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find nur wenige. Ihr aber, Ihr Fliegen, seid freilich unbedeutend und ohne Einfluß, aber Eure Zahl ist unermeßlich, Ihr seid das Leben, Ihr seid die Welt wenn Ihr nur wolltet. Wenn Ihr Euch vereinigen wolltet, so würdet Ihr mit einem Schlage Eurer Flügel alle Fäden zer­reißen, alle Nezze zerstören, in denen Ihr heute gefesselt seid, in denen Ihr zappelt und vor Hunger umkommt. Vorbei wäre alle Noth und Knechtschaft, wenn Ihr nur wolltet!

So lernt denn, zu wollen!

Sozialpolitische Rundschau.

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3ürich, 13. Juni 1883.

Finis Poloniae! Mit dem Nationalliberalismus ist es nun vollständig aus: sein Held, sein Staatsmann, sein Alles, Herr Bennigsen hat die Flinte in's Korn geworfen und zieht sich schmol­lend auf seine Güter zurück, harrend des Tages, da Wilhelm der Daner­hafte, den Weg alles Fleisches gewandelt sein und Vittoria die Erste -, unser" Fritz hat nichts dreinzureden den großen Rudolph zum Rathgeber der Krone erwählen wird. Das Häuslein seiner Getreuen hat ihm den Gehorsam versagt. Alles konnte er von ihnen verlangen, jeden Berrath am Volksrecht hätten sie ihm freudig bewilligt, die Cuny, Eynern und Genossen, die noch jüngst Herrn Puttkamer   in der Frage der Ver­waltungsgesetze einen so billigen Triumph bereitet haben, aber auf den Kulturkampf verzichten? Die einzige Waare, mit der sie hausiren gehen können, fahren lassen? Nimmermehr, das hieße dieser gedanken­armen Gesellschaft zuviel zumuthen! Zum politischen Seiltanzen gehört nicht blos Gesinnungstüchtigkeit, sondern auch Geschick, will man nicht elend hinunterpurzeln. Rudolph besaß, das kann ihm Niemand bestreiten, dieses Geschick, er konnte sogar mit einer gewissen Grazie seiltanzen, aber die Eynern können nur stolpern, und ihre Politik, von Fall zu Fall" hat ihren Namen bekanntlich nur in dem eigentlichen Sinne des Fallens.

So mögen sie denn weiter fallen, die traurigen Reste des National­liberalismus, bis sie ganz zerschellt, zerstoben sind. Sie haben ihr Schicksal reichlich verdient. Das Sozialistengesetz hat sich an ihnen bitter gerächt, sie sind vernichtet worden unter dem Motto: Die Religion muß dem Volte erhalten werden."

