d) Die Versammlung spricht den Personen, die sich der Ver­waltung der Unterstüßungsgelder unterzogen haben, für ihre mühevolle Thätigkeit ihren Dank aus."

Jm weiteren Verlauf der Debatte wurde von mehreren Seiten hervorgehoben, daß in Deutschland   einige Zeitungen beständen, welche von den Genossen durch Abonnement unterstützt würden, und wurde daran von einer Seite der Wunsch geknüpft, in Zukunft davon abzusehen.

Gegen diese Ansicht wurde geltend gemacht, daß in Wirklichkeit Parteiblätter in Deutschland   nicht bestehen und nicht bestehen könnten, die Blätter seien Privateigenthum. Wenn aber das eine oder andere dieser Blätter uns gegenüber keine feindliche Haltung einnehme, so sei das kein Unglüd. Entschieden ver urtheilt freilich müßte werden, wenn ein Genosse an einem Orte das Parteiorgan, den Sozialdemokrat", über einem solchen Lokalblatte vernachlässigte oder gar zu Gunsten des letteren gegen das erstere agitire. Soweit solche Fälle konstatirt werden tonnten, fanden dieselben den herbsten Tabel.

Recht lebhaft trat im Anschluß an diese Debatte auch der Wunsch zu Tage, durch Beschaffung von gut geschriebenen Bro­schüren und Flugblättern die Agitation zu unterstützen. Eine ganze Reihe von darauf bezüglichen Wünschen wurden den schriftstellerischen Kräften zur Berücksichtigung empfohlen.

Unter Hinweis auf den bezüglichen in Wyden seiner Zeit aus­gesprochenen Wunsch, wurde dem Bedauern Ausdruck gegeben, daß dem Partei- Archiv in Zürich   seitens der Genossen nicht die genügende Aufmerksamkeit geschenkt werde. Es wurde, um diesem Uebelstande abzuhelfen, folgender Beschluß gefaßt:

"

Die Redaktion des Sozialdemokrat" möge in geeig neten Zwischenräumen zur Sammlung für das Parteiarchiv auffordern."

Eine während der Debatte erfolgte Anfrage, ob es richtig sei, daß zwischen der im Sozialdemokrat" gegebenen Abrechnung und den diesbezüglichen Angaben in der New- Yorker Volksztg." über die Einnahmen von der Fritsche- Viered'schen Agitationsreise eine Differeni bestehe, fand durch die hierauf abgegebenen Erklä rungen eine vollständig befriedigende Beantwortung.

Zum Schlusse wurden drei Züricher   Genossen für die Hevi­flon gewählt.

Die Mark.

( Fortsetzung.)

Wenn ein Gutsherr- geistlich oder weltlich geistlich oder weltlich ein Bauern­gut erwarb, so erwarb er damit auch die zum Gut gehörige Gerechtigkeit in der Mark. Die neuen Grundherren wurden so Markgenossen, den übrigen freien und hörigen Genossen, selbst ihren eigenen Leibeigenen, innerhalb der Mark ursprünglich nur gleichberechtigt. Aber bald erwarben sie, trotz des zähen Widerstands der Bauern, an vielen Orten Vorrechte in der Mark, und konnten diese letztere oft sogar ihrer Grundherrschaft unterwerfen. Und dennoch dauerte die alte Markgenossen­schaft fort, wenn auch unter herrschaftlicher Obervormundschaft. Wie unumgänglich nöthig damals noch die Markverfassung für den Ackerbau, selbst für den Großgrundbesitz war, beweist am schlagendsten die Kolonisirung von Brandenburg   und Schlesien   durch friesische, niederländische, sächsische und rhein­fränkische Ansiedler. Die Leute wurden vom 12. Jahrhundert an, auf Herrenland dorfweise angesiedelt und zwar nach deut­schem Recht, d. h. nach dem alten Markrecht, soweit es sich auf herrschaftlichen Höfen erhalten hatte. Jeder bekam Haus und Hof, einen für alle gleich großen, nach alter Art durch's Loos bestimmten Antheil in der Dorfflur und die Nutzungs­gerechtigkeit an Wald und Weide, meist im grundherrlichen Wald, seltener in besondrer Mark. Alles dies erblich; das Grundeigenthum verblieb dem Herrn, dem die Kolonisten be­stimmte Zinse und Dienste erblich schuldeten. Aber diese Leistungen waren so mäßig, daß die Bauern hier sich besser standen als irgendwo in Deutschland  . Sie blieben daher auch ruhig, als der Bauernkrieg ausbrach. Für diesen Abfall von ihrer eigenen Sache wurden sie denn auch hart gezüchtigt.

