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Aus Frankreich  .

Paris  , 14 Februar 1889. Wie zu erwarten, hat sich der Opportunismus beeilt, dem Nadita­lismus die Quittung über dessen so gründliche Niederlage vom 27. Jan. auszustellen. Sie lautete: Sturz des Kabinets Floquet. Anlaß zu demselben gab ein Antrag des stets zu Seitensprüngen aufgelegten Radikalen Douville- Maillefeu, der die Revision bis auf Wei­teres von der Tagesordnung abzusetzen vorschlug. Die für den Antrag stimmende Majorität war aus Opportunisten, Monarchisten, Bonapar tisten und den Boulangisten zusammengefeßt. Der Opportunismus trat, was er sonst stets der äußersten Linken zum Vorwurf machte Hand in Hand mit der Rechten als Oppositionspartei auf und schlug dem heiligen Prinzip von der Stabilität der Ministerien" ein Schnipp­chen. Sein oder Nichtsein nämlich Ministerpartei ändert eben die ganze Sachlage. Daß das gemäßigte Zentrum wie ein Mann gegen die Revision stimmen würde, war im Voraus sicher, die Erhaltung des status quo, welchem die reaktionäre Wallon'sche Verfassung so günstig ist, gehört ja zu den Hauptdogmen des unbefleckten Ferryismus. Ueber­rascht hat dagegen, daß die Rechte und die Boulangisten sich selbst de= mentirten und einen der Hebel aus der Hand gaben, mit denen sie bis jezt so glücklich manövrirten. Nachträglich können sie das Faktum zu beuteln und zu drehen suchen, wie sie wollen, die Thatsache, daß sie für eine unbestimmt lange Bertagung der Revision gestimmt, sie, die stets von derselben deklamirt, schaffen sie nicht aus der Welt. Man sollte mun meinen, daß sie genügte, Boulanger's Oppositionsrolle für immer zu einem Fiasko zu gestalten, wenn eben nicht die Fehler der bisherigen Regierungen eine so heftige und tiefe Gegenbewegung gegen Alles, was offiziell und gouvernemental heißt, geschaffen hätten, daß fich Held Boulanger die gröbsten taktischen Mißgriffe ungestraft er­lauben darf.

