=

Neumann ging harmlos in die ihm gestellte Falle, und so wurde auf der Berlinerstraße hier ein gemeinschaftliches Fabriklokal gemiethet und theil­weise durch Maurer, Schreiner- und Anstreicher- Arbeit hergerichtet. Inzwischen aber suchte und fand Thomas hinter dem Rücken des Erfin­ ders Neumann   einen Käufer für die Erfindung und trat mit diesem in Unterhandlungen.*)

Thomas war intim befreundet mit dem damaligen Oberprokurator, jetzigen I. Staatsanwalt üheler und wurde durch diesen auch mit den meisten übrigen Herren vom Landgericht, namentlich auch mit dem Direktor Duo ad t, bekannt und befreundet. Diese Freundschaft, welche er wohl nur seiner offenen Börse und seiner Küche, sowie dem Wein­und Champagnerkeller auf Kosten seiner Gläubiger verdankte, beutete der saubere Bursche dazu aus, den Neumann zu vernichten, und stellte gegen denselben einen Strafantrag wegen Betrugs, indem er behauptete, daß er ihm einige hundert Mark Vorschuß geleistet habe zu seinem Um­zuge von Berlin   nach Elberfeld   und zum Ankauf von Rohmaterialien 2c. für Muster und Fabrikate. Die Denunziation eines so ehrenwerthen Schwindlers wie Thomas mit seinen großartigen Geschäfts- und Gesell­schaftsverbindungen fand Glauben bei den Herren vom Gericht, und Neumann wurde Anfangs Juni 1879 auf der Straße verhaftet. Bis November 1879 mußte Neumann unschuldig in Untersuchungshaft zubringen, wonächst er von der Straffammer freigesprochen wurde, weil die Zeugen feststellten, daß nicht Neumann, sondern Thomas der Betrüger war. Inzwischen hatte Thomas ein handelsgericht­liches Urtheil gegen Neumann wegen des diesem geleisteten Vorschusses erwirkt, was dieser nicht hatte verhindern können, weil er sich ja in Unter­suchungshaft befand und infolgedessen wehrlos war. Troßdem das Urtheil noch nicht vollstreckbar, vielmehr durch Neumann's Frau dagegen Berufung eingelegt war, ließ Thomas dem Neumann sämmtliche Mobilien 2c. pfänden, dieselben in's Pfandlokal bringen und zu Spottpreisen gericht­lich verkaufen. Durch diese Prozedur war Neumann's Haushaltung total ruinirt; ohne alle Existenzmittel mußte seine Frau mit den Kindern in ihre Heimath ziehen, während ihr Mann in Untersuchungshaft schmachtete. 3ur selben Zeit machte der erste Staatsanwalt mit seinem Intimus Thomas in des Letteren Equipage Lust und Vergnügungsfahrten bei einem Leben voll Herrlichkeit und Freuden.

=

Wie Alles zu seiner Zeit ein Ende findet, so konnte auch hier der Krach nicht ausbleiben. Monsieur Thomas gerieth im Oktober 1879 in Konkurs, nachdem er einen Tag vor der Konkurserklärung noch mehrere Eisenbahnwagen voll Ballen mit Garn zu Spottpreisen an die fromme und Hochachtbare Firma A br. und Gebr. Frowe in am Neumarkt   hier verkauft und dadurch die Gläubiger betrogen hatte. Der Intimus des I. Staatsanwalts durfte sich so ein ehrliches Geschäftchen wohl erlauben, war ja doch der Konkursverwalter, Rechtsanwalt Dahmen, auch ein alter Schulfollege und intimer Freund des Thomas, von demselben also gleichfalls nichts zu befürchten.