Ueberhaupt trat um die Mitte des 13. Jahrhunderts eine entschiedene Wendung zu Gunsten der Bauern ein; vor­gearbeitet hatten die Kreuzzüge. Viele der ausziehenden Grund­herren ließen ihre Bauern ausdrücklich frei. Andere sind ge­storben, verdorben, Hunderte von Adelsgeschlechtern ver­schwunden, deren Bauern ebenfalls häufig die Freiheit erlangten. Nun kam dazu, daß mit den steigenden Bedürfnissen der Grundherren das Kommando über die Leistungen der Bauern weit wichtiger wurde, als das über ihre Personen. Die Leib­eigenschaft des früheren Mittelalters, die noch viel von der alten Sklaverei an sich hatte, gab den Herren Rechte, die mehr und mehr ihren Werth verloren; sie schlief allmählig ein, die Stellung der Leibeignen näherte sich der der bloßen Hörigen. Da der Betrieb des Landbaus ganz der alte blieb, so war Vermehrung der gutsherrlichen Einkünfte nur zu er­langen durch Umbruch von Neuland, Anlage neuer Dörfer. Das war aber nur erreichbar durch gütliche Uebereinkunft mit den Kolonisten, gleichviel ob sie Gutshörige oder Fremde waren. Daher finden wir um diese Zeit überall scharfe Fest­setzung der bäuerlichen, meist mäßigen, Leistungen und gute Behandlung der Bauern, namentlich auf den Herrschaften der Geistlichkeit. Und endlich wirkte die günstige Stellung der neu herbeigezogenen Kolonisten wieder zurück auf die Lage der benachbarten Hörigen, sodaß auch diese in ganz Norddeutsch­land bei Fortdauer ihrer Leistungen an den Gutsherren ihre persönliche Freiheit erhielten. Allein das Alles sollte nicht lange dauern.

Jm 14. und 15. Jahrhundert waren die Städte rasch emporgekommen und reich geworden. Ihr Kunstgewerbe und Lurus blühte namentlich in Süddeutschland   und am Rhein  . Die Ueppigkeit der städtischen Patrizier ließ den grobgenährten, grobgekleideten, plumpmöblirten Landjunker nicht ruhig schlafen. Aber woher die schönen Sachen erhalten? Das Wegelagern wurde immer gefährlicher und erfolgloser, zum Kaufen aber gehörte Geld. Und das fonnte nur der Bauer schaffen. Daher er­neuerter Druck auf die Bauern, gesteigerte Zinse und Frohnden, erneuerter, stets beschleunigter Eifer, die freien Bauern zu Hörigen, die Hörigen zu Leibeignen herabzudrücken, und das gemeine Markland in Herrenland umzuwandeln. Dazu halfen

den Landesherrn und Adligen die römischen Juristen, die mit ihrer Anwendung römischer Rechtssätze auf deutsche, meist un­verstandene Verhältnisse eine grenzenlose Verwirrung anzurichten, aber doch so anzurichten verstanden, daß der Herr stets dadurch gewann und der Bauer stets verlor. Die geistlichen Herren halfen sich einfacher: sie fälschten Urkunden, worin die Rechte der Bauern verkürzt und ihre Pflichten gesteigert wurden. Gegen diese Räubereien von Landesherren, Adel   und Pfaffen erhoben sich seit Ende des 15. Jahrhunderts die Bauern in häufigen Einzelaufständen, bis 1525 der große Bauernkrieg Schwaben  , Baiern, Franken bis ins Elsaß  , die Pfalz  , den Rheingau   und Thüringen   hinein überfluthete. Die Bauern erlagen nach harten Kämpfen. Von da an datirt das er neuerte allgemeine Vorherrschen der Leibeigenschaft unter den deutschen Bauern. In den Gegenden, wo der Kampf gewüthet hatte, wurden nun alle noch gebliebenen Rechte der Bauern schamlos zertreten, ihr Gemeinland in Herrenland verwandelt, sie selbst in Leibeigne. Und zum Dank dafür, daß die besser gestellten norddeutschen Bauern ruhig geblieben, verfielen sie, nur langsamer, derselben Unterdrückung. Die Leibeigenschaft deutscher   Bauern wird in Ostpreußen  , Pommern  , Branden­ burg  , Schlesien  , seit Mitte, in Schleswig- Holstein   seit Ende des 16. Jahrhunderts eingeführt und immer allgemeiner den Bauern aufgenöthigt.interan ( Schluß folgt.)

