geübte Statistiker alles zu Wege bringen. Der Engländer Gissenhat z. B., wie Herr Perz mit Bewunderung mittheilt, schon im vorigenJahre in gleicher Weise den Nachweis geliefert, daß in den letzten80 Jahren die Löhne der Spinner und Weber in England von 15 auf28'S Schilling gestiegen sind u. s. w.— er hat uns leider nicht gesagt,w o die Arbeiter sind, die solche Löhne haben. Der österreichische Ver-such aber hat aus Herrn A. Peez einen so bestechenden Eindruckgemacht, daß er am Schluß seines Artikels begeistert ausruft:„In der That will es scheinen, als ob solche Untersuchungen überden Gang der Löhne zur Richtigstellung der sozialen Fragen von Werthsind. Eine auf Deutschland bezügliche Darstellung, zu welcher ja schonmanche verdienstliche Vorarbeiten vorliegen, würde gewiß ein inter-essantes Bild liefern, und schon die Thatsache, daß die an das deutscheReich angrenzenden österreichischen Kronlande Oberösterreich und Schle-sien die bedeutendste Lohnsteigerung zeigen, legt die Vermuthung nahe,daß eine ähnliche Untersuchung für das deutsche Reich schwerlich zu an-deren Ergebnissen führen wird, als sie jetzt sür Oesterreich vom„Jndu-striellen-CIub" nachgewiesen wurden."Selbstverständlich. Man übergebe z. B. die Sache dem„Zentralvereindeutscher Industrieller", der wird die deutsche Mohrenwäsche schonbesorgen. Einstweilen freuen wir uns aber der österreichischen; hat die-selbe einerseits gezeigt, wie glänzend es der Arbeiterklasse heute geht,so ist sie andererseits ein neuer Beweis dafür, daß die armen Kapita-listen bereits vollständig auf dem Hund sind.Die Theorie des Klassenkampfes.Vortrag von Paul Lafargue.*)I.Der Mensch lebt in zwei Welten: der kosmischen oder natürlichenund der ökonomischen oder künstlichen, durch ihn selbst geschaffenen Welt.Wirkung und Gegenwirkung dieser beiden aufeinander sind für dieEntwicklung des Menschen und der Gesellschaft bestimmend.So lange der Mensch nur ein organisirtes Wesen bleibt, das sich vonden übrigen Thieren in einigen wenigen Eigenschaften und Gewohnheitenunterscheidet, kann man ihn als das direkte Produkt der in der Naturwirksamen Kräfte betrachten.Der vorgeschichtliche Mensch, der Mensch der Steinzeit, wie ihn unsähnlich die noch vorhandenen wilden Völkerschaften in Australien, Ame-rika und Afrika zeigen, unterlag nur dem Einfluß der natürlichen Welt.Er lebte in der That nur in der Natur; er ging nackt; in kaltenKlimaten hing er sich bisweilen ein Thierfell um, das er je nach derRichtung des Windes bald nach hinten, bald nach vorn schob; den Gebrauch der Metalle kannte er nicht, kaum etwas von dem des Feuers,mit Hilfe von Baumzweigen baute er sich einen Zufluchtsort, gerade wieder Chimpanse; er benutzte statt aller Werkzeuge und Waffen wie gewisseAffen Steine und Stöcke; er hatte auch keine Topfwaaren fabrizirt, die eran's Feuer stellen konnte; die Sprache, die er ausgebildet, war so un-vollkommen, daß sie ebensowenig das Zeitwort„sein", als abstrakteWorte, wie„Baum, Farbe, Wärme �c." besah; die geistige Entwicklung,bis zu der er es gebracht hatte, war so gering, daß er nicht weiter als bisdrei oder vier zu zählen verstand.Um die Bildung der verschiedenen Menschen-Rassen dieser primitivenEpochen zu erklären, muß der Naturforscher in der gleichen Weise, wieer hinsichtlich der Bildung der anderen Thierarten thut, seine Zufluchtnehmen zur Wirkung der Naturkräfte. Die Lebens-Konkurrenz, derKampf um's Dasein, wie er bei ven Thieren stattfindet, war das Gesetzder Urmenschen. Wollten sie eine Beute verfolgen und ergreifen, beimWettbewerb um Weibchen, bedienten sie sich der Elastizität und derKraft ihrer Arme