundungen sind vorgekommen, viele hundert in den tälern offiziell konstatirt, alle auf Seiten des Volkes. Von der Polizei wurde blos ein Kommissär in Zivil von einem Ulanen verwundet, und zwei Kavalleristen fielen vom Pferde.

Die Zahl der verwundeten Zivilisten war eine so große, daß die vor­handenen Tragbahren nicht ausreichten. Auch kümmerte man sich wenig um das verfluchte Pack". So ist es vorgekommen, daß man namentlich in dem finsteren Liniengraben Schwerverwundete stunden­lang, mitunter bis zum Tagesanbruch, ohne jede Hilfe liegen ließ.

Ebenso gemein als Sicherheitswache und Militär, ebenso feig benahm sich die Presse. Das jämmerliche Journalistengezücht schimpft nicht auf die Angreifer, sondern auf die Angegriffenen, nur schüchtern nehmen sie Ein­sendungen auf, welche die ganze Brutalität der Polizeischergen blosstellen, auch diese nur, wenn sie mit vollem Namen gezeichnet sind, und ohne

Kommentar.

Eine solche, sehr drastische lautet:

Herr Redakteur! Die Gefertigten erlauben sich, der löblichen Re­daktion folgenden Vorfall, der sich heute, am 9. November, in der Stumpergaffe Nr. 59 in Mariahilf   im Gasthause des Herrn Ch. Schlecht abgespielt hat, zur Kenntniß zu bringen und um gütige Veröffentlichung zu bitten. Es war präzise 91%, Uhr Abends, die Stumpergasse war von Menschen vollkommen frei, da hörten die Unterzeichneten, die sich in dem erwähnten Gasthause befanden, Pferdegetrappel. Sie eilten zur Thüre, um zu sehen, was es gebe, öffneten dieselbe in voller Ruhe und blieben in der Thüröffnung stehen, ohne ein Wort zu sprechen. Da tam eine Abtheilung Ulanen und stach nach den bei der Thür stehenden Unterzeichneten Georg Boensel und August Vogel  , glücklicherweise ohne sie zu ver­letzen; weiters haben die Unterzeichneten Gelegenheit gehabt, einen Baffanten zu sehen, der ruhig seines Weges nach Hause ging und von der Lanze eines Ulanen in den Kopf gestochen wurde. Schließ­

lich erwähnen wir noch, daß besagte Soldaten in der Fügergaffe nach Leuten, die aus den Parterrefenstern ihrer Wohnungen hinaus­sahen, mit der Lanze stachen. Die Gefertigten, indem sie für die volle Wahrheit des Erwähnten überall und zu jeder Zeit ein­stehen, erlauben sich daher noch einmal, die löbliche Redaktion zu er­suchen, zum Schuße der ruheliebenden Bürger Wiens   die Veröffent­lichung dieses Vorgehens zu veranlassen.

Hochachtungsvoll ergebenst

Wien  , 9. November 1882.

Georg Gottlieb Woelz, Bildhauer V., Spengergasse 31; F. Hebenstreit, Comptoirist, VI., Liniengasse 35; Eduard Fürbach, Fragner, V., Spengergaffe 31; August Vogel  , IV., Rainergaffe 6; Georg Boensel, Kellner, VI., Stumpergaffe 59. Es ist natürlich, daß derartige Vorkommnisse zu arg find, als daß sie nicht die öffentliche Meinung, trotz der Feigheit und Charakterlofigkeit der Presse beherrschen sollten. Allenthalben, nicht blos in den Kreisen der Arbeiter, verbreitet sich eine solche Erbitterung gegen die Sicherheits­behörden, daß man selbst in den höchsten Kreisen Furcht bekam und urplötzlich umgesattelt wurde. Seit gestern benehmen sich Polizei und Militär mit einer, im Vergleich zu ihrer Haltung während der letzten Tage, wahrhaft lächerlichen Höflichkeit, und da sie das Volk nicht mehr angreifen, das Volt aber während der ganzen Affaire nie der Angreifer gewesen ist, so haben damit natür­lich die Exzesse ihr Ende erreicht.n

Das einzige Resultat derselben ist eine gründliche Blamage der Polizei, die zu verdanken ist einestheils der musterhaften und beson­nenen Haltung unserer Genossen, andererseits aber der riesigen Dummheit unserer Polizei.