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Sozialpolitische Rundschau.

Zürich  , 11. April 1883. Vorsicht! In ihrem blindwüthigen Eifer wird die deutsche  Polizei in nächster Zeit allerhand tolle Streiche begehen. Man muß darauf gefaßt sein. Namentlich gilt es die größtmögliche Vorsicht in der Korrespondenz. Ohne daß Briefe widergesetzlich eröffnet( gestiebert) zu werden brauchen, kann die Polizei durch heimliche Verhängung der Briefsperre förmliche Korrespondenzfallen stellen und sich ganz in Form Rechtens der Briefe, nach denen sie strebt, bemächtigen. Also Vorsicht und nochmals Vorsicht!

Aus dem Reichstage, Anfangs April, schreibt man uns: Die kolossale Blamage unserer sogenannten politischen" Polizei steht, um mich ,, stylvoll" auszudrücken, im Vordergrund des politischen Inter­effes". Wozu die Tausende von Spizeln, und die Millionen von Mark für diese Tausende von Spizeln, wenn es der Polizei nicht einmal möglich ift, einen großen Parteifongreß zu verhindern, dessen Verhinderung die politische" Polizei unseres Nationalzuchthauses, genannt deutsches Reich, seit anderthalb Jahren als ihre Hauptaufgabe betrachtet hatte? Wozu die Tausende von Spizeln und die Millionen von Mark für diese Tau­sende von Spizeln wenn die bezahlten Spizzel ,, pour le roi de nichts zu leisten im Stande find? Das ist der allgemeine Gedanke auf Prusse" bezahlt und für die Staats- und Gesellschaftsrettung so gar nichts zu leisten im Stande sind? Das ist der allgemeine Gedanke auf Augustus   nach der Niederlage des Barus: Madai, Madai, gib mir neutraler Seite, und Herr von Buttkamer ruft, wie weiland Kaiser meine Millionen zurück!

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Wohl niemals ist der Beweis für die absolute Unfähigkeit und Nichts­würdigkeit der politischen" Polizei im Algemeinen und der preußisch­deutschen Spizelpolizei im Besonderen, so schlagend, so drastisch geführt worden, als durch den vorliegenden Fall oder richtiger Reinfall nämlich der Polizei.

Und das ist ein Sieg unserer Partei, der nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Wohlgemerkt, ich rede hier nicht von einem, moralischen"

Sieg! Mit allen moralischen" Siegen der Welt lockt man keinen poli­

zeilichen und nichtpolizeilichen Hund hinter dem Ofen hervor; und moralischer" Sieg ist in neuerer, d. h. parlamentarischer Zeit bekanntlich ein euphemistischer Beschönigungsausdruck für Niederlagen" und" Fuß­tritte" geworden.

Nein, ein ganz realer, materieller Sieg unserer Partei ist diese pyra­midale Polizei Blamage, denn sie bildet die denkbar wirksamste und glänzendste reductio ad absurdum des Sozialistengesetzes, dieses rohesten, dümmsten und niederträchtigsten aller Polizeigesetze.

Wer heute noch glaubt, daß die Sozialdemokratie durch Büttel und Spitzel unterbricht oder auch nur niedergehalten" werden kann, gehört

in eine Jdiotenanstalt.