Inzwischen war Neumann aus seiner Untersuchungshaft entlassen wor­den und darf es nicht verwundern, wenn er darüber empört war, daß er die unschuldig erlittene Untersuchungshaft und seinen gänzlichen Ruin dem Industrieritter, Spizbuben und betrügerischen Bankrotteur Thomas und dessen Freunde, Staatsanwalt üheler, zu verdanken habe. In einer Versammlung der Thomas'schen Gläubiger zu Barmen gab Neu­mann seiner Erbitterung mit den Worten Ausdruck, das die Freundschaft des I. Staatsanwalts Lüzeler mit Thomas ihn( Neumann) in's Unglück gestürzt habe. Obgleich die öffentliche Meinung von der Wahrheit dieser Worte überzeugt war, figelten sie doch die Ohren des ehrenwerthen Herrn Lüzeler, der kein Freund der Wahrheit zu sein scheint, etwas stark, und Neumann wurde daher wegen Beleidigung angeklagt. Die Anklage scheint aber durch die weiteren Thomas'schen Konkursereignisse etwas in den Hintergrund gedrängt worden zu sein, wenigstens ruhte sie einst­weilen noch.

Die Thomas'schen Gläubiger hatten nämlich inzwischen ihre Unzufrie­friedenheit darüber erklärt, daß Thomas so heillos gewirthschaftet, wie das schon oben beschrieben ist, daß er wie ein Millionär herrschaftlich und verschwenderisch gelebt, trotzdem er nach den Geschäftsbüchern schon seit 1866 zahlungsunfähig und fallit war und daß er die Geschäftswelt durch betrügerische Manipulationen getäuscht und hintergangen hatte. Die Gläubiger ermittelten auch, daß Thomas am Tage vor der Konkurs­eröffnung die obenerwähnte Waarenverschleuderung verübt, sie, die Gläubiger, dadurch betrogen und betrügerischen Bankrott gemacht hatte. Es wurde dieserhalb gegen Thomas Strafantrag gestellt und auch gegen den Masseverwalter, Rechtsanwalt Dahmen, wegen Hilfeleistung und falscher Buchführung.

Und mit einem solchen Strolch und Betrüger fuhr der I. Staatsanwalt spazieren, soff der Untersuchungsrichter und das ganze Richterpersonal des Königl. Landgerichts Elberfeld   im Jahre 1879 Wein und Champagner im Hotel Weidenhof! Nette Zustände!

Daß die Anklage gegen Thomas unter solchen Umständen in's Wasser gefallen ist, wird daher nicht befremden. Den beiden Komplicen des Thomas, Staatsanwalt Lüzeler und Rechtsanwalt Dahmen, ge­lang es, die Sache zu vertuschen, und Dahmen brachte mit den Thomas­schen Gläubigern einen Vergleich zu Stande. Erst nachdem dies geschehen und ein Jahr darüber verflossen war, wurde die Anklage gegen Neumann wegen Beleidigung des Lüzeler wieder aufgenommen und Ersterer dieserhalb zu einem Jahr Gefängniß

verurtheilt!

Die Härte dieser Strafe ist empörend, umsomehr als Neumann nur die reine Wahrheit gesagt. Selbst Bismarck- und Majestätsbeleidigungen werden ja in der Regel nicht so hoch, sondern gewöhnlich mit 2 bis 6 Monaten bestraft. Allerdings steht Lützeler in Bezug auf Ehrenhaftigkeit nahezu unerreicht da!

Neumann hat sich zu seinem Glück der Strafe durch die Flucht in's Ausland entzogen, aber wer hat den Schaden davon? Nur die deutsche Industrie und der Arbeiter. Neumann hätte durch seine Erfindung eine neue blühende Industrie in Deutschland   geschaffen, welche einer Menge Arbeiter Verdienst und Brot gebracht hätte. Wegen ein paar betrüge­rischer Schurken wird so ein Mann in's Ausland gejagt; dieses zieht Gewinn und Vortheile daraus, während deutsche   Arbeiter am Hunger­tuche nagen!

Vivat, es leben alle Lumpen!

Bemerkt sei noch, daß Thomas seinen Gläubigern auf die vereinbarten Vergleichsprozente keinen Pfenning bezahlt, vielmehr den Offenbarungseid geleistet hat.