und Beine; ihre Feinde zerrissen sie mit ihren Zähnenund Nägeln und schlugen sie mit Steinen oder Stöcken. Der Stärkste,Geschickteste und Begabteste war der Sieger.Allein diese„thierische" Lebenskonkurrenz verändert sich und nimmtschon zu den vorgeschichtlichen Zeiten einen anderen Charakter an; so-bald die Menschen die Kunst der Bearbeitung der Metalle entdeckt hatten,mit Beginn des Bronzezeitalter, schlagen sie sich nicht mehr blos mit ihrennatürlichen Waffen; sie besaßen bereits künstliche, und der Sieger im Kampfewar nicht immer der Stärlste, sondern der Bestbewaffnete. Daher siehtes eine Anzahl Anthropologen fast als gewiß an, daß die Menschen derSteinzeit, die Europa bewohnten, ausgerottet und ersetzt worden sinddurch eine andere Menschen-Raffe, die von Osten her kam und mit demGebrauch der Bronze bekannt war. Zur Unterstützung ihrer Ansichtführen sie an, daß die Bronze-Schwerter überall, wo man sie antrifft,in Irland, Schottland, Norwegen, Deutschland u. s. w. nicht blos vonderselben Masse, sondern gleichgeformt sind; man könnte glauben, sieseien von ein und demselben Meister gegossen. Sie unterscheiden sichvon einander nur durch die eingeprägten Verzierungen; die Bronze-Schwerter von Dänemark sind mit Spiralen, die mehr im Süden Ge-fundenen mit Linien und Kreisen geziert. Ihr Griff ist klein, was da-rauf hinzuweisen scheint, daß die Menschen, die sie handhabten und diedie Menschen der Steinzeit besiegt hatten, kleine Hände hatten.Was sich in der vorgeschichtlichen Zeit abspielte, wiederholt sich in derGegenwart. Sobald ein Stanley, ein de Brazza, oder irgend ein an-derer zivilisirter Dieb mit einem Negerstaat des Congo Krieg anfängt, fälltder Sieg nicht etwa dem Kräftigsten, Gewandtesten und Muthigsten zu,sondern dem Revolver und dem Pulver.Ganz das Nämliche beobachten wir aus den Schlachtfeldern derIndustrie. Als die Handweber mit den Webern der Großindustrie umden Markt kämpften, eroberte nicht der Energischste, der Fleißigste undGeschickteste das Terrain, sondern der mechanische Webstuhl und dieTriebkraft des Danipses. In der menschlichen Gesellschaft spielen sichalso die Dinge anders ab als bei den Thieren; dem Menschen wird derSieg nicht blos durch seine natürlichen Eigenschaften verbürgt, sondernvor Allem auch durch seine Arbeitswerkzeuge und Waffen. Man kannsagen, der wahre Kamps ums Dasein und die Vervollkommnung findetnicht statt zwischen den Menschen, sondern zwischen ihren künstlichenOrganen. Dieser Existenzkampf der Waffen und Instrumente, welcherdenselben Charakter zur Schau trägt, wie der Kampf ums Dasein derPflanzen und Thiers, ist die Ursache der außerordentlichen Entwicklung ge-wesen der Werkzeuge der Industrie und des Krieges.Wenn zwei Unternehmer, mit gleich guten Werkzeugen versehen, da-rum kämpfen, wer den Anderen vom Markte verjagen wird, soschlagen sie sich auf dem Rücken ihrer Arbeiter; um die Wette kürzensie den Arbeitslohn und verlängern sie den Arbeitstag; ersetzen sie dieMänner durch die Frauen und Kinder, den gelernten Arbeiter durch denHandlanger. Wenn dieser zwischen den Unternehmern geführte Kanipsum's Dasein die beiden Konkurrenten weder physisch noch geistig för-dert, so ist sein Resultat sür die Arbeiterschaft die physische und mora-lische Entartung derselben.Der Kamps ums Dasein bei den Menschen, welche bereits die Stufeder Thierheit hinter sich haben, bietet also nicht dieselben Merkmale undführt auch nicht die gleichen Resultate herbei, wie bei den Pflanzen undThieren; infolge dessen muß man, wenn man sich über den Gang dermenschlichen Entwicklung klar werden will, die künstlichen Gesellschafts-zustände, welche