recht trauen. Vor einem Menschenalter legten englische Kapitalisten ihr Geld, wenn es ihnen dahei>n nicht genug Zinsen brachte, in Industrie- Unternehmungen in Deutschland an, und halfen so die deutsche Konkurrenz großziehen; heute leihen deutsche Kapitalisten dem Auslande Geld, um in Rußland , in Egypten, in Südamerika Konkurrenten für die deutsche Industrie erziehen zu helfen. Der„ R e i ch t h u m" Deutschlands , der Kapitalüberfluß in den Reservoirs in Berlin , in Frankfurt am Main rc., er wandert in's Ausland, während in Deutschland Hunderttausende fleißiger Arbeitsbienen, die ihn geschaffen, am Hungertuche nagen. Eine herrliche W i r t h s ch a f t s p o l i t i k! Aber wohlgemerkt, dieser Zustand der Dinge ist ebensowenig die Folge der SchutzzöUnerei, als der„industrielle Aufschwung" von 1880 eine Folge der Schutzzöllnerei war, sondern der modernen kapitalistischen Produktionsweise überhaupt. Er wäre auch unter dem Freihandel nicht ausgeblieben. Aber er charakterisirt die Lächerlichkeit der Phrase vom „Schutz der nationalen Arbeit", welche die Herren Schutzzöllner beständig im Munde führen; die Freude derselben über ihn zeigt, welcher Werth ihre» hochtönenden Deklamationen wider das vaterlandslose Manchester - thum beizumesien ist, zeigt, daß sie, gleich dem habgierigsten Börsenjobber, nur einen Golt anbeten: den Gott Profit. Diesem Gott zu Ehren opfern sie wo möglich noch rücksichtsloser als ihre freihändlerischen Gegner Leben und Gesundheit der ganzen Arbeiterklasse ihres Landes; es gibt nur einen wirklichen Schutz der Arbeit, und der heißt Unterdrückung der Ausbeuter. So lange die Ausbeutung herrscht, werden die Arbeiter stets die Kosten zu tragen haben für die Siege und für die—?! i e d e r- lagen auf dem Weltmarkte.
Demokratisch! Eine Mahnung zur Masfenagitation. l-') Wasser in's Weltmeer! Dieser Ruf ist ebenso berechtigt wie die For- derung„Demokratisch!" in diesem Blatt. So meint der Leser. Er irrt sich aber. Er meint, demokratisch zu sein, ist das Prinzip der sozialdemokratischen Partei. Das stimmt. Das Prinzip, ja; aber leider nicht die Praxis. Die demokratische Praxis heißt:„Alles durch das Volk." Davon ist in unserer Agitation wenig zu spüren. Bei uns heißt es blos:„Alles für das Volk." Wir haben eine Anzahl Leute, von denen jeder beinahe mehr für die heilige Sache thut, als er kann; wir haben einige Männer und auch Frauen, welche die größten Opfer bringen— die einen mit ihrer Arbeit, die anderen mit ihrer Gesundheit, etliche mit ihrem Geld— die große Masse aber thut nichts. Wohl ist die Zahl der Fähigen stetig größer geworden und wird es täglich noch, wohl ist daher unsere Organisation jetzt fester und ausgebreiteter denn je geworden, aber gegen das, was zu geschehen hätte, ist das, was geschieht, nichts. Es kann aber bei der jetzigen Verfassung der Agitation nicht mehr geschehen. Von Allen, welche sich daran betheiligen, kann man nicht mehr verlangen, als was sie eben thun. Aber ich behaupte, daß sich die Agitationsweise verbessern läßt. Heute stützt man sich auf eine