licht gebracht hatten, denn dazu fühlte sich dieser Engel der Unschuld start und frech genug.
Doch mit des Geschickes Mächten
Jst tein ew'ger Bund zu flechten Und das Unglück schreitet schnell.
Sehr bald ereilte ihn die Nemesis; er wurde verhaftet, nicht wegen Unterschlagung, sondern wegen Unzucht, oder besser gesagt, wegen beiden zusammen. Im Volke machte sich nun eine sehr lebhafte Agitation gegen dieses saubere Bürschchen bemerkbar, die skandalöseften Borgänge tamen an's Licht, die empörendsten Attentate, welche der fromme Waisenhausvater auf seine Zöglinge verübt hatte, wurden ruchbar.
Die Scham steigt jedem anständigen Menschen ins Gesicht, wenn man hört, in welcher wollüftigen Weise dieser Hallunke stets im Namen Gottes mit den unschuldigen Waisenhausmädchen umgegangen ist. Anstatt diesen elternlosen Wesen Gefühl für echte Gefittung und Bildung beizubringen, wurden sie zu Dirnen herangezogen, ward ihnen die Entfittlichung in ihrer frühesten Jugend eingeimpft, und zwar von einem Manne, der stets den Mund von Gottesfurcht und frommer Sitte" voll hat, von einem chriftlichen Augenverdreher, der die hohe Obrigkeit selbst ist; denn wehe denjenigen, die sich seinen Anordnungen nicht fügten! War er ja der von der städtischen Verwaltung eingesetzte Direktor, vor den sich die elternlosen Wesen zu beugen haben. Ja, er war ein sorgsamer Vater, er hütete und pflegte seine Kinder gleich Blumen im Garten. Er führte fie in höchsteigner Person zum Baden, beguckte sie genau, ob sie auch an allen Theilen rein seien, konnte er es nicht ganz genau sehen, fo- es widert uns an, weiter zu schreiben, was die Untersuchung ergab. War das Bad vorüber, so nahm der alte Sünder die Zärtlichsten von den Zarten zu sich auf den Schooß und erzählte ihnen etwas von der Liebe des Nächsten. Du bist wie eine Blume, so hold, so süß, so rein!
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Alles das wurde jetzt ruchbar, und so war man mit Recht auf die Verhandlung gegen diesen Hallunken gespannt, denn es war doch einer von unseren Leuten", über den der Gerichthhof zu urtheilen hatte. Die Verhandlung fand, wie gewöhnlich, hinter verschlossenen Thüren statt, damit außer dem Gerichtshof Niemand in die Fußtapfen dieser Säule der heutigen Ordnung" trete. Jm Verlaufe derselben ergab sich, daß 2c. Voß vor nun mehr denn 20 Jahren Kantor in Baruth gewesen, und, wie durch eine ganze Reihe von Zeugen bekundet wurde, schon damals ähnlicher Vergehen beschuldigt worden war. Der Staatsanwalt erachtete auch den Beweis für die Schuld des Angeklagten' für durchaus erbracht und beantragte fünf Jahre Zuchthaus, zehn Jahre Ehrverlust und Tragung der Koften. Der Gerichtshof war dagegen wieder anderer Meinung und sprach diesen hallunken frei!
In einem Auszug aus dem Wortlaut des Urtheils heißt es, daß der Angeklagte wohl theilweise in scham verlegender Art nnd Weise, höchst ungehörig, mindestens unvorsichtig"(!) gehandelt, der Gerichtshof konnte aber nicht die Ueberzeugung gewinnen, daß derselbe bei seinen Handlungen von der Abficht geleitet gewesen sei, bei sich selbst einen Sinnestißel zu erzeugen und bei diesen Handlungen eine Befriedigung des Geschlechtstriebes gefunden habe." Ist das nicht wunderbar? Durch eine Anzahl von Zeugen wird bekundet, daß Voß schon vor 20 Jahren sich solche Vergehen hat zu Schulden kommen lassen, das Gericht selbst konstatirt, daß seine Handlungen schwerverletzende, höchst ungehörige gewesen find, aber die Ueberzeugung tann der Gerichtshof nicht gewinnen, daß ein
hört! Natürlich, es ist ja doch einer les Subjekt ins Zuchthaus ge
von ihren Leuten", eine Stütze der heutigen göttlichen Weltordnung! So ein Lump muß noch in Ehren gehalten werden, so ein christlicher 5- bengel wie der Waisenhausdirektor Boß kann ja doch unserer herrlichen Ordnung noch sehr dienlich sein. Wäre es ein Sozialdemokrat gewesen, der ein harmloses Flugblatt verbreitet hätte, da würde das Gericht schnell zu der Ueberzeugung" getommen sein, daß er sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht, und er hätte müssen verdonnert werden.