Es zeigt sich bei dieser Gelegenheit wieder einmal die Macht der Thatsachen. Thatsachen sind nicht aus der Welt zu fügen, nicht wegzu­deuteln. Und eine so harte, massive und handgreifliche Thatsache wie der Kopenhagener Kongreß imponirt auch dem stumpfften und trübften Gehirn, und drückt seine Logit mit unwiderstehlicher Gewalt Jedem auf, auch dem Denkfaulften und Denkschwächsten. in

Koloffale Blamage der deutschen   Polizei, toloffales Fiasko des Sozia­listengesetzes das ist die Moral" des Kopenhagener Kongresses, und Sie wird ihre Früchte tragen.

Nicht, daß ich an die sofortige Abschaffung des Sozialistengesezes, überhaupt an seine Abschaffung glaubte! Aber die Autorität der Polizei hat einen mächtigen Stoß erhalten, und auf die Polizeiautorität fügt fich wesentlich unsere heutige Staats- und Gesellschaftsordnung.

Koloffale Blamage der deutschen   Polizei! Vor allem der Berliner  ! Die Berliner   Polizei hat sich allmählich zur deutschen   Zentralpolizei gemacht, sie dirigirt, und tommandirt. Sie ist in erster Linie an der Nase geführt und dupirt worden.

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Wäre mir der Mund nicht geschlossen, ich könnte ein zwergfellerschüt­nie terndes Beispiel von Berliner   Polizeiftupididät erzählen! Genug mals sind Gimpel mit argloserer Naivetät auf den Leim und in die Falle gegangen, als diesmal Herr von Madai, sammt seinen Spizzeln und Oberspitzeln.

Entsprechend dem Umfang der Blamage hatte auch die Wuth und der Merger ungewöhnliche Dimensionen, sobald der heiligen Hermandad das Schreckliche Klar ward und sie sich von tosendem Gelächter umbraust fand. Blindlings schlug fie drauf los, und da blinder Eifer nur schadet, so verletzte sie bei ihrem Drauflosschlagen nur sich selber, und die Ber­ liner  , Beamten", welche die verspätete und arg verunglückte Razzia gegen die heimkehrenden Kongreßmitglieder veranlaßt, werden noch einen harten Stand haben. Nach dem Reichsstrafgesetzbuch haben sie, burch Berhaftung von drei auf dem Weg nach Berlin   befindlichen Reichstags­abgeordneten den§ 106 des Reichsstrafgesetzbuches verletzt, der also

lautet:

Wer ein Mitglied einer der vorbezeichneten Versammlungen ( gesetzgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundesstaats 2c.) durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, fich an den Ort der Versammlung zu begeben, oder zu stimmen, wird mit 3uchthaus bis zu 5 Jahren oder mit Feftungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Feftungshaft bis zu zwei Jahren ein." Die sozialdemokratischen Abgeordneten haben einen Antrag gestellt, welcher die Anwendung dieses Paragraphen verlangt. Die diplomati­firenden Herren vom Zentrum möchten uns nun allerdings zum Auf­geben dieses Antrags bestimmen, der ihnen jetzt unbequem ist indeß wir werden den Leutchen nicht den Gefallen thun. Sie sollen Farbe bekennen gerade wie seinerzeit bei dem Ausnahmegesetz.

Daß die Polizisten, welche die Verhaftung Frohme's, Bollmar's und Diet's   anordneten, gegen diesen angezogenen Paragraphen des Reichs­ftrafgesetzbuchs fich vergangen haben, ist über jeglichen Zweifel erhaben. ( 5. d. M.) durch die Verhaftung des einen der genannten Abgeordneten Es steht sogar fest, daß die Abstimmung über die Holzzölle am Mittwoch positiv alterirt und gefälscht wurde. Wäre nämlich Dieß nicht auf der Fahrt angehalten worden, so hätte er Berlin   rechtzeitig erreicht, um

noch gegen die Regierungsvorlage zu stimmen, die dann statt mit 136 gegen 135 Stimmen an eine Kommission verwiesen zu werden, sofort

mit 136 gegen 136 Stimmen Stimmengleichheit gilt als Ablehnung- verworfen worden wäre.