kleine Zahl besonders opferwilliger und opfersähiger Parteimitglieder. Da diese die Aufgabe haben, die sozialistische Gesellschaft anzubahnen— alles Andere kann ja nichts nützen—, müssen sie Großartiges leisten, und da ihnen dabei die Polizei dazwischen fährt, müssen sie es geheim thun. Großartiges geheim, das geht aber nicht. Aber die Presse? Unsere Zeitungen? Unsere Zeitungen können auch nicht zum Ziele führen. Diese Presse ist geheim unv kostet Geld.?tur eine Minderheit kann sie bezahlen, nur ein winziger Theil dieser Minderheit bekommt sie regelmäßig zu lesen. Zur Ausbreitung unserer Anschauungen nützt die periodische Presse gar nichts, sie kann nur zur Erhaltung der Verbindung unter den bereits gewonnenen Mitgliedern der Partei dienen. Ich habe mit einem„Führer" unserer Bewegung mich dahin geeinigt, daß unter dem Einfluß unserer Presse etwa 100,000 Leser stehen salso nicht lauter Arbeiter, um die sich doch die ganze Bewegung dreht). Das„Berliner Tageblatt" aber hat— ohne Aufschnitt— 75,000 Abonnenten! Wie sehr unser Einfluß auf die Massen der Arbeiter noch wachsen muß, zeigen folgende Zahlen: Für unsere Bestrebungen nach einheitlichem Plane in Bewegung zu setzen und zu beeinflussen sind unsere Leser, höchstens 100,000 Entschieden unzufrieden mit unseren Zuständen, aber zum guten Theile recht unklar über unsere Mittel der Besserung sind unsere Wähler- 600,000 Ihrer Klassenlage nach zu uns gehörig sind von den rund 8 Millionen Reichstagswählern a l l e r m i n- destens 87'/,°/« 7,000,000 Wir haben von der Arbeit, die unsere Aufgabe ist, im günstigsten Falle den dreizehnten Theil gethan! Und dies in 20 Jahren! Wir würden, trotz der breiteren Basis, von der wir heute ausgehen, bei den wachsenden Schwierigkeiten der Agitation auf dem Lande und in den Städten der rückständigen Provinzen sowie den Polizeichikanen mindestens noch ein Jahrhundert brauchen, um nur die Hälfte der Stimmen für uns zu haben, wenn wir uns auch ferner mit dem heutigen Grade von Demokratie in der Agitation begnügen wollten. Ein gewaltsamer Umsturz ist hiergegen keine Hilfe, weil der Gedanke daran Widersinn ist. Er läßt sich nicht erzielen, auch nach einigen Jahren nicht. Die zehnfache Uebermacht der Bornirtcn schlüge uns einfach todt! Uebrigens ist ein Wähler noch kein Barrikadenkämpfer t Es ist auch «ine uralte Geschichte: Revolutionen werden nicht auf den Barrikaden, sondern in den Köpfen gemacht.'"') Die Revolution wird aber nicht dadurch in den Köpfen gemacht, daß man dieselben von Zeit zu Zeit in Wuth und Erbitterung über gewisse Miß- stände hineinagitirt, denn dabei wäre der Erfolg der Agitation allemal vorüber, wenn die Auswallung vorüber ist, sondern indem man die möglichst gründliche Kenntniß über die Quellen dieser Mißstände ver- breitet. Diese Kenntniß bringt alltäglich von selbst die Erbitterung her- vor, welche zum Widerstande gegen die alte Gesellschaft reizt, außerdem aber auch— was die ersterwähnte Agitation nicht vermag— die Be- geisterung für unser volkswirthschastliches Ideal, welche opferfähig macht.
