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Aus dem Reichstag  .

Berlin  , 13. Januar.

Mit der Reichstagsopposition hat es nicht lange vorgehalten.

ig Rachbem noch am Freitag 9. Januar die Majorität dem Reichs­das kanzler in Sachen der Afrika   Erforschung( und Annexionsvor mite bereitung) eine fräftige Dhrfeige applizirt hatte, tapitulirte sie am folgen­ben Tage( Sonnabend, 10. Januar) auf Gnade und Ungnade, und Sprang zwar nicht in den Pott des Heine'schen Gedichts, aber doch bex in die Dampfbartasse des Gouverneurs von Kamerun  .

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Und was hat diesen plötzlichen Gesinnungs- und Situationswechsel bie hervorgebracht?

Ein paar Hektoliter Blut, die in Kamerun   vergoffen worden sind. Ein Ereigniß, welches die schlimmsten Prophezeiungen der Gegner Ener des Kolonialschwindels bestätigte und dessen Gefährlichkeit und Bar­barei handgreiflich an den Tag legte, hat, statt zur schärfsten und end­ren giltigen Berurtheilung dieses schmachvollen Schwindels, zu dessen Sant­tionirung durch den Reichstag   geführt. so s Diet, denkbar gewesen Für Menschen mit gesundem Menschenverstand wäre das einfach un­denn daß die Gegner der Kolonialpolitik Heuchler tet waren und nur eine Maske trugen, die sie bei erster Gelegenheit ab­werfen wollten, das nehmen wir nicht an. Das Wunder ist blos Ber Pathologisch zu erklären und auf jenen Krankheitszustand

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zurückzuführen, der trotz seiner französischen Benennung mit ganz beson Die derer Heftigkeit in Deutschland   graffert und Chauvinismus heißt. und Unter den paar Heftolitern Blut, die in Kamerun   auf dem Altar der Kolonialpolitik vergossen wurden, befanden sich nämlich auch ein paar Liter deutschen   Blutes; und wenn deutsches Blut im Ausland ver­goffen ist im Inland darf jede Schildwache deutsches Blut ver­der gießen und den civis germanus*) zusammenfnallen, ohne daß ein chau­Dinistischer Hahn darnach kräht dann sagt wohl der gesunde Menschenverstand, daß man Diejenigen bestrafen muß, welche an bem Blutvergießen Schuld sind also in diesem Fall Bismard, ize der die Sache eingefädelt hat allein der Chauvinismus sagt: ats sobald deutsches Blut geflossen ist, hört jeder Zweifel in Bezug auf die Bor Gerechtigkeit   oder Ungerechtigkeit, die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßig­feit einer Sache auf- das flagranteste Unrecht wird in Recht ver­wandelt, die schuftigste Räuberei wird zum heiligen Krieg" oder Kreuz­jug; und um das deutsche Blut zu fühnen", muß fortgeraubt und Int fortgemordet werden. hen Der Chauvinismus erwies sich in diesem Falle so mächtig, daß die ich in diesem Fall be Fortschrittspartei jeden Versuch einer Opposition aufgab und dem Abgeordneten Bamberger  , der sich gegen die Kolonialpolitik zu ernsthaft engagirt hat, als daß er, ohne allzugroße Blamage, kirchheim­thes bolandiren fonnte, das Reden verbot, was dem tapferen Schwartenhals" übrigens gar nicht so unangenehm gewesen sein dürfte. hre Denn er liebt ja die Rückzüge und hier war ihm ja der Rücken hübsch gedeckt, und die noch größere Feigheit seiner Kollegen gab ihm fogar den Schein eines gewissen melancholischen Heroismus.

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Spaßhafterweise war Herr Windthorst, die Perle von Meppen  ", Beht der einzige Oppositionsführer, welcher der chauvinistischen Auffassung Die entgegentrat; indeß auch er streckte bald das Gewehr. Sie Bu bedauern ist nur, daß die sozialdemokratischen Abgeord= nedeten, in Folge der Meinungsdifferenzen, welche bei Behandlung der Dampfersubventionsvorlage sich geltend machten, nicht dazu kamen, in die Debatte einzugreifen. Es war eine vortreffliche Gelegenheit. Zum iese Glück ist sie nicht unwiderbringlich verloren. An den Marine Etat wird sich eine eingehende Kolonialdebatte knüpfen; auch andere Anlässe werden sich noch bieten, und es ist mit Bestimmtheit zu erwarten, daß inzwischen unsere Genossen in der Kolonial- und Dampfersubventions­be Frage zu einer einheitlichen Auffassung und einheitlichem Vorgehen ge­tommen sein werden.

