Die Regierung macht heute, wo ich dies schreibe, bekannt, daß sie blosnoch verheirathete Männer einstelle. Auch ein Beweis, daß esnicht an Arbeitslust, sondern an Arbeitsgelegenheit mangelt.Vorigen Monat waren in Adelaide sämmtliche Schuhmacher, 382an Zahl, im Streik; die Fabrikanten erklärten, ohne eine Lohnreduktionvon IS Prozent nicht mehr existiren zu können. Die Herren logen, wasZeug hielt, wie viel die Arbeiter verdienten. 2 Pfd. 10 Sh. die Wochewar der niedrigste Lohn. Die Arbeiter behaupteten aber, 35 Sh. sei derDurchschnitt, was ich auch glaube. Der Streik dauerte 4 Wochen, ichhabe aber nicht mit Gewißheit erfahren können, wer als Sieger ausdem Lohnkampf hervorgegangen, ich glaube, es hat ein Vergleich statt-gefunden.Augenblick lich ist«in R i e s e n- S t r e i k in Melbourne im Gange,der größte, welcher wohl je in Australien stattgefunden. Sämmtlichedorttge Hafenarbeiter haben die Arbeit niedergelegt. Die Arbeits-noth i n Süd-Australien wird dazu benutzt, um mit den hier geworbenenArbeitern die Organisation der Streikenden zu sprengen; bei ihrer Ankunft in Melbourne wurden aber die Adelaider Arbeiter mit einem solch'furchtbaren Gejohle, Zischen und Schreien empfangen, daß, wäre soetwas in Deutschland passirt, die Polizei sich die Gelegenheit gewißnicht hätte entgehen lassen, nach Herzenslust dreinzuhauen. Nach hiesigenZeitungen sollen sich an 10, 000 Personen bei Ankunft des Arbeiter-schiffes versammelt haben. Wie der Streik enden wird, ist noch nichtabzusehen; in Sydney drohen die vereinigten Seeleute, die Arbeit einzu-stellen, wenn Melbourne unterliegt.Die Polen-Ausweisungen aus Preußen haben auch hier vielStaub aufgewirbelt. Die englische Presse fällt bei der geringsten Gelegen-heit mit einer Wuth ohne Gleichen über Bismarck und Deutschland her,so auch bei der Polen-Ausweisung. Die Schmeichelnamen, die Bismarckda erhielt, würden in Deutschland jeden Einsender oder Redakteur min-Kestens auf Jahre hinter Schloß und Riegel bringen. Die ganze Wuthscheint mir von Neu-Guinea und jetzt den Samoa-Jnseln herzurühren.Mehrere Deutsche versuchten, Bismarck reinzuwaschen; er ward da alsganz armer Mann geschildert, welcher das Deutsche Reich gegründet undnichts dafür bekommen habe; durch die Polenausweisungen wolle ERDeutschland von einer Landplage befreien. Es freut mich, in der letztenNummer des„Sozialdemokrat zu lesen, daß die sozialistischen Abgeord-neten die Ausweisungen zur Sprache bringen werden; es wurde voneinem englischen Zeitungsreporter behauptet, im Reichstag hätte sich nochkeine Sttmme des Protestes erhoben. Für mich ist es eine wahre Herzens-erquickung, wenn der„Sozialdemokrat" die Speichelleckereien der bezahltenund nicht bezahlten„Patrioten" gehörig abkanzelt. Wir sind hier bereitssoweit, daß Derjenige, welcher nicht in die offizielle Melodie einstimmt,gar nicht als Deutscher betrachtet wird.Wie mir zu Ohren gekommen, soll in A d e l a i d e ein sozialdemo-kratischer Verein gegründet werden. O weh, welche Angst im patrio-tischen Lager, wenn sich dieses vaterlandslose rothe Gesindel, wie mirschon vorgeworfen wurde, auch hier festsetzt! Dann fängt das heiligeEigenthum auch schon zu wanken an. Henry George hat bereits Aufregunggenug im frommen Lager hervorgerufen, und jetzt kommen noch gar dieRothen, das ist das Ende der Welt! Mir wurde einmal allen Ernstesversichert, der liebe Gott strafe Australien blos deshalb mit schlechtenErnten, weil so viele junge gottlose Deutsche herüberkommen. Bekom-men wir nun gar noch einen