In diesem Fall hat sich die Unparteilichkeit des Richterstandes swieder einmal deutlich gekennzeichnet. Nun, uns soll es recht sein, denn dadurch werden unsere Reihen immer stärker, auch der Unaufgeklärteste fieht durch derartige Fälle ein, daß wir in einem Staate leben, wo nur nach Polizeiwillkür regiert wird, er tritt schließlich mit ein in die Reihen der Sozialdemokratie, um zu kämpfen, um mit ihr dieser Schandwirthschaft endlich einmal ein Ende zu machen!
y.
Heuchelei. Jm preußischen Abgeordnetenhause hat es jüngst wieder einmal eine Kulturkampfdebatte gegeben und zwar über den Windthorst' schen Antrag auf Freigebung des Messelefens und Sakramentspendens". Aeußerst charakteristisch war die Antwort des Minister von Goßlar, die Regierung könne schon deshalb dem Antrag nicht zustimmen, weil ihr dann für ihre Unterhandlungen mit Rom das ganze Verhandlungsgebiet schwinden würde.
Ist das nicht köstlich? Da wird erst geheulmeiert, wie nothwendig es sei, daß dem Volte die Religion erhalten bleibe, und jetzt erklärt, die Regierung Sr. Majestät des Königs" die heilige Messe und das heilige Sakrament" für ein unentbehrliches Schacherobjekt. Tausende und Abertausende müssen auf diese„ Tröftungen der Religion" verzichten, damit Bismarck doch dem Papst für ſeinen Dienſt etw etwas zu bieten habe. Und da will man uns weißmachen, daß Bismarck und sein Gebieter die Religion nicht lediglich als Mittel für ihre politischen Zwcke betrachten!
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- Die zweite Lesung des Krantentassengesetes ist nun endlich beendet. Es heißt zwar sonst, was lange währt, wird gut nichts wäre aber falscher, als dieses Sprichwort hier anzuwenden. Alle Abänderungsanträge unserer Abgeordneten find vom Reichstage abgelehnt worden, und zwar meist von der einen reaktionären Masse insgesammt, obwohl diese Anträge durchaus nichts Umstürzlerisches enthalten, denn das wäre hier nur eine zwecklose Demonstration gewesen, sondern lediglich den Arbeitern die Unabhängigkeit von allen bureaukratischen und Arbeitgeber- Einflüssen zu sichern, sowie Verschlechterungen zu verhindern bezweckten. In unserer nächsten Nummer werden wir ein Gesammtresumé der Berathung geben. Das Verhalten unserer Gegner bietet Veranlaffung zu sehr Lehrreichen Betrachtungen.