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Ende

Es hat sich wieder einmal glänzend gezeigt, daß die auf dem Boden der heutigen Gesellschaft stehenden Parteien einer prinzipiellen Opposition unfähig sind und nur von selbstsüchtigen oder anderen fer niederen Motiven geleitet werden.

ch Die Etatsberathungen schleichen langsam im Schneckengange dahin: wenn es so fortgeht, oder nicht fortgeht, wird der Etat vor März unter Dach und Fach gebracht werden können. Es besteht die Absicht, ist sofort nach Erledigung des Etats den Reichstag auf einige Monate zu icht. vertagen, damit der preußische Landtag, der seit dem 13. Januar belt, wieder sigt, eine Zeit lang allein tagen und sein Pensum ohne Kollision mit dem Reichstag erledigen kann. Die das wünschen, sind freilich der Meinung, schon spätestens Mitte des nächsten Monats werde der Reichs­tern tag mit dem Etat fertig sein, eine Berechnung, die sich aller Vermuthung nach als falsch erweisen wird. ust

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An den Etatsberathungen haben zu verschiedenen Malen unsere Ge­noffen sich betheiligt, namentlich Stolle, Vollmar und Heine. Ein fräftigeres Eingreifen unsererseits machte sich nöthig bei Dis­fuffion des ertling'schen Antrags am legten Schwerinstage ( 13. Januar).

Dieser Antrag fordert: 1) die Abschaffung der Sonn- und Feiertags­arbeit, 2) die Einschränkung der Kinder- und Frauenarbeit, und eren endlich 3) einen, Maximalarbeitstag erwachsener männlicher bels Arbeiter."

chen An diesen Antrag reihen sich verschiedene andere, von konservativer, iser leritaler und nationalliberaler Seite gestellte Anträge, die sämmtlich den eugt einzigen Zweckt haben, Arbeiterfreundlichkeit zur Schau zu stellen. Herr Bohlohren will Abschaffung der Nachtarbeit weiblicher Personen, Kleist­resse Rego w und Korpatschet Beschränkung der Kinder- und Frauen­lus arbeit; Buhl und Stöcker: ersterer statistische Erhebungen, hter legterer Gutachten von Fabritinspettoren über die Fabrikverhält nisse, Arbeitszeit 2c.

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Auf die Debatte werden wir zurückkommen. Für heute nur wenige vor Bemerkungen.

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Die reattionären Herren Antragsteller, soweit sie zum Worte kamen, Age hielten ein förmliches Kirchthurmwettrennen der Philanthröpfelei". Und vor dabei saß ihnen allen die Angst vor der Sozialdemokratie im Nacken.  ter Die ganze Debatte, an der sich als Vertreter der Sozialdemokratie teckt. Schuhmacher und Auer betheiligten, bildete einen zwar nicht immer wir bereoten, aber doch sehr wirkungsreichen Kommentar zu dem Bismarck­an schen Wort, daß ohne die Sozialdemokraten die Sozialreform Creu nicht auf die Tagesordnung gekommen wäre. für Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, daß die Nachricht verschiedener 3uZeitungen, der skandalöse Spigelunfug in Berlin  , speziell die ezt Ueberwachung der sozialdemokratischen Abgeordneten, habe nachgelassen ende oder gar aufgehört, nicht auf Wahrheit beruht. Es wird nach wie rich vor gespielt, nur mit etwas weniger Plumpheit als vorher. Die ,, Ge­heimen", welche früher zu öffentlich waren, haben Auftrag erhalten, etwas geheimer" zu bleiben das ist Alles. Die Zahl der Spizel hat ung im Gegentheil zugenommen, und sie wird noch täglich vermehrt. die Die Hinrichtung des Rumpf wird zur Neuanstellung eines ganzen rem Schwarmes von Geheimen" führen das herrschende System kann orm diesen Spizelunfug nicht entbehren.