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Recht und Gerechtigkeit in Deutschland  . Zu keiner Zeit noch ist das Recht in Deutschland   so mit Füßen getreten worden, als gegenwärtig unter dem Regiment Wilhelm's des Gottesfürchtigen. Es ist das auch ganz natürlich. Die Herrschaft der Pfaffen hat überall und zu allen Zeiten Heuchelei und Liebedienerei nach sich gezogen. Die Religion soll den Staat erhalten, heißt nichts anderes als: die herrschenden Zustände, die Klassenunterschiede, sollen als gerechte verherrlicht, die Obrigkeit als von Gott   eingesetzt" verhimmelt werden. Eine Obrigkeit, die von Gott  " ist, kann natürlich nie Unrecht haben, deshalb blühen auch im christlichen Staat die Majestäts-, Minister- und Beamtenbeleidi­gungsprozeffe, während es gegen Beamten- und Regierungswillfür so gut wie gar keinen Schutz gibt. Auf's Deutlichste hat sich das in der Affäre Ben­nigsen Förder gezeigt, wo der Vertreter der staatlichen Rechtsord­nung", der Staatsanwalt, für den Grundsatz eintrat, für einen Be a mten sei die Unkenntniß des Gesetzes, die bekanntlich den Staatsbürger nicht schützt, ein Entschuldigungsgrund. In der Verhandlung wider den schlesi schen Junker von Rotenhan, der seine Stellung als Amts vor. steher dazu mißbraucht hatte, ein der Schule entwachse nes Mädchen in brutaler Weise mißhandeln zu lassen, beantragte der Staatsanwalt, der die Anklage überhaupt erst auf Veranlassung der durch die öffentliche Entrüstung dazu gezwungenen Regierung erhoben hatte*) Geldstrafe von 30 Mart, und der Gerichtshof erkannte auch richtig nur auf eine, wenn auch etwas höhere, Geldstrafe, weil der edle Freiherr nicht in seiner Eigenschaft als Amtsvorsteher, sondern als Schutz­patron gehandelt habe. Und das Mädchen war bereits der Schule ent­wachsen! Das gute Beispiel von oben wirkt aber selbstverständlich nach unten weiter: Jn Berlin   läßt der Schutzmann Irrgang ein prostituirtes Mädchen, bei welchem er auf sein Verlangen unentgeltlich genächtigt, unter dem Vorwande verhaften, fie habe ihm auf der Straße ,, einen uusittlichen Antrag" gemacht; der brave Ordnungshüter setzte voraus, daß sein, Dienfteid" ihn gegen alle Betheuerungen des schmählich denunzirten Kontrolmädchens" schützen werde, und er hätte sicherlich

eine

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*) Und zwar zu dem ausgesprochenen Zwecke, dem Freiherrn   Gelegen­heit zu geben, sich reinzuwaschen.

Feuilleton.

Bergangenheit und Gegenwart des russischen Sozialismus.

II.

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Zu den Jahren 1873-74 entstand im Ausland eine ganze Literatur beider Richtungen der Vorbereiter" und der" Putschmacher" deren gegenseitige Bekämpfung begreiflicherweise der Organisatiion und der Förderung der revolutionären Partei nicht gerade von Nutzen war. Außerdem schadete der Organisation der Einfluß der anarchistischen Ideen, die sogar in den Gruppen der Vorbereiter" verbreitet waren. Allein thatsächlich hatte Alles das wenig Einfluß auf die revolutionäre Thätigkeit in Rußland  .

Vom Jahre 1871 an werden die Beziehungen zwischen der oppositio­nellen Studentenschaft und den Arbeitern in Petersburg  , Moskau   und Odessa   immer stärker. In mündlicher Propaganda unter den Ar­beitern, in populären Vorträgen über die verschiedenartigsten Gegen­stände des menschlichen Wissens und in der Verbreitung von billigen, nicht verbotenen, aber in propagandiflischer Hinsicht nüßlich wirkenden Büchern konzentrirte sich die Hauptthätigkeit der Tschaikowzy) zu Beginn der 70er Jahre. Das Material zur Propaganda wurde vom Jahr 1873 ab nicht besonders wählerisch aus den ausländischen Publikationen beider Richtungen geschöpft. Hunderte und Tausende junger Leute, männ­lichen und weiblichen Geschlechts, gingen in's Volt" behufs der Propa­ganda sozialistischer Ideen und einer der zarischen Regierung feindlichen Agitation meistens als Arbeiter und Arbeiterinnen, aber auch als Feldscheer, Hebammen, Volksschullehrer und Lehrerinnen.

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Allein diese erste Phase der Bewegung, die sich durch das außerordent­lich hohe moralische Niveau der Theilnehmer auszeichnete, dauerte nicht lange. An ein Bolt sich wendend, das weder für neue sozialistische Theo­rien, noch für eine revolutionäre Bewegung gegen die Regierung vorbe reitet war, tonnten die zudem noch selber ungenügend vorbereiteten Pro­pagandisten nur wenig Erfolg haben. Mehrere von denen, die auf Bereit­sein des Volkes zum Aufstand gerechnet hatten, verfielen da sie dabei auf unüberwindliche Schwierigkeiten stießen in Trübfinn und Ver­zweiflung. Die Mehrzahl der Propagandisten fiel infolge ungenügender Borsicht den Polizeiagenten zum Opfer. Die Gefängnisse Rußlands  füllten sich mit verhafteten Sozialisten, Aufstände von Belang fanden teine statt, die Parteiorganisation machte teine Fortschritte, die Meinungs­verschiedenheiten nahmen nicht ab, ein gemeinsames Programm zur prat­tischen Thätigkeit war nicht vorhanden: das Mißlingen war augen­scheinlich...