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Ein niederträchtiges Polizeistück. Die Leser des " Sozialdemokrat" find mit dem Fall Künzel bekannt. Aus Leipzig ausgewiesen, auf Grund einer Anklage, von welcher durch Richtersprach endgiltig festgestellt worden ist, daß sie jeglicher Begründung entbehrt, suchte Selinzel nach dem Tode ſeines Bruders um Nücknahme des Ausweiſungs. utases nach, wurde jedoch abschlägig beschieden. Mit Rüdsicht auf die hilflose Lage seiner Schwägerin und deren Kinder im zartesten Alter erneuerte er sein Rückkehrgesuch, in welchem er wahrheitsgemäß ausdrücklich hervorhob, daß von der er Bewilligung dieses Gesuchs die Existenz der hinterlassenen Familie seines Bruders abhänge. Man ließ ihn lange auf Antwort warten die Sache sollte genau geprüft werden. Wohlan, jezt ist die Antwort da, das Gesuch ist abermals abgewiesen. Die Thatsache an hat nichts Bemerkenswerthes; sie steht blos in Harmonie der mit dem bisherigen Berfahren der Polizei und sonstigen in Betracht Tommenden Verwaltungsbeamten: Amtshauptmann, Kreishauptmann und Minister des Innern. Ueber die Thatsache selbst wäre also kein Wort zu verlieren. Was aber Erwähnung verdient, ist die Motivirung des abschlägigen Bescheids.„ Die Behörden, so ward von zuständiger und maßgebender Seite erklärt, wurden hauptsächlich durch die Behandlug, welche die Angelegenheit im Sozialdemokrat" gefunden hat, bestimmt. Für die Worte können wir nicht bürgen, wohl aber für den Sinn; diese Mittheilung ist authentisch. Also weil der Sozialdemokrat" die Angelegen heit in einer Art und Weise hehandelt, welche den sächsischen Behörden,
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in erster Linie dem Herrn Minister des Innern, von NostizWall wit, nicht behagt, wird das Rückkehrgesuch Künzel's abgewiesen, die Wiedergutmachung eines notorischen und durch Richterspruch als solches gekennzeichneten Unrechts verweigert, ein Unschuldiger heimathslos gemacht, und eine unschuldige Familie dem Elend preisgegeben. Die Leipziger Behörden gehen offenbar von der Ansicht aus, Künzel selbst habe die betreffenden Korrespondenzen an den Sozialdemokrat" geschrieben. Auf Grund dieser falschen Annahme, deren unrichtigkeit gerichtlich oder notariell leicht festgestellt werden könnte, wird der Nacheakt beschlossen. Denn ein gemeiner Racheatt ist es, nichts weiter. Durch ihr neuestes Borgehen haben die sächsischen Verwaltungsbehörden blos einen neuen Beweis dafür geliefert, daß sie einfach nach Willkür verfahren, sich nicht die Mühe nehmen, die Wahrheit zu ermitteln, und mit frevelhafter Gewissenlosigkeit das Vernichtungsurtheil über Existenzen aussprechen.
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Oder wären die sächsischen Behörden etwa nicht von der Annahme ausgegangen, daß Künzel selbst der Verfasser der unbequemen Korrespondenzen sei. Wären sie vielleicht nach dem barbarischen Grundsatz des Geiselnehmen 8 verfahren, und hätten sie etwa die Ausweisung Künzels einfach in der Absicht bestätigt, den Sozialdemokrat“ von der Veröffentlichung ähnlicher Korrespondenzen abzuhalten. In barbarischen Zeiten herrschte allerdings eine ähnliche Praxis. Um dem Feind Unthätigkeit aufzuerlegen, nahm man unschuldige Bürger, Frauen und Kinder gefangen, mit der Drohung, sie zu tödten, wenn der Feind nicht unterwürfig bleibe. Und im Alterthum, wo diese Pragis florirte, wurde die Drohung auch unnachsichtlich verwirklicht. Sollte die Leipziger Polizei und der gemüthliche Herr Amtshauptmann, Kreishauptmann und Minister des Inneren wirklich zu dieser barbarischen Praxis zurückgekehrt sein? Zuzutrauen wäre es den Leutchen schon. Indeß, wie immer wir uns das neufte Polizeistück erklären, es ist ein niederträch tiges Polizeistüd.