3.

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es Beiläufig hat Herr von Madai, der körperlich ebenso reduzirt ist feit. wie geistig, und im Verkehr mit Individuen des anderen Geschlechtes An höchst eigenthümlichen Angewohnheiten huldigt, seine junge Frau( relatio ine jung, verglichen mit dem alten Sünder ven Gemahl) zu einem uge. Selbst mordversuch gedrängt, welcher die Skandalchronik seit gie 14 Tagen beschäftigt und in den angedeuteten Gewohnheiten des be= Jagten Gesellschaftsretters und Moralbeschützers seine Erklärung findet. mter Rachschrift. Seit der

ahrs hier ärger als je vorher. Bor en pffaire ist die Spigelei

den Wohnungen der sozialdemokratischen illen Abgeordneten sind Kerle postirt, deren Galgenphysiognomien das Geheim­ist, niß dieser nichtgeheimen Geheimen" auf hundert Schritte verrathen. es Wer mit den sozialdemokratischen Abgeordneten verkehrt, ist in Gefahr, so, polizeilich, sistirt" und bis auf's Hemide visitirt zu werden, wie dies in einem Falle bereits geschehen ist. Und die für die sozialdemokratischen iche Abgeordneten bestimmten Briefe und Bakete kommen jezt meist verspätet de und mitunter in einem Zustande an, welcher auf stieberische Dianipu önn lationen schließen läßt. Sobald einige Fälle genügend konstatirt sind, Dente

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*) Deutscher   Bürger; hier ironisch zu verstehen. Wenn man nämlich hat unsere Rationalservilen hört, so hat das civis germanus sum heut umindestens dieselbe Bedeutung als seinerzeit das stolze c.vis rom   nus sum( Ich bin ein Bürger Roms!)- was beiläufig ein sehr zweifelhafter Ruhm ist, denn jeder Schuljunge weiß, was für ein Räutergefindel diese Herren Römer waren. Anm. der Red.

werden die sozialdemokratischen Abgeordneten wahrscheinlich im Reichss tage eine Interpellation an die Reichsregierung richten.

Offenbar glaubt Herr Madai, den die Angst vollends verrückt gemacht zu haben scheint, die sozialdemokratischen Abgeordneten hätten den Lumpazius Rumpf erstechen lassen.

Nun Leute, die er mit Polizeigeldern großgezogen hat, könnten ihm vielleicht auf die richtige Fährte helfen.

Sozialpolitische Rundschau.

3ürich, 21. Januar 1885.

Zum Attentat Rumpf, welches wir bereits in voriger Nummer mitgetheilt, wird uns aus Berlin   unterm 15. Januar geschrieben: Das Telegramm, welches die Ermordung des beruchtigten Polizeirathes Rumpf in Frankfurt   meldet, hat in den hiesigen offiziellen Kreisen und auch im Reichstag ein ungeheures Aussehen erregt. Dieses Ereigniß gibt der Polizei komödie, welche sich im Prozeß Reinsdorf  enthüllt hat, einen tragischen Hintergrund und Abschluß, welcher den Herren von der Polizei äußerst fatal ist. Denn daß diejes Ereigniß auf politische Motive zurückzuführen ist und daß bei der Polizeikomödie, die in dem Prozeß Reinsdorf   gipfelte, der Polizeirath Rumpf hinter den Koulissen eine sehr hervorragende Rolle gespielt, kann nicht dem mindesten Zweifel unterliegen und wird keinem zweifel unterzo en.

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Als die Nachricht von dem Niederwald Attentat bekannt wurde, beobachtete die deutsche   Polizei und was drum und dran hängt, eine wahrhaft philosophische Gemüthsruhe, die von der jezigen Aufreg ung seltsam absticht. Und doch handelte es sich damals um das Leben des deutschen   Kaisers und einiger Dugend Fürsten und sonstiger Hoch­während es sich jetzt blos um das Leben eines simplen würdenträger Polizeiratyes handelt, der von seinen eigenen Batronen und Spießgesellen Alles nur nicht geachtet wurde. Woyer dieser Kontrast? Die Antwort lautet und sie ward früher schon einmal unter ähn­lichen Verhältnissen gegeben: Das eine war ein falsches, das andere ist ein wahres Attentat.

