Sozialpolitische Rundschau. Zürich , 28. Juli 188k. — Nach Belgien Holland . In Amsterdam hat es am Sonn- tag und Montag ernsthafte Unruhen gegeben. Arbeiterblut ist in Strömen geflossen, in den Hospitälern liegen allein 14 Todte und 34 Verwundete aus der Volksmasse, außerdem sind 2 Soldaten und 4v Polizisten verwundet. Die Gesammtzahl der Verwundeten und Tobten hat, soweit die letzten offiziellen Nachrichten vorliegen, noch nicht fest- gestellt werden können. Andere als offizielle oder offiziöse Berichte sind uns bis zur Stunde noch nicht zu Gesicht gekommen, wir sind daher mit unserm Urtheile über die Veranlassung zu den Unruhen auf diese angewiesen. So ver- ' schwömmen sie nun auch gefaßt sind, so geht doch so viel aus ihnen hervor, daß die P o l i z e i am Sonntag ein Volksfest gestört und da- durch die Wuth der Massen, die der Telegraph sofort Pöbel titulirt, provozirt hat. Es ist das um so begreiflicher, als man in Holland bis vor Kurzem polizeiliche Beschränkungen von politischen Versammlungen ic. nicht kannte; erst seit einiger Zeit wandelt man dort auch auf p reußi- schon Wegen, und hat es glücklich dahin gebracht, die Massen des als so phlegmatisch verschrieenen Volkes in die höchste Erregung zu versetzen, es glücklich erreicht, daß die Flinte schießen und der Säbel hauen konnte. Soviel für heute. Bis zur nächsten Nummer hoffen wir im Besitz authentischer Berichte zu sein. s. Bismarck und sein Puttkamer sind wirklich große Männer — sie haben es in der That fertig gebracht, was wir für unmöglich gehalten: das herrschende System noch kleinlicher und noch nieder- trächtiger erscheinen zu laffen, als es bisher sich uns dargestellt hatte. Wer Viktor Hugo's„Napoleon der Kleine" gelesen hat— sonst ja keine der besten Dichtungen des französischen Phrasenkönigs wird sich der prächtigen Schilderung entsinnen, wie der Verbrecher des 2. De- zember, nachdem er des Onkels 18. Brumaire nachgeäfft, von„seines Nichts durchbohrendem Gefühle" übermannt wird und, um nicht dem Fluch der Lächerlichkeit zu verfallen, das Blutbad des 4. Dezembers in Szene fetzt, damit das tödtliche Gelächter von dem Aufschrei der Wuth und des Schreckens erstickt werde. Die„verbrecherischen Thorheiten" oder richtiger Tollheiten, deren Schauplatz das„Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte" ist, sind jedenfalls auf einen ähnlichen psychologischen Vorgang zurückzuführen. Die Bismarck und Puttkamer können sich über das kolossale Fiasko ihrer „Sozialreform" und ihres Sozialistengesetzes(die zwei Dinge gehören zusammen und sind ja in Wahrheit nur Eins) keinen Selbsttäuschungen mehr hingeben; und um nicht von der Lächerlichkeit erdrückt zu werden, suchen sie sich fürchterlich zu machen. Der Oolnmoäiantö wird zum Trageäianto— und Beide werden von uns ausgelacht. Wir haben es schon früher gesagt: Wir pfeifen auf den Trage- diante genau, wie wir auf den Commediante gepfiffen. Und wir pfeifen den einen so lustig aus wie den andern. Das blinde Draufloswüthen der Polizei gegen Personen, Vereine, Zeitungen verräth uns nur das Bewußtsein der Ohnmacht und des Unrechts; eine starke Regierung, die sich ihres Rechtes bewußt ist, könnte unmöglich so handeln. Wer so handelt, verräth aber nicht blas das Bewußtsein seiner Ohnmacht und seines Unrechts, sondern auch seine absolute Unfähigkeit, die in der menschlichen Gesellschaft wirkenden Kräfte zu erkennen und den ursächlichen Zusammenhang der Dinge zu begreifen. Er konstatirt neben seinem moralischen auch seinen intellek- tuellen Bankrott. Er befindet sich in dem Zustand, welchen die Alten mit dem Worte bezeichneten:«Zugin ckous perdere vult, dementat— wen Gott verderben will, den schlägt