*) Diese Artikel sind von einem sehr eifrigen Parteigenossen, der sich die Verbeitung unserer Ideen namentlich unter den sogenannten„besseren Ständen", zu denen er selber gehört, sehr angelegen sein läßt. Manches, was er sagt, mag unpraktisch, manches auch durch die Praxis bereits überholt sein, aber der Grundgedanke der Artikel: Demokratisi- rung der Agitation, d. h. größere Heranziehung der Massen zur Agitation, ist entschieden«in richtiger. Die gemachten Vorschläge verdienen jedenfalls Berücksichtigung, und sosern sie nicht anwendbar sind— über Viesen Punkt sprechen wir kein llrtheil aus,— werden sie wenigstens anregend sein. Die Redaktion des„Sozial-Demokrat." •♦) Hier schüttet der Verfasser nach unserer Ansicht das Kind mit dem Bade aus. Der Gedanke, emen gewaltsamen Umsturz machen zu wollen, ist allerdings widersinnig, ebenso aber auch der Gedanke, daß der Zusammenbruch der heutigen Ausbeulungsgesellschaft lediglich von unserer Agitation abhängt. Es gibt noch einen Faktor, der da in Betracht kommt, und zwar ist er der wichtigste: die wirthschaftliche Entwickelung! Die Revolution bereitet sich auch in den Dingen vor, und unsere Aufgabe ist es, dieses objektiv« Revolut>on»werk durch subjektives zu ergänzen, das heißt: die unbewußte Revolutio- nirung der Verhältnisse, welche sich in der heutigen Gesellschaft anbahnt, zum Bewußtsein der Massen ,u bringen, weil die dewußte, plan- mäßige Thätigkeit am meisten leistet. Der„Bariikadenlamps" ist in jeder Revolution nur eine Episode, und kann sür die vorliegende Frage umsomehr außer Betracht kommen, weil er nie das Werk von Parteien ist, ebensowenig gemacht wie verboten werden kann. Aber wenn es auch ganz richtig ist, daß nicht jeder Wähler„Barrikadenkämpfer" ist, h ist doch zu beherzigen, daß auch nicht jeder„Barrikadenkämpfer" Wähler ist. Anm. d. Red.
Wir stehen also vor der Aufgabe der Belehrung der Massen. Die Lösung dieser Zlufgabe ist so außerordentlich schwierig und scheint so utopistisch, daß man ihr möglichst aus dem Wege gehen möchte. Das Borstehende lehrt uns aber hinlänglich, daß es durchaus kein anderes Mittel gibt, das uns vorwärts bringen kann. Fassen wir also fest an, was wir nicht vermeiden können. Wie das zu machen wäre, soll der nächste Abschnitt zeigen.
Sozialpolitische Rundschau.
Zürich , 10. Dezember 1834. — Recht und Interesse. Bismarck's Leiborgan, die„Nord- deutsche Allgemeine Zeitung", brachte vor einigen Tagen über die Braunschweiger Erbfolgefrage einen Artikel, in welchem es unter Anderem hieß, daß„das legitime Recht" ein Anachronismus, ein überwundener Standpunkt sei, und daß das„Recht" des Herzogs von Cumberland auf den Braunschweigischen Thron gar nicht in Frage kommen könne, wenn es dem Interesse von 45 Millionen Deutschen zuwiderlaufe. Natürlich: Bismarck möchte das schöne Braunschweig gern„schlucken", und da ihm das„legitime Recht" dies verbietet, so wird er plötzlich zum Revolutionär, wie 1866, wo er mit den Kanonen des„Bruder- krieges" ein mächtiges Loch in das„legitime Recht" schoß. Jndeß seit 1866 sind 18 Jahre verflossen— manches, was damals geschah, ist heute vergessen; dem Säbelrecht, das damals über das legitime Recht triumphirte, ist durch die Zeit— die Mutter des legitimen Rechtes— ein Legitimitätsmäntelchen umgehängt worden, wenigstens etwas Aehnliches; und die Kriegserklärung der„Norddeutschen" an das legitime Recht hat deshalb ein gewisses Aufsehen erregt. Die mittel- und kleinstaatlichen Bundesfürsten bekamen eine gewaltige Angst, sie sagten sich: genau mit demselben Recht, wie den Herzog von Cumber- land, könne man s i e ihrer„legitimen" Kronen und Throne verlustig erklären; es regnete Proteste und Vorstellungen nach Berlin . Die „Germania " aber, das