Gesuch an denverehrlichen Polizeikommiffär" um Zusendung von 120 Mark. Das Statthalteramt Liestal   durchgeht diesen Brief und sendet denselben nicht an Frau Trombala, sondern an den Polizeikommissär von Bodungen in Berlin  . Es kommt keine Antwort. Aber am 23. August stellt sich Herr Polizeikommissär Zahn   aus Mülhausen   im Elsaß   in Liestal   ein. Er willaus den Zeitungen" s!?) vernommen haben, daß hier eine Untersuchung gegen Anarchisten im Gange sei. In Abwesenheit des Statthalters erkundigt er sich nach Weiß und weih sich eine zehn minutenlange Unterredung mit demselben zu verschaffen. Fast gleichzeitig wird das Polizeideparte- ment in Basel   von Dresden   aus um Mittheilungen über Theodor Weiß angegangen. Am 13. September hätte in Liestal   die Gerichtsver- Handlung stattfinden sollen. Es fiel allgemein auf, daß zwei deutsche Beamte dieser Verhandlung beiwohnen wollten. Die Sitzung wurde aufgehoben, weil das Präsidium eine Ergänzung der Untersuchung wünschte. Bei diesem Anlaß hat der gleiche Herr Zahn aus Mülhausen   im Wartezimmer den Weiß ge- sprachen. Ueber dieses Gespräch befragt, gibt Weiß an, Zahn habe ihn ge- fragt: ob er vor Gericht sagen wolle, daß er ein deutscher Polizeispion sei. Weiß antwortete:Ja", worauf Zahn bemerkte: es gehe das nichtgut an. erfolle es bleibenlassen; er Zahn habe ihm 120 Mark zu übergeben, die er vonVerwandten" erhalten habe. Zahn hat bei der Untersuchungsbehörde für Weiß 1 2 0 M a r k a b g e g e b e n, mit der Angabe,die Verwandten des Weiß hätten es ihm zugeschickt. Weiß hat am 29. September vor Gericht in Abrede gestellt, daß er deutscher Polizeispion sei, über seine Verwandten aber hat er angegeben, sie seien so a r m, daß sie ihm nichts schicken könnten." Soweit der Bericht der demokratischenZüricher Post", dessen that- sächlicher Inhalt dem Bericht des katholisch-konservativenBasler Volks- blattes" entnommen ist. Dieser thatsächliche Inhalt ist nun allerdings geeignet, die preußische Geheimpolizei und ihre Macher in schimpflichster Weise bloszustellen. Aus ihm geht bis zur Evidenz hervor, daß ihre Subjekte sich nicht mit dem unsauberen Handwer? der politischen Spionage begnügen, sondern um etwas berichten zu können, gleich selbst zu revolutionären Handlungen anstiften, daß diese Anstifter- der technische Ausdruck dafür lautet: Agents Provokateurs eben zum System gehören. WenZeuge" H o r s ch, wen der brave Schmidt noch nicht überzeugt, für den liefert jetzt das Bllrschlein Weiß einen dritten Beweis von der Vortrefflichkeit desSystems". Obwohl von verschiedenen Seiten angezapft, haben die deutschen   Be- Hörden weder direkt noch indirekt eine Rechtfertigung versucht. Sehr zu statten kommt ihnen dabei ein kleiner Druckfehler. Oben heißt es von der Frau Trombala, sie wohne Metzgerstrahe 12, 4. Hof. In Berlin  gibt es nun gar keine Metzgerstraße und das Adreßbuch kennt auch keine Frau Trombala. Das veranlaßte die Berliner   ultramontaneGermania  ", die ganze Sache als unglaubwürdig hinzustellen, und ihr druckt es die liberale Presse unbesehen nach. Wir gestatten uns daher, ihr zu Hilfe zu kommen. Hat sie bei dem Namen Hage gleich gemerkt, daß hier ein Druckfehler vorliegt und der Polizeikommiffär von H a a k e gemeint sein muß, wie konnte ihr da der viel einleuchtendere Druckfehler Metzgerstraße statt Metzerstraße entgehen? Eine Metzerstraße gibt es in Berlin  , sie liegt in un- mittelbarer Nähe der Weißenburgerstraße, und in der Weißenburger- straße wohnt oder wohnte bis vor Kurzem der Polizeilieutenant Tor- n e r, der im vorigen Jahre den Weber Ulbricht in