die Menschen durchgemacht haben, und ihre Wirkungenund Gegenwirkungen auf den Menschen und die menschliche Gesellschaftanalysiren.Die beiden Welten, inmitten deren der Mensch lebt, die natürliche unddie künstliche, sind nicht unveränderlich und bleiben sich nicht fortwährendgleich; sie sind vielmehr fortgesetzten Veränderungen unterworfen.Die Geschichte der Bildung der Erde zeigt uns, daß die natürlichen Zu-stände sich fortschreitend entwickeln; auf diese kosmische Entwickelung gründeteGeoffroy Saint-Hilaire seine Theorie über die Bildung derArten. Die Verwandlung der Reptilien in Vögel führte er z. B. auf diechemischen Veränderungen der Atmosphäre zurück, welche dadurch, daßsie reicher an Sauerstoff wurde, die Existenzbedingungen für die warm-blütige» Thiere schaffte.Jndeß die natürliche Welt entwickelte sich nur langsam, es bedarfimmer Jahrtausende, ehe es zu Veränderungen von irgendwelcher Bedeutung*) Dieser Vortrag schließt sich an die bereits von uns veröffentlichtenunmittelbar an, gleich ihnen ist er nur ein Bruchstück einer Serie vonVorträgen, die jeder ein abgeschlossenes Thema deHandeln und die inihrer Gesanimtheit eine Darstellung der Marx'schen materialistischenWelt- und Geschichtsauffassung geben sollen. Jni Original sind sie inHeftcheu ä 10 Cts. bei Henry Oriol in Paris erschienen.kommt; aus diesem Grunde erscheinen uns die Thier- und Pflanzenartenunveränderlich, weil die Bedingungen, denen sie ihre Entstehung ver-danken, sich nur unmerklich verändert haben. Hingegen die künstlicheWelt entwickelt sich überaus schnell, und deswegen zeigt die Geschichtedes Menschen, verglichen mit der der Thiers, einen so häufig abwechseln-den und sich verändernden Verlauf. Weil die künstlichen Zustände, unterdenen sich die Menschen entwickeln, verschieden sind, darum bestehen sogroße Unterschiede zwischen den verschiedenen Menschenrassen; zwischender Intelligenz eines Parisers und der eines Feuerländers ist ein größererUnterschied als zwischen der Intelligenz der verschiedenen Hunde- undAffen-Rassen.Der Mensch ist nicht das einzige Thier, das sich künstliche Zuständein der Natur geschaffen hat; gewisse Arten von Thieren(die Biber, dieBienen, die Ameisen u. s. w.) haben das Gleiche zuwege gebracht undwurden dadurch in den Stand gesetzt, einen Grad der Entwickelung zuerreichen, den die anderen Arten nicht kennen.Der berühmte römische Arzt Celsius schrieb vor 1800 Jahren:„Wenn die Menschen behaupten, sich von den Thieren dadurch zuunterscheiden, daß sie Städte bewohnen, Gesetze machen und.Regierungeneinsetzen, so täuschen sie sich gewaltig; die Ameisen und die Bienennrachen es ebenso, sie haben ihre Könige, die sie beschützen und denensie dienen, sie haben ihre Kriege, ihre Siege, ihre Niedermetzelung vonBesiegten; sie haben Städte und Vorstädte, regelmäßige Arbeitsstunden...,sie verjagen und züchtigen die Insekten... Wenn Jemand vom Himmelherab auf die Erde blicken könnte, welchen Unterschied fände er zwischenden Werken der Menschen und denen der Bienen und Ameisen?"So Celsius, und seit ihm haben zahlreiche und fleißige Beobachter dieSitten dieser kleinen Thiere studirt.Die Ameisennester bilden eines von den Naturwundern.