er mit Blindheit. Junker Otto glaubt in seinem unheilbaren Größenwahnsinn allerdings, «inen recht schlauen Streich verübt zu haben, indem er die hessische und die braunschweigifche Regierung zur Theilnahme an den preußischen Polizeischandthaten zwang und dadurch zu einem großen Theile, wenn nicht der Mehrheit ihres Volks in Gegensatz brachte, und die betreffenden Raubstaaten für die Annexion vorbereitete. Nun— mit diesen kleinen Schlauheiten, die sich unter Roßtäuschern und Kümmelblätichenspielern am besten lernen, kann man wohl durch- kommen, solange die Diplomatie eine große Roßtäuscherei und die Politik ein großes Kümmelblättchenspiel ist, in dem der— Abgebrühteste und Unverfrorenste gewinnt. Aber es ist zum Glück dafür gesorgt, daß die Bäume der pfiffigsten Roßtäuscher und geschicktesten Kümmelblättchen- spieler nicht in den Himmel wachsen. Und weit pfiffigere und geschicktere als die unsrigen haben wir schon die verdiente Belohnung empfangen sehen. (jui-rivra verra— wer's erlebt, wird sehen. — Norddeutsch-allgemeiucr Sozialismus. In einem Artikel über die Berliner Markthallen plädirt das Organ der siamesischen Zwillinge Bismarck-Pindter wieder einmal für die Beseitigung des ganzen Zwischenhandels. Daß in den Taschen der Zwischenhändler auf dem Weg zwischen Produzent und Konsument etwas hängen bleibt, ist gewiß. Aber ebenso gewiß ist, daß die Ausbeutung, welche die Signatur der bürgerlichen Gesellschaft ist, sich in der Pro- duktion, das heißt in der herrschenden kapitalistischen Pro- duktionsweise vollzieht. Fabrikanten und Schnapsbrenner, Bourgeois und Junker— das sind dieAusbeuter, denen man an den Kragen gehen muß, wenn der Ausbeutung gesteuert und der ehrlichen Arbeit ihr ehrlicher Ertrag gesichert werden soll. Der Rest ist bald in Ordnung gebracht. Das möge das siamesische Zwillingspaar sich hinter die staatssozialistischen Ohren schreiben. Heut- würde die Beseitigung des Zwischenhandels einer großen Anzahl von Menschen die einzige Zuflucht rauben, die sie vor der ver- nichtenden Wirkung des kapitalistischen Raub- und Ausbeutungssystems schützt, die Zahl der den Schnapsbrennern ic. auf Gnade und Ungnade Unterworfenen unendlich vermehren, und somit die Ausbeutung der Ar- beiterklaffe durch diese mindestens um so viel steigern, als heute in den Händen der Zwischenhändler hängen bleibt. Der einzige Vortheil, der für die Arbeiterklasse bei der Beseitigung des Zwischenhandels heraus- schauen könnte, wäre eine solche Zuspitzung des Gegensatzes, daß der Zusammenbruch des herrschenden Systems unvermeidlich. Bismarck- Pindter würde also, selbst wenn sein„Ideal" erreicht, schließlich auch nur für uns gearbeitet haben. Aber er proklamirt die Beseitigung des Zwischenhandels nur, um ihn zu schröpfen. — Der neueste ReichSanwalt, d. h. Vertreter des Reichs an dem sogenannten Reichsgericht, dem höchsten Gerichtshof deS deutschen Reichs, ist der ehemalige württembergische Oberstaatsanwalt Lenz. Von diesem Lenz, dessen juristische Leistungen und Verdienste auch seinen intimsten Freunden unbekannt sind, weiß die Welt nur dreierlei: Erstens, daß er einer der servilsten Streber ist, welche die Sonne bescheint; zweitens, daß er ein durch und durch roher, knotenhafter Patron ist, der in der famosen Stuttgarter Entrüstungsversammlnng(während der nationalliberalen Servilitäts-Komödie des vorletzten Winters) erwie- senermaßen zur H a u e r e i provozirte; und dritten? endlich, daß er ein schrecklich dummer Teufel ist, der sich im Reichstag so unsterblich blamirt hat, daß selbst feine Freunde für ihn schamroth wurden. Und dieser Patron wird zum Reichsanwalt ernannt. Das ist also das Holz, aus dem man die obersten Vertreter der Reichsjustiz schnitzt. Dumm und unwissend darf er sein— das ist sogar vielleicht eine Empfehlung. Ein serviler Streber muß er sein, der auf Kommando aus schwarz weiß und aus weiß schwarz macht.