Elberfeld  zur Spionage zu engagiren suchte. Auch Weih war zuerst nach C l b e r- f e l d geschickt worden! Beliebe also dieGermania  " nach der Metzerstraße 12 zu schicken, vielleicht wird sich dort die Frau Trombala ermitteln lassen. Und nun zurück zumseligen" Kaltenbach. In welcher Beziehung kann er zur Affäre gestanden haben? Nun, Kaltenbach war der Leiter der preußischen Geheimpolizei im Elsaß   und für die Schweiz  . Daß Weiß seine Berichte gleich nach Berlin  sandte, schließt nicht aus, daß er direkt unter dem Kommando von Kaltenbach gestanden. Ueber Mülhausen waren die letzten 120 Mark gekommen! Von dorther brachte sie der P o l i z e i k o m m i s s ä r Z a h n.". Daß dieser Zusammenhang einen zwingenden Anhaltspunkt liefert zur Erklärung des plötzlichen Todes des in keiner Weise apoplektischen Kaltenbach, wollen wir übrigens nicht gesagt haben, zum mindesten jedoch fordert er zu gewissen Vermuthungen heraus. Die ganze Affäre aber liefert einen neuen klassischen Beitrag zur Naturgeschichte der deutschen Reichsspitzelei. Der Darwinismus und die Bourgeois- Wissenschaft. Auf dem Naturforscherkongreß im Jahre 1877 sprach sich bekanntlich Herr V i r ch o w mit großem Eifer gegen die Ausnahme des Darwinis- mus in den Unterrichtsplan der Schulen aus, mit der für diesen Helden des Deutschen Freisinns so bezeichnenden Motivirung, daß die Sozialisten die Darwinische Lehre für sich in's Feld zu führen pflegen, und deshalbgebremst" werden müsse. Malen Sie sich einmal aus, rief der Königlich preußische Geheimrath aus, wie sich der Darwinismus im Kopfe eines Sozialdemokraten gestaltet! An diesen Ausruf wurden wir unwillkürlich erinnert, als wir in der Allgemeinen Zeitung  " vom 26. September den Bericht über einen Vortrag lasen, den Herr Professor Kirchhofs aus Halle auf der 57. Versammlung deutscher   Naturforscher und Aerzte überden Dar- winismus in der Völkerentwicklung" gehalten. Derselbe gibt uns näm- lich ein Bild davon, wie sich der Darwinismus im Kopfe eines wissen- schastlichen Vertreters der Bourgeoisie malt Herr Kirchhoff ist, wenn wir recht berichtet sind, ein in der Wolle gefärbter Nationalliberaler. Und da gerathen wir denn allerdings stark in die Versuchung, Herrn Virchow um den Hals zu fallen und ihm zuzurufen: Bruderherz, Du hast Recht, vor d e m Zeug bewahre der si si si G o h l e r unsere Schulen! Man höre nur die Auslassungen deS Herrn Profeffor über die Wir- kungen der geschlechtlichen Zuchtwahl! Die eheliche Auslese ist wirksam bei der Ausgestaltung des Körpers (Zurechtdrücken, Bartwuchs, Moden der Haartracht u. f. w.), vollends bei seiner Bekleidung und Verzierung, dann aber auch in der Züchtung des Charakters der Völker, so daß Waffentüchtigkeit und Mordlust bei den Wilden, wirthschaftliche Thätigkeit bei den Kulturvölkern wesentlich bestimmt wird durch die Absührung nicht genügend qualifizirterBewerber im Ehe-Examen."... Auch abgesehen von ehelicher Auslese, waltet das Prinzip der Ausmusterung der Besten über den nicht blos physischen Seiten des Völkerlebens." Machen wir hier vorläufig Halt. Daß beiwilden" Völkern die Waffentüchtigkeit im Liebeswerben eine gewisse Rolle spielt, ist unbe- streitbar, sie mit Mordlust gleich zu setzen, entspricht allerdings dem be- rühmten deutschen Idealismus, keineswegs aber den thatsächlichen Ver- Hältnissen. In der Wirklichkeit ist derWilde" keineswegs so schlechter- dings mordlustig, wie der Herr Professor nach, wir wissen nicht, welcher Kinderfibel anzunehmen scheint. Uebrigens weiß man heute, daß das Eheverhältniß bei denWilden" nur unter ganz bestimmten