Organ des Welsenheilandes W i n d t h o r st, meinte, die„Norddeutsche Allgemeine" oder deren leitender Geist könne sich der Tragweite jener Kriegserklärung an das„legitime Recht" nicht bewußt geworden sein, denn sonst müsse er erkannt haben, daß dieselbe Logik sich z. B. auch auf das Privateigenthum anwenden lasse, und daß der Verfasser jener Kriegserklärung an das„legitime Recht" konsequenterweise es nicht mißbilligen könne, wenn die Sozialdemokraten das Privateigenthum, als mit dem öffentlichen Interesse in Widerspruch stehend, abschaffen wollten. Die„Norddeutsche Allgemeine Zeiiung" hat sich wohl gehütet, mit der„Germania " über dieses heikle Thema in eine Diskussion einzu- treten.— Die„Norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat unzweisel- hast Recht, indem sie das„Interesse das Volkes" über das„legitime Recht" stellt. Die„Germania " hat aber unzweifelhaft auch Recht, indem sie die Auffassung und Logik der„Norddeutschen Allgemeinen" zu einer revo lutionären stempelt. ?!icht daß das Kanzlerorgan sich aus den Standpunkt der Revolution stellen wollte. Es hat nur die d y n a st i s ch e n Interessen der vom Hausmeier Bismarck regierten Hohenzollernmonarchie im Auge, und„die 45 Millionen Deutsche ", deren Interesse dem legitimen Rechte des Herzogs von Cumberland gegenübergestellt wird, sind nur diese d y n a st i- s ch e n Interessen. I-'ötat c'est moi! Das deutsche Volk, das bin ich!" denkt Hausmeier Otto der Erste und Letzte,„und meine Interessen sind die Interessen der 45 Millionen Deutsche . I ch habe Appetit und möchte gern den fetten Bissen Braunschweig verspeisen— ergo haben — wie das im Musterland Dahomey Sitte und Gesetz— die 45 Mil- lionen Deutsche Appetit aus den fetten Bissen, genannt Herzogthum Braunschweig ." Wir wundern uns über diese Logik durchaus nicht, und begrüßen sie. Die Hintergedanken Bismarck's sind uns gleichgiltig: er schießt Bresche in das legitime Recht und proklamirt den revolutionären Grundsatz, daß es kein Recht gibt als das Interesse der G e s a m m t h e i t. Wenn die Sozialdemokraten das sagen, ist es st r a f b a r, und die Schriften, in denen es steht, werden verboten. Jetzt muß das Organ des obersten Beamten im deutschen Reich die revolutionäre Wahrheit ve> künden. Wir haben den Reichskanzler schon in anderen Fragen beim Wort genommen, wir werden ihn gelegentlich auch hier beim Wort nehmen. Wir wollen schon zu geeigneter Zeit die Konsequenzen des von ihm pro- klamirten und sanktionirten Grundsatzes ziehen. Durch die Bresche, die er schießt, we: den wir in die Zitadelle der heutigen Staats- und Ge- sellschaftsordnung einziehen. Lalu» reipudlieae guprema lex! Zu Deutsch : Das Heil der Gesammtheit ist oberstes Gesetz! Es gilt, Junker Bismarck! — m». Sehr freundlich ist die„Norddeutsche Allgemeine". Sie richtet an die deutsche Sozialdemokratie die Einladung, an der Gesetz- gebung Theil zu nehmen.„Ein gedeihlicher Fortgang der Sozialreform ist nur dann zu erwarten, wenn an die gestellte Aufgabe allseitig mit sachlichem, vorurtheilssreiem Urtheil und mit ernstem, energischem Willen herangegangen wird, alle nichtigen Haarspaltereien und Parteizänkereien ausgegeben werden. Um so gefährlicher erscheinen uns deswegen die Anträge, mit denen gewisse Parteien den jungen Reichstag bereits zu belasten suchen; denn nicht allein, daß dieselben jener großen Aufgabe gegenüber irrelevant erscheinen, können sie nur dazu dienen, die Partei- leidenschaften auf's Neue zu entfesseln und dem neuen Re chstag von vornherein ein sehr zweifelhaftes Prognostikon zu stellen. Das sozial- politische Programm der Reichsregierung bietet aber einen gewissermaßen neutralen Boden, aus welchem bei ernstem Willen jede Partei