Zu Beginn des Jahres 1875 trat im Auslande die Zeitung ,, Rabotnik" *) Tschaikowzy: die Mitglieder des von Tschaikowsky   gegründeten Propagandistenkreises, die sich durch eine feltene moralische Reinheit und Solidarität auszeichneten, und aus deren Reihen die hervorragendsten geistigen Leiter und Kämpfer der ruffischen Bewegung hervorgegangen find. Anm. des Uebersezers.

nicht falsch spekulirt, wenn er nicht durch ungeschickte Aussagen an sich selbst zum Verräther geworden wäre. So kam durch seine eigene Schuld einmal die Wahrheit an den Tag. Würde er aber eine so freche Lüge überhaupt gewagt haben, wenn ihn das famose System: Die Polizei hat von vorneherein Recht" nicht dazu ermuthigt hätte? Die liebediene­rische Praxis der preußisch- deutschen   Richter nach oben hin ist nachgerade so eklatant, daß Anklagen erhoben werden, die der offenbarste Blöd. sinn sind. So wurde im Berlin   ein Maschinenschlosser angeklagt, der im November vorigen Jahres zwei im Dezember, also einen Monat später, verbotene Notizkalender gekauft und einen davon an seine Frau, verbreitet" hatte! Einem Gericht, das man respektirt, wagt man es gar nicht, mit so einer Anklage zu kommen.

Je deutlicher man aber oben zeigt, daß man die Gerichte nur für Polizeiorgane zweiter Klaffe hält, umſomehr sinkt auch das Vertrauen des Volkes in die Unparteilichkeit der Justizorgane. Mögen daher die Bismarck  und Konsorten auch die Folgen tragen, wenn das Maß schließlich auf Nu 11 gesunken ist und das Volk die Konsequenzen zieht. Justitia fundamentum regnorum, die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten, sagt ein altes Wort; wenn Ihr selbst dieses Fundament untergrabt, so wundert Euch auch nicht, wenn Eure ganze Staatsherrlichkeit eines schönen Tages gründlich zusammenkracht!

Die Qualität der Bismarck'schen Minister" oder Staatssekretäre", wie der neueste Titel lautet, wird eine immer geringere. Der Herr Reichskanzler tommt, im wahrsten Sinne des Wortes, vom Gaul auf den Esel. Früher die Camphausen und Hobrecht, jetzt die Bödecker und Scholz. Früher die Kommis, jetzt die einfachen Haustnechte. Die Camphausen und Konsorten- obgleich keineswegs edlen Raffepferden vergleichbar. es gibt eben verschiedene Arten von Rossen wußten doch wenigstens etwas zu sagen, und das Gesagte in eine an­ständige Form zu fleiden die Bödecker und Konsorten find un­gehobelte Burschen, die gerade, weil sie ungehobelte und ungebildete Leute find, an ihren Posten berufen wurden, und die die einfache Auf­gabe haben, in möglichst hausknechtsmäßiger Weise die Hausknechtsdienste zu verrichten, für die sie bezahlt werden. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, find die Scholz und Bödecker außerordentlich schätzbare, ja talentvolle Leute, besonders der lettere, welcher es in puncto haus­tnechtlicher Manieren zu wahrer Kunstfertigkeit gebracht hat, und für das verkörperte Ideal eines Hausknechts gelten kann, jedoch nicht des ges bildeten Hausknechts.