Sie wollte die Sozialdemokratie provoziren, provozirte aber die ganze Bevölkerung Wiens; sie wollte die allgemeine Entrüftung gegen uns lenken und hat sie gegen sich selbst gelenkt. Umsonst plädiren die Re­gierungsorgane, namentlich die czechischen, für ein Sozialistengesetz und Belagerungszustand: was man verlangt, ist ein Gesez zum Schutze vor der Polizei!

Sie wollte uns niederschlagen und hat statt deffen die ganze Maffe der Indifferenten besser in Gährung gebracht, als es hundert Volksver­fammlungen vermöchten.

Die Wiener   Arbeiter werden die Novembertage 1882 nicht vergessen.

Zur Spaltung der französischen  Arbeiterpartei.

II.

Bereitet schon die gezeigte Vielheit der prinzipiellen und taktischen mit Standpunkte innerhalb der revolutionären Arbeiter Frankreichs  hervorgerufen und jeden Augenblick verschärft durch den individualistischen, subjektivistischen Charakter des französischen   Stammes der Entwicke lung einer einheitlich geschlossenen Partei nach Art der unseren große Hindernisse und begünstigt anderseits jede Sonderbestrebung, so kommt hiezu als zweiter nachtheilig für sie wirkender Umstand die in der französischen politischen Welt bestehende schroffe Trennung zwischen der Bluse und dem Rock, d. h. zwischen dem Handarbeiter und dem Angehörigen der sog. gebildeten" oder höheren" Stände. Bekanntlich gab es auch bei uns in Deutschland   einmal eine Zeit, in welcher( zum Theil aus Befangenheit, zum Theil aus berechnender Eigen­sucht) die Theorie der schwieligen Faust" gepredigt wurde, wonach aus­schließlich der Handarbeiter wirklicher Arbeiter sei und dieser allein das Recht und die Fähigkeit habe, ehrlich für die Befreiung des arbeitenden Volkes zu fireben, d. h. Sozialist zu sein. Indessen, diese Zeit wurde von der deutschen Sozialdemokratie bald überwunden, und wir theilen die Menschheit längst lediglich in Arbeiter( gleichviel ob Hand­oder Kopfarbeiter) und Ausbeuter, in Sozialisten und Nichtsozialisten. Nicht so in Frankreich  . Der vom Mann im Rock zu oft, nicht nur wie bei uns einfach betrogene, sondern füfillirte, massakrirte und depor tirte Blusenmann will von jenem unbedingt nichts wissen und stößt ihn oft von sich, auch wenn er in der ehrlichsten Absicht zu ihm kommt. Ich tenne selbst einflußreiche französische   Sozialisten, die keinen nach Geburt und Stand dem Bürgerthum angehörigen Sozialisten anerkennen und dulden wollen. So unrichtig und unsozialistisch dies falsch aufgefaßte Klassenbewußtsein ist, so leicht findet es seine Erklärung nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart. Das Bürgerthum ist in Frankreich   seit Langem eine eminent politische Klasse, die nicht nur wie in Deutschland   mittelbar wirthschaftlich, sondern unmittelbar politisch herrscht. Deshalb spielen auch ihre hervorragendsten Wortführer, die Rechtsgelehrten und Journalisten, eine ganz andere Rolle als bei uns. Daher auch das politische Selbstbewußtsein des lateinischen Viertels" ( des Pariser Studentenviertels), das sich als Erbe der Macht im Staate fühlt. Dies Bewußtsein aber ist ein ausschließendes, indem es die Politik als ein Geschäft oder sozusagen als eine freie Kunst" betrachtet, und zwar als eine, welche das Vorrecht des lateinischen Viertels bildet. Die Arbeiter, auch die organisirten, werden( und zwar oft guten Glaubens) als Werkzeuge angesehen, als treffliche Soldaten, die aber ihre Befehls­haber nothwendig aus den Reihen der studirten Politiker von Beruf er­halten müssen. Da nun jeder dieser Politiker eine Rolle spielen und lieber in einer kleinen Sonderbewegung an der Spize stehen, als einer großen Partei sich ein- und unterordnen will, so ist dies ein neues Mittel zur Förderung des Sektengeistes. Trotz aller der zwischen diesen Politikern oder( da dieselben entweder aus Beruf oder zum Zweck der Ausübung ihres Einflusses der Tagespresse angehören) richtiger: zwischen den Journalisten bestehenden Meinungsverschiedenheiten und geführten Kämpfe fühlen sich dieselben aber doch als Angehörige eines Standes und haben einen gegen alle anderen Stände sehr ausgeprägten Korps­geift.