mitarbeiten kann, selb st die sozialdemokratische. Die sozialistischen Weltverbesserer finden da ein neues Zlrbeitsfeld vor, auf dem sie sich wenigstens die Sporen praktischer Besähigung verdienen könnten, da sie ja einstweilen mit dem herrschenden System sich noch befreunden müssen. Ein Jeder aber, der st ine Kraft an die Lösung jener Ausgabe setzt, dient damit sich selbst und Allen zugleich." Als das„sozialpolitische Programm", zu dessen Verwirklichung die Sozialdemokratie helfe" soll, wird bezeichnet: Vermittlung zwischen dem manchesterlichen Grundsatz der absoluten Freiheit des Individuums und dem sozialistischen Grundsatz des absoluten Zwangs für das Individuum; und diele Vermittlung soll erreicht werden durch„korporative Glied«- rungen der Arbeiter, durch staatliche Unterstützung korporativer Genossen- schalten, durch Gewinnbetheiligung der Arbeiter u. s. w. Das„u. f. w." gehört— wenn auch nicht wörtlich, doch dem Sinne nach— der„Nord- deutschen Allgemeinen". Wir hab�n das ganze Verzeichniß mitgetheilt. Zunächst haben wir dem Reichskanzler-Organ zu bemerken, daß der Sozialismus nicht den absoluten Zwang für das Individuum be- deutet, sondern umgekehrt die volle Freiheit des Individuums in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft. Die„absolute Freiheit" des M a n ch e st e r t h u m s ist nur die absolute Willkür des In- dividuums, das gesellschaftliche und wirthschaftliche Faustrecht, der Kampf Aller geg n Alle. Der Sozialismus will ge> ade das Individuum zur Geltung bringen, das, wenn es nicht zufällig„Hammer" ist, in der heutigen Gesellschaft„Ambos" sein, und sich unterdrücken lassen muß. So fällt in seiner logischen Konsequenz Sozialismus und In- dividualismus zusammen, anstatt Gegensatz zu fein. Erst durch den Sozialismus kann der Individualismus Wahrheit werden— Sozia- lrsmus ist Individualismus. /Wir können diesem Satz doch nur sehr bedingt zustimmen, oder vielmehr nur unter der Voraussetzung, daß dem Wort Individualismus kein anderer Sinn untergelegt wird, als der vorher entwickelte: die Garantie der Entwickelung und Geltendmachung der Individualität in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft. Der Sprachgebrauch aber verbindet» it dem Worte Individualismus einen Sinn, der durchaus a n t i sozialistisch ist, das Individuum in Gegen- s a tz zur Gesammtheit stellt. Anm. d. Red.) Und nun die traurige Bettelsuppe, zu deren Bereitung die Sozial- demokratie eingeladen wird! Ein Bischen korporative Organisation mit mehr oder weniger Zunst-Beigeschmack, ein Bischen Staaisalmosen sür reichsfromme„Arbeiter", die sich bei Zuckerdrod und Peitsche wohl fühlen, ein Bischen„Gewinnbetheiligungs"-Humbug— das ist es, was
wir mitkochen sollen. Sehr freundlich! Jndeß— wir danken schön. Wir werden weder auf den„neutralen Boden" gehen, noch auf den Leim. — Die Bebel'sche Budgetrede hat die Frage wieder ange- regt, ob ein Laie in Militärsachen ein kompetentes Urtheil habe. Von den Herren Militärs wird das natürlich bestritten. Thatsache ist, daß niemals in irgend einem Zweige menschlicher Thä- tigkeit oder in irgend einer Staats- oder Gesellschafts-Einrichtung ernst- haste Reformen möglich gewesen wären, wenn es auf das Urtheil der eigentlichen Fachmänner und der zunächst interessirten Parteien ange- kommen wäre. Wer von Ungerechtigkeiten oder Mißständen einen V o r t h e i l hat, wird nicht zugeben, daß das, was ihm Vortheile bringt, Ungerechtigkeiten oder Mißstände seien. Und nun gar Jemand, der von einer Ungerech- tigkeit, einem Mißstande lebt, wie das bei dem Kriegsminister Bronsart von Schellendors der Fall ist. Wir nehmen da gar nicht an, daß der Mann unehrlich sei. Wir hegen sogar, soweit wir ihn kennen, die