Verein, so ist der Staat in seinen Grundfesten erschüttert. Ernten schickt uns dann der liebe Herrgott wohl garnicht mehr.Diese frommen Brüder liegen sich zwar gewöhnlich auch in den Haa-ren und klopfen sich die brüderliche Liebe mit Fangfosten(?) aus(Brod-neid der Pfaffen), aber wenn es auf das„gottlose Gesindel" losgeht,ist der Friede sofort wieder da. Der beste Beweis dafür war derS t ö ck e r- P r o z e ß. Die Lobgesänge, welche aus diesen augenver-drehenden Heuchler angestimmt wurden, waren wirklich ergötzlich zuhören.Diese frommen Helden versuchen sich auch auf sozialem Gebietund behaupten, die gedrückte Lage der Arbeiter beruhe im Achtstunden-System, es werde nicht genug gearbeitet! Es kommt aber diesen Herrendabei nicht auf diese Thatsache an, daß die Geschäfte blos noch 4—6Stunden per Tag arbeiten lassen.Ich habe schon oft von Arbeitgebern erklären hören, daß hier in achtStunden ebensoviel Arbeit geliefert wird als in Deutschland in zwölfStunden. Der Körper ist frischer, somit auch die Leistungsfähigkeitstärker. Mag das Achtstunden- System noch so begeifert werden, die hie-sigen Arbeiter lassen es sich gewiß nicht wieder nehmen.Diese Sorte von Menschen aber können und wollen nicht begreifen,daß die Ursache des Uebels darin liegt, daß die Kaufkraft des Volkeshinter der Steigerung der Produktion zurückgeblieben ist,sowie in der Produittonsanarchie, der Folge des heutigen kapitalistischenSystems.Mit sozialdemokratischem Gruß!R. F. Australia.Sozialp Mische Rundschau.Zürich. 31. März 1886.— Ueber den Aufstand in Belgien haben wir uns, was dieallgemeine Seite deflelben betrifft, bereits im Leitartikel geäußert; esmögen an dieser Stelle noch einige Detailmittheilungen folgen.Im klerikalen„Echo der Gegenwart" schildert ein Korrespondentdeffelben, der„vielfach Augenzeuge" gewesen sein will, die Vorgänge,die sich in und um Charleroi am Donnerstag den 25. und Freitag den26. März abspielten. Danach stellten am Donnerstag die Arbeiter derBergwerke F l e u r u s(Provinz Hennegau, 4000 Einwohner, mit viele»Gruben) die Arbeit ein und begaben sich nach Chatelineau(8000Einw., gleichfalls Gruben), Chatelet(7500 Einw., mit M-ffer-,Nägel-, Tuch- und Baumwollfabriken) und G i l l y(2000 Einw.) Dortbrachten sie durch Einschüchterungen und Drohungen es zu Werke, daßdie Arbeiter der Hochösen und Kohlenbergwerke ebenfalls die Arbeit ein-stellten. In den Etabliffements daselbst wurde nun Vieles zerschlagenund verwüstet, und damit die Wiederaufnahme der Arbeit für den an-dern Tag unmöglich gemacht. Freitag Morgen um 6 Uhr begaben sichdie Streikenden, etwa 1000 Mann stark, und alle mit Knütteln, Haken,Schaufeln und Eisenstangen, theilweise auch mit Revolvern bewaffnet,nach M o n t i g n y(3000 Einw., mit Gruben), M a r ch i e n n e(>1,000Einw., mit Kohlengruben und Hammerwerken), Couillet(l10v Einw.,mit Hochöfen und Eisenwerken) und zu den umliegenden Fabriken, ver-wüsteten sie und zwangen auch dort die Arbeiter, sich ihnen anzuschließen.In den Bergwerken hatten die Arbeiter kaum Zeit, herauszukommen, dadie tobende Masse oben fortgesetzt drohte, die Seile abzuschneiden.In Charleroi, dem Kreishauptort, wurden sie von der Bürger-wehr zurückgeschlagen und wandten sich dann nach Lodelinsart, wosie die Glashütten D o r l o d o t und Mondreu total Vernich-t- t e n. Von da ging es nach I u m e t(20,000 Einw.), wo erst dieVerwüstung im größten Stile vor sich gehen sollte.