- Die Anwesenheit des Abgeordneten Frohme in einer öffentlichen Versammlung des Berliner christlich- sozialen Vereins, und die Thatsache, daß derselbe dort in der Debatte das Wort ergriff und über einige unserer wirthschaftlichen Forderungen sprach, gibt der liberalen 2c. Preffe Veranlassung zu allen möglichen Kombinationen über ,, eine Annäherung an Stöcker" und ähnlichen Unsinn. Die Herren können beruhigt sein, davon steht ebensowenig im Buche als von einer Annäherung an Eugen Richter . Die Sozialdemokraten haben überhaupt kein Bedürfniß, fich irgendwo anzunähern", wohl aber halten sie es nicht unter ihrer Würde, auch in gegnerische Versammlungen zu gehen und dort ihre Ansichten zu entwickeln.
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Ein Lob aus gegnerischem Munde.„ Meine Herren, was die Arbeiter auszeichnet, das ist ein außerordentlich empfindliches Ehrgefühl. Es find wenige Stände, die Sie so wenig födern können durch materiellen Vortheil, wenn Sie ihnen denselben in einer Form oder unter Bedingungen darbringen, die ihr Ehr gefühl verlegt."
Der Mann, der diese die deutschen Arbeiter im höchsten Grade ehrende Erklärung in der Reichstagsfitung vom 14. April abgab, der nationalliberale Abgeordnete e che lhäuser, ist Leiter eines großen industriellen Etablissements und spricht aus Erfahrung. Und daß es ihm ernst war, beweist die diesem Ausspruch folgende Jeremiade über die gereizte Stimmung der Arbeiter", als deren Hauptursache er die Agitation der Sozialdemokratie bezeichnet.
Nun, wir nehmen diese Schuld gern auf uns, aber wir beanspruchen auch, das hohe Ehrgefühl der deutschen Arbeiter mit auf unser Konto gesetzt zu sehen. Denn daß es der Einfluß unserer Lehren und Grundsätze ist, der in der Zeit der allgemeinen Käuflichkeit die Arbeiter vor der Pest der Gesinnungslumperei zu bewahren vermocht hat, darauf legen wir ganz besonderen Werth, wir, die Vertreter der materialistischen Weltanschauung.
Belgien . In Bezug auf die aus diefem Musterstaat des Liberalismus ausgewiesenen deutschen Sozialisten schreibt man uns, daß in Antwerpen zwei Genossen in solcher Weise beglückt wurden, und zwar der Schuhmachermeister W. Schlüter und der Photograph Baum, letzterer schon seit ca. fünf Jahren in Antwerpen als Inhaber eines photographischen Ateliers ansässig. Baum wird durch diesen Schlag hart getroffen; erst vor kurzer Zeit war ihm sein Atelier niedergebrannt und war er im besten Zuge, sich aus der dadurch verursachten geschäftlichen Bedrängniß herauszuarbeiten, als ihn das Ausweisungsdekret ereilte. Noch ärger machte es die Polizei in Lüttich , wo sie vier Personen auswies, unter ihnen den Genossen Schleebach, der schon seit 20 Jahren mit Frau und Kindern dort ansässig ist.
Kein Zweifel, der Urheber dieser Schurtereien sitzt in Berlin , die Jämmerlichkeit der liberalen belgischen Regierung bleibt aber darum doch dieselbe.
Jn Antwerpen hatten vor einiger Zeit die Lastträger gegenüber dem Beschluß, Dampfelevatoren( Hebemaschinen zum Aus- und Einladen) am Hafen einzuführen, eine so drohende Haltung eingenommen, daß man zunächst von diesem Vorhaben absehen mußte. Auf die Dauer wird dieser Widerstand natürlich nicht durchzuführen sein, und unsere belgischen Genossen haben auch deshalb in Antwerpen eine Volksversammlung veranstaltet, in der sie den Hafenarbeitern sagten, daß der Ruf: Nieder mit den Elevatoren!" ein falscher sei und dem Rufe: „ Her mit den Elevatoren!" Platz machen müsse. Leider waren gerade die Hafenarbeiter in der Versammlung sehr schwach vertreten.