Daß solche Leute im Reichstag überhaupt möglich sind, daß man sie nicht mit ihren Manieren dahin schickt, wohin sie gehören, das heißt in eine Fuhrmannstneipe das beweist freilich, daß der Reichstag   selber nicht mehr taugt als die Hausknechte, durch welche Fürst Bismard- in anerkennenswürdiger Selbsterkenntniß sich im Reichstag   vertreten läßt. Man hat gesagt: jedes Volk verdient sein Schicksal. Daffelbe läßt sich von einer Volksvertretung sagen. Sie verdient immer die Behandlung, welche sie sich gefallen läßt. Jedenfalls hat der Reichs­ tag   die Hausknechtsbehandlung voll und reichlich verdient. Als Bismarc mit der berüchtigten Kaiserlichen Botschaft kam, war der Moment da, dem persönlichen Regiment die Stirn zu bieten, den Entscheidungskampf mit ihm aufzunehmen. Der Moment wurde versäumt. Der Reichstag  wich feige dem Konflikt aus, und die pathetischen Reden der Richter und Genossen find blos das Gebelfer von Mopshunden, die nicht zu beißen wagen.

Doch wozu uns ereifern? Die liberale Bourgeoisie

das haben

wir wiederholt gezeigt fonnte nicht anders handeln, als sie ge­handelt hat; die Angst vor dem Proletariat, vor der sozia len Revolution lähmt ihren Arm, und läßt sie den schmach­vollsten Verrath an ihren eigenen Grundsätzen einem Kampf vorziehen, der das Proletariat auf den Plan bringen, und die soziale Revolution fördern würde.

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Alle Preußen sind vor dem Geseze gleich, Stan desvorrechte finden nicht statt heißt es im Artikel 4 der preußischen Verfassung, d. h. auf dem Papier. Wie sich dieser schöne Satz aber in der Praxis gestaltet, das haben am 9. Juni die Vorstände der Berliner   Fachvereine und Gewerkschaften, d. h. der Arbeiter­Organisationen erfahren, die wegen angeblicher Verletzung de Vereinsgesetzes" zu mehrfachen Geldstrafen verurtheilt wurden, während gegen zwei Vereine außerdem, nämlich gegen den Fachverein der Ver­golder und den der Putzer, auf Schließung von Rechtswegen" erkannt wurde. Und was hatten diese Vereine und ihre Leiter verbrochen? Sie hatten ein gemeinsames Komite ernannt, um eine Maffenpetition an den Reichstag zu richten behufs Einführung des Normalarbeitstages, Abschaffung der industriellen Zuchthausarbeit, Abschaffung der Arbeit von verheiratheten Frauen, Abschaffung der Sonntagsarbeit 2c.- alles gewertschaftliche Forderungen, welche mit der Politik im

( Arbeiter) in's Leben, deren Anhänger die revolutionäre Erziehung des russischen Volkes sogar mittelst mißlingender Butsche erreichen wollten und in derartigen Aufständen die einzig richtige Methode der Vorberei­tung zu einer sozialen Revolution sahen.( Diese Zeitung existirte nur bis zum Frühjahr 1876)

Die politischen Prozesse des Jahres 1877( der Kasankirche Demon­strauten im Januar, der 50 im Februar, der 193 im Oktober) verstärkten wiederum den Muth der Kämpfer für die sozialistische Idee. Diefe Pro­zesse bewiesen, daß die vier Jahre sozialistischer Propaganda nicht umsonst geopfert wurden, daß sie sowohl in den intelligenten Kreisen als auch in den Boltselementen eine gewisse Anzahl junger Geister herangebildet hatten, die nicht allein von Gefühlserregungen sich hinreißen ließen, son­dern sich sowohl über die Grundlagen des Sozialismus, als auch über ihre eigenen Beziehungen zur Regierung und zu den herrschenden Klassen flar waren junge Köpfe, die wohl wußten, was sie wollten. Diese Prozesse stärkten aber die Gereiztheit gegen die Regierung und verschafften dem Gedanken immer mehr Geltung, daß das alleinherrschende Kaiser­thum jeglicher Verbesserung der Lage des Volkes in Rußland   im Wege und daß man seiner nicht zugleich mit der Befreiung von der Kapitalistentlasse", sondern vor Allem loswerden muß.