„Das Reich bin ich," sagte und denkt Junker Bismarck.„D i e R e i ch S j u st i z b i n i ch ," kann der L e n, sagen.— — Man schreibt uns aus Deutschland : „Pindterum quiequie atudet aemulari*}— wer mit dem Pindter sich in einen Wettkampf des Lügens, Denunzirens, byzantinischen LobhudelnS und sonstiger reichstreuer Gemeinheit einläßt, muß ein erbärmliches Fiasko machen. Sogar die Gelehrten des„Leipziger Tageblatt ", der „Kölnischen Zeitung " u. s. w. sind nicht würdig, auf dem Gebiet, wo der Pindter groß ist, ihm die Schuhriemen zu lösen. Wir haben da heut *) Anfang einer Horozischen Ode zur Verherrlichung des griechischen Dichters Pindar — nur daß dort statt des to des ersten Worts ein a steht(Pindarum). zwei prächtige Proben zu registriren. Erstens eine D e n u n z i a« t i o n des schweizerischen„Anarchismu s", als dessen Vertreter— C o n z e t t hinzestellt wird! Die Unterlage des fraglichen Artikels ist angeblich einem„schweizerischen demokratischen" Blatt entnommen, näm- lich der„Neuen Züricher-Ztg.", die für die Schweiz (? Red.) ungefähr dasselbe ist, was die„Norddeutsche" für Preußen, und an„Demokratie" jedenfalls nicht hinter ihr zurücksteht.„Schweizerisch " und„demokratisch" mußte es aber sein, damit die Verwandtschaft nicht entdeckt wird, und die denunziatorische Heulmeierei etwas anständiger aussah. Es zeugt übri- gens dieses Manöver von einem Reste von Schamgefühl, der Herrn Pindter eigentlich zur Ehre gereicht. Der Mann schämt sich seines eigenen Ich, und statt selber die moralische Dynamitbombe zu werfen, benutzt er einen der zahlreichen Kanäle, die aus der Berliner Zentralgosse ins Ausland führen, um unter fremder Etikette Bismarck-Puttkamer'sche Politik zu treiben. Dem Pindter würde es doch Niemand glauben, wenn er uns sagte, daß die Schweiz ein Anarchistennest ist— das weiß, in glücklicher Selbsterkenntniß, der Pindter sehr wohl, und darum läßt er den„Schweizer " und„Demokraten " eS sagen, und begnügt sich, feine Pindter'sche Nutzanwendung zu machen. Was Freund Conzett betrifft, der nicht wenig erstaunt sein wird, sich unter den Anarchistenführern zu befinden, so müssen wir freilich seinen Stolz auf diese Auszeichnung etwas herabstimmen, indem wir ihm ver- rathen wollen, daß er nur vorgeschoben ist, um den deutschen Sozialdemokraten in der Schweiz , und speziell dem Organ der deutschen Sozialdemokratie, dem„Sozialdemokrat" in Zürich , etwas am Zeug flicken zu können. Den Conzett schlägt man, und den„Sozialdemokrat" meint man. Seit Jahren ist die preußische Polizei mit dem Problem beschäftigt, wie man den„Sozialdemokrat" vernichten, und das Schweizer Asylrecht zertrümmern kann. Nach un- zähligen, durch die dem preußischen Spitzelthum eigene Tölpelhaftigkeit sich auszeichnenden Versuchen, und nachdem verschiedene der Puttkamer'- fchen Sendling« mit den Schweizer Behörden in unangenehme Konflikte gerathen, und der ganzen Puttiämerei in der bekannten Denkschrift der Schweizer Bundesregierung vor aller Welt die Maske abgerissen worden, ist die preußische Polizei auf das Auskunftsmittel verfallen, das schwei- zerische Volk ü la Chicago zu behandeln, und ihm das„Rothe Gespenst" an der Arbeit zu zeigen. Da es mit dem Schlofferstreik durchaus nicht gehen wollte, so soll jetzt post festurn zusammengelogen werden, was die Jhring-Mahlows nicht praktisch zu verwirklichen im Stand waren. An Angstmeiern fehlts zwar auch in der Schweiz nicht, indeß die repu- blikanische Luft gibt doch etwas stärkere Nerven