Am 13.- 14. Mai findet in Lüttich der Jahreskongreß der belgischen sozialistischen Arbeiterpartei statt. Auf der Tagesordnung steht neben den geschäftlichen 2c. Fragen u. A. die Gründung eines sozialisti schen Blattes in Lüttich , die Errichtung einer Agitationskasse, sowie die Frage der Stellung der Partei gegenüber den Anarchisten. Den wackeren Pionieren der Arbeite rsache, die in Lüttich zusammentreten werden, unsern wärmsten Gruß und Glückwunsch!
Zur Abfertigung. Jn Nr. 237 des„ Prolétaire" widmet uns Herr Paul Brousse einen besonderen„ Der Sozialdemokrat" überschriebenen Artikel als Antwort auf unsere Notiz in Nr. 15 des„ Sozialdemokrat". Wer die diesem Herrn eigenthümliche Kampfesweise tennt, wird sich nicht wundern, daß Herr Brousse uns unterschiebt, wir hielten jede Kritik von Marr's wissenschaftlichen und politischen Leistungen für berpönt, während wir uns thatsächlich nur gegen das Wie der Brousse'schen Kritik wandten. Diese eine Probe überhebt uns der Verpflichtung, den Raum unseres Blattes mit einer Wiederholung der abgeschmackten Angriffe des Herrn Brousse in Anspruch zu nehmen. Wir können dieselben, soweit sie uns betreffen, bis auf einen auf sich beruhen laffen. Dem Schlußsatz des Brousse'schen Artikels müssen wir eine kleine Beleuchtung angedeihen lassen. Derselbe lautet nämlich:
,, Marr träumte davon, in der sozialistischen Welt die Rolle zu spielen, die Bismarck in der bürgerlichen Welt spielte. Wo er mit seinem großen Talent und seinem großen Namen( wirklich Herr Brousse?) scheiterte, wird sein Freund Engels sicherlich nicht durchdringen: so wenig wie die spanische Federation, wie die Trades Unions(!!) oder die italienische sozialistische Partei wird sich die französische revolutionäre sozialistische Arbeiterpartei marrisiren laffen. Aber die deutsche sozialdemokratische Partei wird weise handeln, wenn sie ihre große Bedeutung nicht in den Dienst der marristischen Klique( faction) stellt, die in Paris , in London , in Madrid oder in Zürich entschlossen ist, diesen Versuch fortzusetzen. Ihre internationalen Beziehungen würden darunter leiden." So Herr Brousse. Was seine Traumdeuterei in Bezug auf Marx anbetrifft, so ist dieselbe nur eine Fortsetzung der bereits in der„ Inter
nationale", wo Herr Brousse als Ultra der Anarchisten figurirte, von diesen ausgeheckten Lüge, welche ihre gegen Marr gerichteten Manöver beschönigen sollte. Marr selbst hat sich über diese blöde Unterstellung, die seiner ganzen Geschichtsauffaffung, insbesondere seiner Auffassung der Arbeiterbewegung schnurstracks widersprach, in Wort und Schrift so oft luftig gemacht, daß wir nicht nöthig haben, darüber noch ein Wort zu verlieren. Können wir doch Beweise liefern, daß Herr Brouffe und seine Freunde wider besseres Wissen handelten, als sie behufs Beseitigung ihrer Gegner in der Arbeiterpartei aussprengten, dieselben handelten nur im Auftrage des Deutschen Marx, der sich der Herrschaft über die französischen Arbeiter bemächtigen wolle. Und ist es nicht ganz natürlich, daß nachdem Marr todt ist, man jetzt seinem Freunde Engels die gleiche verruchte Absicht andichtet? Die Rolle des Schutzengels gegen die Marxistische Diktatur oder die Diktatur der Marristen ist so dankbar, daß man aber nicht gern darauf verzichtet. Mary angreifen ist auch viel leichter als Marx zu lesen und zu begreifen. Man zieht über Mary'schen Staatskommunismus 2c. los, unbekümmert darum, daß ein solches Ding sich in keiner einzigen Schrift von Marx voi findet. Was brauchen so große Denter auch Marr zu lesen, um ihn zu tritifiren?