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Die mehrjährige Erfahrung zeigte, daß durch die Propaganda doch nur einzelne Persönlichkeiten aus dem arbeitenden Volke für die Bewegung gewonnen wurden; daß nur eine ganz unbedeutende Grundlage zur fozialistisch- revolutionären Organisation der städtischen Arbeiter im Süden und in Petersburg   geschaffen war; daß unter den Bauern weder eine revolutionäre Organisation noch eine umfangreichere Revolte als die ohnehin zeitweilig eintretenden zu erzielen war; daß endlich die admini­ftrative Organisation des Reiches ein größeres Hinderniß bietet, als man angenommen hatte.

Aus Alledem erklärt sid, warum von nun an der Kampf mit der Re­gierung immer mehr den ersten Platz einzunehmen beginnt und die revo­lutionäre Partei sich immer mehr zur folgenden Formulirung ihrer Auf­gabe neigt: Zuerst Beseitigung des Absolutismus, dann soziale Um­wälzung in dem Sinne, wie es den Volkswünschen entsprechen wird.

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Die politische Bedeutung der Partei wächst auch deswegen, weil die Liberalen zum ersten Male seit der Bewegung der Dekabristen   ein Beispiel von so imponirender Energie sehen, daß ein Petersburger, aus Beamten und Industriellen bestehender Gerichtshof fich zur Freisprechung der B. Sassulitsch veranlaßt fühlt eine Freisprechung, welche that­thatsächlich eine Ohrfeige für die Alleinherrschaft und deren Organe war, von einem Ende Rußlands   bis zum andern mit lautem Beifall begrüßt wurde und deren Bedeutung noch durch die Thatsache gesteigert wurde, daß die Regierung offiziell die Revolutionspartei ale mächtigen politischen Feind proflamirt. Sie erweitert die Machtbefugnisse der administrativen Diktatur und der polizeilichen Aufsicht bis zu den Satra pien neuer Generalgouverneure, bis zu den Urjädniks*) und der sinn lofen Unterstellung der ganzen Einwohnerschaft der Hauptstädte unter die Vormundschaft von Polizei und Portiers; sie schafft immer grausamere und heuchlerischere Formen bei der gerichtlichen" Bestrafung der politischen

*) Landpolizisten.

engeren Sinne in feinem Zusammenhange stehen. Ja, sie hatten sich sogar allen Versuchen, sie für politische Parteien zu gewinnen Fortschrittler und Christlichsoziale machten damals und machen heute noch verzweifelte Anstrengungen in dieser Richtung energischen Widerstand entgegen­gesetzt. Half nichts, die Arbeitervereine wurden für politisch erklärt, das heißt ihnen die Handschellen angelegt, welche der Gesetzgeber" für die politischen Vereine verfertigt hat, und wegen Uebertretung der den politischen Vereinen auferlegten Beschränkungen verurtheilt. Fabri­tantenvereine, namentlich wenn sie in Bismarck'schem Schutz der nationalen Arbeit" machen, reaktionäre Handwerkervereine, Kriegervereine u. s. w. dürfen zu allen möglichen politischen Zwecken zusammentreten tein Staatsanwalt, kein Richter kümmert sich darum, für sie gibt es tein Vereinsgesetz, das gilt blos füir oder vielmehr gegen die Arbeiter, wie ja das preußische Vereinsgesetz nichts Anderes ist als ein Gesetz gegen die Vereinsfreiheit, gegen das im Artikel 29 der preußischen Verfassung ausgesprochene Recht aller Preußen, sich ohne vor­gängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschloffenen Räumen zu versammeln."