als die monarchistisch- müffige Polizeiluft; und das Spiel des Pindter und seiner Patrone und Mitstrolche ist doch gar zu durchsichtig! „Zweite Pindterleistung: Der beste Beweis für die Vorzüglichkeit der„von der deutschen Reichsregierung inaugurirten(eingeleiteten) So- zialreform" ist— daß das ganze Ausland sie nachahmt, schreibt Pindter. Das„ganze" Ausland! Nun, Frankreich pfeift auf die Bis- marck'sche Sozialreform; England pfeift darauf; die S ch w e i z pfeift darauf; die Vereinigten Staaten pfeifen darauf. Die einzigen Staaten, beziehentlich Regierungen, welche der Bismarck 'schen Pfuscherei eine gute Zensur ausgestellt haben, sind Ruhland und Italien und allenfalls auch noch Oesterreich . Und was haben diese drei Musterstaaten auf dem Gebiete der„Sozialreform" gethan? Genau was Bismarck gethan hat: Nichts oder so gut wie nichts. Welche Jagdgeschichte wird Münchhausen-Pindter uns nächstens aufbinden zur größern Ehr« seines Patrons?" — Auch eine Kulturblüthe. In einem, für die„besseren" Kreise berechneten Reklame- Prospekt des Verwaltungsrathes der Kronthaler ApolliniS-Quelle— er ist auf feinstem Papier gedruckt und lag der nur für gebildete Leser geschriebenen„Allgemeinen Zeitung " bei— lesen wir: „Nach dem mehr a l s zuträglichen Genuß geistiger Getränke wirkt das Kronthaler Apollinis-Wasser namentlich Mor- gens nüchtern genossen, ungemein restaurirend, es äußert hier eine nervenberuhigeude, niederschlagende, leicht Purgirende Wirkung und beseitigt so alsbald die unbequemen Folgen solcher Diätfehler in überraschender Weise." Der Schlußsatz ist auch im Original durch besonders fetten Druck her- vorgehoben. AIS Zeichen der sittlicher. Benommenheit der herrschenden Klaffen Roms in der Kaiserzeit führen alle Geschichtsschreiber die Freß- und Sauf- gelage an, bei denen die Elite der Nation, um immer wieder von Neuem sich den Bauch anfüllen zu können, künstliche Brechmittel in Anwendung brachte. Wodurch unterscheidet sich die oben anempfohlene Anwendung des ApolliniS-Wassers im Prinzip von diesen Brechmitteln? Wir müssen gestehen, daß wir nicht gebildet genug sind, irgend einen prinzipiellen Unterschied herauszufinden. Hier wie da sehen wir nur den- selben Kultus der rohesten Genußsucht, der widerlichsten Völlerei. Und ein Blick auf die vielen fashionablen Pepsinpräparate, insbesondere die Pepsinweine, zeigt, daß dem Fresser die„Wissenschaft" heute nicht minder zur Seite steht als dem Säufer. Es wird Alles ange- wendet, um für den„mehr als zuträglichen Genuß" Straflosigkeit zu schaffen— dem vornehmen Bauch selbstverständlich. Klagt aber der Plebejer, daß ihm der Magen knurrt, so schreit man in eben denselben„gebildeten" Kreisen entrüstet über die„zunehmende Genußsucht der niederen Vollsschichten" und jammert über das„er- schreckende Umsichgreifen des rohen Marerialismus". Nirgends wirkt man eifriger für die Rückkehr zum„frommen Glauben unserer Väter" als in den Kreisen der versoffenen und verfressenen Aristokratie des Besitzes und der Geburt. — Ein preußischer Junker, wie er im Buch steht, ist Herr Rauchhaupt, natürlich Landrath, und als servilster Landrath auch offizieller Führer der Landrathspartei im preußischen Abgeordnetenhaus. Dieser Herr gibt in seiner Risidenz Eilenburg einen Moniteur heraus, betitelt das„Eilenburger Wochenblatt", in welchem der landräthliche Geist feffellos und nach Herzenslust sich herumtummelt. Eine Nummer, die uns von Freunden zugeschickt ward, ist so amüsant, daß wir unfern Lesern zu ihrer Erheiterung einige Auszüge geben müssen. Der Leit- artikel, überschrieben:„Zur Kennzeichnung der Sozialdemokratie," be- schästigt sich nochmals mit den Reden Bebel's und Liebknecht's bei