„Der fürsie charakteristische Zug", sagt Forel,„ist das Fehlen eines unabänder-lichen, jeder Art zukommenden Modells, das wir z. B. bei den Wespenund Bienen finden. Die Ameisen verstehen sich aus die Kunst, ihre Kon-struktionen den Umständen anzupassen und aus den zufälligen Eigen-schasten des Terrains Vortheil zu ziehen." Sie bauen Mauern, richtenPfeiler auf, legen Balken und setzen Stockwerke auf sman hat Ameisen-baue gesehen, welche deren bis vierzig hatten). Die Nester der weißenAmeisen(Termiten), die man am Senegal überaus häufig findet, er-heben sich drei bis sechs Meter über den Boden und sind so dauerhaftkonstruirt, daß sie einen Menschen, ja selbst einen Büffel aushaltenkönnen; sie. stehen mit der Außenwelt in Verbindung durch unterirdischeGänge von einer Breite von dreißig Centimetern. Was sind die Monu-mentalbauten der Menschen im Verhältniß zu denen dieser kleinen In-selten! Wenn wir vie Höhe und Ausdehnung jener Bauten vergleichenmit der Statur ihrer Urheber, so erscheinen uns die Leistungen derMenschen lächerlich. Eine im nämlichen Maßstabe erbaute Pyramidemüßte eine Höhe von 1000 Metern erreichen. Die höchste von denMenschen erbaute Pyramide, die des Cheops, hat aber nur eine Höhevon 140 Metern; die Thurmspitze des Straßburger Münsters eine solchevon 143 und der Thurm Saint-Jacques von 58 Metern!Die Anieisenbaue besitzen Magazine, in denen die von der Kolonieeingeernteten Getreidekörner aufgespeichert werden; von diesen Körnernentfernen die Ameisen die Hülsen, welche sie dann fortwerfen. Durch eingeheimnißvolles, bisher nicht ausgeklärtes Versahren wissen sie dasKeimen der Körner zu verhindern, und wenn dasselbe zufällig doch vorsich geht, vollkommen zum Stillstand zu bringen. In kühlen Kellernschichten sie kleingeschnittene Blätter auf, welche ihnen mikroskopischeBettstellen liesern, nach denen sie sehr lüstern sind. Man hat sogar be-hauptet, eine bestimmte Art Ameisen in Texas wäre ackerbautreibendund verstände die Kunst, die Erde zu bearbeiten und zu besäen; dieseThatsache ist aber noch nicht wiffenschaftlich festgestellt.„Wer hätte die Ameisen sür ein Hirtenvolk gehalten?" sagt Hubert;sie sind es in der That; sie haben Heerden von Blattläusen, welcheihnen eine zuckersüße Absonderung geben, und ein Ameisenhaufen ist umso besser situirt, je größer die Anzahl seiner Kühe ist. Sie erbauenauf Baumstengeln Ställe, wo sie ihre Läuse einschließen; sie bewahrenandere unter der Erde und setzen sie auf Wurzeln fest; wenn sie dasNest wechseln, so transportiren sie dieselben mit; im Herbste sammelnsie die Eier, hüten dieselben und brüten sie aus. Andulon hat Ameisenbeobachtet, welche Läuse als Lastthiere anwendeten; sie ließen siezwischenzwei Reihen von Wächtern zerschnittene Blättern tragen und schloffensie, nachdem ihre Arbeit einmal geendet, in den Ameisenbau ein.Die Arbeitstheilung, welche in den ersten menschlichen Gesellschaftennur schüchtern auftritt, ist bei den Ameisen derart ausgebildet, daß sobedeutende Unterschiede zwischen den Mitgliedern des nämlichen Haufensentstanden sind, daß man meinen sollte, es mit verschiedenen Arten zuthun zu haben. Die Arbeit der Fortpflanzung ist einigen Männchen undeinem Weibchen anvertraut, das die Atenschen, die bei den Thieren ihresoziale Organisation wiederfinden wollten, Königin nennen, das aberkeines der königlichen Attribute besitzt. Es wird gepflegt, ernährt, wirdaber stets beaufsichtigt und oft eingesperrt ,von den anderen, geschlechts-losen Ameisen, welche die große Masse der Kolonie ausmachen und inKrieger und Arbeiter eingetheilt sind.Sozialpolitische Rundschau.Zürich, 11. Juni 1884.— Mit dem möglich st en Aufwände von militari-s ch e m Pomp, als gälte es die Einweihung einer Kaserne, wurde am9. Juni in Berlin der Grundstein zum neuen Reichstags-gebäude gelegt. Fürsten, Generäle, Pfaffen, das ganze höhere Be-diententhum war ausgeboten, dem erhebenden Feste die rechte Weihe zugeben, ja mit nicht genug anzuerkennender Herablassung hatte man sogar— man denke!