Verhältniffen auf der individuellen Auslese im Sinne der Darwinisten beruhte. In- deß wollen wir diese Seite der Frage für heute auf sich beruhen lassen, sintemalen es uns hier weniger auf dieblos physischen Seiten" an- kommt. Was den Wilden Waffentüchtigkeit und Mordlust, ist bei denKultur- Völkern im Ehe-Examen" wirthschaftliche Tüchtigkeit. Auch sie führt zurAusmusterung der Besten" imnicht blos physischen" Sinne. Daß bei den Kulturvölkern nicht die Frage: wie ist er? sondern die: was ist er und was hat er? im Ehe-Examen entscheidet, ist männiglich bekannt, daß aber das Ergebniß dieser Art Auslese zurAus- Musterung der Besten" führt, das zu behaupten ist bis jetzt noch Nie- mand eingefallen. Dazu bedurfte es eines deutschen Bourgeoisgelehrten. Der kriegt es sogar fertig, den Geldheirathen, dieser schönsten Frucht der modernen Gesellschaft, eine ideale Seite abzugewinnen; wozu wären die Deutschen   auch sonst die Idealisten par excellenco? Die Wissenschaft muß dem braven Profeffor dazu herhalten, der nieder­trächtigsten aller Errungenschaften unserer heutigen Afterkultur eine höhere Weihe zu geben. Freut Euch, Ihr Dreckseelen, die Ihr beim Eingehen eines Ehebandes lediglich die Geldsacksinteressen entscheiden läßt, Ihr seid nunmehr glänzend gerechtfertigt! Was vorurtheilsvolle Soziologen bisher für eine der wesentlichsten Ursachen der physischen und geistigen Entartung bezeichneten, hier ist es durch einen Mann der Wissen- s ch a f t glorifizirt worden! Ihr verrichtet ein Kulturwerk, Ihr mustert die Besten aus! Preis Dir, Hans von Bleichröder, Du Sohn des 20fachen Millionärs, Du bist der Besten Einer unter den jungen Männern der deutschen Lande, und wenn Du hundertmal alsfruit ose" in der Residenz berüchtigt wärest! Aber dernicht blos physischen Seiten des Völkerlebens", welche das Prinzip der Ausmusterung der Besten fördert, sind noch mehrere. Da ist z. B. die G e m ü t h l i ch k e i t des Eskimo.Nur Friedfertige können zu mehreren Familien eng beieinander dasselbe Gemach bewohnen, wie es die Eskimos bei völligem Mangel an Feuerung müssen." Der Herr Professor scheint nicht zu wissen, daß das friedfertige Beieinander- wohnen in demselben Räume keineswegs Spezialeigenschaft der Bewohner des hohen Nordens ist, daß vielmehr der latente Kampf im Hause auch eine Errungenschaft unserer höheren Kultur ist- Dies indeß nebenbei. Der Chinese," heißt es weiter,ist durch äußere Volksverdichtung der genügsamste und fleißigste Mensch geworden, der nun als Auswanderer alle trägeren oder anspruchsvolleren Völker verdrängt. Im internatio- nalen Daseinskampfe siegt stets das physisch und sittlich tüchtigere Volk." Damit ist denn der Herr Profeffor auf den Kernpunkt seines Vortrages gekommen: zur Verherrlichung unserer heutigen wundervollen Konkur- renzgesellschaft. Und das Ideal, welches er uns da präsentirt, übertrifft noch die Ausmusterung der Besten in der modernen Che. Es ist der Chinese. Und von seinem Bouraeoisstandpunkt aus hat der Herr Professor Recht. Das heutige Wirthschaftssystem, unsere ganze heutige Gesellschaft auf die Spitze getrieben, heißt China  . Eine zur Bedürf- nißlosigkeit von Jahr zu Jahr mehr herabgemusterte" Arbeiterklaffe, eine Fabrikanten- und Kaufmannskaste, die sich in pfiffigen Praktiken, im gegenseitigen Begaunern durchAusmusterung der Besten" immer mehr vervollkommnet, eine bezopfte Mandarinenkaste, die Humanität schwatzt nichts Erhabeneres als die Lehren des Confucius! und Infamie praktizirt, ein hohles, heuchlerisches Formenwesen, verbunden mit dem Bauchrutschen vor der Sonne der kaiserlichen