Der Sturz Floquet's war bereits am Morgen nach dem Wahlsiege Boulanger's beschlossen. Die opportunistischen Organe zeigten von da ab, daß ihnen der Kamm gewaltig geschwollen, erklärten ein Kabinet für unmöglich, das sich vollständig unfähig erwiesen, die boulangistische Gefahr energisch zu bekämpfen." Die Galgenfrist, welche die porte­feuille und budgethungrigen Ferryisten dem Ministerium gewährten, hatte nur den Zweck, die Radikalen noch etliche Zeit Vorspaundienſte leisten zu lassen, sie in der Hoffnung, dadurch ihr Ministerium zu retten, für Geseze stimmen zu machen, die unter rein opportunistischer Flagge auf die entschiedene Opposition der äußersten Linken gestoßen wären. Mit Hilfe der naiven Radikalen haben die Opportunisten das früher von ihnen selbst im Interesse der Diktatur Gambetta's   erfundene Listen­strutinium durch die Bezirkswahl mit Einzelfanditatur ersetzt. Der neu aufgewärmte Wahlmodus soll vorgeblich das Kräutlein Wundersam sein, welches das Land mit einem Schlage von der Boulangitis heilt. Indem er der Vielkandidatur des Erministers gewisse Schranken zieht, soll er der bonapartistisch  - monarchistisch- boulangistischen Stoalition das Segeln von jeromistischen, viktoristischen und philippistischen Kandidaten unter Boulanger's Flagge unmöglich machen. Selbstbetrug oder reine Heuchelei. Mit einem durchaus äußerlichen Mittel wird man nie ein Uebel meistern, das in so tiefen Ursachen wurzelt wie der Boulangismus. Alles, was man dem neuen Wahlmodus etwa Gutes nachsagen könnte, ift, daß er ärmeren Parteien die Aufstellung von Kandidaten erleichtert, da die Kosten der Wahlkampagne in einem Bezirk niedriger zu stehen kommen als in einem ganzen Departement. Was die Opportunisten für ihn einnimmt, ist, daß er der amtlichen Kandidatur, welche auf die Lokaleinflüsse und die Kirchthurmsinteressen spekulirt, im höchsten Grade günstig ist. Die Partei, welche gerade das Heft in den Händen hält und sich der Situation rücksichtslos zu bedienen weiß, tann mit Hilfe des neuen Wahlmodus auf eine gewisse Anzahl von Mandaten rechnen. Die boulangistische Gefahr war wieder einmal der Deckmantel, hinter dem sich die opportunistische Lüfternheit verkroch, um die Radikalen hereinfallen zu lassen. In den Kammerdebatten, in denen das Produkt der Angst" durchgepeitscht wurde, gelangte die trostlose Dede, die hinter den deputirlichen Schädeln grinst, zum unverhohlenen Ausdruck und bewies, wie Recht der für das Listenskrutinium eintretende Radikale Jaurès   hatte, als er erklärte, daß sich die Politiker der lezten zehn Jahre gründlich abgewirthschaftet hätten, und daß die neue Situation neue Männer gebrauche. Der neue Wahlmodus, führte er aus, werde die Krise nie und nimmer beschwören, derselben könne nur durch soziale Reformen abgeholfen werden. Diese sozialen Reformen bedürfen aber neuer Männer, denn alle Politiker der letzten Zeit haben sich als durchaus unfähig erwiesen, die demokratische Strömung der Zeit zu verstehen und ihr zu folgen. Die Verhältnisse haben die alten politi­schen Parteien, die republikanschen Kadres zertrümmert und eine neue, unbekannte Demokratie gezeugt, welche auf soziale Ziele zusteuert. Der Sozialismus hat sich ausgebreitet und zählt Anhänger bis in die ent­Legensten Landgemeinden Frankreichs  . Und auch hier manifestirt sich ein Wechsel der Persönlichkeiten, wie das charakteristische Wort eines alten Landmanns zeigt: Wir wollen nicht mehr Joffrin, wir brauchen einen Vaillant!" will man über die Krise triumphiren, so müssen sich die nächsten Wahlen nicht auf Personen, sondern auf Prinzipien voll­ziehen und dem sozialistischen   Elemente muß ein breiter Raum überlassen werden."

Nachdem ein und zwar der größere Theil der Nadikalen trog der so beachtungswerthen Worte aus der eigenen Mitte dem Opportunismus die gewünschte Waffe schmieden geholfen, beeilte sich dieser, das Kabinet Floquet mit einem übrigens verdienten Fußtritte zum Teufel zu jagen, um sich selbst in den Besitz der Macht zu setzen. Der Opportunismus rechnet einerseits auf die mit Nachdruck zu be= treibende offizielle Kandidatur, andrerseits darauf, daß sich die Radikalen durch ihr Eintreten für die republikanische Konzentration bei ihren Wählern gründlich unpopulär gemacht. Er vergißt aber bei seiner Rechnung nur den einen kleinen Umstand, daß, was den Radikalismus unpopulär gemacht, bei ihm in zehnfacher Potenz zutrifft. Die Herren dürften bei den Wahlen Ueberraschungen erleben. Bis zur letzten Minute seiner Eristenz ließ sich das Kabinet Floquet vom Opportunismus auf's Glattels der Reaktion locken. Es brachte einen Gesezentwurf ein und durch, welcher nichts Geringeres als eine Beschränkung der Preßfreiheit bedeutet. Von nun an sollen Preßbeleidigungen offizieller Personen nicht mehr von einem Geschworenengericht, sondern von den Strafgerichtshöfen abgeurtheilt, d. h. nach dem Belieben der Regierung verurtheilt werden. Floquet hoffte ferner dadurch vor Ferry's Augen Gnade zu finden, daß er sich als Justizminifter den als einge= fleischten Ordnungs" mann bekannten Guyot- Dessaigue zugefellte, einen Mann, welcher seinerzeit dem Kaiserreich so ergeben war, daß er ,, mit Bedauern sah, wie dasselbe leßterzeit in liberale Bahnen einlenfte." Aber trotz der zahlreichen Pfänder, die er ihnen gab, trozdem daß Floquet opportunistischer regierte als manche der Opportunisten, konnten diese es ihm und seinen Mannen nicht verzeihen, daß sie den Platz ein­nahmen, von dem aus sich die nationale Milchschüssel am bequemſten und gründlichsten abrahmen läßt.