Um auch noch auf die Firma Abr. und Gebr. Frowein zurück­zukommen, welche in gewinnsüchtiger Absicht von dem betrügerischen

*) Ueber das Vorleben dieses sauberen Industrieritters Thomas muß hier vorausgeschickt werden, daß derselbe in seiner Jugend Schreiber bei einem Notar in Solingen  ( vermuthlich Dahmen) und später in Diensten der Türkischroth- Färberei von J. C. Dunklenberg hier war. Bei letzterer Firma und deren Chefs wußte er sich so geschickt einzuschmeicheln, daß er volles Vertrauen genoß und später auf Reisen geschickt wurde. Er mißbrauchte jedoch das Vertrauen in schnödester Weise und betrog die Firma um hohe Summen, wurde ohne strafrechtliche Verfolgung einfach entlassen und fing nun mit dem auf unredliche Weise erworbenen Gelde eine Garnhandlung en gros an, trieb den Schwindel gleich in's Große, indem er sich eigene Equipage, schöne Pferde, Diener, Geschäftsführer, Kommis und anderes zahlreiches Dienstpersonal hielt und ein großes Haus bewohnte, hierdurch den Kaufleuten und Bankfirmen Sand in die Augen streuend. Er war bereits im Jahre 1866 zahlungsunfähig und hat sich während der 13 Jahre bis 1879 nur durch künstliche und be­trügerische Manipulationen aufrecht erhalten. Die Neumann'sche Erfindung sollte ihn retten, der Erfinder aber wie ein dummer Junge bei Seite geschobnn werden.

Bankrotteur Thomas ungeheure Massen Rohgarne zu Spottpreisen gekauft und dadurch die Konkursmasse, bezw. die Thomas'schen Gläubiger betrogen hat, so sei erwähnt, daß dies jedenfalls nur zur größeren Ehre Gottes geschehen ist. Denn die ehrenwerthen Theilhaber dieser Firma find gar fürchterlich fromm und gottesfürchtig; bei Wahlen zum Kirchenvorstand entwickeln sie lebhafte Agitationen, lassen von ihren An­gestellten Wahllisten und Stimmzettel schreiben und lettere verbreiten, namentlich unter ihrem zahlreichen Arbeiterpersonal, damit ste ja als Kirchenvorstandsmitglieder gewählt werden. Diese Herren Gebr. Frowein besuchen natürlich auch fleißig die Kirche, d. h. nur Vor- und Nachmit mittags, Abends dagegen gehen sie in die Bordells, um daselbst à la Waisenhausdirektor Voß die Nächstenliebe zu pflegen und nebenbei auch Bacchus zu opfern. Selbstverständlich werden die dafür nöthigen, Gott wohlgefälligen Liebes- und andere Ausgaben aus dem sauren Schweiße der armen Arbeiter erpreßt, denn die schlechtesten Löhne zahlt ja nur die ehrenwerthe Firma Abr. und Gebr. Frowein. Ein Piepvogel in's Knopfloch und Gottes Lohn werde für solche Verdienste sicher nicht werbe für solche fehlen.

Nun zum zweiten Rechtsfall:

Im Jahre 1881 machte in Barmen der Wirth und Bäcker Sträßer betrügerischen Bankrott. Er sowohl als 12 oder gar 14 Komplizen wurden in Anklagezustand versetzt und zur Aburtheilung vor das Ende 1881 tagende Schwurgericht zu Elberfeld   verwiesen. Unter den Helfern und Genossen des Sträßer befand sich als Hauptmatador der Kaufmann Weyrather in Elberfeld  , als ein reicher Mann und frommer Wuche­rer allgemein bekannt und in der Schwurgerichtsverhandlung von dem Zeugen Polizeikommissar Arndt als, Dunte Imla nn" bezeichnet, Gleich den übrigen Komplizen war auch Weyrather angeklagt und hatte ebenfalls wie alle übrigen Angeklagten die Vorladung zum Schwurgerichts­termine nebst Anklageschrift zugestellt erhalten, sich auch einen Verthei­diger in der Person des Rechtsanwalts van Werden in Elberfeld  bestellt. Wunderbarerweise aber erschien in der betreffenden Schwurgerichts­verhandlung Weyrather nicht als Angeklagter, sondern als 3euge. Dieser unerhörte, wohl noch nie dagewesene Fall erregte in Elberfeld  , Barmen und Umgebung ungeheure Sensation. Jeder fragte sich, ob und wie das möglich und ob es überhaupt zulässig sei. Soviel bisher angenommen wurde, konnte eine eingeleitete Untersuchung- namentlich wenn durch Strafkammerbeschluß die Versetzung in Anklage­zustand beschlossen, durch oberlandesgerichtliche Entscheidung die Ver­weisung vor die Assisen zur Aburtheilung angeordnet, vom Schwurgericht Termin zur Verhandlung angesetzt und die Angeklagten bereits unter Mittheilung der Anklageschrift vorgeladen waren nicht mehr nieder­geschlagen werden, auch nicht durch kaiserliches Machtwort. Bei der Staatsanwaltschaft und bei der Strafkammer in Elberfeld   ist jedoch Alles möglich. Das Wie erklärt sich wie folgt:

-

Weyrather ist ein reicher Mann, sein Vertheidiger van Werden ist ebenfalls sehr reich, dabei noch sehr habgierig; des letzteren Vetter ist der erste Staatsanwalt Lüzeler, und daß dieser nicht kapitelfest ist, ergibt der Fall Thomas. Als Vierter zu diesem sauberen Bunde kam noch der Strafkammerdirektor Duo a dt hinzu, und das vierblätterige Kleeblatt war fertig.

Weyrather öffnete die Schleußen seines Geldsackes und ließ demselben einige Tausend Goldfüchse entströmen, die anderen drei Komplizen theilten sich in den Raub, und der gewissenhafte Lüzeler beantragte bei der Straffammer, den Weyrather außer Verfolgung zu setzen. Diese beschloß demgemäß, und das gute Werk war vollbracht, das Geld ehrlich verdient. Ein Wunder ist es nur, daß die Sippschaft bei der Theilung der Beute nicht in Streit gerathen ist, wie das bei Spizbuben stets der Fall zu sein pflegt und was dann auch zu Verrath und zum Einfangen der Helden führt. Obige Herren sind indessen zu raffinirt dazu und als hoch­gestellte Beschützer und Wahrer des Unrechts über allen Zweifel und Verdacht erhaben!

Das sind die Zustände und Rechtsverhältnisse beim Königlichen Land­gerichte Elberfeld  , insbesondere bei der Strafkammer. Es werden in Masse und ganz geschäftsmäßig falsche Eide geschworen und vom Gericht nicht beanstandet, wenn es den Herren nur in den Kram paßt. Doch was Wunder, hat ja doch die Spitzbüberei und Heuchelei in den höchsten Spitzen der Behörden ihren Sitz und wird doch die Korruption von oben her systematisch betrieben!

Naturgemäß muß eine solche Verwaltung in sich selbst zerfallen und den gewaltsamen Umsturz beschleunigen.

Verschiedene weitere Fälle über schmutzige Handlungen der Polizei, der Gerichtsbeamten und anderer noblen Herren folgen später.

Sozialpolitische Rundschau.

A. Z.

Zürich  , 15. November.

Die Bismarc'sche Sozialdemagogie hat mit dem Krankenkassengesetz eine so eklatante Niederlage erlitten, daß an ein Wegleugnen und Vertuschen nicht mehr zu denken ist. Man wollte die deutschen Arbeiter für das soziale Kaiserthum" gewinnen, und entdeckt jetzt, daß die deutschen Arbeiter das Krankenkassengesetz als eine durch und durch reaktionäre, und obendrein miserabel ausgeführte Maßregel wie ein Mann verurtheilen, und sich ausnahmslos auf den Standpunkt der Sozialdemokratie gegenüber dem Gesetz stellen. Sogar die ,, Provinzial­korrespondenz" kann sich das nicht mehr verhehlen.