Majestät, wer wollte leugnen, daß wir es in dieser Beziehung nicht schon herrlich weit gebracht! Niederträchtigere Hyperbeln, als sie die Organe des ausgeklärten Bürgerthums, voran das brave Weltblatt von Köln  , jüngst wiederum aus Anlaß derKaisertage am Rhein  " zum Besten gegeben, kann selbst der Hof-Anzeiger von Peking   nicht ausbrüten. China  , das ist das nothwendige Endresultat für den Fall, daß unsere heutige Gesellschaft sich so weitervervollkommnet" wie bisher. Sehen wir nicht schon jetzt diejenigen Elemente, die von einer Reorganisation der Gesetlschaft durch den Sozialismus nichts wissen wollen, nachRe- form" derselben im chinesischen Sinne schreien? Worauf laufen die Be- strebungen der Zünftler Anderes heraus als auf die Schaffung chinesi- scher Kasten?! Es fällt uns da eine Fabel von Lessing   ein. Ein Pferd tritt vor Zeus  und bittet denselben, alle jene Eigenschaften in ihm voll auszubilden, deren es nun einmal zu seinem Berufe bei den Menschen bedarf. Zeus  verspricht ihm, seinem Wunsche zu willfahren, zeigt ihm aber vorher ein Modell, wie es dann aussehen werde. Und siehe da, das Thier mit der vollgewölbten Brust, mit dem natürlichen Sattel, mit den noch höheren Beinen, es ist das Kameel. Entsetzt schaudert das Pferd zurück. So erhaben sich das Ideal der Bourgeoisie in der Darstellung ihrer Lobredner ausmacht, so häßlich sieht es in Wirklichkeit ausChina  . Der Bourgeoisgelehrte, der den Kampf um's Dasein aus der Pflanzen- und Thierwelt ohne Weiteres auf die Menschenwelt überträgt, um uns weiß zu machen, daß dieser brutale Kampf um's Dasein auch in der Menschheit zur Ausmusterung der Besten, zur immer weiteren Vervoll- kommnung führt' was beiläufig nicht einmal in der Thier- und Pflan- zenwelt überall der Fall degradirt die Menschheit. Er fleht nicht oder will nicht sehen, daß die Menschheit heute immer mehr dahin ge- langt ist, die Natur zu beherrschen, sich ihre Lebensbedingungen selbst zu schaffen. Und wie sie in ihrem Kampf mit der Natur sich nicht mehr blindlings von dem Spiel der Naturkräste abhängig macht, sondern die- selben in ihren Dienst nimmt, sie zu beherrschen und zu leiten sucht, so sollte sie in Bezug auf ihre gesellschaftlichen Lebensbedingungen, auf ihre Produktionsverhältnisse nicht auch zur Erkenntniß kommen, daß der bru- tale Kampf um's Dasein nicht die höchste Form derselben ist? O nein, sie wird, sie muß dahin kommen. Dafür bürgt uns die Klasse, welche die Uebel des gesellschaftlichen Kampfes um's Dasein am härtesten em- psindet: das Proletariat! Der Darwinismus im Kopf eines Sozialisten heißt Erkenntniß der Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, der Darwinismus im Kopfe eines Bourgeoisgelehrten heißt China  ! Sozialpolitische Rundschau. Zürich  , 8. Oktober 1884. Neue Taktik. Während bei früheren Wahlen die Taktik der gegnerischen Presse vorzugsweise darin bestand, die Sozialdemokratie möglichst todtzuschweigen, ihre Aussichten als höchst unbedeutend hinzu- stellen, gesällt sie sich diesmal darin, unsere Chancen als die denkbar günstigsten hinzustellen. 