Das Ausspielen der Trades Unions, die sich nicht marrisiren lassen", ist ganz besonders charakteristisch für die Brousse'sche Kampfesweise. Die Führer der Trades Unions traten nämlich, wie Herrn Brousse sehr wohl bekannt ist, von der Internationale" zurück, nachdem der Generalrath sich in der allerdings von Marr verfaßten herrlichen Adresse„ Der Bürgerkrieg in Frankreich" mit der Pariser Kommune solidarisch erklärt hatten.
Wenn schließlich Herr Brousse aus unserer Notiz gegen ihn eine Ertaltung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der deutschen und französischen Sozialdemokratie herleiten will, so hoffen wir und sind überzeugt, daß ihm das nicht gelingen wird. So sehr wir bedauern, daß ein großer Bruchtheil der französischen sozialistischen Arbeiter sich von ihm und seiner Gruppe" auf die asschüssige Bahn eines unfruchtbaren Eklektizismus, der allen Projektenmachern Thür und Thor öffnet, hat leiten lassen, so werden wir doch auch diesen gegenüber unter keinen Umständen die Solidarität der Arbeiterinteressen außer Acht lassen. Wo Arbeiter gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen, seien es spanische Federalisten oder englische Gewerkschaftler, da sind wir ,, Marx'sche Kommunisten", wie es im kommunistischen Manifest heißt, teine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien. Aber wir lassen uns das Recht nicht nehmen, jeden Versuch, vor Arbeitern das Andenken unseres großen Lehrers zu besudeln und seine Lehre zu verdrehen, energisch zurückzuweisen, to mme er von welcher Seite er wolle.
Korrespondenzen.
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Leipzig Neudnik. Ein gesinnungstüchtiger Arbeiterführer und andere schöne Pflanzen. Hat KleinParis" sein Tageblatt", so darf auch Klein- und Groß- Reudnitz( Vorstadt von Leipzig ) nicht zurückbleiben, wenn es gilt ein Blatt zu schaffen, das seine Leute bildet, und so haben wir denn ein Reudnißer Tageblatt" ein allerliebstes Kind des Sozialistengesetzes. Mühsam wurde dieses hoffnungsvolle Kleinod aufgezogen und jetzt soll ihm mit dem von Amtsgnaden verliehenen Titel„ Amtsblatt" noch vollends auf die Beine geholfen werden, damit einem schon längst gefühlten Bedürfnisse entsprochen wird und ein liberales" Blatt mehr vorhanden ist. Das in allen Tonarten variirte Thema von der Vagabondage und Verderbtheit der Zeit wird in der mustergiltigsten Weise und in dem bekannten Amtsstile rücksichtsvoll und sehr human behandelt, so daß das„ Leipziger Tageblatt ". welches namentlich in der Kultivirung dieses Genres vorzügliches leistet, thatsächlich übertroffen und in Schatten gestellt wurde. Verantwoetlicher Redakteur dieses Reudnißer Tageblattes" ist dem Geseze gegenüber der ehemalige Geschäftsführer und jetzige Besitzer der frither sogenannten Vereinsbuchdruckerei( auch eine ,, Genossen schaft "!) Herr Julius Mäser, der das Geschäft so gut zu leiten verstand, daß sich die armen Aktionäre veranlaßt sahen, ihr Besitzthum an den weltklugen und genossenschaftskundigen J. Mäser käuflich zu überlaffen, auf daß derselbe nicht zu Schaden komme und seine Verdienste um das Genossenschaftswesen im Allgemeinen und die genossenschaftliche Vereinsbuchdruckerei im Besonderen nicht mit Undank gelohnt werden. Jetzt florirt das Geschäft und nährt mehr wie einen Mann. Also Redakteur vor dem Gesetz ist besagter J. Mäser. Der thatsächliche und geheime Redakteur, noch musterhaftere Mustermann, ein Arbeiterführer comme il faut, auch bereits weit bekannt als Redakteur, fintemalen er seit Jahren von Arbeitern dazu angestellt