Gesteigert wird der Aerger über diese Niederlage noch dadurch, daß das Krankenkassengeset, durch welches die freien Kaffen vernichtet werden sollten, von den Arbeitern erfolgreich zu Gunsten der freien Kassen ausgenutzt wird.

Aber das ist noch nicht Alles. Die Gemeinde und Polizei­behörden sind dem unglücklichen Gesetz keineswegs hold. Dasselbe ist so pfuscherhaft hergerichtet, daß die Behörden sich nicht zurechtfinden können und über die ihnen aufgehalste Last höchst erboßt sind. Zwar sagt der Polizei- Charakter des Gesetzes den wohllöblichen Ortspolizeien sehr zu, aber das Gebiet des Kassenwesens ist leider keins, wo polizei­liches Willkürregiment geübt werden kann. Da gibt es Arbeit, viel Ar­beit, Arbeit, die für einen biederen Polizeigeist nur Abschreckendes hat und zu keiner nennenswerthen Machterweiterung führt. Von solch un­dankbarer Arbeit möchten die Herren Ortspolizeier sich gern drücken"; und die während der Debatten über den unglücklichen Wechselbalg ge­fallene Prophezeiung, die Regierung werde schon nach Verlauf weniger Jahre dem Reichstag   die vollkommene Umgestaltung ihres Kranken­tassengesetzes vorschlagen, scheint sich erfüllen zu wollen.

-

Wir würden jedoch irren, nähmen wir an, es sei pure Unfähigkeit, daß die Reichsregierung nebst ihren gesetzgeberischen Handlangern fein besseres Gesetz zu Stande gebracht. Unfähigkeit, krasse Unfähigkeit ist ohne Zweifel an den Tag gelegt worden. Allein diese Unfähigkeit ist theilweise absichtlich. Es kommt nämlich heraus, daß der Regierungs­kommissar Lohmann, welcher die sozialen Gesetze des Fürsten Bismarck bisher in dem Reichstag zu vertreten hatte, die Vaterschaft an diesen Mach­werken, deren Erbärmlichkeit er rückhaltslos anerkennt, von sich abgelehnt, und kategorisch erklärt hat, er werde keine Maßregel mehr vertreten, die er nicht auch ausgearbeitet habe. Für Jeden, welcher den Debatten über die Sozialgesete" mit einiger Aufmerksamkeit gefolgt ist, war es bisher ein Räthsel, wie Geheimrath Lohmann, der entschieden bedeutendes Organisationstalent besitzt und das Kassenwesen genau kennt, die jämmer­lichen Vorlagen entworfen haben konnte, deren Urheberschaft ihm von der offiziösen Presse allgemein zugeschrieben ward. Nun ist das Räthsel gelöst. Herr Lohmann, der einzige fähige Beamte in diesem Fach,

hat zu den Vorlagen blos seinen Namen hergeben, und sie, als advo­catus diaboli, im Reichstag vertheidigen müſſen; und jezt ift et, wenn nicht alle Anzeichen trügen, ganz bei Seite geschoben. Ver­wundern kann uns das nicht. Für seine miserable Sozialreform- Pfuscherei kann Bismarck   natürlich nur Pfuscher brauchen ein tüchtiger Ar­beiter, der solide brauchbare Waare liefert, paßt ihm nicht in seinen Pfuschkram.

Der Vorgang mit Geheimrath Lohmann ist so recht charakteristisch für die Sozialreform des großen Bismarck, der sich vorläufig mit dem parlamentarischen Hausknecht Bödiker behelfen will und nächstens sich den ersten besten Dienstmann von der Straße heraufholen wird. Ver­lieren wird und kann die Sozialreform" dabei nicht. Möglich wäre allerdings, daß die Sozialreform" ganz an den Nagel gehängt, und die Unfallvorlage an das Invalidengeset denkt ohnehin kein Mensch mehr blos zum Schein eingebracht und dann in der Rommission begraben wird. Die Haltung des Zentrums macht die Ausführung dieses Planes leicht.