Ueber- zeugung, daß er das glaubt, was er sagt, aber das Interesse trübt das Urtheil. Man ist geneigt, das sür gut zu halten, was unS nützlich ist. Und außerdem hat der menschliche Geist, gleich dem menschlichen Körper, die Eigenschaft, sich an Schlimmes und Schädliches zu g e w ö h- n e n, bis zuletzt das Naturwidrige und Unvernünftige natürlich und vernünftig erscheint. Der Masse der A d l i g e n ist es niemals klar geworden, daß die Leibeigenschaft ein furchtbares Unrecht war; und die amerika - nischen Sklavenhalter der Südstaaten waren im besten Glauben, daß die Sklaverei der Neger der vernünftige und natur- gemäße Zustand sei. Wenn man hätte warten wollen, bis die F e u d a l a d l i g e n die Leib- eigenschast und die amerikanischen Sklavenhalter die Sklaverei freiwillig und aus eigener Erkenntniß abschafften, hätten wir bis zum St.?!immerleinstag warten müssen. Und wenn wir warten wollten, bis die Herren Kriegsminister die Gemeinschädlichkeit des Militarismus zugeben und an dessen Abschaffung gehen, müßten wir bis zum St. Nimmerleinstag warten. Daß ein Kriegsminister vom Mililärwesen in technischer Bezieh- ung mehr versteht als ein sozialistischer Abgeordneter, der nie Soldat ge- wesen ist, das wird nicht in Abrede gestellt werden; ebensowenig kann aber in Abrece gestellt werden, daß ein sozialdemokratischer Abgeord- neter, der niemals Soldat gewesen ist, vorausgesetzt, daß er umfassende Einsicht in die staatlichen und wirthschaftlichen Verhältnisse hat, an sich ein weit unparteiischeres, ein weit unbefangeneres Urtheil über den Militarismus hat als ein Kriegsminister. Uebrigens gehört auch der Militarismus in die Reihe derjenigen Fragen, die überwiegend Machtfragen sind. Und zwar ist er eine wirthschaftliche Machtfrage. Falls nicht eine Revolution kommt, wird der Militarismus solange bestehen, als die Völker -ihn wirthschastlich aushalten. Die Frage ist blos, w i e lange sie ihn noch aushalten können. Der Wille unserer Militärs und Kriegsminister entscheidet da nicht. Da entscheiden nur die wirthschaftliche» Machtverhältnisse, d. h. die Steuer- kraft der Völker. Und diese ist, in Deutschland wenigstens, bei der Unproduktivität der Steuerverwendung nahezu erschöpft. Die Beachtung, welche Bebel's Rede gefunden, ist der beste Beweis dafür, daß man dies allgemein einzusehen beginnt. Was Bebel in Bezug auf den Militarismus sagte, war Alles schon vorher gesagt worden— auch im Reichstage—, allein?tiemand hatte sich darum bekümmert. Jetzt war es anders. Die Verhältnisse hab-n so trefflich Propaganda für uns gemacht, daß die W a h r- h e i t e n, welche wir seit Jahrzehnten aussprechen und die wir bisher meist in die Wüste predigten, nun endlich begriffen zu werden be- ginnen. — ph. Deutsche Kulis. Deutsche Kolonien hätten wir glücklich, nun müssen wir aber dort auib die deutsche F r e i h e i t bekommen; die Freiheit in ihrem reinen manchesterlichen Sinne, in welchem sie in der Hauptsache die Freiheit des Arbeiters von Lebensmitteln bedeutet, und denselben zwingt, sich unter den bekannten Bedingungen täglich neu an das Kapital zu vermiethen. Bei den Wilden in Afrika fehlt es an dieser Freiheit noch; die Leute haben noch ihren Bedürfnissen- entsprechend ge- nug zu leben und sind in Folge dessen zur Lohnarbeit nicht zu brauchen. Aber Rath muß geschafft werden, und die jüngste Konferenz in Friedrichs- ruh zwischen Bismarck und W ö r m a n n nebst Konsorten hat solchen schon in Aussicht genommen: die findigen Geschäftsmänner haben seiner Durchlaucht nahe gelegt, daß das Kamerun -Gebirge ein recht gesunder Aufenthalt für deutsche Sträflinge sei. Die Idee der Deportation nach der afrikanischen Wildniß wird vorläufig nur als Fühler herausge- steckt, wie