Dieses Berufspolitikerwesen und Journalistenthum gereicht der revolutionären Bewegung in Frankreich   zum großen Schaden und eine Menge von Spaltungen, Prinzipienverlegungen, Gesinnungswechsel zc. find hauptsächlich ihm zuzuschreiben. Jeder talentvolle Mensch will sein eigenes Organ haben und muß sich darum wohl oder übel sein eige­nes Programm machen; denn in der gewöhnlichen Maffe" würde er ja nicht genug glänzen können. Dann müssen die Menge Journalisten auch leben. Und da nicht jeder gerade in einem Blatt seiner Farbe Arbeit findet und nicht jedes Blatt sofort gute Geschäfte macht, so bleibt nur übrig: Einmal, in Blätter anderer Farbe einzutreten, wodurch man sich allmälig mit den Jntereffen der betreffenden Partei verknüpft. Sodann aber müssen die nur von einer Person gegründeten und der Unterstützung einer Partei entbehrenden Blätter oft die ihren Grundsägen wider­sprechendsten Mittel anwenden. So verkaufte z. B. der von den Veran­staltern des Roanner Sonderkongreffes( Guesde, Lafargue   2c.) herausgegebene, Citoyen" einen gewissen Theil seines Raumes zu Börsenzwecken), veröffentlichte dann im Feuilleton pornographische( zu Deutsch  : unfittliche) Romane, zum Ueberfluß als Prämie noch mit ent­sprechenden Bildern versehen; machte seinen Abonnenten phantastische Versprechungen, deren Leben und Gesundheit gratis zu versichern u. dgl. In der deutschen Sozialdemokratie, bei deren Bildung glücklicherweise

1) d. h. den Börsentheil. Wir brauchen wohl kaum hinzuzufügen, daß wir solche Verhältnisse nicht minder verurtheilen wie der Einsender. Sie sind aber in Paris   so eingebürgert, daß ein tägliches Blatt ohne diese Einnahmequelle nicht bestehen kann und daß anderseits das Publikum den Börsentheil längst als Annoncentheil betrachtet. Uebrigens hat in Paris   tein Blatt gerade die Börsenaristokratie und speziell die Rothschild'schen Manipulationen so wuchtig bekämpft als Paul Lafargue   im Citoyen".

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kein solches Journalistenthum Einfluß geübt hat, die vielmehr ihrerseits ihre Schriftsteller nach ihrem Bedarf und ihrem Einfluß unterworfen geschaffen hat in unserer Partei, sage ich, würde jeder einzelne der vorerwähnten groben Verlegungen unseres Prinzips sofort von der Ge­sammtpartei verurtheilt und die Möglichkeit der Fortsetzung gründlich unterdrückt worden sein. In Paris   dagegen fanden Leute solche Mittel erlaubt, um ihr Unternehmen über Wasser zu halten.

Indessen war auch das Gros der französischen   Arbeiter mit diesen Dingen und der ganzen Journalisterei keineswegs einverstanden. Und damit komme ich zu den mittelbaren und unmittelbaren Anlässen der Spaltung unserer französischen Genossen.

Nach der Niederlage der Kommune und der Hinmordung von mehr als 30,000 ihrer Vertheidiger durch die Versailler   ,, Ordnungsmänner" stand die französische   Arbeiterbewegung während einiger Zeit ganz still. Erst Ende 1873 und während 1874 begannen die Arbeiter unter Mühen und Ge­fahren sich wieder allmälig zu rühren. Zuerst( nothgedrungen) blos ge­werkschaftlich und vollkommen unpolitisch, erstartte die Bewegung und die Organisation der Arbeiter bald mehr und mehr und setzte sich immer weitere Ziele. Da griff Ende 1877 J. Guesde ein..