Es gibt eben zweierlei Attentate: die nach gemachten und die echten. Das Niederwald- Attentat war ein nachgemachtes, ein Polizei- Attentat; und an Polizeirath Rumpf ist ein echtes Attentat verübt worden. bil

Der Gönner, Macher und Brodgeber des Zeugen Horsch", der Heckevater der agents provocateurs  , der mit dem anarchistischen Feuer gespielt und anarchistisches Wasser auf die Mühle der Bismarc'schen Heattion geleitet, ist von dem anarchistischen Feuer verbrannt, von dem anarchistischen Wasser weggeschwemint worden.

Das ist Logik der Thanachen, Nemesis, oder wie sonst man es nennen mag.

Was seinerzeit von dem Mörder des irischen Polizeischufts Carey gesagt ward, das gilt auch von dem Mörder des Frantjurter Polizei­raths Rumpf: man mag über die That an sich urtheilen, wie man will, sie vom moralischen und politischen Standpuntt noch so sehr verurtheilen, ein menschliches Interesse kann auch der strengste Beurtheiler der That dem Tyäter nicht versagen, und der strengste Beurtheiler, ge= höre er an, welcher Partei er wolle, wird sich innerlich sagen müssen: pier liegt fein gemeiner Mord vor, sondern ein Att wilder Gerechtigkeit; und der Wiensch, gegen welchen er sich richtete, war ein moralisch verworfener, war ein Verbrecher, der, wenn überhaupt Strafe verdient sein kann, die schwerste Strafe verdient hat.

Was die Sozialdemokratie betrifft, so kommt sie bei der Sache überhaupt nicht in Frage; sie ist für den Mörder so wenig verantwortlich wie für den Gönner, Macher und Brodgeber des Zeugen Horsch"; wer für den Rumpf verantwortlich ist, der ist auch für den Rumpf tödter verantwortlich.

Herr Puttkamer   mag sich das hinter die Ohren schreiben.

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Natürlich wird die Fruttifizirung des Attentats mit größtem Eifer betrieben. Mit derselben ,, affenartigen Geschwindigkeit", welche den biederen Dito bestimmte, gleich auf die Nachricht der Hödel­schen Sadpufferei hin brühheiß nach Berlin   zu telegraphiren: Aus= nahmegese gegen die Sozialdemokraten!" soll jetzt Der fleine" Belagerungszustand über Frankfurt   und Umgegend verhängt werden. Um die Umgegend" handelt es sich. Was ist Umgegend"? Der Begriff ist sehr dehnbar so dehn bar wie das Buttkamer'sche sofort" und ließe sich mit einiger Mühe bis Mannheim  *) und andern ähnlich entfernten Gegenden aus. dehnen. Darin liegt die Schwierigkeit nicht. Die Schwierigkeit liegt wo anders. Nämlich darin, daß die ausgedehnte umgegend" nicht ganz unter der preußischen Pickelhaube steht. An Mannheim   speziell den­fen wir hierbei freilich nicht, denn die badische Regierung ist, wie männiglich bekannt, seit das unglückliche Baden im Jahre 1849 der preußischen Standrechtelei verfiel, ein willenloses Werkzeug der preußi­schen Politik. Aber die nichtpreußische Umgegend", die man mit dem kleinen" beglücken möchte, ist leider nur zum kleinsten Theil badisch. Der größere, weit größere Theil gehört zum Großher= zogthum essen: man dente nur Offenbach  , Mainz  , Darm­ stadt  ! Wie herrlich, wie schön, wenn über all diese Städte nebst ,, Umgegend" der Belagerungszustand verhängt würde! Der Erfüllung die, es preußisch bismarck'schen Polizei- Jdeals stellt sich nur ein Hinder­niß in den Weg: die hessische Regierung, die sich bisher nicht dazu hergeben wollte, die Rolle des preußischen Polizeibüttels zu spielen. Auch jetzt sträubt sich die hessische Regierung. Sie will nicht einsehen, daß für eine nothwendige Folge der Bismarc'schen Polizei­Politik die Hälfte der hessischen Staatsbürger bestraft werden soll.