man an der Betonung der Gesundheit sieht; wenn das deutsche Spießbürgerthum erst für Verbrecherkolonien in die nöthige Schwärmerei versetzt sein wird, wird es selbstverständlich sein, daß Wörmann's Sumpf und Jantzen Lake am Fuße des Gebirges, welche für die Kommis der Millionäre gesund genug sind, dem deportirten Verbrecher auch ganz wohl bekommen. Die Geschäftsmänner sind keine„Prinzipien- r e i t e r";„Freiheit in»er Wirthschaft" muß zwar sein, aber man thut es auch einmal mit Sträflingsarbeit. Welcher Art die Sträflinge in Afrika sein werden, läßt sich heute schon ahnen. Die Verbrecher wider Eigen- thum und Leben erfahren jetzt eine leidlich rationelle Behandlung in inländischen Anstalten, und es ist fraglich, ob die Fachmänner des Ge- fängnihwefens in die Rohheit der Deportation willigen würden; außer- dem werden die Hamburger und Bremer Patrizier keine Diebs- und Mördergesellschaft in ihre Kolonien wünschen. Aber, ist nicht das Sozialistengesetz vollständig unzulänglich zum Schutz« der Gesellschaft? Muß man nicht den„kleinen Belagerungszustand" über das ganze Reich ausdehnen und die Ausgewiesenen nach den glücklichen Kolonien schassen? Deportation derSozialisten ist ein schon öfters aufgetauchtes Stückchen ultima ratio der Philister, man hüte sich also in Zukunft, zu behaupten, daß der Haushalt unserer Arbeiter ein zweckmäßigerer Markt sür die von ihnen geschaffenen Produkte sei als »ie Negerhütte und der Hottentottenkraal. Bei der bekannten Hochach- tung der jetzt in Deutschland herrschenden Schnaps- und Rübenjunker vor geistiger Bildung, und der Beschränktheit der kolonie schwärmerischen Chauvinisten wird man es qlsbald erleben, daß die Vertreter solch' um- stürzlerischer Wirthschastsideen in afrikanischer Wüstenei für die hansea- tischen Geldsäcke Karren schieben müssen. — Aus dem Reichstag . Der Antrag Windthor st auf Aufhebung des sogenannten Expatriirungsgesetzes gab(am 3. De- zember) zu einer lebhaften Debatte Anlaß. Es gelang dem pfiffigen Zentrumsmann, den Fürsten Bismarck herauszulocken, wodurch die Ko- mödie etwas interessanter wurde. Komödie und nichts als Komödie ist es ja, denn Beide— der Bismarck und der Windthorst— haben ein gemeinsames Interesse an der Fortdauer des Kulturkampfes. Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion sprach Bios, welcher dem Zentrum wegen seiner zweideutigen Haltung in politischen und sozialen Dingen tüchtig den Text las, und die„Arbeitersreundlichkeit" sowie die demokratischen Oppositrons-Allüren des Zentrums einer beißen- den Kritik unterzog, wobei insbesondere das Votum zu Gunsten der Verlängerung des Sozialistengesetzes scharf gegeißelt ward. Die Gesinnungslosigkeit Anderer kann uns natürlich kein Grund sein, s e l b st eine Gesinnungslosigkeit zu begehen— und unsere Ver- treter stimmten daher sür den Antrag Windthorst. — Die zur Vorbereitung eines A r b ei t er s ch u tz g e- setz es(Normalarbeitstag, Arbeiterschutz, internationale Fabrikgefetz- gebung, Arbeiterkammern rc.) von der sozialdemokratischen Fraktion ein- gesetzte Siebner-Kommission besteht aus den Genossen Auer, Bebel, Dietz, Grillenberger, Meister, Sabor und V o l I m a r. Die Kommission arbeitet sehr fleißig, und vor Ostern wird der fertige Gesetzentwurs wohl eingebracht werden können. — Die sozialdemokratische Reichstagsfraktiou hat nach längeren Debatten den Beschluß gefaßt, die Abstimmung über die Dampsersubvention offen zu lassen. Die Mehrheit der Genossen ist der Ansicht, daß es sich hier um eine Zweckmäßigkeits- und nicht um eine Prinzipienfrage handelt. Falls der?tachweis ge- liefert wird, daß die Ausführung des Regierungsprojekts dem Handel und der Industrie förderlich wäre, und wenn dem Reichstag die Kon«