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Statt daß nun aber Guesde dessen, schriftstellerische und rednerische Befähigung unbestritten ist sich der vorhandenen Arbeiterbeweg­ung angeschloffen hätte, gründete er ohne Rücksicht auf dieselbe einen außerhalb derselben stehenden Verein und ein Organ( die erste Egalité"), deren Mitglieder fast ausschließlich im lateinischen Viertel refrutirt waren. Daß die seit Jahren in der Bewegung stehenden Ar­beiter mit diesem Sonderwirken( das noch dazu, da es allein über ein Preßorgan verfügte, stets im Namen der Sozialisten sprach) schlecht zufrieden waren, ist leicht erklärlich.²)

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Nachdem die Egalité  " von der Regierung Mac Mahon's   bald unter­drückt worden war, schufen sich die organisirten Arbeiter mit Beginn 1879 ein ihnen gehöriges Organ im Proletaire". Der Prol." wirkte tüchtig, namentlich für den Kongreß von Marseille  , und es gelang, denselben zu einem sozialistischen   zu erklären und die Anfänge einer über die bisherige gewerkschaftliche Organisation hinausgehenden- eigent lichen Partei bildung zu schaffen.

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Kaum aber war dieser Erfolg erzielt und handelte es sich nun, das Arbeiterorgan Proletaire", das durch Prozesse in arge Verlegenheiten gerathen war, zu befestigen und ihm Ausbreitung zu verschaffen, so ließ Guesde   abermals ein Blatt( die zweite Egalité") erscheinen und machte dadurch dem von den Arbeitern mit schweren Opfern erhaltenen Proletaire" Konkurrenz.) In der zur Einführung der Egalité" be­stimmten Versammlung tam es bereits zu lebhaften Auseinandersetzungen mit Guesde und wurden demselben offen Spaltungsbestrebungen vor­geworfen. Nach dreivierteljährigem Erscheinen ging die Egalité" wieder ein.4)

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Kam nun die Amnestie und Rückkehr der Kommunarden, worauf die verunglückte Gründung der Lyoner Emanzipation" erfolgte, welche das Hauptparteiorgan sein sollte und an der die Stimmführer der beiden jetzt getrennten Richtungen mitarbeiteten. Uns interessirt hievon hier lediglich die bekannte Ehrenworts- Angelegenheit.

Die Emanzipation" empfahl die Wahltatit. Um nun dem in Frank­ reich   doppelt naheliegenden und für die nene Partei gefährlichen Verdacht zu begegnen, als ob die Redakteure auf Abgeordnetenmandate spekulirten, erklärten Brousse, Brugnot, Deville, Guesde und Ma­lon, sich von vorneherein zur Ablehnung jeder Kandidatur bei den be­vorstehenden Wahlen zu verpflichten. Diese Erklärung erfolgte auf Antrag Guesde's. Man kann nun über die Zweckmäßigkeit dieser übernommenen Verpflichtung verschiedener Meinung sein. Ich hielt dieselbe unter den gegebenen Verhältnissen für gutwirkend, auch verlor die neue Partei bei den Wahlen, auf die sie noch nicht vorbereitet war, nichts, wenn ihr bei ihren Zählkandidaturen die genannten fünf Namen entgingen. Doch das ist Nebensache. Aber sobald ein derartiges feier­liches Versprechen einmal gegeben ist, muß es auch gehalten werden, wenn die Versprecher nicht ihren Kredit verlieren und ihrer Partei in der öffentlichen Meinung schaden sollen. Diesem Grundsatz gemäß handelte auch Malon, indem er die ihm von den Sozialisten von Javel ange­botene Kandidatur( die Erfolg versprach) ablehnte. Und weder Guesde noch sonst wer hatten an dieser Handlungsweise etwas auszusetzen; viel­mehr billigte sie ersterer ausdrücklich.