Ob die hessische Regierung bei ihrem Widerstande verharren wird, bezweifeln wir allerdings. Die preußische Regierung hat seinerzeit den Widerstand des Hamburger Senats und der sächsischen Regie rung gebrochen; die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß sie auch den der hessischen Regierung brechen wird. Vorläufig steht die That­sa e fest, daß die preußische Regierung den Belagerungszustand über Frankfurt   und Umgegend zu verhängen beabsichtigt und ohne Her­einziehung der Umgegend auf den Belagerungszustand für Frankfurt  teinen werty legt. Sonst wäre im Moment, wo wir dieses schreiben, der Belagerungszustand bereits verfündet.

Daß die Pouzei ins Blaue hinein Berhaftungen vornimmt, ist selbst verständlich, denn wer ist heutzutage nicht verdächtig?

In der Debatte über den Hertling'schen Antrag wurde der Standpunkt der Sozialdemokratie von den Genossen Schu macher und Auer vertreten. Schumacher, der schon am ersten Tag der dreitägigen Debatte zum Worte tam, ist ein Rheinländer, mit den rheinischen Arbeits- und Parteiverhältnissen auf's Genaueste vertraut, und eignete sich deshalb ganz besonders dazu, der theoretischen Arbeiter: freun lichteit des Zentrums, das im Rheinland ja seine Wiege hat, den Spiegel der Praxis vorzuhalten. Es gelang ihm dies auch sehr gut, wie er denn überhaupt entschieden einen sehr günstigen Eindruck machte. Daß Auer, der am dritten Tage sprach und alle Par= teien zu fritisiren hatte, sich seiner Aufgabe mit Geschick und Erfolg entledigte, brauchen wir unseren Lesern nicht zu sagen.

Die Belagerungszustandsdebatte wird wohl erst in 14 Tagen stattfinden; als Fraktionsredner werden Singer und Frohme auftreten, und Liebknecht als dritter Redner, falls die Debatte sich ausdehnen sollte.

In den vor der Vertagung noch zu erwartenden Debatten wird Hasenclever über Kolonialpolitit, Bebel über Getreidezölle, und bei der dritten Lesung des Etats Liebknecht in der Generaldebatte

*) Der Schuß, den der mysteriöse Handwerksbursche am 19. Januar in Hockenheim   bei Mannheim   auf den Gensdarmen abgab, der ihn verhaften wollte, gäbe ja einen prächtigen Vorwand. So würde sich auch die Eile erklären, mit der das Wolf'sche Telegraphenbüreau das betreffende Ereigniß der Welt kundgab. Anm. des Segers.

und Vollmar zu dem Posten des famosen zweiten Direktors sprechen.

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Die sozialdemokratische Fraktion hat in Bezug auf die Kolonialfrage den einstimmigen Beschluß gefaßt, der von Fürst Bismarck inaugurirten Kolonialpolitik prinzipiell en t- gegenzutreten." Mit Mehrheit wurde ein Amendement ange­nommen, dahin gehend: die 150,000 Mart, welche für die wissenschaft­liche Erforschung Afrita's gefordert werden, zu bewilligen, weil, trozdem Fürst   Bismarck diese wissenschaftliche Erforschung" mit seiner Kolonialpolitik in Zusammenhang gebracht hat, für die Wissenschaft doch Vortheile zu erwarten seien.

Ein empörender Fall von Soldatenschinderei, schreibt man uns aus   Dresden, ist von hier zu melden. Die Rekruten der dritten Kompagnie des Leibgrenadierregiments Nr. 100 hatten Turnen. Der Refrut 3 a chmann aus Seiersdorf bei   Zittau soll die betreffende Uebung nicht zur Zufriedenheit ausgeführt haben, d. h. er fonnte es eben nicht anders; vielleicht hatte er nie zuvor einen Turnapparat gesehen, vielleicht hinderten ihn seine wenig schmiegsamen Glieder. Genug, der Vizefeldwebel Vogel und der Unteroffizier Demmler packen den Zachmann und ziehen und stoßen ihn mit Auf­wendung aller Kraft durch die Sprossen der schrägstehenden Leiter! Das bei hat der Unglückliche so schwere Verlegungen erlitten, daß er fünf Tage nach der Uebung! am 14. Dezember im Lazareth star b.