„Man hörte dasToben und Lärmen schon von Weitem; es hörte sich an wie ein her-annahender brausender Sturm." Hier wurden die Glashütten der„Vorrenoo nationales" und der Firma Baudoux zerstört und dar-auf das Schloß des Herrn Baudoux, gegen den sich der stärkste Haßdes Volkes gerichtet hatte, niedergebrannt. Es heißt darüber:„Mittlerweile war auch das Schloß in Brand gesteckt worden,bald stand es in hellen Flammen und— entsetzlicher Anblick!— obenauf der ersten Etage tanzten die Rasenden und sangendie„Carmagnole", und unter ihnen, hinter ihnen, von allen Seiten einFlammenmeer: Nichts konnte die Wüthenden retten, sie verbrannten indem von ihnen selbst angezündeten Feuer! Die Zahl derselben ist nochnicht festgestellt, doch ist sie nicht gering. Die Feuerwehr langte amBrandorte an, sie wurde jedoch von der Menge zurückschlagen. SeitL Uhr wüthet der Brand; es ist jetzt 10 Uhr Abends; vier Stundenim Umfange sieht man die Flammen hoch gegen den Himmel schlagen,und weithin ist Alles ein Greuel der Verwüstung."Der Bericht schließt mit folgenden Worten:„Der heutige Tag hatnach ungefährer, von Beamten gemachter Schätzung allein im Arrondiffe-ment Charleroi gekostet:Baudoux....Verreriss nationalesDorlodot....andere EtabliffementsFr. 3,000,000„ 1,000,000„ 600,000„ 5.000.000Fr. 9,600,000Diese Verwüstungen haben 6000 Mann in 12 Stunden Zell zu Standegebracht. Durch mein Fenster sehe ich noch das Flammenmeer desEtabliffements Baudoux und höre den Lärm der rasenden Teufel."Dazu bemerkt die„Frankfurter Zeitung":„Die neuesten belgischenBlätter bestätigen diese Nachrichten durchaus; sie entwerfen alle eindüsteres Bild der Zerstörung, die in der Nacht von Freitag auf Samstagund den ganzen Samstag über fortgesetzt wurde. Erst als genügendesMilitär ankam, ward es in der nächsten Nähe von Charleroi ruhiger.Aber das Zerstörungswerk hörte darum nicht auf. Unter«nderm wurdedas Kloster von Soleilmontant geplündert und zerstört; die Nonnenkonnten sich vorher mit ihren Zöglingen über die Felder retten.Die Zahl der bei den verschiedenen Zusammenstößen mit den Truppengetödteten Bergleute beläuft sich auf gegen 100, die der verwundeten aufüber 200. Uebrigens ist es wiederholt vorgekommen, daß Soldatensich geweigert haben, auf die Streikenden zu schießen. Selbst O f f i-ziere der Bürgergarde haben erklärt, daß sie sich zu einemsolchen Akt nicht hergeben wollen. Ueberhaupt sind die Sympathien desbelgischen Volkes für die Aufrührer viel stärker, als die Ordnungspreffeglauben macht. Die Entrüstungsversammlungen— nicht Entrüstung überdie„Greuelthaten" der„schwarzen Teufel", sondern über die Maßregelnder Regierung— häufen sich. Di- G-nter Sozialisten haben am 29� ds.auf einem Meeting beschloffen, 5000 Arode aus ihrer Genoffenschasts-Bäckerei an die Familien der verhafteten Bergleute zu senden. EinBravo den wackeren Genossen!Die Zahl der Dummheiten, welche die Ordnungspreffe bei dieserGelegenheit wieder zu Tage gefördert hat, ist Legion. Der Korrespondentdes Kölner Weltblattes erklärt die Zerstörung der Baudoux'schen Glas-bläserei als„die Anwendung des sozialistischen(!!) Einwandes gegenden Gebrauch der Maschine."— Esel!Der„Frankfurter Zeitung" telegraphirt ein Korrespondent, daßDefuisseaux und V o l d e r s— zwei bekannte belgische Sozialisten,der erste sogar ein höchst gemäßigter!