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Aber Verfassung hin, Verfassung her eine Verfassung beschwört man, so wahr mir Gott helfe", aber sie halten? Unsinn! Die titt man bei jeder Gelegenheit mit Füßen, denn Könige, Minister, Beamte können so viel Eide verlezen, als sie wollen, meineidig sind sie deshalb noch lange nicht.

Was war das nicht seinerzeit im Reichstag für ein Geheul, als Bebel erklärte, die deutschen   Verfassungen seien das Papier nicht werth, auf dem sie geschrieben stehen! Aber richteten sich denn Bebel's Worte gegen die schönen Grundsätze, die hier und da in den Verfassungen prunken? Mit nichten! Weil sie jedoch blos Worte find, leere Redensarten, die von Denen, welche die Verfassungen zu hüten hätten, als nichts anderes an­gesehen werden, darum sind sie in der That keinen Pfifferling werth. Ein gutes Gewehr, ein scharfer Revolver, kurz, jede reelle Waffe ift unter Umständen eine viel solidere ,, Verfassung" als die schönste Urkunde auf Pergament gedruckt.

Der Wahlkampf in Hamburg   ist, wenn diese Nummer unseren Genossen in die Hände gelangt, bereits entschieden. Die, libe­ralen Hamburger Behörden haben es nicht für nöthig erachtet, unsern Genossen die Abhaltung einer Wählerversammlung zuzugestehen, wohl aber haben sie sich nicht versagen können, mit Ausweisungen 2c. zu drohen. Auf die Hamburger Sozialisten hat dieses Verhalten natürlich die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht, als bezweckt war, fie werden an unserem Kan­didaten festhalten. Wenn der Fortschrittler Wendt in einer Wählerver­sammlung mit nicht mißzuverstehender Absichtlichkeit seiner Verwunde rung" darüber Ausdruck gab, daß die Hamburger Sozialisten, die doch ,, als die gemäßigtsten in Deutschland   gelten", einen ihrer radikalsten Wortführer, Be bel", aufgestellt haben, so wird ihn der Wahlausfall belehren, daß das Gemäßigtsein" der Hamburger Arbeiter wahrlich teinen Bezug auf das Prinzip hat; und die erbärmliche Haltung des Hamburger Bürgerthums ist sicherlich nicht geeignet, für eine gemäßigte Taktik Propaganda zu machen.

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Die liberalen Kandidaten, Raabe und Roscher, unterscheiden sich prinzipiell gar nicht von einander. Es sind eben nur Kliquenfeindschaften, die zur Aufstellung Roscher's gefübrt haben. Weß Geistes Kind Herr Raabe ist, geht daraus hervor, daß dieser fortschrittliche Demokrat" in einer Wählerversammlung die Erklärung abgab, er werde bei einer Stichwahl entschieden auf jeden Fall gegen Bebel stimmen. Das genügt.

Nun, hoffentlich tommt der Herr ebensowenig in diese Verlegenheit als Herr Roscher in die, ihm seine ehrenwerthe Stimme zu geben.

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Zahlen, die zu denken geben. Laut der von dem Sekretär des Innern der Vereinigten Staaten   von Amerika   ver öffentlichten Bearbeitung des letzten offiziellen Census( Volkszählung) 2c. hat sich die Industrie in Amerika   seit 30 Jahren in folgender Weise ent wickelt( die Tabelle ist dem Deutschen Hdls. Bl." entnommen):

1850

1860

1870

1880

Anzahl der Fabriken Zahl der dabei beschäf tigten Arbeiter Größe der dazu ver wandten Kapitalien 2,133,980,000 5,639,420,000 Löhne während des

123,025 957,059

947,020,000 1,515,520,000

252,148 253,852 2,053,996 2,738,895 8,472,840,000 11,160,900,000 3,102,340,000 3,791,820,000 9,953,700,000 13,587,300,000 Werth der Fabritate 4,076,420,000 7,543,440,000 16,929,300,000 21,478,320,000