So beschämend die Niederlage momentan für die äußerste Linke ist, so kann sie doch gerade zum Ausgangspunkte eines alten Weiber­sommers für dieselbe werden. Sie giebt ihr ihre alte Aktionsfreiheit zurück, und indem sie die Phrase von der republikanischen Konzentration gründlich Lügen straft, erlaubt sie der Partei, wieder entschieden den Standpunkt einer Oppositionspartei einzunehmen. Besißen die Radikalen die Klugheit und Entsagung, sich von jeder ministeriellen Staats­männelei fern zu halten, so haben sie alle Aussicht, einen Theil wenigstens der an den Boulangismus verlorenen Wahlfundschaft zurück­zuerobern. Freilich ist dazu nöthig, daß sie nicht länger in das Geschrei von der von links her drohenden Gefahr einstimmen. Wie es scheint, haben sie das auch begriffen, denn ein Manifest der äußersten Linken erklärt den Entschluß, sich außerhalb jeder ministeriellen Kombination zu halten.

Die Ministerkrise verspricht übrigens, fich zu einer netten Zwick­mühle zu gestalten. Die Opportunisten wezen zwar schon die Zähne, um den fetten Bissen allein zu verspeisen, allein die Rechte verlangt ihren Antheil an der Beute, zu der sie ihren weiland Verbündeten ver­holfen. Dazu kommt, daß sich das gesammte Hohepriester- und Leviten­thum des Opportunismus in Schwindelunternehmungen und Wilsonismus derart abgewirthschaftet hat, daß sich fast jede Kombination als moralisch unmöglich zeigt. Am annehmbarsten erscheint noch der einzige unab­hängig gemäßigte Freycinet an der Spige eines Geschäftsministeriums".

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Wie fehr der 27. Januar ben opportunistischen Ochsenfrosch gebläht hat, geht am besten daraus hervor, daß der Temps" unverfroren genug ist, ein Rabinet Ferry zu verlangen, während das" Journal des Débats  " für ein Ministerium der Reaktion eintritt, was auf das Nämliche hinausläuft. Die Grabrede, welche man dem Kabinet Floquet sezen kann, ist, daß es nicht nur ben gesammten bürgerlichen Hadifalismus gründlich diskreditirt, sondern auch bewiesen hat, daß die Bourgeoisie sogar in ihren fortgeschrittensten Elementen am Rande des politischen Banterotts steht, daß sie unfähig geworden, die ,, res republica", die Republik   und die gemeinschaftlichen Dinge, zu verwalten, daß es Zeit ist, den neuen gesellschaftlichen Schichten, von denen Jaurès   sprach, den ihnen gebührenden Plazz einzuräumen.-