— eine anarchistische Ver-sammlung in La Louviöre abgehalten hätten! Ueberhaupt muß das Wortanarchistisch bei jeder Gelegenheit herhalten. Defuiffeaux'„rother"„Katechismus des Volks" wird als anarchistische Brandschrift geschildertthatsächlich ist er nichts als eine populäre Flugschrift für das—allgemeine Stimmrecht, das freilich in den Augen der belgischenBourgeoisie den hellen Anarchismus bedeutet.Spaßeshalber sei hier eine Stelle aus dem fürchterlichen Katechismusangeführt:„Frage: Durch welches Mittel kann der Arbeiter diesen(heutigen)Zustand der Dinge bekämpfen?Antwort: Durch die Vereinigung. Alle Arbeiter müssen sich derArbeiterpartei anschließen. Am Tag, wo sie vereinigt sein wer-den, werden sie die Herren sein.Frage: Gibt es kein anderes Mittel für sie, Herren der Situationzu werden?Antwort: O ja, das allgemeine Stimmrecht wird ihnen die Machtin der Gesetzgebung verschaffen. Ihre Vertreter werden dann Gesetzemachen, welche die Arbeit und den Lohn regeln!"Schreckliche Brandschrift!Ueberhaupt rathen wir unseren Lesern, alle Berichte der gegnerischenPresse nur mit äußerster Vorsicht aufzunehmen. Es wird furchtbar vielgeflunkert. Ob z. B. Baudoux, der Besitzer der zerstörten Glasfabrik,wirklich ein so großer Menschen- und Arbeiterfreund gewesen, als dieBerichterstatter der Bourgeoisblätter behaupten, wissen wir nicht, habenaber alle Ursache es zu bezweifeln, da der mit ihm im gleichen Athem-zuge als Arbeiterfreund genannte Eudore Pirmez uns als Gegner allerArbeiterforderungen bekannt ist, der noch vor Kurzem behauptete, dieLage der Arbeiter sei heute in Belgien besser als je. Man kann dar-nus auf die Arbeiterfreundlichkeit dieser Herren schließen.— Bismarck soll, wie die„Freisinnige Zeitung" mittheilt, bei ver-schiedenen Rechtsgelehrten— Herr G n e i st ist jedenfalls darunter-sich Raths erholt haben, ob es nlchkuföglich sei, das allgemeine Stimm-recht abzuschaffen, und zwar ohne vorherige Genehmi-gung des Reichstags.Offen gestanden, wir halten die Nachricht nicht für richtig. Nicht, daßwir an dem Wunsche Bismarck's, das allgemeine Wahlrecht loszuwerden,irgendwie zweifelten— das wäre Thorheit. Aber wir halten Bismarcknicht für so dumm, daß er in einer solchen Angelegenheit sich erst an„Rechtsgelehrte" wendet. Daß eine Aenderung des Wahlgesetzes ver-fassungsmäßig nicht ohne de« Reichstag bewerk st el-ligt werden kann, ist so klar, daß nicht einmal Herr Gneist esbestreiten kann.Eine Aenderung ohne den Reichstag und gegen den Willendes Reichstags ist nur möglich durch einen Staats st reich;und ein Staatsstreich ist— falls er gelingt, bis zum Moment des Ge-lingens— Hochverrath, und laut Strafgesetzbuch ist„auch derVersuch" des Hochverraths strafbar, und sogar die Vorbereitung desVersuchs. Wäre die Notiz der„Freisinnigen Zeitung" zutreffend, sowäre Bismarck unzweifelhaft des versuchten oder wenigstens vorbereitetenHochverrathes schuldig.Daß Bismarck unter Umständen vor einem Staatsstreich und vorHochverrath nicht zurückschrecken würde, steht freilich für uns fest, aberliegt denn— ganz abgesehen von der momentan ungünstigen Kon-junktur— die Sache so, daß Bismarck, wenn er das allgemeine Wahl-recht durchaus los sein will, einen Staatsstreich begehen muß?Ist der gegenwärtige Reichstag unsterblich? Ist die Möglichkeit ausge-schloffen, eine andere Majorität als die gegenwärtige zusammenzubringen?An die Wahrscheinlichkeit glauben wir nicht, die Möglich-keit kann nicht geleugnet werden. Und von Bismarck ist bekannt, daßer diese Möglichkeit schon sehr oft ins Auge gefaßt, und einmal bereitssie mit Glück praktisch verwerthet hat.Doch sei dem, wie ihm wolle— das allgemeine Stimmrecht ist Bis-marck und seinen Helfern und Helfershelfern ein Dorn im Auge, undauf die eins oder andere Art wird man demselben zu Leibe zu gehensuchen.Jndeß