— auch den Abgeordneten gestattet, als Staffage zudienen. Um über den wahren Charakter des neuen preußisch-deutschenKaiserreiches, von dessen Herrlichkeit der Reichstagsbau Kunde geben soll,keinen Zweifel auskommen zu lassen, wurde der Aktus mit allem inittel-alterlichem Humbug, auch Symbolik genannt, begangen. Der bayerischeBundestags-— pardon! Bundes r a t h s- Bevollmächtigte übergab demhalb stumpfsinnig dreinschauenden Kaiser Kelle und Mörtel zum sym-bolischen Vormauern des Grundsteins— was bedeuten sollte, daß diede»itschen Fürsten sich als die allerunterthänigsten Handlanger der preu-ßischen'Spitze betrachten; Herr v. Levetzow, der Landwehrmajor undnebenbei Reichstagspräsident ist, apportirte dem Kaiser den Hammer zumDraufschlagen— eine nicht minder verständliche„symbolische" Handlung.Dann ging das synibolische Hämmern los, und das herumstehende neu-gierige„Volk" durfte die Nationalhymne:„Heil Dir im Siegerkranz!"ableiern. Das that es denn auch mit patriotischer Begeisterung, dennes fror entsetzlich. Von dem berühmten Kaiserwetter keine Spur.Sehr hübsch ist die von Bismarck verlesene allerhöchste Urkunde überdie Grundsteinlegung zu dem Reichstagsgebäude, dessen Sitzungssaal,ebenfalls sehr symbolisch, schon für die jetzige Zahl der Reichstagsabge-ordneten nicht genügend Platz hat.Da gelobt„Wilhelm von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser" k. ic.,daß seine und seiner Nachkommen gemeinsame Arbeit mit dem Reichs-tage„unverbrüchlich der Ordnung, der Freiheit, der Gerechtigkeit....gewidmet sei." Der Freiheit, der Gerechtigkeit! Kaum 4 Wochen nachVerlängerung des jedem Begriff von Freiheit und Gerechtigkeit in'sGesicht schlagenden Ausnahmegesetzes! Dieses Gesetz gehört inden Grundstein des Reichstagsgebäudes, es ist die treffendste Jllustrirungder Herrlichkeit des neuen deutschen Reiches, dieser Rückversicherungs-gesellschast der zwei Dutzend deutscher Landesväter für Aufrechterhaltungihrer Zivilliste und sonstigen Privilegien gegen alle nur an die Demo-kratte streifenden Bestrebungen.— Unsere Partei ist wieder einmal„gespalten"und der Auflösung nahe. Nämlich wenn unsere Feinde Rechthaben. Diesmal ist es die„ A s f a i r e R i t t i n g h a u s e n", welcheden Anlaß gegeben hat und zum Keil geworden ist, der unsere Organi-nisation nächstens zersprengen muß.Da lesen wir in den gegnerischen Blättern, die beiden Abgesandtenunserer Partei, welche den Genoffen im Solinger Wahlkreis den be-kannten Fraktionsbeschluß mitzutheilen und zu erklären hatten, seien ausunüberwindlichen Widerstand gestoßen und hätten den Wählern desKreises die Versicherung geben müssen, daß die Partei dem Herrn Rit-tinghausen, der in seinem jetzigen Wahlkreis, trotz des Fraktionsbeschluffes,wieder ausgestellt werde, keinen Gegenkandidaten entgegenstellen würde.Die Lokalorganisation sei in offenem Zwiespalt mit der Zentralorgani-sation. Die Partei sei im Zwiespalt mit der Fraktion. Und endlichdie Fraktion sei im Zwiespalt mit sich selber, denn die AbgeordnetenK a y s e r und Grillenberger hätten gleich Rittinghausensich geweigert, den amerikanischen Aufruf zu unterzeichnen. Kurz, Zwie-spalt überall.„Dieser bemerkenswerthe Zwischenfall könnte leicht zu anderen Erschei-nungen innerhalb der sozialdemokratischen Partei den Anstoß geben."So orakeln die gegnerischen Blätter, welche das Gras wachsen unddie Flöhe husten hören.Run, unsere Genoffen wissen, ohne daß wir es ihnen zu sagen brau-chen, daß vas Alles Phantasiegebilde und Tendenzlügen sind. Sie wissen'daß der Beschluß gegen Rittinghausen von der Fraktion einstimmiggesaßt worden ist. Und sie wissen, daß die Abgeordneten K a y s e r undGrillenberger den Aufruf an die Genossen in Amerika unter-zeichnet haben.