Der Fall" soll den höheren Vorgesetzten sehr unangenehm" gewesen sein, und man hat, nach den Versicherungen unserer Gewährsmänner in den Kasernen, alles Mögliche aufgeboten, die Geschichte zu vertuschen. Das ist bis jetzt leider auch gelungen! Jm Publikum weiß man noch nichts davon.

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Der Vater des Zachmann hat offiziell die Mittheilung erhalten, daß sein Sohn an einer Lungenentzündung" plöglich gestorben sei! Der erschreckte Vater kommt nach   Dresden, um sich von dem ihm Unglaublichen zu überzeugen. ,, Ja, er ist todt", heißt es, Lungenentzün dung." Dabei bleibt es. Reiner der Kameraden wagt es, dem Vater die Sachlage darzustellen. Und was nußte es auch? Das ärztliche Zeugniß fonstatirt Lungenentzündung, und wehe Dem, der etwas Anderes be haupten wollte!

Dieses Zeugniß deckt die Mörder des Zachmann so sicher vor jeder Verfolgung, wie die Erde das unglückliche Opfer militärischer Grausamkeit deckt!

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In der preußischen Armee ist der Gehorsam un beschränkt, verfündete kurz angebunden der Kriegsminister Bron sart von   Schellendorf in der Reichstagsfizung vom 17. Januar. Damit sagt er uns natürlich nichts Neues, aber gut ist es doch, wenn der wahre Charakter des modernen Militarismus so unverhüllt ans kompetentem Munde proklamirt wird. Das übt einen heilsamen Einfluß auf gewisse, zu Konzessionen und Kompromissen geeignete Gemüther.

Darum halten wir es auch für zweckmäßig, die Worte Eugen Rich­ters hier folgen zu lassen, auf welche der obige Ausspruch als Ant­wort erfolgte. Der recht herabgestimmte Führer des   deutschen Freisinns hatte nämlich gesagt:

Ich warne vor der Annahme, als ob es in der Arme einen abso­luten Gehorsam gebe; dieser gilt nur in militärischen Dingen; darüber hinaus hört der Gehorsam auf. Von absolutem stlavischem Gehorsam fönnte man etwa in Bezug auf die russische Armee sprechen."

Dieser Vordersatz gibt dem Ausspruch des Herrn von   Schellendorf erst seine rechte Bedeutung. In der preußischen Armee herrscht der absolute stlavische Gehorsam!"

Das heißt er soll herrschen und herrscht auch, so weit die Macht der Herren reicht. Zum Glück ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen! Wie sangen doch die   deutschen Soldaten im 1870er Feldzug?

Eine Kugel kam geflogen,

Gilt sie mir oder gilt sie dir?

Herr Bronsart von   Schellendorf hat den Feldzug mitgemacht, er wird auch wohl wissen, was dieser Vers zu bedeuten hatte!

Die   Berliner Geheimpolizei hat ihre schon weltbekannte Frechheit und unverschämtheit durch eine neue That in Erinnerung ges bracht. Während der   Reichstag in den Ferien war, drang ein Geheim­polizist zweimal in die Wohnung Bebels und schnüffelte dort nach irgeno welchem staatsgefährlichem" Material. Das erste Mal unmittelbar vor den Feiertagen drang der Kerl ein, indem er das ihm die Vorsaalthüre öffnende Dienstmädchen bei Seite schob, direkt in Bebels Zimmer trat und dort sich in allen Ecken und Winkeln umsah; das zweite Mal kurz nach Neujahr, wo ihm die Wirthin selbst öffnete. Auch diese schob er bei Seite, trat trotz ihrer energischen Protestation wieder in Bebels Bimmer, musterte die Akten und Bücher, hob dieselben auf, ob etwas zwischen denselben verborgen liege, und hatte auf die Drohung der Wirthin: sie werde um Hülfe rufen, wenn er das Geringste wegnehme, nur die freche Antwort: er wisse, was er thue, und er werde weg­nehmen, wenn er finde, was er suche. Nachdem er das Gesuchte nicht gefunden, auch noch den im Zimmer aufbewahrten Handkoffer Bebels in die Höhe gehoben und zu öffnen versucht hatte, verließ er mit kurzem Gruß eilig das Logis. Die Aufregung, in welche die Wirthin durch dies brutale Verfahren gebracht worden war, verhinderte diese, sich den Menschen genauer anzusehen, so daß sie nicht im Stande ist, eine genaue Personalbeschreibung zu geben, die zur Feststellung der Persönlichkeit des frechen Burschen führen könnte.