wozu uns im Voraus ereifern? Jedem Attentate auf dasallgemeine Wahlrecht wird die deutsche Sozialdemokratie mit allen Kräftenentgegentreten, das versteht sich von selbst. Und wenn das Attentat ge-lingt, was dann? Je nun, der Zukunft können wir nicht vorgreifen—so viel aber ist unter allen Umstände» gewiß, daß die Abschaffung desallgemeinen Wahlrechts für die Sozialdemokratie nur eine verän-derte Taktik bedeuten würde: Wir würden unsere p a r l a-mentarischeThätigkeit aufzugeben haben. Dabei hättenwir nichts zu verlieren und unsere Feinde sicherlich nichtszu gewinnen.— Die Doppelrolle,— so schreibt man uns aus Berlin—welche Herr von Puttkamer in der Komödie, betitelt:„Verlängerungdes Sozialistengesetzes" zu spielen hat, wurde wiederholt von uns ge-schildert und gekennzeichnet. Mit dem einen Gesicht muß er zu denBieder meiern, mit dem andern zu den Angst meiern sprechen,jenen das Sozialistengesetz als ein ganz gemüthliches, die Sozialdemo-kraten in ihren„vernünftigen Bewegungen" gar nicht hinderndes Dingdarstellend, diesen als eine scharfe, aber nothwendige Waffe gegen dasentsetzliche, blutdürstige Ungeheuer der Anarchie, das wie ein brüllenderLöwe umherzieht, um den Staat und die Gesellschaft zu zerreißen unddie guten Staatsbürger, die Herren Angstmeier natürlich in erster Linie,zu verschlingen.Wie klug und weise Herr Puttkamer in letzterer Zeit die erste Rollegespielt hat, wurde bereits des Nähern von uns beschrieben. Seitdemhat es nun einen kleinen Zwischenfall gegeben, der zu komisch ist, alsdaß wir ihn unseren Lesern vorenthalten könnten.Herr Puttkamer ist bekanntlich ein eifriger Leser deS„Sozialdemokrat"— so eifrig, daß er sich ihn durch einen seiner Agenten in Zürich all-wöchentlich ohne Verzug mittelst Eilbriefs zuschicken läßt. Auf dies«Weise gelangt er spätestens Freitag Abend in den Besitz seines Exem-plarS. Das war auch Freitag, den 19. März d. I., der Fall. HerrPuttkamer fand in jener Nummer die auf seine„milde Praxis" inpuncto der Versammlungen bezügliche Notiz und ärgerte sich so sehr überdieselbe, daß er eklatante Rache zu nehmen, und zugleich dem Artikel-schreiber ein schlagendes Dementi zu geben beschloß. Das Glück war ihfgünstig. Für jenen Abend war eine Volksversammlung angesetzt, für d«Bebel als Redner angekündigt war.„Diese Versammlung muß au:gelöst werden!" Leuchtender Gedanke! Em Druck auf den Klingelknopf„Rufen Sie mir den X. 3). her." X. Y. erscheint:„Der R-ichstazSabz-ordnete Bebel spricht heute Abend in einer Versammlung; es werdaviel Menschen zusammenströmen. Die Gemüther werden erregt sein"sorgen Sie dafür, daß die überwachenden Beamten mit äußerste'Umsicht vorgehen und auch nicht die leiseste Aufreizunjdulden!"Das war deutlich. T. D. verstand. Die betreffenden Beamten wurdoinstruirt. Und— Sluflösung der Versammlung, Entrüstung der A"1gelösten. Stauung von Menschen— kurz, Alles verlief programmmäßizNur Eines nicht: die Sozialdemokraten merkten die Absicht und wurde«zwar nicht verstimmt, ließen sich aber auch nicht verstimmen, sondecklachten die Polizei aus, lachten Herrn Puttkamer aus und es gab keine«Krawall! Armer Puttkamer! Er wollte zwei Fliegen mit einer Klappschlagen: den„Sozialdemokrat" dementiren und ein kleines Krawallch"proooziren; und er hat weder das Eine noch das Andere erreicht. �hat die Auffassung des„Sozialdemokrat" blos bestätigt und obe»drein uns für die zweite Lesung des Sozialistengesetzes sehr schätzbar«!Material geliefert. Der„Sozialdemokrat" aber kann sich zu seinem Eitstuß gratuliren: er lenkt von Zürich aus den würdigen Minister unser"Polizei und unsere würdige Polizei.