Das polittiche Schwertgeraffel und Schildklirren war in letzter Zeit so laut, daß die zweite Lesung des Gesetzes über Beschränkung der Frauen und Kinderarbeit fast unbeachtet vorüberge gangen tst. Trotzdem, und obgleich auch die Arbeiterkreise sogar in ihren organisirten und aufgeklärtesten Elementen dem Gesez gegenüber eine geradezu sträfliche Gleichgiltigkeit an den Tag legten, wurde es ange= nommen; sogar das in erster Lesung verworfene Verbot der Nacht­arbelt für Frauen ward schließlich in das Gesez aufgenommen. Ständen die Wahlen nicht so nahe vor der Thür, so wäre der Ausgang der Debatten wahrscheinlich ein anderer gewesen, denn die opportunistische Presse hatte bereits seit Monaten eine Kampagne der gemeinsten Art: gegen das Gesetz in Szene gesetzt, in der auch z. B. die bekannten, mit der Hungerpeitsche fabrizirten Petitionen von Arbeiterinnen nicht fehlten, die de- und wehmüthig bitten mußten, die edlen Herren Fabrikanten möchten doch ja so gnädig sein, das weibliche Arbeitsvieh nicht nur des Tags, sondern auch in der Nacht auszubeuten. Die betreffenden Dis­kussionen zeigten übrigens wieder die tiefe Gleichgiltigkeit und grauen­hafte Unwissenheit der großen Mehrzahl der Abgeordneten ökonomischen Fragen gegenüber. Der älteste Manchesterkohl über den Ruin der National- Industrie, wenn man der Freiheit der Arbeit" Schranken ziche, durfte ungestraft aufgetischt werden. Nur der katholisch- soziale de Mun zeigte neben allerhand zünftig- hierarchischen Schrullen Theil­nahme für die Arbeiter und Verständniß für die Frage und forderte eine internationale Regelung der Arbeitsgesetzgebung.

Ueber die im Anschluß an die Beschlüsse der Kongresse von Troyes  und Bordeaux   stattgehabten Demonstrationen zu Gunsten durchgreifen­der Arbeiterschutzgeseße, hat der Sozialdemokrat" bereits berichtet. Nächsten Sonntag sollen die Delegationen die Antworten der öffentlichen Behörden einholen und die Mitglieder der betreffenden Or­ganisationen sollen den Schritt durch eine Manifestation unterstüßen. Natürlich erhoffen die Sozialisten von der Maßregel nicht etwa eine Gewährung der aufgestellten Forderungen, dagegen versprechen sie sich einen guten agitatorischen Erfolg, abgesehen davon, daß es im Wiederholungsfalle imponiren muß, daß der revolutionäre Sozialismus Vertreter in den entferntesten Landgemeinden zählt. Die Organe der Bourgeoisie suchen die Manifestation im Voraus dadurch zu diskretitiren, daß sie dieselbe als ein boulangistisches Manöver bezeichnen. Bei allem, was den Regierenden und Satten nicht in den Kram paßt, heißt es heutzutage cherchez le général". Die Blinden begreifen nicht, welch' ausgezeichnete Reklame sie dem Pomadehelden machen, indem sie denselben mit Maßregeln in Verbindung bringen, die von der bewußten Arbeiterschaft schon seit Jahren gefordert werden und deren Nuzen auch dem nichtgeschulten Proletarier einleuchtet. Wenn Boulanger nicht schon eristirte, so hätten ihn die bürgerlichen Parteien eigentlich erfinden müssen, damit er sich zur rechten Zeit da einstelle, wo es ihnen selbst an Begriffen fehlt.

Sozialpolitische Rundschau.

London  , 21. Februar 1889, -Ein Nicht- Gentleman über die Nicht- Gentlemen- Zucht. Jm Berliner Volksblatt" veröffentlicht unser Genosse Auer einige sehr charakteristische Briefe und Schriftstücke, welche ein lange Jahre wider unsere Partei thätig gewesener Spizel, der Blaufärber a. D. Wichmann, in der Wuth über den schnöden Undank seiner Auftrag­geber an die Redaktion eines deutschen Arbeiterblattes, sowie an Auer selbst gesandt selbstverständlich ohne die erhoffte Gegenliebe zu finden. Daß das System Puttkamer- Krüger die Elenden, die sich, angelockt durch allerhand schöne Versprechungen, in seinen Dienſt begeben, hinterher, wenn er sie ausgesaugt hat und sie nicht mehr genug arbeiten" können, wie eine ausgepreßte 3itrone fallen läßt, das ist ja bei dem schmutzigen Charakter des ganzen Instituts und seiner Leiter sehr begreiflich, aber es ist eine merkwürdige Naivität, anzunehmen, die Sozialdemokraten hätten nichts besseres zu thun, als den Hineinge­fallenen, sobald ihnen der unter solchen Umständen sehr begreifliche Tugendrappel kommt, schleunigst ihre etlatante Genugthuung zu bereiten. Onein, wer das Sündengeld annimmt, der mag auch die Folgen seiner Käuflichkeit tragen, voll und ganz tragen, und wenn die Brutalität und Filzigkeit der wohlbestellten Chefs sich ihm in ihrer ganzen Gemein­heit offenbart, sich mit Georges Dandin zurufen:" Du hast's selbst gewollt!"