20 Wahlkreise ist das Mindeste, was man uns zugesteht. Soweit aus diesen Prophezeiungen nicht die Furcht, wie Genosse Guesde meint, oder das schlechte Gewissen spricht, das den Gegnern sagt, daß ihre Sache im Kamps gegen uns schließlich unterliegen muß, können sie nur den Zweck haben, den Eifer der uns feindlich gesinnten Wählerschaft zu stacheln, uns selbst aber in eine verhängnißvolle Sieges- Zuversicht einzulullen. Darauf fallen wir aber nicht hinein. Wir wissen zu gut, daß jede« Nachlassen im Kampf unfehlbar eine Niederlage für uns zur Folge haben muß. Wir wissen, daß wenn auch der Boden fast überall vortrefflich für uns gedüngt ist, wir nur durch angestrengteste Arbeit eine gute Ernte werden erzielen können. Unbedingt sichere Wahlkreise haben wir nicht. Wenn wir uns also durch das Geschreibsel der Gegner in keiner Weise beirren lassen, so nehmen wir doch insoweit mit Vergnügen Akt von demselben, als es ein neuer Beweis dafür ist, welche Macht die Sozial- demokratie in Deutschland   geworden, trotz Ausnahmegesetz undSozialreform"! Die deutsche   Polizei entwickelt die übliche Wohl- thätigkeit. Kein Genosse ist einen Moment lang vor Verhaftung, Haussuchungen und sonstigen Chikanen und Maßregelungen sicher. Wir konstatiren einfach die Thatsache: So wenig die Katze das Mausen, kann die Polizei derartigen Unfug unter- lassen. Wir wundern uns deßhalb auch nicht. Und die Genoffen haben es jedenfalls nicht anders erwartet. Sie sind vorbereitet; sie wissen, daß solcher Polizeiunfug nur dann seinen Polizeizweck erreichen kann, wenn wir sehr dumm sind. Und dümmer als die Polizei sein, das wäre in der That polizeiwidrig. Genug keiner der Genossen ist einen Moment vor Verhaftung oder Haussuchungen sicher und daran hat Jeder jeden Augen- blick zu denken! I n dem Chemnitzer   Kongreßprozeß sind nun auch noch F r o h m e in Bockenheim   und Müller in Darmstadt   vernommen worden, wodurch sich unsere Vermuthung bestätigt, daß die Vorunter- suchung sich bis jetzt bloß auf die seinerzeit in Kiel   und Neumünster  Verhasteten erstreckt, die jetzt s ä m m t l i ch vernommen sind. Aus dieser Thatsache erhellt, daß die damals eröffnete Untersuchung mindestens gegen einen der Verhafteten nicht niedergeschlagen worden ist, wie man allgemein geglaubt hatte, sondern daß mindestens eins der ein- schlägigen Gerichte in diesem Falle das Chemnitzer Landgericht die Untersuchung fortgeführt und nach anderthalbjähriger Untersuchung glück- lich bis zur Vor Untersuchung gelangt ist! Anderthalb Jahre Unter- suchu.ig, um über landbekannte Dinge eine Vor Untersuchung einzuleiten das spricht gerade nicht für den Scharfsinn der Chemnitzer Land- richter. Jedenfalls hält ihr Scharfsinn nicht gleichen Schritt mit dem Eifer, welchen sie ihrem Herrn und Meister A b e k e n, Exzellenz, be- wiesen haben, und der sie selbst vor dem sicher drohenden Fiasko nicht zurückschrecken ließ. Nunwenn die Elberfelder   Richter sich blamirt haben, dür- fen wir's wohl auch", denken die Chemnitzer Richter, und das Recht, sich blamiren zu wollen, wird ihnen gewiß nicht bestritten. Die Vielkandidaturen, die leider auch diesmal Seitens unserer Parteigenossen nicht vermieden worden sind, werden von der gegnerischen Presse geflissentlich alsein Beweis für den in der sozialdemokratischen Partei vorhandenen Kandidatenmangel" ausgegeben. Und daß diese Schlußfolgerung etwas für sich hat, kann allerdings nicht geleugnet werden. Nur daß der Kandidatenmangel innerhalb unserer Partei nicht ein wirklicher, sondern im Grunde nur ein eingebildeter ist und seinen Grund nicht in dem Mangel tüchtiger Genossen, sondern in dem, unglücklicherweise unter unsern Genossen vielverbreiteten Wahn seinen Ursprung hat, in den Reichstag könne bloß Jemand geschickt wer- den, der vor der Oeffentlichkeit sich schon einen Namen gemacht hat. Wir haben wiederholt aus das Kindische und positio Prinzipienwidrige dieser Auffassung hingewiesen, die ja auch auf dem letzten Kongreß scharfer Kritik unterworfen worden ist; jedoch, wie man sieht, bis jetzt ohne sonderlichen Erfolg. Wenn aber der