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Um stürzler wider Willen. Unsere Regierung, schreibt man uns aus   Sachsen, arbeitet, entsprechend ihrer Vergangenheit, fleißig für die Ausbreitung der Sozialdemokratie, oder, um im Style des Sozialistengesetzes zu sprechen, sie wirkt für die Förderung sozial demokratischer, sozialistischer, kommunistischer, auf den Umsturz der be stehenden Staats- und Gesellschaftsordnung gerichteter Bestrebungen." Hat da im vorigen Landtag unsere sogenannte Boltsvertretung bes schlossen, daß fünftig in Landgemeinden von über 4000 Einwohner für die Wahl des Gemeinderaths statt der Wahlrechtsbestimmungen der Lands gemeindeordnung diejenigen der revidirten Städteordnung eingefügt werden könnten, und die Regierung beeilte sich, diesem zuzustimmen.

Was dieses bedeutet, sei hier furz ausgeführt. Nach der Landgemeinde­oronung hat jeder über 21 Jahre alte selbstständige Ortseinwohner, wenn er im Besiz der bürgerlichen Ehrenrechte 2c. ist, Stimmrecht; nach der Städteordnung aber muß er über 25 Jahre alt sein und mindestens drei Mark dirette Staatssteuer zahlen. Der einfache Vergleich lehrt, daß das Wahlrecht für die Landgemeinden viel freisinniger ist, als für die Städte. Eine merkwürdige Einrichtung, da man wohl ohne Uebertreibung sagen kann, daß die Städtebevölkerung durchschnittlich intelligenter ist als die Landbevölkerung. Freilich ist mit dieser höheren Intelligenz der Nachtheil verknüpft, daß diese sich politisch geltend macht und zwar öfter in einem Sinne, der den oberen Klassen nicht behajt. Zwar hat man dem einen Riegel vorgeschoben, indem bestimmt wurde, daß in den Städten mindestens die Hälfte, auf dem Lande dreiviertel der Ge­meindevertreter Ansässige( Grundbesitzer) sein müssen, aber das ge­nügte nicht, die gefürchtete Opposition überall fern zu halten. Nament­lich waren es die durch unser modernes Industriesystem in den letten Jahrzehnten sich riesig entwickelnden Landgemeinden mit zahlreichem Industrie- Proletariat, durch welche die sozialdemokratische Opposition in die sonst so friedlichen Gemeinderathsstuben drang. So beschloß unser Landtag natürlich, trok aller Opposition der sozialdemokratischen Abge­ordneten, wenigstens die Landgemeinden von über 4000 Einwohnern möglichst vor diesem Uebel zu schüßen. Eine ganze Anzahl solcher Land­gemeinden haben das Ministerium ersucht, von diesem Beschluß Gebrauch machen zu dürfen, und sind stets und bereitwilligst in diesem Sinne bes schieden worden, wie immer die Majorität der bisher wahlberecht.gt ge= wejenen Ortseinwohner dagegen protestirte. Das geschah erst türzlich wieder in   Pieschen bei   Dresden. Zu der 47,000 wt. betragenden Steuerlast der Gemeinde in den letzten Jahren zahlen die Unansässigen 27,000 Mt., die Ansässigen nur 20,000 wit. Lettere haben aber 12 Ver­treter im Gemeinderath, wo die große Mehrheit der Einwohner, weil unansässig, nur 4 besigt, sicher eine schreiende ungerechtigteit. Durch die Aenderung des Wahlrechts sind mit einem Federzug 500 Mann ihres Wahlrechts verlustig, die übrigen, ungejähr 1000, müssen sich das Bürgerrecht" erst erkaufen, und da dies Laufereien und Kosten macht, und die meisten Arbeiter jehr arme Teufel sind, so weiden auch Es liegt auf der Hand, daß von diesen viele ausgeschlossen bleiben.

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