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Aber gut ist's doch, daß die Draußenstehenden von Zeit zu Zeit erfahren, wie es in jenem Muster- Institut zugeht, was für Shylock's  -waschechte, christlich- germanische Shylock's- seine Leiter sind, was für Lumpen seine Pflichtgetreuen". Braucht man auch nicht alles zu glauben, was die erwachte Tugend den enttäuschten Spizeln in den Mund legt in dieser Hinsicht sprechen sie die Wahrheit. Es ist nur ein Lied, das sie allesammt fingen, denn der Hamburger Blau­färber ist der Er ste nicht, der aus der Schule schwazt, und wird auch der Letzte nicht sein.

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Hören wir nunmehr die Briefe:

I.

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Altona, 1. Juni 1888.

Herr Redakteur! Unterzeichneter, ehemaliger Geheimpolizist, ersucht um gefällige Auskunft, ob Sie geneigt sind, ein Inserat etwa folgenden In­halts aufzunehmen:

Gebotene Erflärung!"

Da allgemein geglaubt wird, ich bezöge infolge meiner Inva­lidität eine Benfion von der Regierung, sehe ich mich genöthigt, diesen Irrthum durch folgende Belege zu beseitigen:

Schleswig  , den 12. Februar 1888.

Die an die Kgl. Staatsregierung in Berlin   gerichtete Ein­gabe vom 8. ds. Mts., in welcher Ste um Gewährung einer Pension gebeten haben, ist von dem Herrn Minister des In­nern an uns zur Verfügung abgegeben worden. Wir eröffnen Ihnen demnach hierdurch, daß auf Ihren Antrag nicht ein­getreten(?) werden kann, weil Ihnen ein Anspruch auf solche Bewilligung nicht zusteht.

Kgl. Regierung, Abthlg. des Innern.

Hierauf reichte ich unterm 18. April ein Gesuch nebst Schrei­ben ans Gericht hierselbst, resp. bei dem Herrn Landgerichts­direktor Blumenbach ein, worin es nach Mittheilung über wahre Behandlung resp. dunkle Punkte u. A. wie folgt heißt:

Wo würde man unter den verschrieensten Sozialdemokraten, berpöntesten Juden und verachtetsten Sklavenbefizern einen Arbeit­geber finden, welcher seinen unverschuldet um seine Gesundheit gebrachten Gehilfen so erbarmungslos dem Verderben Preis giebt, wie der Polizeidirektor se rüger in Berlin   mich nebst Familie."

Ferner:

Ich habe durch Arbeiten und Reisen in den verschiedensten Ländern Europas   und Ameritas Sachen und Menschen kennen gelernt, aber als Geheimpolizist einen Einblick, resp. Begriff vom Polizeigeschäft erhalten, daß man erschrecken muß, gerade in diesem Berufe die unsaubersten Elemente zu finden, welchen Gott,

Gewissen und Meineid weiter nichts als Blödfinn" zu sein fcheint.

Im Vertrauen auf den Gerechtigkeitsfinn des deutschen Nichterstandes hoffe ich, daß mir aus meinen wahren Mits theilungen teine Unannehmlichkeiten entstehen.

390

Hochachtungsvoll tief ergebenst Wichmann, Färber( Adresse). Beschluß.