Kandidatenmangel bei uns Sozialdemokraten nur ein eingebildeter ist, leiden, mit Ausnahme höchstens des Zentrums, sämmtliche gegnerische Parteien unter einem sehr wirklichen Kandidatenmangel. Die konserva- t i v e n Parteien die deutsch  -konservative und frei-konservative ebenso wie die liberalen Parteien: deutsch  -freisinnige und nationalliberale lassen die melancholischsten Klagelieder erschallen, daß es ihnen an Kandidaten fehlt. Und wohlgemerkt: nicht weil es an geeigneten Per- sönlichkeiten fehlt, sondern weil ein großer Theil der geeigneten.Per- sönlichkeiten den politischen Kampf müde geworden ist Und überhaupt nicht mehr kandidiren will. Das ist ein sehr wesentlicher Unterschied. Jedenfalls thäten die Gegner besser, sie zupften sich an der eigenen Nase, statt uns Kandivatenmangel vorzuhalten. Deutsches Bürgerthum. Unter diesem Titel veröffentlicht Herr Ludwig Bamberger   in derNation" einen äußerst bissigen Artikel, dessen Spitze sich gegen die früheren Fraktionsgenossen des Ab- geordneten für Alzey  -Bingen  : dietreugebliebenen" Nationalliberalen, richtet. Herr Bamberger ist ja selbst ein langjähriger Vorkämpfer des deutschen   Bürgerthums, wenn also sein Urtheil über dasselbe nicht sehr günstig ausfällt, so kann man ihm wenigstens nicht den Vorwurf machen, daß er von Dingen spreche, die er nicht kennen gelernt. Hören wir daher diesen Sachverständigen. Er schreibt:Dieses wohlfeile und ge- spreizte Pathos da, wo es gilt, nach Oben zu gefallen, diese Abwesen- heit alles ächten Bürgerstolzes und Solidaritätsgefühls mit dem Recht für Jedermann ist das Charakterzeichen jenes Besten-Mannesthums, welches allen deutschen   Freiheitsregungen auf die Länge immer wieder den Nerv entzogen hat." Sehr richtig, Herr Bamberger. Aber wo war denn bei Ihnen das Solidaritätsgesühl mit dem Recht für Jedermann", als Sie im Jahre 1878 für das Sozialistengesetz stimmten? Lesen Sie nur Ihre Rede von damals nach, vielleicht werden Sie heute auch etwas wiewohlfeiles und gespreiztes Pathos" darin finden. Damals handelte es sich ja auch darum,nach Oben zu gefallen". Uns sagen Sie daher nichts Neues. Sie haben nicht nur Ihre Gegner, Sie haben die K l a s s e, der Sie angehören, gekennzeichnet. Schon 1879 schrieb Fr. Engels in der Vorrede zur zweiten Auflage seinesBauernkrieges" über diesemerkwürdige Feigheit" des deutschen  Bürgerthums: Ich will die armenNationalliberalen" in der Kammer nicht mehr tadeln, als sie verdienen. Ich weiß, sie sind von denen, die hinter ihnen stehen, von der Masse der Bourgeoisie, im Stich gelassen. Diese Masse will nicht herrschen. Sie hat 1848 noch immer in den Knochen." Zu den Nationalliberalen in der Kammer gehörten auch Sie damals, Herr Bambergcr, aber nicht zu den armen Getriebenen. Sie trieben tüchtig mit. Wie das gemacht wurde, hat Engels 1874 in der Vorrede zur dritten Auflage derselben Schrift mit wenigen Worten treffend ge- kennzeichnet: Abschaffung des Feudalismus, positiv ausgedrückt, heißt Herstellung bürgerlicher Zustände. In demselben Maß, wie die Adelsprivilegien fallen, verbürgert sich die Gesetzgebung. Und hier stoßen wir auf den Kernpunkt des Verhältnisses der deutschen Bourgeoisie zur Regierung. Wir sahen, daß die Regierung g e n ö t h i g t ist, diese langsamen und kleinlichen Reformen einzuführen. Aber der Bourgeoisie gegenüber stellt sie jede dieser kleinen Konzessionen dar als ein den Bourgeois gebrachtes Opfer, ein der Krone mit Mühe und Roth abgerungenes Zugeständ- niß, wofür sie, die Bourgeois, nun auch wieder der Regierung etwas zugestehen müßten. Und die Bourgeois, obwohl