*')An den betreffenden Mittheilungen der gegnerischen Blätter ist nursoviel wahr, daß es im Solinger Wahlkreis einige Personen gibt, denenes lieber gewesen wäre, wenn die Fraktion sich um die— EigenheitenRittinghausen's nicht bekümmert hätte. Alles darüber hinaus isterdichtet und erlogen.In der nächsten Nummer werden wir über die Mission der Fraktions-Delegirten authentische Nachrichten bringen. Für heute blos soviel: aneine Auflehnung gegen den Fraktionsbeschluß denkt im ganzen SolingerWahlkreis, soviel uns bekannt ist, kein einziger Mensch. Und solltewider Erwarten Jemand den Fraktionsbeschluß zu durchkreuzen versuchen,so würde es diesem Jemand sehr bald klar gemacht werden, daß, werder Parteidisziplin zuwiderhandelt, auch aus der Partei ausscheidenmuß. In Bezug aus Bezug auf diesen Punkt herrscht vollständige Ueber-einstim.nung in der Partei.Schließlich sei noch bemerkt, daß Rittinghausen selbst, seiner freiwilligabgegebenen Versicherung gemäß, sich jedem Versuch, ihn gegen die Parteiauszuspielen, mit allem Nachdruck widersetzen würde.Nachschrift. Es ist in gegnerischen Blättern auch davon die Rede,die„Parteileitung" habe Viereck die Gegenkandidatur ange-boten, dieser habe jedoch abgelehnt. Von A bis Z erfunden. Welche»Blödsinn man wohl noch auftischen wird?— In Wien hat am 3. und 10. Juni der Prozeß gegen HermannStellmacher stattgefunden und mit der Verurtheilung des Ange-klagten zum Tode seinen vorläufigen Abschluß genommen.Die Anklage richtet sich auf:1)„Das Verbrechen des theils vollbrachten, theils versuchten Raub-mordes, begangen am 10. Januar Abends in der Eisert'schen Wechselstube. Diesem Attentate fielen Heinrich Eifert und seine beiden Söbn«zum Opfer, die Sprachlehrerin Karoline Berger wurde dabei schwerverletzt. Geraubt wurden an Baargeld 3500 Gulden, Werthpapiere für4000 Gulden"; 2)„das Verbrechen des gemeinen Mordes, begange»am 25. Januar Morgens an dem Detektive Ferdinand Blöch"; 3)„dasVerbrechen des versuchten gemeinen Mordes, begangen an dem ArbeiterAlbert Meloun bei der Verfolgung nach der Ermordung des Blöch!4)„Diebstahl, ausgeführt an dem ermordeten Blöch" und 5)„Ueber-tretung der Falschmeldung, da er sich in Wien fälschlich als Anto»Krall gemeldet hatte."In der Anklageschrift, die im Uebrigen nur Bekanntes wiederholtheißt es u. A.:„Ungeachtet seines an Fanatismus grenzenden Wesens hat sich aberStellmacher, als er mit dem Herausgeber der„Freiheit" wegen einerForderung ein Zerwürfniß hatte, in Briefen sowohl beim österreichische»Gesandten in der Schweiz als auch bei Polizeiorganen in Mülhausenangeboten, gegen gute Entlohnung Confidentendienste zu leisten und a»seiner Partei zum Verräther zu werden."In der Verhandlung äußerte sich Stellmacher über diesen Schritt dahin,er habe dadurch, daß er mit der Polizei sich in Verbindung setzte, seinerPartei einen Dienst erweisen wollen.Es liegt für uns kein Grund vor, ihm das nicht zu glauben. Di«Sache muß sich, wie aus der Anspielung auf„das Zerwürfniß Stell-macher's mitj'einer Partei"**) hervorgeht, nurjtuczc Zeit später abgespielthaben, als der Spitzel Schmidt in Zürich entlarvt wurde, was auch dieSprödigkeit der Polizeiorgane in Mülhausen, d. h. unseres lieben Freu»-des Kaltenbach, erklärt. Also wir nehmen an, Stellmacher habe ausan und für sich ehrenhaften Motiven mit der Polizei in Verbindung Z»treten gesucht. Einem„echten Revolutionär" muß jedes Mittel recht sei»,also auch das, scheinbar den Polizeiagenten zu spielen. Woran soll ma»nun aber den wirklichen Polizeiagenten von dem scheinbaren unterscheiden,woraus ersehen, wann