Im Reichstag   schwanken die Parteigruppirungen. Weder für noch gegen die Regierung eine feste Majorität. Das gegenseitige Zahlenverhältniß verschiebt sich flugsandartig von Minute zu Minute. Bei der Holz­debatte" und in der Gewerbeordnungsdebatte tritt dies recht deutlich zu Tage. Nach dem Muster der alten Götter gehen auch die alten Parteien zum Teufel.

Inzwischen wird der oppofitionelle Zug im Bolke immer kräftiger,

und ist sogar bis nach Pommern  , ins Herz der deutschen Vendee", ge­drungen. Die Wahl des Fortschrittlers Samm im Stralsunder   Reichs­tagswahlkreise ist ein bemerkenswerther Erfolg des mehr und mehr um fich greifenden Oppofitionsgeistes, und Herr von Bismarck   wird sich, Angesichts dieser fatalen Schlappe, welche der konservative Gedanke" ( lucus a non lucendo) erlitten, wohl zweimal befinnen, ehe er seine auf die schwachen Nerven der Nationalliberalen und Sezessionisten berech­neten Auflösungsdrohungen wahr macht. N'est pas si bête. So dumm ist er nicht.

Am Donnerstag trat der Reichstag   in die Berathung der reaktionären Vorschläge bezüglich Abänderung der Gewerbeordnung ein. Die große liberale Partei" hatte sich im Prinzip geeinigt, dem reaktionären Ansturm zu widerstehen und gegen die Regierungsvorlage, resp. die Kommissionsbeschlüsse Front zu machen. Da auch ferner noch feststand, daß einzelne rheinische Zentrumsmänner fich ans Utilitäts-, d. h. Feigheitsrücksichten drücken, daß ferner die bayrischen Ultramontanen durch den Landtag in München   zurückgehalten würden, so hörte man allgemein, daß die Gewerbeordnung, die schon einmal bedenkliche Löcher erhalten hat, diesmal ohne schwere Blessuren aus dem Ansturm der Re­attion hervorgehen würde. Die große liberale Partei" inklusive der Nationalliberalen hatte diesen Ausgang durch die liberale Preffe in's Land posaunen lassen und deshalb hatte sie sich auch bemüht, die Gewerbenovelle vor dem Krankenkassengesetz zur Berathung zu bringen. Aber welche Täuschung! Die vertrauensduseligen Fortschrittler und Sezessionisten, die sich schon hundertmal durch die Nationalliberalen hinter das Licht hatten führen laffen, wurden- und es geschieht ihnen recht!- zum hundertundeinten Male angeführt. Die Nationalliberalen stimmten nämlich mit ganz geringen Ausnahmen mit der Reaktion. Wir wundern uns darüber selbstverständlich nicht. Die National­liberalen haben ja zur Genüge bewiesen, daß sie der Gewalt gern Büttel­dienste leisten. Uebrigens zeigen fich die Herren hier in ihrer ganzen Größe. Das einzige relativ Gute nämlich, was die Nationalliberalen in der neueren Gesetzgebung geleistet haben, ist die Gewerbefreiheit, wie sie in dem Gesetz die Gewerbeordnung betreffend enthalten war. Und nun zerstören dieselben Herren diese eine Leistung selbstmörderisch wieder.

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Bislang hat man vielfach noch geglaubt, daß die Nationalliberalen nur in poiitischer Beziehung in's Lager des Polizeistaates übergelaufen feien; man sieht, daß sie auch in wirthschaftlicher Hinsicht Polizeiverehrer geworden sind. Das Politische läßt sich eben nicht vom Wirth- schaftlichen trennen.

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Die Debatten selbst waren im Allgemeinen nicht lebhaft einige tonservative Streithähne wurden mit einigen fortschrittlichen handgemein; es flogen einige Federn in der Luft herum, doch beklagte keiner der Kämpfer eine Krone oder gar ein paar Sporen. Erst als unser Genosse Stolle in die Debatte eingriff, tam Leben in die Reichstagsbude. Die Herren von der Rechten hatten bei Gelegenheit der Konzessionser theilung für Schaustellungen u. s. w. wieder einmal über die große Un­fittlichkeit gejammert, wie sie im Volke, unter den niederen Schichten herrsche, worauf Stolle antwortete, daß die vornehme Gesellschaft vor ihrer eigenen Thüre kehren möge. Man brauche nur an die Orgien zu denken, die in Kasernen und Offiziersta sinos vorkämen, wobei junge Mädchen von den champagnertollen Offizieren gezwungen würden, nackt allerlei Tänze auszuführen und allerlei Stellungen ein­zunehmen.