-

"

-

Freilich, das kaiserliche Wort" ist für die Sozialreform ver­die pfändet und zum Ueberfluß die persönliche Ehre" Bismarck's Zahl derartiger Pfänder, die noch von früherer Gelegenheit her einzu­lösen sind, ist aber so groß, daß, ehe die Reihe an die Einlösung der neuesten tommt, der Sankt Nimmerleinstag da sein dürfte.

-

Das Kaiserreich ist der Friede! In Polen   finden immer größere Truppenanhäufungen statt, selbstverständlich wird von deutscher Seite mit Verlegung weiterer deutscher Regimenter an die deutsch  - russische Grenze geantwortet, in deren Hintergrund die ,, Kreirung" ( Schaffung) neuer Kavallerieregimenter und die berühmte Vermehrung der Feldartillerie um ca. 600 Geschütze auftaucht. Der Kriegsminister reist nach dem Westen, um die dortigen Festungen zu inspiziren, Frischen" Beſten, um die bo geht aus Höflichkeit" auf 5 Wochen nach Spanien   Alles unter der ausdrücklichen Versicherung, daß der Friede gesicherter ist als je. Was dieser gesicherte Friede" doch für ein kostspieliges, zerbrechliches Ding ist! Millionen über Millionen verschlingt er, und doch kann der Leisefte Windstoß, ein Hauch ihn über den Haufen blasen. Und dieser luftige Frieden ist die Haupterrungenschaft des deutschen Kaiserreichs, ist die nothwendige Folge der glorreichen Annexionspolitik!

Fernim Süd das schöne Spanien  - ist die neueste ,, mo­ralische" Eroberung Bismarcks. Die Freundschaft zwischen Deutschland  und Spanien   soll durch die Reise ,, unseres Frik" nach Madrid   so fest geknüpft werden, daß der französischen   Republik der Athem darüber aus­gehen muß. Leider aber ist das spanische Volk nicht gewohnt, seine Sympathien und Antipathien von seinen Regierungen sich vorschreiben zu lassen, und wird daher nicht mehr und nicht weniger für die Deutschen  schwärmen als es bisher gethan, d. h. sie werden ihm wohl im Großen und Ganzen ziemlich gleichgültig bleiben. Die radikalen Elemente Spa­ niens   aber werden vielmehr nach wie vor dem republikanischen Frankreich   ihre Sympathie bewahren und in den Freunden Alfonso's die Feinde ihrer Freiheit erblicken.

Es gehört daher blöde Bewunderung Bismards, die dem deutschen Liberalismus eigen ist, dazu, in der Reise nach Spanien   etwas Anderes zu sehen, als eine höchst ungeschickte Antwort auf die Auspfeifung Alfonso's in Paris  .

Serrano, der Verräther der spanischen Republik  , ist von Alfons dazu auserkoren worden, ihn in Paris   zu vertreten. Ein recht passender Vertreter, fürwahr! Steht doch Serano, der langjährige Freund" der Isabella, ihm näher als sonst Jemand, ja, wie Eingeweihte behaupten ist just Serano

" 1

Alfonso's Vater vielleicht, von mütterlicher Seite.

Wie man in unabhängigen Kreisen des Auslan des über das neueste Stückchen preußisch- deutscher   Staatskunst denkt, mag folgende Stelle aus der demokratischen Züricher Post" zeigen, einem Blatt, das über den Verdacht deutsch  - feindlicher Gesinnung durchaus erhaben ist:

11* 11

. ,, Nur nicht empfindlich," tröstete die Köchin den Aal, als sie ihm die Haut über die Ohren zog, es ist blos ein Uebergang." Einen ähn­lichen Zuspruch dürfte man wohl auch jetzt für die Franzosen bereit halten, jetzt, da der deutsche Kroprinz nach Madrid   zu reisen sich anschickt. Der Telegraph hat diese Haupt- und Staatsaktion mit wohlberechnetem Geräusch verkündet, die offiziösen Federn blieben gleichfalls nicht müssig, und eben jetzt lesen wir, daß zu Ehren des Gastes in Madrid   eine Truppenschau über 30,000 Mann, ein Stiergefecht, eine Galavorstellung in der Oper und großer Empfang im Palaste stattfinden werden. Ein Stiergefecht ist für den von der Lutherfeier noch tiefbewegten Erben des deutschen Thrones eine Ehre, die sich kaum vergelten läßt. Vielleicht denkt man in Berlin   daran, dieselbe gelegentlich bei einem Kriege zu vergelten.".bfe015)]

11­

Was in Madrid   gezischelt und getuschelt werden soll, wissen wir nicht, aber das weiß Jeder, daß die ganze Geschichte einer gegen Frankreich   ihre Spitze kehrenden Provokation so ähnlich sieht wie ein Ei dem andern. Man begnügt sich nicht, in möglichster Stille Genossen zu werben, man legt es offenbar darauf an, den Franzosen   es fühlen zu lassen, daß sie vereinzelt dastehen und unausgesetzt noch mehr isolirt werden. Der Hohn konnte kaum schärfer sein; ob etwa die Absicht waltet den Gegner zum vorzeitigen Losschlagen zu reizen?

,, König Alfons scheint trotz demi auf's Programm gesetzten Stiergefecht wenig erbaut zu sein ob der fast tappigen deutschen Gaftlichkeit; die neuen Leute seiner Regierung sprechen lieber französisch als deutsch   und streifen mit dem Ellenbogen an die Republik  . Alfons ist in die Noth­wendigkeit versetzt, den Gast mit offenen Armen zu empfangen und ihm bei einem spanischen   Schneider eine Oberstuniform zu bestellen, aber er wird sich doch sehr zu hüten haben, daß er den Feinden seiner Dynastie nicht in die Hände arbeitet. Hat der letzte Aufstand in Badajoz   ein jähes Ende gefunden, so ist daraus nicht zu schließen, daß aller Zündstoff mit verpuffte; die Flamme kann jeden Moment wieder aufzüngeln, und wenn die Franzosen gescheidt sind, so werden sie sich sputen und den spanischen Republikanern nicht minder Liebes und Gutes in Aussicht stellen als ,, unser Fritz" dem Vetter Alfons. Es wäre doch prächtig, wenn diese Fürstenreise den Sohn Isabellens bei seinen getreuen Unterthanen kom­promittirte und der Republik   auf die Beine hülfe. Die europäischen  Herrscher haben kluge Männer an ihrer Seite, aber das Gras hören sie gottlob nicht wachsen. Die Politik ist auch kein bloßes Rechenerempel, und es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, daß ein Zufall der Freiheit sich erbarmte und ein unerwarteter Faktor das kunstvolle Neh zerriß, bevor noch die letzte Masche fertig war. Mögen die Madrilenen den blonden Germanen recht artig aufnehmen, ohne jenes Gezisch, das ihrem Souverän jenseits der Pyrenäen   beschieden war, und dafür recht bald um so kräftiger auf die Monarchie pfeifen! Das klingt etwas anders als die Süßholzraspelei der deutschen dem o- kratischen Blätter.

Nur immer logisch. Das Sozialistengesetz hat bisher seinen Zwed nicht erfüllt; die Sozialdemokraten sind noch ebenso schlimm wie zuvor. Ergo muß das Sozialistengeset verlängert werden."

,, Das Sozialistengesetz hat seinen Zweck erfüllt. Bei den   Berliner Stadtrathswahlen hat sich gezeigt, daß die Sozialdemokraten weit ruhiger und besser geworden sind. Ergo muß das Sozialistengeset verlängert werden."

Das sind, in gewöhnliches, d. h. nichtreptilisches Deutsch übertragen, die beiden Lesarten der offiziösen Ankündigung, daß das Sozialisten­gesetz verlängert wird.