der Debatte über die Verlängerung des Sozialistengesetzes und schließt mit folgenden klassischen Tiraden: „Also Gewaltthätigkeiten gegen einzelne Personen! Das zeigt uns die Sozialdemokraten wieder in einem neuen Lichte. Dabei wird alles, was uns eoel, gerecht, schön und schaben dünkt, von den Sozialdemokraten in den Staub gezogen, alle religiösen und patriotischen Gefühle verletzt. Wir erinnern unS noch eines Vorgangs aus dem Jahr 1872, wo es zur Sprache kam, daß die Sozialdemokraten sich bei keinem Hoch auf den Kaiser erheben. Da erklärte Liebknecht dieses Sitzenbleiben für eine ihnen durch ihre politischen Grundsätze auferlegte Pflicht. Glimpflich wird von ihnen nur der„Fortschritt" behandelt, der einmal im Reichs- tage von einem Sozialdemokraten ein schönes Zeupniß mit folgenden Worten ausgestellt erhielt:„Unsere Domäne und unser Gebiet, auf dem wir vorwärts marschiren werden, das ist das Gebiet, was die Fort- schrittspartei bis jetzt beherrscht hat; es thut unS sehr leid, daß wir gerade diese uns am nächsten stehende Partei verdrängen müssen." „Wer für den„Freisinn" arbeitet, arbeitet schließlich auch für die Sozialdemokratie, und wer die Sozialdemokratie bekämpft, leistet damit noch nicht genug für die Erhaltung des inneren Friedens, des Staates, der Gesellschaft, der Monarchie. Vor allem ist auch die Vorfrucht der Sozialdemokratie, der Freisinn, nicht aus dem Auge zu lassen,— wer die Sozialdemokratie wirksam und auf die Dauer bekämpfen will, muß auch„die ihr nächststehende Partei" mit ihren weitreichenden verderb- lichen Einflüssen zu vernichten suchen." Herr Rauchhaupt hat natürlich weder die Bebel'schen noch die Lieb- knecht'schen Reden gelesen— eS kommt ihm blos darauf an,„gruseln" zu machen, und— als echter, pflichteifriger, gehorsamster Landrath der Fortschrittspartei etwas am Zeuge zu flicken. Nun— wir hoffen, bei der nächsten Reichstagswahl werden ihm von unseren Genossen einige Lichter ausgesteckt. —„Wie erzieht man am besten den Reger zur Plantagen» arbeit"— so lautet eine von der„Deutsch afrikanischen Gesellschaft" ausgeschriebene„Preisfrage". Unsere Antwort lautet: Indem man ihm mittelst„freundschaftlicher Verträge" seinen Grund und Boden weg„expropriirt", ihn auch sonst aller Mittel beraubt, sein Leben zu fristen, und ihm dafür recht häufig die Peitsche zu kosten gibt. So kann man ihn auch ohne die leider nun einmal sehr anrüchige Instituts der Sklaverei zum brauchbaren Menschen in des Wortes verwegenst Bedeutung ausbilden— in Freiheit dressiren, würde es Ro> oder ein sonstiger Thierbändiger nennen. — Roch eine Preisfrage. Der„Westdeutsche Verein für Kol» nisation und Export" hat einen Preis von dreitausend Mark ausgesif für den besten„geschichtlichen Ueberblick der rechtlichen, administrativ«! und finanziellen Entwickelung der Niederländisch-O st indisch«« K o m p a g n i e." Niederländisch-Ostindien— wir glauben es, daß dieses Beispiel deutschen Kolonialschwärmern ganz besonders in die Nase sticht. Da w etwas zu holen. Und wie verstanden die Holländer das Holen!„r Geschichte der holländischen Kolonialwirthschaft"— und Holland war kapitalistische Musternation des 17. Jahrhunderts—„entrollt ein u> übertressbares Gemälde von Verräth. Bestechung, Meuchelmord und N» dertracht(Letzteres die Worte von Thomas Stamford Raffles , ehem� ger Generalstatthalter von Java und den Nebeninseln). Nichts charat teriflischer als ihr System des Menschendiebstahls in Celebes , um Skla « für Java zu erhalten. Die Menschenstehler wurden zu diesem Zweck gerichtet. Der Dieb, der Dolmetscher und der Verkäufer waren Hauptagenten in diesem Handel, eingeborne Prinzen die Hauptverkäuß Die weggestohlne Jugend wurde