Da tamen die allgemeinen Wahlen. Wieder wurden Malon und die übrigen Unterschreiber der Verpflichtung zum Kandidiren aufgefordert. Und nun erklärte sich Guesde plötzlich seines Versprechens ledig³) und nimmt die Kandidatur an( in Roubaix  ), erhielt aber nur 500 Stimmen. Hieraus entstand eine sehr hitzige Debatte, welche die Kluft zwischen der für Guesde   eintretenden Gruppe der ,, Egalité" und dem Gros der Partei mehr und mehr vergrößerte. 5 on

Ich überspringe die weiteren Phasen der Entwickelung der Zwiftigkeiten, um nur noch bei einem Punkte zu verweilen, der die formelle Spaltung bewirkte, nämlich dem Austritt oder Ausschluß der Gruppe, Egalité" aus dem Gauverband( Union   fédérative). Vorher sei nur noch erwähnt, daß Guesde auf dem Kongreß von Reims  ( November 1881) als Delegirter mitwirkte, den Kongreß aber nachträglich, da derselbe ihm nicht Recht gegeben hatte, als ungiltig erklärte. Und er übersetzte diese Behauptung fofort auch in's Praktische, indem er dem Kongreßbeschluß gegenüber, der den ,, Proletaire" zum offiziellen Parteiorgan erklärte), zum dritten Male die ,, Egalité" wieder erscheinen ließ und ihr den Titel: Organ der Arbeiterpartei" gab.

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Der Verfasser der Artikel: St. Etienne oder Roanne  ?" bemängelt nun?), daß Malon vor dem Reimser Kongreß eine Agitationsreise unter­nommen habe, um eine Mehrheit gegen Guesde zusammenzubringen.

2) Gues de fonnte gar nicht anders handeln, wenn er überhaupt für den Sozialismus wirken wollte. Die bestehenden Arbeiterorganisationen waren rein gewerkschaftlich, zum Theil selbsthilflerisch. Durch seine Be­tämpfung der Selbsthilfler zog sich eben Guesde schon damals den per­sönlichen Haß von Manchen ein, die später das sozialistische Programm atzeptirten.

dis³) Dies lag so wenig in Guesde's Absicht, daß er gerade um dem Proletaire" teine Konkurrenz zu machen, die ,, Egatité" Mittwochs erscheinen ließ, weil ersterer Sonnabends erschien. Wenn man bedenkt, daß die Arbeiterverfaminfungen meist an letzterem Tage stattfinden, so wird man begreifen, daß Guesde in dieser Frage durchaus selbstlos gehandelt hat. Am Proletaire" konnte er gar nicht mitarbeiten, da der­felbe einem Vereine( Union   des travailleurs) als Eigenthum gehörte, der damals nur Arbeiter als Mitglieder aufnahm und nur Mitgliedern das Recht gab, mitzuarbeiten.

4) d. h. fie fiftirte ihr Erscheinen zu Gunsten der projektirten Eman­zipation".

5) Nachdem eine Arbeiterkorporation nach der andern erklärt hatte, die Deklaranten des Versprechens zu entheben, ihnen den Vorwurf machte, aus doktrinärem Eigenfinn im Wahlkampfe der Partei ihre Kraft zu ent­ziehen, und nachdem speziell die Sozialisten von Roubair an Gueßde die Aufforderung gerichtet hatten, aus Parteidisziplin fich dem Willen der Genoffen zu unterwerfen und nicht auf einer Erklärung zu beharren, die gegenstandslo s sei, nachdem ihre Voraussetzung, die " Emanzipation", schon nach dreiwöchentlichem Bestande im Januar ( die Wahlen fanden im August statt) eingegangen war. Malon aber fuhr fort, die Annahme der Kandidatur für einen Wortbruch zu er­tlären, was die Gegner in Roubaix   mit Behagen ausnügten; daher die geringe Stimmenzahl und auch die gegenseitige Gereiztheit.

6) Wir haben das nicht bemängelt, sondern nur eine Thatsache, die wir aus Malon's eigenem Munde gehört, konstatirt, weil es die von Malon zusammengebrachte Majorität war, die jene von uns aufge­führten charakteristischen Beschlüsse faßte und alle von Guesde   eingebrachten Anträge ohne Prüfung ablehnte.

7) Aber das Mißverhältniß beließ, daß die Redaktion desselben nicht von der Partei, sondern von der Separatorganisation ernannt wurde. Anmerkung der Redaktion.