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Darob furchtbares Halloh und Geschrei auf der Rechten; sittliche Entrüstung am Regierungstische Buttkamer betreuzte sich! Man rief, nach Beweisen. Juristische Beweise lassen sich da nicht führen, aber Jedermann weiß, daß bei den Offizieren, die aus mora­lischen Gründen in der Kaserne wohnen müssen", allnächtlich sich bei der Wache Kousinen" und sonstige Verwandte" weiblichen Geschlechtes anmelden und durchgelassen werden müssen und dort bis zum frühen Morgen verweilen. Und Jedermann kennt die Geschichte von des deutschen  Kronprinzen Kammerherrn  , dem Prinzen von Salm- Dyd, der mit verschiedenen Freunden aus dem Offiziersstande die Mädchen aus einem in Berlin   sehr bekannten Zirkus zu sich lud, welche dann nackt vor den vornehmen Augen diejenigen Sprünge wiederholen mußten, die sie angekleidet dem Volte einige Stunden zuvor vorgeführt hatten. Unser" Frizz, der bekanntlich unter dem Pantoffel seiner häuslich erzogenen und sehr fittenstrengen Gemahlin steht, erfuhr den Standal und jagte den Prinzen Salm aus seiner bisherigen Stellung, was allerdings nicht ver. hindert hat, daß selbiger Prinz noch immer eine Zierde der preußischen Aristokratie ist.masens shad

Aehnliche Fälle wären noch zu Dutzenden zu erzählen.

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Kurz und gut: die Anregung, die Genosse Stolle gab, hat ihre Wirtung nicht berfehlt. Die Verblüfft heit der Herren auf der Rechten wurde nur durch die Pferderohheit derselben übertroffen die väterlichen Ochsen" dieser Junker konnten tein größeres Gebrüll anstimmen in den heimischen Ställen, wie die aristokratischen Herren dies im Reichstag thaten.mind) Besser aber konnte Genoffe Stolle nicht belohnt werden hatte eben den wundesten Punkt dieser heuchlerischen, berputtfamerten Gesellschaft getroffen.

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- Briefsperre. Einige deutsche Zeitungen bringen die Nachricht, über die wirklichen oder vermeintlichen Theilnehmer am Kopenhagener Kongreß sei die Briefsperre verhängt worden. In dieser Ausdehnung ist die Nachricht jedenfalls unrichtig. Ueber diesen oder jenen der Theil­nahme am Kongreß Verdächtigen mag wohl Briefsperre verhängt sein, allein diese Maßregel setzt voraus, daß gegen die Betreffenden gericht­liche Untersuchung und Strafverfahren eingeleitet sei. In einzelnen Fällen ist dies auch geschehen; jedoch, soviel bis jetzt bekannt, nicht des Kon­greffes wegen. Was speziell die sozialdemokratischen Abge­ordneten angeht, so steht teiner derselben unter Briefsperre und wird auch keiner während der Dauer der Session unter Briefsperre gestellt werden, da der Reichstag   unter keinen Umständen die dazu uner­läßliche Genehmigung ertheilen wird. Die Korrespondenz an die Reichs­tagsabgeordneten ist also keinen ausnahmsweisen Beschränkungen unter­worfen. Daß im Lande der Briefftieberei Vorsicht beim Schreiben Noth thut, versteht sich von selbst und braucht nicht besonders eingeschärft

zu werden.

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Zum Thema der Beamten torruption schreibt man uns abermals aus Kaufbeuren  , Ende März: Wir haben in Nr. 6 des Parteiorgans schon das Treiben des Anstaltsbauführers Be cer gekennzeichnet, und ging Regierungsrath Pfeuter in Folge dessen nach