140,433 1,311,246

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betr. Jahres Materialwerth, derver­

braucht wurde

2,220,500,000 4,126,420,000

Vergleichen wir die Zahlen der Jahre 1880 und 1850 mit einander, so finden wir, daß, während sich die Zahl der in den gezählten Indu

Verbrecher; sie vermehrt die Deportationen auf administrativem Wege bis zum höchstmöglichen Grade; sie wendet sich sogar an den Adel und die Landgemeinden( Semstwos) mit der Bitte um Hilfe. Die fata listischen Bedingungen jedes heftigen politischen Kampfes äußern auch hier ihre unvermeidliche Wir tung. Dem weißen Terror( Schrecken) antwortet der rothe. Auf die Er schießung Kowalsky's antwortet Mesenzew's Tod. Die Galgen nehmen zu, die Aktion der Terroristen gleichfalls. Eine Reihe von Ver suchen gegen das Leben Alexander III.   werden unternommen. Geheim in Rußland   erscheinende Preßerzeugnisse demonstriren ad oculos( d. h. durch ihr bloßes Dasein und die Sprache, die sie führen. Anm. d. Red.) die Ver änderung der Situation der revolutionären Bewegung. Die erste Num mer des Natschalo"(" Anfang" Petersburg, März 1878) ftellt noch die unermüdliche, beständige sozialistische Propaganda im Volte, die Pflicht eines Revolutionärs, mit der Masse des Volkes Eins zu sein", in den Vordergrund und als einziger Ausgang" wird die soziale Revolution erklärt. In der ersten Nummer der Semlja i Wolja"( Land und Freiheit" Petersburg, im November 1878) lautet die Aufgabe: eine Boltsrevolution", wobei die Agrarfrage im Vordergrund steht", und wird behauptet, daß die Hauptmasse" der revolutionären Kräfte inmitten des Boltes arbeiten muß", aber unterstrichen wird dabei die Nothwen digkeit der Terroristen" als Beschüßungsbataillone der Partei im erbar mungslosen Kampfe" gegen schädliche Persönlichkeiten. In der Nr. 3 deffelben Journals( Januar 1879) heißt 28 schon ganz offen, daß die Hauptanstrengungen gerichtet sein müssen auf die Beseitigung des demo ralisirenden Einflusses. des modernen russischen Staates"; daß der Schwerpunkt der revolutionären Thätigkeit aus der Sphäre der Propa ganda befferer gesellschaftlicher Jdeale verlegt wird auf die Schaffung einer fampfbereiten voltsthümlichen und revolutionären Organisation, um eine volksthümlich- revolutionäre Umwälzung in möglichst naher Zukunft zu verwirklichen."

Selbstverständlich verloren dabei die alten Streitfragen des Jahres 1873 vollständig ihre Bedeutung. Der Anarchismus verlor nicht nur seinen Boden in Rußland   infolge der nothwendigen Bedingungen einer geheimen Organisation sondern mußte einer entschiedenen Men derung zu Gunsten des Zentralismus Platz machen. Die Bolemit gegen das Wissen verlor jeglichen Sinn, als die Schirjaem und die Kibaltschitsch*) zu nothwendigen Elementen jedes bedeutsamen terroristischen Unternehmens wurden. Allein ein Zwiespalt entstand auf anderem Boden. Es tauchte die praktische Frage auf:

Müffen, um eine ,, tampffertige voltsthümlich- revolutionäre Organisation zu schaffen", um eine voltsthümlich- revolutionäre Umwälzung in mög lichst naher Zukunft" zur Wahrheit zu machen die oppositionellen Kräfte auf dem Boden der im Volte schon existirenden Grundlagen organifirt oder aber die Schläge hauptsächlich gegen die Regierung ge richtet und in Rußland   solche( politische) Einrichtungen geschaffen werden welche nachher einer Voltsorganisation weniger Hindernisse in den Weg legen würden?

*) Die Anfertiger der Minen und Bomben.