in den Geheimgefängnissen von Cel>" versteckt, bis reif zur Verschickung auf die Sklavenschiffe. Ein offizie! Bericht sagt:„Diese eine Stadt von Makassar z. B. ist voll von Heimen Gefängnissen, eins schauderhafter als das andere, gepfropft Elenden, Opfern der Habsucht und Tyrannei, in Ketten gefesselt, ihi Familien gewaltsam entrissen." Um sich Malacca's zu bemächtigen,& stachen die Holländer den portugiesischen Gouverneur. Er ließ sie ISÜ in die Stadt ein. Sie eilten sofort zu seinem Haus« und meuchelmordete» ihn, um auf die Bezahlung der Bestechungssumme von 21,875 Pfd. St zu„entsagen." Wo sie die Füße hinsetzten, folgte Verödung und Snt völkerung. Die Population einer Provinz von Java, Banjuwangi, zählis 1750 über 80,000 Einwohner, 1811 nur noch 8000. Das ist der süß! Handel."(Marx, im„Kapital", Bd. I, S. 783.) Dafür aber stand Holland , welches das Kolonialsystem zuerst völlis entwickelte, schon 1648 im Brennpunkt seiner Handelsgröße. Es war,,« fast ausschließlichem Besitz des ostindischen Handels und des Verkehr zwischen dem europäischen Südwesten und Nordosten. Seine Fischerei« Seewesen, Manufakturen übertrafen die eines jeden anderen Land«! Die Kapitalien derRepublik waren vielleicht bedeutender al! die des übrigen Europa insgesammt.„Jülich vergißt hinzuzusetzen," b« merkt Marx dazu,„Hollands Volksmasse war schon 1648 mehr üb« arbeitet, verarmter und brutaler unterdrückt als die des übrigen Euro? insgesammt." Indeß dieses Thema, die Rückwirkung solcher gewinnbringender Kol« nie» auf die Masse der heimischen Bevölkerung, steht auf einem ander« Kapitel. Hauptsache ist, daß sie für beförderunzssüchtige Streber, für durch gefallene Ministersöhnchen ic. Versorgungs stellen schaffen uv> Millionäre züchten helfen. — In einem deutschen Blatt finden wir, anschließend an eine Z» sammenstellung der über die Theiß'schen Boycotter verhängten Strafe« solgende sonderbare Bemerkung:„Die vorstehende Gerichtsverhani lung ist ein deutlicher Beweis, wie die republikanische Staatsform d« Arbeitern gar keinen Schutz bietet. In Belgien , einem monarchisch« Staate, sind die Urtheile viel gelinder ausgefallen als in Amerika / Daß die republikanische Staatsform kein Universalheilmittel ist, heute nachgerade jeder politische Abc-Schütz; auch in der Republik bleib« die Menschen Menschen, und spielen sich, so lange Klassenunterschiede if stehen, Klassenkämpfe ab. Der Hinweis auf solche oder auf Ausflüss« derselben beweist also weder etwas für noch gegen die Republik . D« republikanische Staatssorm vertritt aber in unserm Jahrhundert im Gegensos zur Monarchie das Prinzip der Herrschast deS V o l k s w i l l e n s, d« Demokratie, und so wenig auereichend dieses Prinzip auch ist, so stell! es doch gegenüber der Monarchie einen großen Fortschritt dar, und is deshalb von allen wahrhaft fortschrittlich gesinnten Elementen hoch;«' halten. Um so merkwürdiger daher, daß es ein„Arbeiterblatr ist, das die obigen Sätze gebracht. Beiläufig sind in dem gepriesenen Belgien vor einigen iCsgen rneh1 rere Arbeiter, welche an den Plünderungen in Charleroi Theil g« nommen haben sollen, zu 1v— ILjähriger Zuchthausstrafe v-r' urtheilt worden. Ein deutlicher Beweis, daß selbst die Monarchie de» Arbeitern„gar keinen Schutz bietet". — Wenn Zwei dasselbe thun. Die ganze offiziöse Presse, d« Antisemiten-Blätter voran, macht jetzt in Entrüstung gegen die ameri- kanischen Boycotter. Die guten Christenseelen sollen doch gefälligst er? nach dem Balken im eigenen Auge sehen. In Preußen-DeutfV l a n d wird nicht nur unter den Augen der Polizei, mit Hülfe der P«' lizei, sondern auch auf Anordnung der Polizei geboycottet, daß es nus so eine Art hat. Oder laufen