Auf den Antrag des Färber Wichmann, Altona  ( Adresse), ergeht folgender Beschluß: Nach§ 2 des Pensionsgesetzes vom 27. März 1872 haben die unter dem Vorbehalt des Widerrufs oder Kündigung angestellten Beamten einen Anspruch auf Benfion nach Maßgabe dieses Gesezes nur dann, wenn sie eine in den Besoldungsetats aufgeführte Stelle bekleiden. Das Gesuch um Bewilligung des Armenrechts muß deswegen zurückgewiesen werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint, sofern nicht nachgewiesen werden kann, daß der Antragsteller eine in den Besoldungsetats aufgeführte oder unfündbare Stelle als Geheimpolizist bekleidet hat. Die Kosten werden niedergeschlagen. Altona  , 28. April 1888.

Kgl. Landgericht. Zivilfammer II. ( gez.) Blumenbach, Niederstadt, Bauer.

Wichmann, Färber( Adresse)."

II.

Altona  , 21. Juni 1888. Herrn Ignaz Auer  , Wolhgeboren.

Mit Freuden ergreife ich die Feder, um eine vor Jahren gegen Sie geübte Ehrenkränkung zurücknehmen zu können. Indem ich Ihnen hiermit auf Ehrenwort versichere, daß ich es gewesen bin, welcher Sie in der seiner Zeit in London   erschienenen " Freiheit" der Unterschlagung von 1000 Mt. Parteigelder verdächtigte.

Doch ist das darüber in Umlauf gefeßte Gerücht, wonach ich Vorstehendes im Auftrag meines Chefs, Polizeidirektor Krüger und Kommissar v. Haacke in Berlin  , ausgeführt hätte, un= wahr. Es geschah vielmehr im Auftrage und nach Diktat des Kommissars Engel hierselbst. Letzteres wie andere Machwerke find speziell dem Herrn Landgerichts- Direktor Blumen­bach bereits bekannt.

Möge es Ihnen eine Genugthuung sein, zu wissen, daß dem Gerichte in Altona  ", speziell dem strengen, aber gerechten Richter" Herrn Blumenbach meine Wahren Erlebnisse", das Geheimpolizei- Unwesen und meine Behandlung seitens meines Chefs seit 1. Dezember 1885 infolge in meiner Eigen­schaft als Geheinipolizist vorsätzlich mit Messern, Instrumenten ac. erlittene Mißhandlung ausführlich bekannt sind. Und denjenigen, welche sich dem Berufe als Geheimpolizist daselbst widmen wollen, möge zur Warnung dienen, daß, wenn sie ihre Gesundheit un­verschuldet eingebüßt haben, sie erbarmungslos dem Verderben preisgegeben werden." Hochachtungsvoll

=

Wichmann, Färber( Adresse).

Das Geständniß des Wichmann, die von ihm in die Freiheit" Lancirte infame Verdächtigung des Genossen Auer entstamme dem schuftigen Altonaer   Polizei- Engel, ist gleich bezeichnend für diesen Hüter der Ordnung und guten Sitte, wie für Herrn Johann Most  . Wer aber annehmen sollte, daß Most sich diese Erfahrung zur Lehre dienen lassen wird, der wird sich sehr täuschen. Most wußte, daß die Sache erlogen war, trotzdem nahm er sie auf, weil sie ihm gerade in den Kram paßte. Und so wird er auch in Zukunft handeln.

Im llebrigen bedürfen die Briefe keines Kommentar's. Vielleicht aber ergänzen wir sie demnächst durch einiges nicht minder interessante Material aus unserer Mappe der Enttäuschten und Buß= fertigen.

Auch eine der wohlthätigen Wirkungen des Kampfes ums Dasein. Im amerikanischen  , Phrenological Journal" vom Monat Dezember schreibt ein amerikanischer Gelehrter, Prof. Hume  , über die erschreckliche Zunahme der Frrsinnigen u. f. w. in den Vereinigten Staaten   während der 30 Jahre von 1850 bis 1880( dem letzten Zensusjahr). Danach betrug die Zahl der 1850

Irrsinnigen Idioten

B

. 15,610

.

15,787

Blinden Taubstummen.