„Mein Liebchen, was willst Anoch mehr?"Die Versammlung des 19. März führt uns geradewegs zur GrusäPolitik in usnm der Angstmeier. Herr Puttkamer und feine Leute Hab»das„Rothe Gespenst" seit den Londoner Krawallen nicht zur Ruhe ko»men lassen. Eingedenk des Wortes ihres wahrheitsliebenden„Chefs"„Gelogen wie telegraphirt", manipuliren sie hauptsächlich mit Hilfe d«!Telegraphen. Der Telegraphendraht setzt den Polizei-Automats»welcher als Rothes Gespenst herhalten muß, in Bewegung, läßt ihn d«gräßlichsten Grimassen, die drohendsten Bewegungen machen.„Ana»chistisch-sozialistische Krawalle in London".„Anarchistisch. sozialistischPlünderungen in London."„England am Vorabend einer ana»chistisch-sozialistischen Revolution."„Anarchistischer Aufstand in D e c az«ville. Mord, Totschlag, Plünderung!"„Frankreich am Borabeiüeiner anarchistisch sozialistischen Revolution."„Anarchistisch-sozialistisch"Aufstand in L ü t t i ch. Mord, Todtschlag, Plünderung."„ B e l g i e>am Vorabend der anarchistisch sozialistischen Revolution."Natürlich gelogen von AbisZ; die Hungerkrawalle von 18�sind ebensowenig anarchistisch oder sozialistisch wie weiland die Hunge»krawalle von 1846 und 1847— obgleich sie, wie diese den AusbrMdes Jahres 1848 vorarbeiteten, unzweifelhaft zur Unterminirung d««herrschenden Staats- und Gesellschaftssystems beitragen. Allein sozio'l i st i s ch sind sie nicht, und auch nicht anarchistisch— die Herr««„Anarchisten" müßten denn per Luftballon vom Monde gekommen sei»England, Frankreich, Belgien— Etappen der anarchistisch-sozi»listischen Revolution. Zittere, biederer Angstmeier!„Der Weg v»«Lüttich zur deutschen Grenze ist nicht wei t."Hu! hu! Aber fürchtet Euch nicht, ihr staatserhaltenden Angstmeier'Unsere starke Regierung wacht. Sie hat in ihrer himmlischen Vorsicht d«Waffe des Sozialistengesetzes geschmiedet, und diese Waffe genügt gege>den dösen Feind. Oder wäre irgend ein Angstmeier thöricht genug,„fltfdie Wohlthat des Sozialistengesetzes zu verzichten?"So zischt das Reptiliengesindel.Und wenn am 19. März, in Folge der Puttkamersch-n Versammlung»Auflösung, einer der provozirenden Polizisten von einem, ob der schmachvollen Willkür und Brutalität Zürnenden am Kragen gepackt word««wäre— aufgereizt wurde über und über genug—, dann war de>Schritt von Lüttich bis Berlin gethan, das„Roth'Gespenst" stand mitten unter uns, und Puttkam"'war aus allen Schwulitäten.Behüt' Dich Gott, lieb' Puttkämerlein, es wär' zu schöngewesen,Behüt' Dich Gott, lieb' Puttkämerlein, es hat nicht sollensein!"— Der politische Nerv scheint in Deutschland abgestorbenzu sein, ltagte vor einigen Monaten die freihändlerische„Nation"übrigens ein sehr gut redigirtes und lesenswerthes Blatt. Unter de«"„politischen Nerv" verstand die„Nation" das politische Empfindung»'vermögen, das Gefühl für Recht und Unrecht, Ehr- und SchamzesiihlBis zu einem gewiffen Punkts hat das freihändlerische Blatt unzweise!'Haft Recht. In den letzten Jahrzehnten, hauptsächlich unter den Auspizie«des schnapsbrennenden Junkers, den„seine Leute" der Welt als„große«Staatsmann" auflügen wollen, sind bei uns, in„der frommen Kinde»stube", Dinge vorgekommen, die weder in Frankreich noch in Engla»möglich gewesen wären— so wenig wir sonst die Zustände der beide«genannten Länder sür musterhafte ansehen können. Wenn es eine»Gladstone, Disraeli, Thiers eingefallen wäre, die kecksten, selbst der atgebrühtesten Börsenmoral nicht ganz„koscher" erscheinenden Geldspek»lationen zu machen, und sich, natürlich auf Kosten des Volks, Million!