die berühmten Plakate„Kauft 6«' keinem Juden" nicht auf Boycotterei hinaus? Ist eS nicht Bo? cott, regelrechter Boycott, wenn die Polizei Gastwirthe veranlaßt, Sozial' demokraten ihr Lokal zu versagen, und, wenn sie es nicht thun, sie aut' weist? Und ist es nicht schlimmer als Boycott, wenn Militärkapelle» bei Antisemitenfesten ausspielen dürfen, nicht aber bei der BeerdiguNi des Vorstehers der Berliner Stadtverordneten? Antwort, ihr elende» Heuchler! — Ein Wunder. Die brutale Art, wie der aus Berlin aus' gewiesene Baumeister Keßler auf Grund einer vor Jahr«> erlittenen Verurtheilung jetzt von der Polizei von Ort zu Ort ge' j a g t w i r d, hat plötzlich bei der„Kölnischen Zeitung ", der Nieman? solche Schwäche zugetraut hätte, etwas wie Gewissensbisse ge> weckt. Das Organ der weiland liberalen rheinischen Bourgeoisie find« es„mit dem Stande der heutigen Rechtsbildung un' vereinbar", daß Jemand absolut heimathlos gemacht werden kann, wie es heute Dank dem Sozialistengesetz mit dem„kleinen Belagerungs' zustand" möglich ist, und spricht dabei— die„Kölnische Zeitung "! I � etwas von allgemeinen Menschenrechten. Nun, die Erkenntniß kommt etwas spät, denn was jetzt Herrn Keßler paffirt, ist schon wiederholt anderen Leuten auch geschehen. Freilich waren das meist simple Arbeiter, und Keßler ist ehemaliger Regierungs' baumeister, d. h. gehört seiner sozialen Stellung nach der Klasse an, die für die„Kölnische Zeitung " die„Gesellschaft" schlechtweg bildet. Wenn so ein armer Teufel von Weber oder Schuster von Ort zu Ort gehetzt wird, dann denkt man sich in den Redaktionen von Weltblättern nichts weiter dabei— solch' ein Vieh weiß das nicht besser— aber einer aus der guten Gesellschaft, das ist ganz etwas ganz andres. Da fallen eine«! gleich die„allgemeinen Menschenrechte" ein. So sehr wir daher den ehrenwerthen alten Herrn, der so mannhaft für die Arbeitersache eingetreten, ob der ihm zu Theil gewordenen Miß' Handlung bedauert haben, so müssen wir es doch nachträglich als eine« günstigen Umstand begrüßen, daß eine der infamsten Folgen unserer heutigen Polizeigesetze gerade ihn als einen Vertreter der sogenannte« besseren Gesellschaft getroffen. Eine Schwalbe macht zwar noch keine« Sommer, und das Gewissen der„Kölnischen Zeitung " hat sich scho« über ganz andere Dinge beruhigt als die Verletzung„allgemeiner MeN' schenrechte", aber das Wort ist einmal dem Gehege der Zähne entflohen, und wir werden dafür sorgen, daß seine Wirkung nicht verloren geht. Es wird den Parteigenossen und Freunden der„K. Z." jeweilen gebührend unter die Nase gerieben werden. —„Ach, ich bi« so müde, ach, ich bin so matt"— war das „Leitmotiv" einer Rede, die Herr V i r ch o w vor etlichen Wochen aus dem Sommerfest des Wahlvereins der Fortschrittspartei in Berlin hielt. Nach dem Referat der„Volkszeitung" führte der große FortschrittSman« aus,„daß soweit seine Erinnerung reiche, es keine Zeit gegeben, in web cher eine Verständigung zwischen Wählern und Abgeordneten so nöihig gewesen hei, wie gerade jetzt, daß aber auch keine Zeit für diese Ver» ständigung fo viel Schwierigkeiten biete wie die heutige. Di« Fülle und große Bedeutung der schwebenden Fragen mache selbst de« Abgeordneten das Verständniß für dieselben schwer, in den Kreisen der Wähler aber hätten dieselben ein Gefühl der Mattigkeit und die Empfindung hervorgerufen, daß es sehr wenig werthooll erscheine, die Angelegenheiten zu erörtern. Wäre dies nicht der Fall und nur die g e r i n g st e A u S f i ch t vorhanden, daß man durch entsprechende Kundgebungen ein«
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8 (29/07/1886) 31
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