ziemlich klar über den Sachverhalt, gehen auf diese Täuschung ein. Daraus ist denn jener stillschweigende Vertrag entstanden, der die stumme Grund- läge aller Reichstags- und Kammerdebatten in Berlin   bildet: einerseits reformirt die Regierung die Gesetze im Schneckengalopp im Interesse der Bourgeoisie, beseitigt die feudalen und aus der Kleinstaaterei ent- standenen Hindernisse der Industrie, schafft Münz-, Maß- und Gewichts- einheit, Gewerbesreiheit u. s. w., stellt dem Kapital durch die Freizügig- keit die Arbeitskraft Deutschlands   zur unbeschränkten Verfügung, begün- stigt Handel und Schwindel; andrerseits überläßt die Bourgeoisie der Regierung alle wirkliche politische Macht, votirt Steuern, Anleihen und Soldaten, und hilft alle neuen Reformgesetze so abfassen, daß die alte Polizeigewalt über mißliebige Jndivi- duen in voller Kraft bleibt. Die Bourgeoisie erkauft ihre allmälige gesellschaftliche Emanzipation mit dem sofortigen Ver- zicht auf eigene politische Macht. Natürlich ist der Haupt- beweggrund, der der Bourgeoisie einen solchen Vertrag annehmbar macht, nicht Furcht vor der Regierung, sondern Furcht vor dem Proletariat." Und zu denen, welche diese Politik um lebhaftesten betrieben, gehörten in erster Reihe Sie, Herr Bamberger. Es ist wahr, Sie sind jetzt über- troffen worden, was sich heute nationalliberal nennt, ist noch jämmer- licher, noch niederträchtiger als der Nationalliberalismus der siebziger Jahre, aber es ist doch Fleisch von Ihrem Fleisch und Blut von Ihrem Blut. Es ist ja zweifelsohne lehr hart, daß sich heute, wo Sie in der Opposition sind, Ihr eigen Fleisch und Blut gegen Sie kehrt, aber ver- dient haben Sie es reichlich, und noch mehr! Die Sozialisten des Auslands über die deut- schen Reichstagswahlen. Es wird unsere Leser intereffiren, die Stimmen der fremdländischen Sozialisten über die bevorstehenden Reichs- tagswahlen zu vernehmen. Welches Interesse unsere Brüder in Belgien   an denselben nehmen, hat der Begleitbrief des Genoffen A n s e e l e zu dem Beitrag ergeben, den sie, die selbst im Feuer stehen, zu unserem Wahlfond beigesteuert haben. .Justice", das Organ der englischen Sozialisten, schreibt: "Die Wahlen in Deutschland   sind nunmehr festgesetzt und die Sozia- listen, unsere Freunde und Mitstreiter in der Voltssache, rüsten sich zu denselben und hoffen zu beweisen, was sie nach unserer Ansicht auch beweisen werden, daß alle Verfolgungen, welcheder größte Staats- mann Europas  " ihnen zugefügt, weder ihre Zahl vermindert, noch ihre Begeisterung gedämpst haben. Wir wünschen ihnen von Herzen Er- folg! Unter welch' großen Schwierigketten sie kämpfen, ist den Lesern derJustice" wohlbekannt. Zeitungen werden unterdrückt, das Versamm- lungsrecht ist illusorisch gemacht, Plakate und Flugschristen beschlagnahmt, Fonds konfiszirt und die Führer müssen jederzeit gewärtig sein. auS- gewiesen, verhaftet zu werden. Kem Wunder, daß hitzigere Leute nach etwas Gewaltsamerem als dem bloßen Wahlkamps rufen. Aber nach unserer Ansicht wissen die deutschen Sozialisten am besten, was sie zu thun haben. Sie benutzen das Parlament einfach als Tribüne, bis die Zeit zur organisirten Erhebung gegen das ganze System gekommen. Für uns. die wir fteies Versammlungsrecht:c. haben, würde eine par- lamentarische Vertretung im Augenblick nutzlos, vielleicht sogar schädlich sein. Mag jedes Land in seiner Art arbeiten, aber nie die Nothwendigkeit internationaler Verbrüderung vergessen. Unterdessen besten Erfolg den deutschen Sozialisten!" Im C r i du p e u p l e" von Paris   schreibt Genosse JuleS Guesde  :