9,754

9,803

1860

1870

1880

24,052

37,423

91,997

18,930

24,527

76,895

12,685

20,320

48,928

12,821 16,205 33,378

Hieraus ergibt sich also, daß, während die Bevölkerung des Landes von 23 auf 50 Millionen gestiegen ist, sich also etwas mehr als verdoppelt hat, die Anzahl irrsinniger und unvoll= kommener menschlicher Wesen auf das Vier- bis Fünffach c gestiegen ist.

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Das wären schöne Aussichten, bemerkt dazu die New- Yorker Bolts­Zeitung", wenn vorauszusehen sei, daß der gleiche progressive Fort schritt auch ferner stattfände. Dann wären wir in nicht allzuferner Zukunft eine Nation" von Narren und Heimstättlern!

Für uns ist es unzweifelhaft, daß die gesellschaftlichen Zu­stände direkt oder indirekt die Schuld an der traurigen Thatsache tragen, und daß eine gründliche Aenderung derselben nach den Vor­schriften von Vernunft und Gerechtigkeit obiges Verhältniß ungemein schnell umkehren würde."

Sicherlich, denn diese ungeheuerliche Zunahme der Zahl der geistig Zerrütteten ist fast ausschließlich auf die immer schärfer sich zuspißenden Bedingungen des Kampfes ums Dasein und ihrer verschiedenen Rückwirkungen auf das gesellschaftliche Leben zurück­zuführen. Je mehr der Industrialismus, die Stapitalsherrschaft, um sich greift, um so toller muß sich, und zwar für alle Kreise der Be­völkerung, die Jagd nach dem Glück, der Kampf um eine sorgenfreie Existenz, gestalten, und die Folgen davon sind fürdie Kämpfenden Ueber­reizungen des ganzen Nervensystems, die entweder direkt zum Wahnsinn führen oder und das ist eigentlich noch schlimmer sich in allerhand Störungen des Nervensystems bei der nachfolgenden Generation geltend machen. Die Kinder bringen die Keime des Wahnsinns, eine starke nervöse Reizbarkeit bereits mit auf die Welt, und die moderne Erziehung, weit entfernt, sie zu unterdrücken, entwickelt sie noch. Alle Bemühungen der Kampf einsichtiger Pädagogen richten dagegen nichts aus ums Dasein verlangt es, und seine Gebote dulden keinen Wider­stand. Würde er ewig die menschliche Gesellschaft beherrschen, die Menschheit wäre zum Untergehen im Wahnsinn verurtheilt.

Das wollen natürlich die orthodoxen darwinistischen Naturforscher nicht sehen, oder wenn sie es sehen, so hüten sie sich, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Denn diese heißen: Verurtheilung der heutigen bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft; und so radikal sich diese Herren zuweilen geriren, so weit reicht ihr Radikalismus doch nicht. Man schlägt allenfalls den lieben Gott der Pfaffen zum dreißig= tausendsten Male todt es ist ja ein so billiges Vergnügen

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eifert jogar, wenn man Ernst Häckel   heißt, etwas gegen den Mili= tarismus, der ja selbst der Bourgeoisie zuweilen unbequem ist, aber dem Gott   Kapital den Krieg erklären, nein, das geht nicht, das würde ja die Wissenschaft kompromittiren"!

Nunt, die Herren können zum Glück andere Leute nicht hindern, die Konsequenzen zu ziehen, die sie festzustellen zu feig sind. Und mag Herr Virchow sich noch so sehr darüber betrüben, der Darwinis= mus ist und bleibt eine der sch är fsten Waffen aus dem geistigen Arsenal der Sozialdemokratie.

- Der Reichstag   hat jest wieder einmal Ferien, die bis Anfang März dauern werden. Bis dahin soll die Kommission mit dem Alters- und Invalidenversicherungsgesetz fertig sein und außerdem das neue Gesetz zur Vermehrung der Artillerie. Wir haben wieder einmal zu wenig Soldaten und Mordmaschinen. Blos 30 Millionen Mark sollen gefordert werden wenigstens für den Anfang. Dann werden freilich weitere Forderungen bald nachkommen. Ist doch auch die Einführung eines neuen Infanteriegewehres endgiltig beschlossen:

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