aus einem scheinbaren Agenten— was auchschon vorgekommen— im Lauf der Zeit ein wirklicher wird? An-sangs mag das Gefühl, der Instinkt da ausHelsen können, später isteine solche Unterscheidung nicht mehr möglich. Eine Partei, die ihre»Mitgliedern, sei es zu welchen Zwecken immer, Beziehungen mit derPolizei anzuknüpfen gestattet, liefert sich selbst der Polizei aus, korrum-pirt sich selbst, untergräbt selbst die Basis jedes gedeihlichen Zusammen-wirkens: das gegenseitige Vertrauen. An diese Konsequenthat Stellmaches natürlich nicht gedacht, ihm war war ja oft genug vor-gepredigt worden, ein echter Revolutionär müffe zu allen Schandthate»bereit sein. Er sah nur die eine Seite der Sache, die ideale, romantische,nicht die reale nüchterne Konsequenz.Eingehender über den Prozeß in nächster Nummer.Die Briefe Stellmacher' s an Kaltenbach, welcheim Prozeß zur Verlesung gelangten, lauten:a)„Geehrter Herr! Höslichst Unterzeichneter ist einer der ersten Ver-trauensmänner der sozialrevolutionären Parteirichtung London. AusGründen, welche ich Ihnen im nächsten Briefe mittheilen werde, wen»Sie meine Verbindung wünschen, will ich Ihnen gegen Gratifikatio»mittheilen: 1. wo die„Freiheit" bis mit 39 hergestellt wurde, wer die-selbe herstellte. 2. Wo die„Freiheit" jetzt hergestellt wird, wer dieHerausgeber sind.(Name und Wohnort.) Von wo aus dieselbe ver-trieben wird ic. 3. Ich kann mich anheischig machen, jed«Sendung des„Sozialdemokrat", welcher hier i»Zürich erscheint, in die Hände der Regierung z»l i e s e rn(!). Wenn Ihnen etwas daran gelegen ist, so ersuche ich Sit,mir recht bald Mittheilung machen zu wolleu. Ich werde Ihnen dan»einen Mann(Schriftsetzer) namhaft machen, der jetzt i»Deutschland ist, welcher die Schrift gesetzt hat, der über mich undmeine Thätigkeit Ihnen genaue Mittheilung machen kann, damit Sieerfahren können, mit wem Sie es zu thun haben, und daß ich auch ii»Stande bin, Ihnen das mitzutheilen, was ich eben angedeutet, ja nochmehr. In Erwartung baldiger Antwort zeichnet sich,achtungsvoll grüßendH. Stellmacher, cordonnier."b)„Geehrter Herr! In Anbetracht deffen, daß Sie durch SchmidtUnannehmlichkeiten gehabt und jedenfalls in mir Einen wähnen, welcher*) Infolge eines bedauerlichen Druckfehlers fehlt bei dem in Rr. 22 des„Sozialdemokrat" veröffentlichten Aufruf die Unterschrift Kaysers.Damit nun nicht etwa aus diesem Umstände von„guten Freun-d e n" falsche Schlüsse gezogen werden, so bemerken wir hiermit aus-drücklich, daß K a y s e r den betreffenden Aufruf gleichfalls unterzeichnethat, und daß in den amerikanischen Organen, denen derselbe zugesandtwurde, Kayser's Name auch an richtiger Stelle sigurirt.**) Dieses„Zerwürfniß" war übrigens keine Finte, sondern bestand.Als Hans Most, der um dieselbe Zeit aus dem Gefängniß gekomme»war, nach Amerika ging, gab er Stellmacher, der während seiner Haftdie„Freiheit" nach bestem Können besorgt hatte, in einem zur Verösfent-lichung bestimmten und auch im Chicagoer„ V o r b o t e"(Nr. 50 1882)erschienenen Briefe an P. Grottkau mit der ihm eigenen Erkennt-lichkeit den obligaten Fußtritt und bezeichnete ihn frischweg als eine»arroganten Nichtswisser:„der Mann, welcher die Vermittlung zwischenden Herausgebern und dem Drucker zu besorgen hat, versteht garnichts, maßt sich aber ungemein viel an" k. w. Wirwußten, daß dieser Mann Stellmacher war, wir wissen auch, daß Mostin Privatbriefen Stellmacher noch' in ganz anderer Weise verdächtigthat— man beurtheile daher, welchen belustigenden Eindruck die jetzigenpathetischen Verherrlichungen eben desselben Stellmacher von d i e,s e cSeite aus uns machen mußten.