ist, ein Ges werkschaftsorgan zu redigiren, das selbstredend nur die Interessen der Arbeiter wahrnehmen soll- kurz, der Geheim- Redakteur des„ Rendnißer Tageblattes und Amtsblattes ist der ehemalige Präsident des deutschen Buchdruckerverbands und gegenwärtige Redakteur des korre spondent", Organ für Deutschlands Buchdrucker und Schriftgießer, Herr Richard Härtel . Wenn der früher von Diesem und Jenem komischer Weise für einen Sozialdemokrat gehaltene Präsident der deutschen Buchdruckergewerkschaft in das liberale Fahrwaffer hinein segelt, so mag das der Herr mit seiner Gesinnungstüchtigteit und seinem Gewissen abmachen, allein da gegen müssen die Mitglieder des Unterstüßungsvereins deutscher Buchdrucker protestiren, daß der mit einem firen Gehalte von den Arbeitern honorirte, durch Jnseratenpacht des Korrespondent" und sonstige reichliche Nebeneinkünfte gleich einem Minister befoldete Redakteur eines Arbeiter blattes zugleich ein den Interessen der Arbeiter schnurstracks zuwiderhandelndes und sie bekämpfendes Blatt redigirt. Leider hat der Vorstand des Unterstützungsvereins noch nicht den Muth gehabt, dem Doppel- Readkteur Härtel die Alternative zu stellen, entweder auf die Ehre und was für den Er- Präsidenten des Buchdrucker- Verbandes die Hauptsache sein wird auf die Einnahme des Redaktionspostens des Korrespondent" zu verzichten, oder dem liberalen Tage und Amtsblatt den Rücken zu tehren. Kennzeichnend für die Grundsätze, nach welcher die zwei biederen Kompagnons Mäser und Härtel hier die Redaktionsthätigkeit betreiben, ist die Thatsache, daß ein den Herren zugesendeter Artikel in der Angelegenheit Sparig, diesem dem Sparig von der Redaktion des " Reudnizer Tageblattes" übergeben wurde mit der naiven Frage, ob es wahr sei, daß er, der Sparig, die famose Liste eingereicht habe? Der edle Bruno antwortete natürlich mit Nein", und damit war die Redaktion befriedigt. Ist das nicht köstlich? Härtel fragt den Sparig, ob der Sparig ein Lump sei! Und der Lump Sparig antwortet der Sparig dem Härtel„ auf Ehre!" er - sei kein Lump. Und so ist die„ Ehre" der beiden nach dieser Seite hin gerettet.
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Annaberg ( im sächsischen Erzgebirge ). Wie schon neulich von hier mitgetheilt wurde, sind die sozialen Verhältnisse äußerst mißliche. Die Posamentenbranche liegt schon seit einigen Jahren mehr oder weniger darnieder, und besonders muß dies von der Stuhlarbeit gesagt werden. Aber augenblicklich trifft dies auch die Frauen- und Kinderarbeit überhaupt, welche in den umliegenden Ortschaften betrieben wird. Die Löhne find geradezu erbärmlich, und es ist fast unerklärlich, wie die Bevölkerung sich überhaupt noch über Wasser zu halten vermag. Freilich kann man schon längst nicht mehr von einem menschenwürdigen Eristiren, sondern nur von Vegetiren reden, und trotzdem muß der Arbeiter leider noch froh sein, wenn man selbst noch bei so niedrigem Lohn Arbeit erlangt, denn die Noth treibt dazu, um jeden Preis zu arbeiten. Hier in AnnabergBuchholz ist es klein wenig beffer, weil hier die besseren Artikel angefertigt werden, allein auch hier macht sich die großartige Konkurrenz fühlbar, wie das kaum anders zu erwarten ist.
Wie es nun mit den Erwerbsverhältnissen bestellt ist, so leider auch im Allgemeinen mit den Parteiverhältnissen; denn ganz richtig wurde vor kurzer Zeit in diesem Blatte hervorgehoben und ist im Erzgebirg schon lange praktisch zu erkennen gewesen, daß die Noth uns nie und nimmer Parteigenoffen zuführt. Je schlechter die Löhne und je größer