-'und Millionen in die Taschen zu stecken, so würden sie n i ch t in Mund Würden haben verbleiben können. Die„leitenden Gesellschaftskreise— obgleich keineswegs heikel— würden es nicht geduldet haben. M>»doch in England, nach einem alten und wiederholt zur Anwendung a'kommenen Gesetz, jedes Parlamentsmitglied(und die Minister müff««dort dem Unterhaus angehören), das vom Staate durch Lieferungen od»auf anderem Wege pekuniären Vortheil zieht, und überhaupt sein Ma»dat zu Zwecken der persönlichen Bereicherung ausnutzt, unnachsichtli»seines Mandats verlustig erklärt werden.Welche Maffenabschlachtung hätte in Deutschland vorgenomme>werden müssen, wenn dieses englische Gesetz für uns z.B. im Jahr 18?!gegolten hätte, wo anläßlich der L a s k e r' schen Tugendkampagne d"damalige Handelsminister Jtzenplitz, der in die moralische Schuflinie gerathen war, vor versammeltem Kriegsvolk verzweifelt den den>würdigen Schmerzensschrei ausstieß:„Und ich bin der einzige Minister, der keine Aktie«h a t."(Beiläufig war es damals nicht ganz klar, ob er sich bedauer«oder entschuldigen wolltt.)Wir behaupten, daß eine ähnliche Vertuschung eines so gigantisch�Skandals— der bekanntlich in der famosen„königlichen Kommiffion'begraben ward— weder in Frankreich noch in England möglich gewese»wäre— nicht einmal in dem Frankreich des zweiten Kaiserreichs.Und die„ D o t a t i o n e n", mit denen der„leitende Staatsmann'sich beschenken ließ oder richtiger sich selbst beschenkte— der Otto'Pfennig, den er für sich zusammenbetteln ließ; die Versetzung de«erbettelten Schlosses von Schönhausen in eine niedrigere Steuerstufe,durch D-klarirung desselben zu einem Speicher; die Schwennivger-Schmutzgeschichte— ist es denkbar, daß ein Thiers, ei»Gladstone, ein Disraeli der öffentlichen Meinung, dem öffentlichen Anstand, solch' zyklopische Steine ungestraft an den Kopf hätte werfen kö»nen? Niemand, der die englische und französische Geschichte kennt, wirfdie Frage bejahen. Wir erinnern nur daran, mit welcher EntschiedenheilDisraeli nach Abschluß des für ihn und England entschieden höch?„ruhmreichen" Friedens von Berlin jede Dotation und Rangerhöhun!ablehnte, und wie er seinerzeit zur Annahme des Titels Beaconsfiel!nur durch das persönliche Drängen der Königin, die er nicht beleidige«wollte, bewogen werden konnte.Also was die„Nation" von dem„Absterben des politischen Nervs'sagt, ist nicht ohne Begründung. Nur hätte sie die schwere Anklage nich«so allgemein erheben dürfen. Den herrschenden Klassen i»Deutschland ist der„politische Nerv" allerdings abgestorben. Sie habe»kein Ehr- und kein Schamgefühl mehr. Sie plündern und stehlen inhellen Tageslicht; sie tragen mit frechem Bedientenstolz die Livree de«Gewalthaber und schütteln prahlerisch ihre Ketten, als wären es Ehrenzeichen. �Der parlamentarische Raubzug der vorigen Session hat seines Gleiche»nicht in der modernen Geschichte— in den Annale» der englischen umsranzißsischen Parlamente suchen wir vergebens nach einem SeitenstüaNicht daß in England oder Frankreich weniger geplündert worden wäreDas Plündern liegt im Wesen des Klassenstaats— dazu ist er ja dadas ist seine Bestimmung. Aber die englische, die französische Bourgeoisidealisirte wenigstens ihren Egoismus, sie erhob ihre SonderForderungen zu Forderungen der Nation, und proklamirte nicht de«Diebstahl, den offenen nackten Diebstahl als ihr politisches Programi««